Via | Geneva - Massilia

  • Nach ihrer Durchquerung Germania Superiors, hatten Norius Carbo und der Händler Lucius Rufus den Grenzort Geneva erreicht. Hier benötigte der alte Haudegen aus Massilia wieder einen längeren Aufenthalt, um der Cervisia zuzusprechen. Carbo hatte mittlerweile den Eindruck erhalten, dass Rufus eher ein Trinker, denn ein Händler war und letzteres nicht einmal wirklich beherrschte. Er führte Felle und germanischen Schmuck von Mogontiacum aus die ganze Strecke bis Massilia mit sich, während er auf allen Zwischenaufenthalten Geld eher ausgab, denn einnahm. Carbo hätte versucht auch unterwegs bei jedem Zwischenstopp ein, zwei Waren zu verkaufen und auch so zusätzliches Geld zu verdienen. Doch er wollte seinem Reisebegleiter nicht in seine Handelsmethoden hineinreden, immerhin reiste der Junge auf seinem Wagen mit und das auch noch quasi gratis, nach Verkauf seines eigenen Ochsengespanns und der Aufteilung des Gewinns zwischen ihm und Lucius Rufus. Dieses für ihn überaus vorteilhafte und preisgünstige Abkommen mit dem Reisenden, wollte Carbo auf keinen Fall brechen. Doch der Händler war schon irgendwo auch eine Art Überlebenskünstler, wenn man sich seine Einnahmen-Ausgaben-Bilanz ansah.
    An ihrem letzten Abend in Geneva hatte Carbo ihn gefragt, wie weit es noch bis Massilia sei.
    Nach kurzem Überlegen antwortete Rufus:



    Lucius Rufus, ein Händler


    "Oh, den Löwenanteil der Strecke haben wir hinter uns. Bis Massilia sind es jetzt nur noch um die 300 Meilen, in etwa neun Tagen sollten wir also dort sein, wenn wir uns ranhalten!" Das waren gute Neuigkeiten! Nicht nur, dass Carbo Rufus' Gesellschaft bald schon leid war, es war auch sehr erquickend für ihn zu wissen, dass er in zwei Wochen bereits in Rom sein würde, erinnerte er sich ja noch sehr gut an Rufus' Aussage in Argentoratum, wonach man von Massilia bis Ostia mit dem Schiff ungefähr sechs Tage benötigte. Das zumindest musste Carbo ihm lassen, der Mann war ein wandelndes Lexikon, was Entfernungen und die benötigte Zeit auf Reisen anging, bisher waren seine Einschätzungen immer korrekt gewesen. "Bist du eigentlich immer auf dieser Strecke unterwegs, oder wieso kennst du dich so gut aus in Germanien und in Gallia Narbonnensis?" fragte er ihn deshalb, während er an seiner Weinschale nippte. Rufus lachte. "Ach, das ist noch gar nichts! Ich bin schon auf allen großen Fernstraßen in Italien, Germanien und Gallien gewandert und habe meinen Handel getrieben und im übrigen ist es ja nicht schwer, sich die wichtigsten Entfernungsangaben innerhalb dieser Provinzen zu merken. Das Zeitgefühl kommt dann mit mehr Reiseerfahrung wie von selbst, du wirst schon sehen." Er prostete Carbo mit seiner Cervisia zu und stürzte sich dann den ganzen Humpen in einem hinunter. Carbo lächelte. Auch wenn ihn die ewige Sauferei abstieß, so hatte Lucius Rufus durchaus auch seine sympathischen Seiten, wie er fand. "Wie sieht es mit unserem weiteren Weg aus? Wird es noch steiler?"
    Der Händler wischte sich den Schaum vom Mund und schüttelte dabei den Kopf.
    "Nein, steiler wird es nicht mehr. Genava ist unser Scheitelpunkt, von jetzt an geht es wieder leicht bergab, immer den Wässern des Rhodanus nach und weg von den Alpen. Bei der Stelle, wo der Fluss um das Juris-Gebirge herumfließt und nach Norden, in Richtung Lugdunum abbiegt, verlassen wir ihn und fahren direkt nach Vienna, wo wir wieder auf sein Flussbett treffen. Von da an befinden wir uns im Tal des Rhodanus und der Rest der Reise ist ein Kinderspiel. Wunderschöne Landschaften, ein Wetterchen, das man sich nicht besser wünschen kann und stetig abfallendes Gelände bis Arelas, wo wir dann den Rhodanus verlassen und nach Osten in Richtung Massilia abschwenken."
    Carbo war überrascht. "Wie jetzt, wir überqueren gar nicht weiter die Alpen?"
    Rufus lachte. "Du hast die eigentlichen Alpen noch nicht einmal gestreift, Bursche! Nein, nein, wir umrunden hübsch dieses Massiv und halten uns an den Flüssen. Ich bin doch nicht so bescheuert und lasse mich..."
    "...dich von einem dahergelaufenen Bergstamm ausrauben, ja ja ich weiß." unterbrach ihn Carbo resigniert. Er hatte sich darauf gefreut, später erzählen zu können, er habe wie Hannibal die Alpen überquert auf seinem Weg nach Rom. "Ich hatte immer gedacht, man MUSS diese Berge überwinden, wenn man in den Süden will, egal ob zu Lande, oder Wasser? Man hört ja ständig davon?" Als wenn Rufus mit einem Begriffsstutzigen sprechen würde, sah er Carbo an und schüttelte dabei langsam den Kopf.
    "Nein, Junge, da hast du dir einen fast so gewaltigen Bären aufbinden lassen wie in dieser Sache mit den Salz- und den Sandmeeren rund um Rom. Die Alpen bedecken den Zugang zu Italien nordwärts zur Gänze, das stimmt schon, doch direkt an den Küsten kannst du auch zu Fuße hinmarschieren, ohne auch nur eine einzige Bergspitze übersteigen zu müssen. Und im übrigen liegt der Süden Galliens ja schon -wie gerade gesagt- eben im Süden und dort findest du weit und breit kein Gebirge. Das nächste liegt an der Grenze zu Hispania, die Pyrenaei, doch das ist fast schon zu südlich dort bei deren Affenhitze!" Der Händler brach in kurzes, brüllendes Gelächter aus über seinen eigenen Witz.
    Carbo fand es nicht besonders komisch, doch langsam aber sicher gewann er ein klareres Bild von der Welt. Die Alpen versperrten also nur den Zugang zu Italien und nicht, so wie er gedacht hatte, zu ALLEN Ländern des Südens. Er musste unbedingt irgendwo Landkarten auftreiben, wenn er erst einmal in Rom wäre, um seine schrecklichen Geographiekenntnisse aufzubessern! Dann konnte er auch gleich all das, auf dieser Reise, gelernte abgleichen und sich näher ansehen.


    Am nächsten Tag bekam Carbo Lucius Rufus nur mit Mühe wach, doch als es endlich soweit war, dass er alleine gehen konnte, konnte ihre Reise endlich weitergehen. Carbo bugsierte den noch halb betäubten Händler zu ihrem Wagen und verfrachtete ihn hinten, neben seiner Truhe, wo Rufus sich sofort wieder wie ein Säugling einrollte und weiterschlief, während Carbo sich an die Zügel setzte und die Pferde anlaufen ließ. So lenkte er den Wagen aus Geneva hinaus und hinein in die Provinz Gallia Narbonennsis, mit nächstem Ziel Vienna. Er hatte keine Ahnung wie lange das dauern würde, doch Carbo genoss die Stille, die rund um ihn herrschte, sodass es ihm nichts ausmachte, wenn die Reise dahin sogar ganze drei Tage dauern würde (was sie tatsächlich tat). Carbo war auf der Straße so ungestört und allein mit seinen Gedanken zuletzt nur bei der ersten Etappe seiner Reise gewesen, als er ganze vierzehn Tage mit seinen Ochsen zugebracht hatte. Eine Freude, sein Inneres einmal wieder schweifen zu lassen und über das eine, oder andere nachzudenken. Über vergangenes und auch über zukünftige Dinge, was Carbos weitere Lebensplanung anging. Nachdem er das Orakel in Cumae befragt hätte, würde er nicht wieder sofort zurück nach Mogontiacum reisen. Er wollte zuerst für ein, oder zwei Jahre in Rom verweilen und versuchen Geld zu verdienen, damit er sich später in seiner Wahlheimat vielleicht für den Ordo decurionum qualifizieren könnte. Ein wenig was hatte er sich ja schon erwirtschaften können, Rom war da der nächste logische Schritt. Am späten Nachmittag des ersten Tages nach ihrem Aufbruch aus Geneva, erwachte Lucius Rufus endlich aus seinem Delirium. "Wo sind wir?" murmelte er noch ganz verschlafen, während er versuchte von der Ladefläche auf den Kutschbock zu Carbo zu klettern. "Keine Ahnung, aber ich bin nirgends abgebogen, sondern immer auf dieser Straße geblieben." Der Händler sah sich kurz mit blutunterlaufenen Augen um. "Aha"
    Dann legte er seinen Kopf auch schon wieder auf seine Arme und schlief wieder tief und fest wie ein Stein, direkt neben Carbo. Dieser schüttelte missbilligend den Kopf über so viel Trunkenheit und sah dann wieder in Richtung der Straße. Auf der Strecke bis Vienna war Rufus' besoffener Zustand besonders schlimm. Den größten Teil dieser 3-tägigen Fahrt verschlief er. Mal am Kutschbock neben Carbo und mal wieder hinten auf der Ladefläche, während der Junge selbst darauf achtete, dass die Pferde auf der Straße blieben und sie selbst vorwärts kamen. Auch in den Poststationen, in denen sie Rast einlegten, war Lucius Rufus nicht wirklich zu gebrauchen, da er gleich sofort Cervisia orderte und wenn er nicht trank, dann schlief er wieder. Endlich erreichten sie ihr Ziel, Carbo parkte den Wagen samt Rufus darauf bei einer Taverne und übernachtete in ihr, ehe er am nächsten Morgen früh aufstand und gleich wieder losfuhr. Rufus hatte die Nacht in seinem Zustand auf dem Wagen verbracht. Die Sonne war bereits aufgegangen und reges Treiben herrschte auf der Straße, als auch der Händler endlich wieder halbwegs klar denken konnte. "W-Wo sind wir..?" krächzte er, sich seine Schläfen reibend und mit zusammengekniffenen Augen. Carbo bedachte ihn kurz mit einem spöttischen Blick (den Rufus nicht sehen konnte), ehe er antwortete: "Auf der Straße nach Valentina, wieso denn?" Da riss Rufus die Augen auf (und zuckte gleich wieder vor Schmerzen stöhnend zusammen) "Was?! Valentina? Was ist mit Vienna? Und woher weißt du plötzlich wohin wir müssen?" Zuviele Worte in zu kurzer Zeit, zu schnell gesprochen, mit noch zu großem Kater...wie er daraufhin feststellen musste.
    "Oh, wir waren in Vienna, wie sonst hätte ich den Wirt unserer Taverne fragen können, wie ich nach Massilia komme?"
    "Wir waren schon in Vienna? Wieso kann ich mich nicht daran erinnern?" nachdenklich kratzte sich Lucius Rufus am Kopf. "Das letzte, an das ich mich erinnern kann war, dass wir über die Alpen gesprochen haben...o-oder?" Innerlich fasste sich Carbo an die Stirn.
    "Das war in Geneva und das ist schon fast vier Tage her..."
    "Oh..."
    Mehr brachte Rufus nicht heraus, während er mit seinem Riesenkater versuchte, sich an die vergangenen Tage zu erinnern. Doch da war nichts.
    Carbo fragte sich ernsthaft, wie der Mann es bis jetzt geschafft hatte, sich nicht mit all dem Fusel umzubringen. Seine Leber musste wahrlich aus Eisen sein, anders konnte er es sich einfach nicht erklären. Alleine das kürzliche Gezeche hätte den einen, oder anderen weniger Trinkfesten gewiss in den Hades geschickt. Auf diesen Schrecken hin, dass er ganze vier Tage verloren hatte, fasste Lucius Rufus bei den weiteren Zwischenstopps und in Valentina keinen Tropfen an, wenn ihm das auch bekanntlichermaßen aufs Gemüt schlug. Er versuchte so gut es eben ging gute Miene zum bösen Spiel zu machen und zwanghaft gut aufgelegt zu sein, während Carbo es ihm deutlich ansah, dass dem eigentlich überhaupt nicht so war. Doch Rufus war ein erwachsener Mann und gewiss nicht mehr zu helfen, weshalb Carbo sich viel lieber mit der sie umgebenden Landschaft auseinandersetzte. Der Rhodanus wälzte sich gemütlich und träge in seinem Bett dahin und die Vegetation wurde nur langsam, aber stetig mediterraner, je weiter sie nach Süden kamen. Auch hatte Carbo bemerkt, dass es schon sehr viel wärmer war, als zu Beginn seiner Odyssee.


    In Arausio dann, fast zwei Tage später, getraute sich Rufus wieder des ersten Schlucks Alkohol. "Jetzt geht das schon, wir sind ja fast da" murmelte er, zuerst mit einem Blick auf seine Cervisia und dann einen von der Seite zu Carbo (ganz so, als ob er sich bei ihm entschuldigen müsste), ehe er seinen Humpen ansetzte und die ersten Schlucke tat. Carbo konnte sehen, wie es den Händler schüttelte vor Wonne. "Nektar der Götter, oh du mein Liebes", murmelte Rufus mit geschlossenen Augen. Für Carbo konnte die Reise gar nicht schnell genug beendet sein. Doch wenigstens hatte Rufus dieses Mal die richtige Menge Cervisia erwischt, um innerhalb seiner eigenen Parameter voll funktionieren zu können, ohne dabei halb betäubt hinten bei Carbos Truhe zu liegen. Ja, er saß sogar wieder neben ihm und erzählte ihm alles mögliche, von Rom und Italien und seinen Handelsreisen. Carbo hörte aufmerksam zu, denn das waren wieder die Dinge, die ihn wirklich interessierten. Das letzte Stück des Rhodanustals nahmen sie mit Trab, Carbo wollte so schnell wie möglich auf sein Schiff, weshalb sie schon nach nur einem halben Tag in Arelas ankamen und dort über Nacht blieben. "Bald ist es soweit. Massilia ist jetzt nur noch zwei Tagesreisen von uns entfernt, dann sind wir am Ziel!" Carbo jubelierte innerlich. Endlich!
    "Sind wir schon nah am Meer?" fragte er.
    "Nicht ganz, das ist noch ein paar Meilen weiter von uns weg, aber wir sind schon sehr nahe. Immerhin fließt der Rhodanus in dieser Gegend ins große Weltennass." Carbo konnte es nicht mehr erwarten das Meer zu sehen, doch so würde er sich noch zwei Tage gedulden müssen. Diese beiden Tage hatten es in sich. Sie zogen sich endlos wie cummis masticabilis, ganz so, als würden sie spüren, dass Carbo das Ende dieser Reise endlich herbeisehnte. Doch dann, nach einer Übernachtung in einer Poststation und noch einem Gewaltmarsch (zumindest für die Pferde) war es soweit und die Mauern Massilias erschienen vor ihnen am Horizont!

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