Fragen über Fragen

  • Mit offenen Haaren trat Axilla vor den Hausalter der Casa Pompeia. Bei ihrer Hochzeit und am Tag danach hatte sie sich ja bereits unter den Schutz der Laren des Hauses begeben und ihnen mit der Münze ein rituelles Opfer dargebracht. Ansonsten hatte sie sich, was Opfer und Religiöses anging, eigentlich sehr zurückgehalten. Doch schien das ihren Ehemann nicht sonderlich zu stören. Überhaupt hatte Axilla ihn noch nie etwas opfern sehen außerhalb der wirklich notwendigen Reihe von öffentlichen Festtagen.


    Aber heute hatte sie es irgendwie nötig gefunden. Es war so viel passiert, so viel, was auf ihr lastete... im Grunde genommen glaubte Axilla ja nicht einmal daran, dass die Götter den Menschen halfen. Sie glaubte noch nicht einmal daran, dass sie ihnen großartig zuhörten. Sie hatte auch Pluto geopfert, damit er ihren Fluch bei Terentius Cyprianus vollstreckte, aber der erfreute sich bester Gesundheit. Sie hatte als Kind für ihre Mutter geopfert, und die war gestorben. Welche Beweise also hätte es noch benötigt, um zu wissen, dass die Götter sie verlassen hatten?
    Aber im Moment war sie bereit, sich auch an solche Strohhalme zu klammern, wenigstens auf die Chance hin, sich doch zu irren. Vielleicht war es ja dieses Mal anders. Vor allem, da Axilla ja gar nichts so direkt wollte. Nichts so großes und unmittelbares. Vielleicht wollte sie auch einfach nur mit jemandem reden, egal mit wem. Und bei den Laren waren ihre Geheimnisse wohl am besten aufgehoben.


    Sie betrat also den Raum, in dem sich das Lararium und der Hausaltar befand. Langsam schritt zu zu der Wandnische, die von einer stilisierten Schlange geschützt eingelassen worden war, um den Hausgeistern dort einen Raum zu geben. Hinter ihr war noch ein Sklave, der ein Ferkel hielt, das nun geopfert werden sollte und die nächsten Tage als Nahrungsgrundlage dienen sollte. Ein teures Geschenk, wenn man bedachte, dass die Zukunft ungewiss war, gerade was das Essen anging.
    Axilla nahm ein Stückchen Weihrauch und zündete es vorsichtig an einer Kerze an. Sofort begann das goldgelbe Stückchen Harz zu rauchen und seinen kräftigen Geruch im Raum zu verteilen.
    “Laren des Hauses. Ich bringe euch Weihrauch und bitte euch, die Pforten zu öffnen zwischen dieser Welt und der nächsten. Laren des Hauses, unter deren Schutz ich hier wohne, die ihr meinen Sohn beschützt mit eurem Tun und Streben, verzeiht mir, wenn ich noch andere an euren Altar rufe, um auch ihnen Geschenke zu machen.“
    Axilla machte eine kurze Pause. Sie wusste, dass das hier eigentlich nicht der richtige Altar war, allerdings hatte sie keine Ahnung, wie sie es richtig machen sollte. Und sie hoffte, die Laren und die pompeijischen Ahnen würden ihr das verzeihen.
    “Und so rufe ich auch den Geist des Gaius Ulpius Aelianus Valerianus hier her und bitte, dass er mir verzeiht, wenn ich hier einfach zu ihm spreche. Auch dir sei Weihrauch, und Wein.“ Axilla nahm einen Wienschlauch und goss von dem roten Rebensaft großzügig etwas in eine der Opferschalen, so dass sich ihr Spiegelbild auf der dunklen Oberfläche spiegelte.
    “Euch guten Geistern und euch Verstorbenen möchte ich opfern, und bitte dafür um eure Hilfe. Ich weiß nämlich nicht, was ich tun soll, oder was ihr gewollt hättet. Es ist so viel... und ich bitte um eure Führung. Ich bitte euch, hört mich an, und helft mir, meine Gedanken zu ordnen und zu erkennen, was ich tun soll.“


    Axilla atmete ein paar mal durch. Der Sklave hinter ihr war keiner von ihren, sondern von Imperiosus, und sie wollte nicht, dass er alles mithörte und es am Ende noch verriet. Aber er stand weit genug von ihr weg, so dass Axilla sich schließlich traute, das alles gegen die Wand zu flüstern, was ihr so auf dem Herzen lag.
    “Mein Kaiser Valerianus... ich weiß, dass die Dinge, die jetzt passieren, nicht so sind, wie du sie haben wolltest. Ich hab dein Testament gesehen und ich weiß, dass mein Mann es gefälscht hat, um Vescularius auf den Thron zu bringen. Und ich weiß, dass das nicht richtig und nicht nach deinem Willen ist.
    Und jetzt bewegen wir uns auf einen Bürgerkrieg zu. So viele sind schon getötet worden. Tiberius Durus, der dein Pontifex pro Magistro war. Und andere, von denen man schon so lange nichts mehr gehört hat.


    Und da ist... ich habe nachgedacht. Über so vieles. Ich glaube, ich habe deinem Verwandten Aelius Archias unrecht getan. Ich bin mir inzwischen nicht mehr sicher, ob er gesprungen ist, und ob seine letzten Zeilen an mich wirklich so gemeint waren, wie ich sie verstanden habe. Ja, es war schwierig mit ihm, aber... er wäre doch nie vom tarpejischen Felsen gesprungen!
    Aber das ist mir erst so wirklich bewusst geworden, als ich die Leichenrede von Vescularius gehört habe. Dass deine Verwandten jetzt alle tot sind. Ich habe auch von Aelius Quarto, deinem Bruder, nichts mehr gehört und ihn nicht gesehen. Vescularius wohnt jetzt im Palast auf dem Palatin. Was ist mit der Domus Aeliana? Ist er dort noch? Oder hat Vescularius ihn getötet? Ist er bei dir?
    Wenn Vescularius ihn getötet hat, vielleicht auch Archias. Vielleicht plante er das schon seit langem und hat alle Aelier getötet, ehe er die Ulpier getötet hat, um alle, die Anspruch erheben hätten können, aus dem Weg zu schaffen. Vielleicht hat er dich auch krank gemacht mit einem Gift, um dich vom Regieren fern zu halten. Deine Ärzte konnten die Krankheit ja nie erklären! Und auch, wie das Gift in dein Essen gelangte...
    Und auch Prudentius Balbus, der mit deiner Nichte verheiratet war und Praefectus Praetorio war... er soll in seinem Bad ertrunken sein. Aber... ist er das? Oder wurde er ertränkt, dass er aus seiner Schwägerschaft keinen Nutzen ziehen konnte und Vescularius jemanden auf dem Posten des Praefectus hatte, dem er vertraute? Terentius Cyprianus steht ja bereits in seiner Schuld. Auch, als Urgulania ihn anklagen wollte, hatte der Vescularius diese Klage abgeschmettert, und damit den Weg geebnet für Urgulanias Ermordung!
    Ich meine, das ergibt jetzt langsam alles einen Sinn, ein großes Bild, das sich Stein für Stein zusammenfügt. Salinator muss es schon sehr lange geplant haben, und jetzt hat er sein Ziel erreicht und sitzt auf dem Thron. Und ich sehe das alles und weiß nicht, was ich tun soll... Ich fürchte mich, etwas zu tun, und ich weiß nicht einmal, was ich tun könnte. Ich weiß es einfach nicht. Ich sage mir immer, dass ich auf Titus aufpassen muss, dass mein Sohn mich braucht und ich ihn nicht gefährden darf, aber... das ist feige. Ich weiß es. Mein Vater hat immer gesagt, dass ein Soldat nicht davon läuft. Auch nicht bei einer Übermacht. Aber ich will davonlaufen. Ich möchte mich am liebsten verkriechen und einfach nur weggehen, meinen Sohn mitnehmen und verschwinden...“

    Axilla atmete ein paar mal tief durch, um ihren Atem wieder gleichmäßiger werden zu lassen, um ihr aufgebrachtes Gemüt wieder zu beruhigen. Sie gestand sich ihre Feigheit nicht gerne ein, aber sie wusste, dass es wahr war. Und sie wusste einfach nicht, was sie dagegen unternehmen sollte. Sie wollte so nicht sein.


    “Oh Genius des Valerianus. Ich bitte dir, gib mir ein Zeichen, was ich tun soll. Was du willst. Ich weiß nicht, was richtig ist.
    Und ich bitte dich, dieses Haus nicht heimzusuchen als Geist, weil ich nicht erkannt habe, was ich tun muss. Ich möchte, dass du die Ruhe im Elysium findest und nicht als Schatten umherstreifst, um die Lebenden zu bedrohen. Ich hoffe, dass du deinen Platz unter deinen Ahnen einnimmst und nicht auf dieser Welt verharrst, bis dein Wille vollfüllt wurde.“


    Axilla wartete einen Moment noch auf ein göttliches Zeichen, ehe sie den Sklaven mit dem Ferkel herbeiwinkte. Sie ließ sich das zappelnde Tier geben und hielt es gut fest, kniete sich damit auf den Boden und hielt es an ihren Körper gepresst mit einer Hand und unter den Arm geklemmt, während sie mit der Rechten das Messer führte und dem Tier tief in den Hals stach. Das Blut spritzte kräftig und lief ihr sogleich über die Hand, während der Sklave es rasch mit einer Opferschale auffing. Axilla hielt das zuckende Ferkel, bis seine Bewegungen erschlafften und kein Blut mehr floss. Erst danach öffnete sie mit dem Messer vorsichtig den Bauchraum des Tieres, wies den Sklaven an, die auf eine Opferschale herausgezogenen Innereien für die Laren zu verbrennen und betrachtete sich die Leber des Tieres, in der Hoffnung, vielleicht dort ein paar Antworten zu erhalten. Auch wenn sie kein Haruspex war und keine Ahnung hatte, wie sie das Ding lesen sollte.

  • Die Manen des Kaisers blickten noch immer wohlwollend auf die Urbs. Doch was sie sehen mussten, gefiel ihnen überhaupt nicht: Man hatte ihn hintergangen, hinterrücks ermordet, seine Familie in den Tod gerissen und seinen letzten Willen mit Füßen getreten.


    Als nun endlich eine aufrichtige Römerin sich an sie wandte, brannten sie nur darauf, den Sterblichen ein Zeichen zu senden. Klar und deutlich schrieben sie ihre Anweisungen in den Vitalia des Ferkels - obwohl sie gewöhnlich Ziegen bevorzugten. Dem ungewohnten Beschreibstoff war es wohl auch geschuldet, dass höchstens ein langjährig ausgebildeter Haruspex die Antwort auf die Frage herauslesen hätte können. Auf Axilla musste es dagegen wirken wie jedes blutige Organ, das man aus einem frischgeschlachteten Tier schnitt.

  • Die Leber lag dunkel glänzend in Axillas Händen. Sie versuchte, mit den Händen das Blut davon notdürftig wegzuwischen, ohne die Leber dabei aus Versehen fallen zu lassen. Dunkle Schlieren zogen sich über die Oberfläche, dicke Tropfen liefen unerträglich langsam Axillas Unterarme hinab, sammelten sich an den Ellbogen, um von dort auf den Boden oder in ihr Kleid zu tropfen. Der eisern-rostige Geruch von frischem Blut füllte nach einiger Zeit den kleinen Raum fast komplett aus, nur noch leidlich überdeckt von dem kräftig-harzigen Geruch des Weihrauchs.
    Axilla starrte auf die Leber, wendete sie in ihren Händen, fuhr mit den Fingern über die glatte Oberfläche. Da, war das ein Schimmer? War das nur das Licht, das sich auf der Oberfläche spiegelte? Welche Form hatte der Fleck? Was bedeutete es?
    Und diese Schlieren, sahen die aus wie ein Schwert? Wenn sie darüber fuhr, veränderte es sich wieder, war nur noch ein Fleck. War das ein Zeichen, war es keines? Was bedeutete es?


    Das Blut trocknete langsam an ihren Fingern, bildete bröselige Blättchen an den Rändern, die leicht juckten, während es an ihren Handflächen noch klebrig und schleimig haftete. Und noch immer starrte Axilla auf die Leber, wendete sie, besah sie sich, auf der Suche nach etwas, das sie verstand.
    Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte. Sofern sie überhaupt Antwort erhielt, würde die wohl nicht in fein gemeißelter Reinschrift auf dem Organ als genaue Anweisung zu sehen sein. Die Götter, die Geister, das Schicksal selbst hatten wohl besseres zu tun, als den Sterblichen so genaue Anweisungen zu geben. Sofern sie sich überhaupt die Zeit nahmen, etwas zu tun. Je länger Axilla auf das langsam trockener werdende Organ schaute, umso sicherer wurde sie, dass da absolut keine Antworten für sie waren und sie hier ihre Zeit verschwendet hatte. Und umso drängender wurde das Gefühl der Verzweiflung, einer Situation gegenüberzustehen, der sie nicht gewachsen war.


    Der Sklave stand immer noch da, wartete gehorsam mit der Schale der übrigen Innereien, tippte von einem Fuß auf den anderen. Axilla wusste, dass er auf Anweisungen seiner Herrin wartete. Dass sie diese treffen musste. Dass es ihre Aufgabe war, hier im Haus zu wissen, was zu tun war, weil sie die Matrona war. Aber wie sollte sie das wissen? Wie sollte sie irgendwas wissen? Sie fühlte sich im Moment nur so verloren und hilflos wie schon lange nicht mehr. Sie vermisste Vala, seine Sicherheit. Sie vermisste Seneca, seine Bestimmtheit. Und sie vermisste ihren Vater. Wäre er hier, er wüsste, was zu tun wäre. Aber doch nicht sie, Axilla!
    Es brauchte einiges an Überwindung, dass sie sich schließlich zu ihm umdrehte und die Leber auch auf die goldene Schale legte. “Bring... bring das in die Küche und verbrenne es für die Götter. Und das Ferkel gibst du der Köchin.“ Axilla wusste, wie gebrochen sich ihre Stimme anhörte, aber der Sklave verneigte sich nur und tat, wie ihm geheißen.


    Und dann war sie allein. Nicht nur allein. Einsam. Axilla hatte sich lange nicht mehr so einsam und verlassen gefühlt. Ihre Arme fühlten sich schwer an, als würde das Blut an ihnen sie nach unten zerren, zu der dunklen, spiegelnden Pfütze auf dem Boden. Ihre Knie fühlten sich weich an. Ihr Kopf war leer und dröhnte, und von dem Weihrauch war ihr schwindelig. Der Geruch des Blutes bereitete ihr so langsam aber sicher Übelkeit. Und doch schaffte sie es nicht, sich aufzuraffen und zu gehen, weiterzumachen. Es ging einfach im Moment nicht.
    Es war einfach alles grade so viel.


    Sie merkte nicht wirklich, wie sie sich gegen die Wand lehnte und langsam daran herunterrutschte. Sie merkte nicht den kalten Boden, den rauen Putz in ihrem Rücken. Sie merkte auch nichts von dem Blut an ihren Händen, als sie ihr Gesicht darin barg und die Knie an ihren Körper anzog, ehe ihr Körper von leisem Schluchzen geschüttelt wurde. Und bald schon flossen blutige Tränen über ihr Gesicht, vermischten sich mit dem Blut auf ihrem Kleid, auf ihren Händen, auf dem Boden.

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