Ein Nachzuegler auf dem Weg nach Verona

  • Bescheuert. Natuerlich war es das. Bescheuert, und das im hoechster Vollendung, jetzt hier auf diesem Pferd die Strasse entlang zu preschen, anstatt es sich in Mantua weiterhin schoen zu machen, wie er es bereits seit Monaten getan hatte. Seit dem Tag, an dem er gemeinsam mit Flora dort angekommen war, vollkommen erschlagen und erschoepft von ihrer Flucht mit dem elenden Ochsenkarren, der sie von Misenum aus Richtung Norden gebracht hatte, sicher zwar, aber dafuer unsaeglich langsam und ungemuetlich. Allein dieses mehrwoechigen Martyriums wegen war Ahala der Meinung gewesen, dass eine lange, sehr lange Rekonvaleszenz durchaus angemessen war, ja, ihm regelrecht zustand nach all seinen Muehen. Und so hatte Ahala das getan, was er immer schon am besten konnte: sich erholt, und zwar nach allen Regeln der Kunst. Allzu schwer war das im Praetorium der Legio I und unter deren Schutz nicht gefallen, endlose Badegaenge und sportliche Aktivitaeten, um die alte Fitness wieder herzustellen hatten einander abgeloest, ebenso wie viele ernste aber auch durchaus erfreulichere lange Gespraeche mit seiner Cousine Septima und deren Mann, Aurelius Ursus, dem Legaten der Legio I. Und dann war da natuerlich auch in all der Zeit Flora gewesen, die Witwe von Ahalas Vater Durus und damit seine Stiefmutter. Seine Stiefmutter, mit der er ebenfalls einige Zeit verbracht hatte, wenn auch nicht unbedingt sprechenderweise, und die mittlerweile unmittelbar vor ihrer Niederkunft stand. Mit einem Kind, das der nachgeborene Erbe des Manius Tiberius Durus sein wuerde, zumindest dem Namen nach, was Ahala zunaechst einmal reichte, denn er zog es schon seit er von Floras Schwangerschaft erfahren hatte vor, sich im Interesse seines Seelenfriedens ueber deren exakte Urheberschaft nicht allzuviele Gedanken zu machen. Warum auch, schliesslich kam sein Vater auf diese Weise zumindest posthum noch zu einem leiblichen Kind und Erben, und er selbst war fein raus. Wieder mal. Ja, es war eine recht erholsame Phase gewesen, damals, direkt nach ihrer Ankunft in Mantua, und vermutlich war Ahala selbst mehr ueberrascht als viele andere, als er irgendwann anfing, sich nicht mehr wirklich wohl in seiner Haut zu fuehren. In Anbetracht der Tatsache, dass Muessiggang in Verbindung mit groesstmoeglichem Komfort und kleinstmoeglicher Verantwortung seit seiner fruehesten Jugend DAS unumstoessliche Credo in Ahalas Leben gewesen war, empfand er es als regelrecht verstoerend, als er sich, waehrend die ersten dunklen Wolken des beginnenden Buergerkriegs ueber dem Imperium zusammenzogen und auch in Mantua erste Vorbereitungen getroffen wurden , zunehmend unwohl zu fuehlen begann. Oja, Muessiggang war etwas wundervolles, doch hatte er auch jahrelang einen zusaetzlichen Reiz durch die Herausforderung, die Kontrolle seines gestrengen Vaters auszuhebeln und so geschickt wie moeglich zu umgehen, gewonnen. Doch diese Kontrolle war jetzt fort, seit Monaten schon, und Ahala stellte zu seinem eigenen Entsetzen fest, dass sich zunehmend eine diffuse Unzufriedenheit in ihm breitmachte. Ein Unwohlsein, das sich nicht mehr ohne weiteres dadurch uebertuenchen oder gar beseitigen liess, dass er spielte, trank und mit seiner Stiefmuter schlief, bis der Medicus kam. Ein Unwohlsein, das darueber hinaus noch ungemein verstaerkt worden war, als Lukios, der getreue Sekretaer des alten Tiberius, dessen Sohn nach langer Suche endlich in Mantua gefunden und diesem von den letzten Stunden seines Vaters berichtet hatte.
    Aulus Tiberius Ahala Tiberianus, einstmals als Tiberius Celsus bekannt, war weder grueblerisch noch feinsinnig genug veranlagt, um bewusst festzustellen, dass er sich in der ersten ernstaften Sinnkrise seines Lebens befand, die keine Anstalten machte, sich mit den voranschreitenden Vorbereitungen fuer den Abmarsch der Legio I zu verfluechtigen, sondern staerker wurde, je naeher ebendieser rueckte. Es waere keine grosse Sache, nicht mitzukommen, sondern ein wachsames Auge auf Septima, deren Sohn und vor allem auf Flora zu haben, die immerhin s.... ein Kind bekam. Wundern wuerde es vermutlich auch keinen, schliesslich war Ahalas Ruf inzwischen auch in Mantua hinlaenglich bekannt, und niemand erwartete wirklich ernsthaft etwas von ihm. Niemand ausser ihm selbst, eine Erkenntnis, die gemuetstechnisch ohnehin schon etwas angeschlagenen Ahala dazu brachte, sich am Vorabend des Abmarsches der Legion derart zu betrinken, dass er den folgenden Tag komplett verschlief und sich dann drei weitere Tage die Seele aus dem Leib kotzte. Am vierten dritten Morgen dann hatte er ein langes Bad genommen, in Windeseile das Notwendigste gepackt und hatte sich dann mit seinem Pferd daran gemacht, der Legion seines angeheirateten Cousins zu folgen. Natuerlich ohne sich vorher von Septima und Flora zu verabschieden, denn auch wenn auf einmal ein kleines Mass an neugewonnenem Verantwortungsbewusstsein in Ahala erwacht war, so erstreckte sich dieses noch lange nicht auf alle Bereiche seines Lebens, in denen der Weg des geringen Widerstandes und eine ausgepraegte Konfliktscheue nach wie vor das Sagen hatten. Nein, er hatte stattdessen einen Brief hinterlassen, in denen er seine Motive hoffentlich halbwegs verstaendlich erklaert hatte, und Flora wuerde ihn und seine Entscheidung, irgendetwas, was auch immer tun zu muessen, dabei sein zu muessen, in welcher Form auch immer, sicher verstehen. Vermutlich. Vielleicht. Und falls nicht, dann wuerde er sich damit beschaeftigen, wenn er zurueckkam, wann auch immer das sein mochte. Jetzt galt es erstmal, Ursus' Truppen einzuholen und sie davon abzuhalten, ihn direkt stante pede wieder zurueck nach Mantua zu schicken, in die Untaetigkeit, die er so viele Jahre lang so sehr geschaetzt hatte, und die ihm ploetzlich so unerfreulich unangehm geworden war.

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