Die Wahrheit liegt in der Tiefe

  • "In Wirklichkeit erkennen wir nichts; denn die Wahrheit liegt in der Tiefe." sagte einst Demokrit. Ich hoffte aber doch, etwas zu erkennen... und zwar, wie es sich mit der Ermordung des Kaisers zugetragen hatte. Ein Detail das man über den aktuellen Machtkämpfen glatt aus den Augen verlieren könnte.
    In der Tiefe suchte ich... der Tiefe der Castra, in der in düsteren Zellen unzählige Verdächtige ihres Unterganges harrten, in der Tiefe der Aussagen die sie machten, in der Tiefe der wirren Gerüchte, die sich um dieses größte aller Verbrechen gerankt hatten, wie dicht gewucherte Matten von Efeu verschleierten sie alle Konturen, verhüllten das Wesentliche.
    Öffentlich waren die Schuldigen längst benannt und geächtet, doch meine Liebe zum Detail ließ mir keine Ruhe, und ich sammelte seit meiner Rückkehr unablässig Steinchen für Steinchen für mein Mosaik zusammen, in unzähligen Verhören von kaiserlichen Sklaven und prätorianischen Wächtern, Angestellten des Palastes, bisweilen sogar Patrizierinnen oder auch mal ein Consular. Ich befand mich in der komfortablen Situation, dass alle, die an jenem fatalen Tag Zugang zum Misenum-Landsitz gehabt hatten, natürlich sogleich von uns eingesperrt worden waren. Die Sklaven erwartete ja sowieso der Tod nach Folter, wie es der Senatus Consultum Silanianum nun mal vorschrieb... ein Gesetz von rücksichtsloser Härte, und doch eines dessen Sinn sich nicht leugnen lies. Und die Leibärzte hatten wohl auch nicht mehr viel vom Leben zu erwarten. Die Gardisten waren seitdem vom Dienst suspendiert. Der Tod des Kaisers und seiner Familie hatte schon so einige mit in den Abgrund gerissen, und es würden sicher bald noch sehr viel mehr werden...

  • Es war eine häßliche, übelriechende Tiefe, in der sich die Wahrheit verbarg, und aus der ich sie nur fetzenweise herauszerren konnte. Manchmal war es mir, als sei ich selbst schon Teil dieser Unterwelt geworden, dann sah ich auch nachts im Traum wieder die labyrinthischen Gewölbe, die hohläugigen Gefangenen, und die, auch bei den größten Grausamkeiten, gleichmütigen Wächter. Ich war jedesmal heilfroh wenn ich wieder hinauf an die frische Luft, zurück in die Welt der Lebenden steigen durfte. Und doch mußte ich, solange das Mosaik noch nicht passte, immer wieder hinab zu den Lemuren, und mit der Zeit - es verging viel Zeit - fügte sich das Geschehen immer weiter zusammen, Fetzen für Fetzen, oder sagen wir, Mosaiksteinchen für Steinchen:



    "Trotz der Saturnalien, alle meine Leute waren auf ihren Posten, keiner hat sich einer Pflichtvergessenheit schuldig gemacht!" sagte der Centurio, der den Kaiser an jenem Tage vergebens bewacht hatte. "Es ist niemand von aussen eingedrungen, das ist ausgeschlossen! Meine Jungs sind gute Soldaten, was auch immer geschah, wir hatten keine Chance es zu verhindern. Sie tragen keine Schuld."



    "Ich habe nichts getan! Ich habe wie jeden Tag das Essen serviert! Nein, ich habe nichts bemerkt, gar nichts, der Kaiser hat uns nach dem Auftragen weggeschickt... ich habe erst später den Lärm gehört..." schluchzte eine der Haussklavinnen des Kaisers, ein todgeweihtes Mädchen. "Ich kann nichts dafür, ich habe dem Kaiser treu gedient, oh bitte, bitte Herr, lass es nicht zu dass sie mich kreuzigen...!"



    "Der Kaiser war guter Dinge, er trug einen Pilleus und legte sich mit seiner Familie zum Mahl." berichtete ein Miles der im Speisesaal selbst auf seinem Posten gestanden hatte. "Der Vorkoster hat alles zuerst probiert. Sie unterhielten sich über die Feiertage, und Maioranus bat ein Wagenrennen besuchen zu dürfen... Aber dann, sie waren schon beim Nachtisch, begann Maioranus, auf einmal zu klagen ihm sei nicht gut, und er hatte Krämpfe in den Gliedern... Sie haben dann nach den Medici geschickt, mein Mitwächter ist gleich losgerannt, aber dann... ging es sehr schnell, der Junge wurde ganz schlaff, und rang verzweifelt nach Luft. Es war schrecklich, ich kann sein Röcheln jetzt noch genau hören..."



    "Als ich eintraf" hörte ich von dem griechischen Medicus, "war der Knabe bereits verschieden. Seine Mutter wand sich schreiend im Krämpfen, und der Kaiser, selbstverständlich galt meine oberste Sorge dem Kaiser, litt schon an einer fatalen Dyskrasie mit Phlemaüberschuss, er war ganz weiß im Gesicht, konnte sich kaum mehr regen, kämpfte mühsam um jeden Atemzug. Der Vorkoster war da, glaube ich, auch schon tot, aber auf ihn habe ich nicht geachtet, nur auf den Kaiser. Ich brachte ihn sofort zum Erbrechen und verabreichte ihm Theriaca andromachi , doch es war bereits zu spät, sein Leib hatte zu viel Schaden genommen, das Herz hörte alsbald auf zu schlagen. Kurz darauf verschied, trotzdem meine Kollegen und ich alles versuchten sie zu retten, auch seine Frau."



    "Es war ein extrem starkes Gift" ergänzte sein syrischer Kollege, "merkwürdig daran ist, dass es so langsam wirkte, will sagen, dass die Wirkung verspätet, dann jedoch mit massivem Effekt einsetzte. Ich nehme an, dass ein solches gewählt wurde, um den Vorkoster nicht frühzeitig dahinzuraffen.... sondern erst dann, als es für alle bereits zu spät war. Eine pernizöse Vorgehensweise. - Ich darf doch annehmen, Tribun, dass meine Kollegen und ich, die wir dir mit all unseren Geisteskräften bei der Aufklärung des infamen Verbrechens behilflich sind, bald freikommen werden?"



    "Ich vermute, dass diese Verzögerung nicht dem Gift innewohnte, sondern der Verabreichungsform." mutmaßte wieder der Grieche, "Ein derart starkes Agens sollte sonst schon im Munde eine geringe Wirkung entfalten, und sei es nur ein bitterer Geschmack oder eine Taubheit der Zunge, die Aufnahme würde nicht unbemerkt bleiben. Möglicherweise wurde es von einer anderen Substanz umhüllt, welche erst nach gewisser Zeit, wenn die Körpersäfte wirken, das Gift freigibt... von einer Art Ummantelung oder Kruste..."



    "Der Speiseplan?!" echote der kaiserliche Koch, der von der Haft schwer gezeichnet war. Nur fahrig brachte er die Worte zusammen. "Es war ein einfaches Mahl, wegen des Feiertages. Zu Beginn gab es Eier, dann Gänseleberpastete und... geröstete Siebenschläfer... Ingwerkapaun und zuletzt Obst und Saturnaliengebäck. Was genau? Das war... geschichteter Honig-Kuchen, mit Rahm-Mandel-Sauce, gehackte Mandeln in lydischer Zuckerkruste, mein höchsteigenes Rezept... - Wer die Süßspeisen zubereitet hat? Die Handgriffe ausgeführt hat der Küchensklave Berisades."



    ".... aufhören! Nein... nein bitte.... nur endlich aufhören..." wimmerte schließlich der Küchensklave Berisades, oder das was von ihm übrig war, nachdem der Folterer sich ausgiebig mit ihm beschäftigt hatte. "... ja, ja... ich hab es in die Sauce getan... das Gift... da hinein getan, aber ich wollte es nicht, er hat mich gezwungen, es war Ulpianus, nicht ich, ich WEISS NICHT WARUM, nur, eine bedeutende Person steht dahinter hat er gesagt, MEHR WEISS ICH NICHT... eine bedeutende Person in Rom... aufhören, bitte... Ulpianus Venox... er war es, nicht ich...
    nicht ich... aufhören... bitte...
    Aufhören!!
    ...bitte..."



    Und die Jagd auf Ulpianus Venox begann...





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