Meine Kindheit und Jugend in Sala Colonia

  • Die meiste Zeit meiner Kindheit war ich ein schwächlicher und kranker Junge. Nachdem mein Vater ins Exil geschickt wurde, wurden wir nach Mauretania Tingitana geschickt, einer Provinz, von der niemand in meiner Familie eine richtige Vorstellung hatte, so erzählte Mutter mir später. Und vielleicht hätte ihr die Reise nach Mauretania nicht einmal so viel ausgemacht, doch die Umstände der Fahrt konnten kaum widriger sein.


    In kürzester Zeit musste das Gepäck geschnürt und im Wagen verstaut werden, Sklaven, Klienten sowie Verwandte und Freunde mit Anweisungen und Nachrichten versorgt werden, so daß alles seinen mehr oder weniger gewohnten Gang gehen konnte und in der Zeit bis zur Rückkehr (wovon meine Mutter felsenfest ausging) im vinicischen Haushalt kein Chaos entstünde. Großvater, also der Vater meiner Mutter, der andere Großvater war schon lange vor meiner Geburt verstorben, versprach seine Hilfe, doch auch für ihn waren die Zeiten politisch schwer und er musste selber sehr vorsichtig agieren. Doch bei der Frage der Unterkunft in Mauretania wusste er Rat: rein zufällig hatte er in selbiger Provinz, sogar in Sala selber, eine Landvilla, welche er noch nie besucht hatte und da traf es sich ja prächtig, da konnten wir dort doch auch gleich nach dem Rechten sehen, wenn wir schon mal dort waren. Der Aspekt des Zufalls ist aber minimal: mein Großvater hatte in jeder Provinz Landgüter, die von ihm so gut wie nie besucht wurden. Ich zweifle sogar daran, daß er auch nur die Hälfte je gesehen hatte. Aber Großvater war reich und hatte ein ungewöhnliches Netzwerk an Geschäftspartnern, denen er vertrauen konnte und ein ebensolches Netzwerk, um die Geschäftspartner überprüfen zu lassen (ausspionieren traf es wohl besser). Nicht zuletzt deswegen war mein Großvater einer der reichsten Männer Roms. Doch ich schweife ab.


    Als wir also das Schiff bestiegen, hatten meine Eltern ein mulmiges Gefühl. Der Winter war noch lange nicht durch den Frühling verjagt worden und besonnene Landratten, wie mein Vater einer war, würden zu einer solchen Jahreszeit keinen Fuß auf die Planken eines Schiffes setzen, zu stark war die Gefahr eines Sturms und damit natürlich auch die Gefahr eines Unterganges. Doch wir hatten keine Wahl, wir mussten Italia verlassen. Der Schiffskapitän ließ sich auch fürstlich dafür entlohnen, Mutter erzählte mir Jahre später, daß der “Halsabschneider” wie sie ihn ganz undamenhaft nannte, das Zehnfache des üblichen Preises verlangte. (Das hingegen konnte auch der unter diesen Umständen luxuriösen Beförderung geschuldet gewesen sein. Außerdem neigt meine Mutter in Bezug auf Geld stark zu übertreiben.) Ich selbst kann mich kaum erinnern, nur schemenhaft. Lediglich der Schiffskoch blieb in meinem Gedächtnis verhaften, da er mich ihm zusehen ließ und mir einen Apfel zusteckte. “Nur für dich und pscht, sags niemandem weiter.” zwinkerte er mir zu und ich war ganz stolz auf diesen Apfel. Völlig irrational natürlich, das weiß ich jetzt, denn Äpfel waren ganz normale Schiffskost und jeder hatte welche bekommen. Aber damals konnte man mir ganz Kind noch viel erzählen und ich hatte keinen Grund, an meiner Exklusivität zu zweifeln. Immerhin war oder besser gesagt bin ich der erste Sohn meiner Eltern und Abkömmling einer stattlichen politisch außerordentlich erfolgreichen Gens und die mütterliche Verwandtschaft war auch nicht zu verachten. Im übrigen fand ich die Reise ganz aufregend und nervte meine Eltern und alle anderen wohl mehr als sonst mit Fragen zu jeder Banalität und Kleinigkeit, die mir gerade einfiel.


    Die ersten zwei oder drei Tage verliefen ganz normal. Der Wind ging und er war sehr kalt, doch im Prinzip passierte nichts außergewöhnliches. Von da an habe ich keine Erinnerung mehr an die Reise bis Wochen nach unserer Ankunft.

  • Ich war natürlich noch klein, daher erklärt sich die fehlende Erinnerung. Für mich persönlich sind diese folgenden Tagen und Wochen auch wenig erinnernswert, denn wenn ich mich erinnern könnte, dann würde ich mich nur an die Betten erinnern, in denen ich die Zeit verbrachte, mitsamt den feinen Laken und den kuschligen Polstern, vielleicht noch schemenhaft die nähere Umgebung und Stimmen, bekannte wie unbekannte, die sich in mein Bewußtsein drängen wollten. Wenig erinnernswert also. Und ich hielt noch nie etwas davon, sich an etwas erinnern zu können nur um des Erinnerns willen.


    Was passiert war, ist in wenigen Sätzen geschildert. In Carales musste ich mir etwas eingeholt haben, was mich ordentlich niederwarf. Später erzählte man mir, daß ich mehrere Tage dem Tode näher war als dem Leben und die angeforderten medici kaum etwas anderes tun konnten als mir irgendwelche Kräutertees, Essigwickel und Bäder zu verschreiben oder sonstwelche kuriosen Anwendungen. Irgendein Gott muss jedoch an meiner Seite gewesen sein, denn ich konnte die Krankheit zwar überwinden, der wochenlange Kampf hatte mich jedoch sehr geschwächt und anfällig gemacht. Zudem war meine Haut wund vom langen Liegen, was meiner ohnehin trüben Stimmung naturgemäß kaum Auftrieb gab. Wohl wegen der ungewohnten Umgebung und dem anderen Klima und wissen die Götter was noch alles erholte ich mich nur im Schneckentempo. Kurz: Es war eine Qual, sowohl für mich als auch für die Sklaven, die mich zu betreuen hatten. Immer wieder hatte ich Rückschläge zu verkraften, die mich ins Bett warfen und selbst wenn es mir gut ging, erlaubte mein schlechter Kreislauf nur langsames Gehen. Rennen und Herumtollen wie es jeder Junge gerne mochte war nie möglich und selbst leichtere Anstrengungen forderten sofort ihren Tribut ein. Und doch: obwohl meine Mutter unablässig darüber wachte, die Anordnungen des Arztes zu befolgen, so wollte sich keine ordentliche Besserung einstellen, eine die diesen Namen wirklich verdiente.


    So verbrachte ich die Zeit zumeist in der Villa respektive im Garten (man konnte Sala viel nachsagen, aber nicht, daß dort zuwenig Sonne schien) und sah oft genug den anderen zu, wie sie etwas taten, wenn ich selber zu müde selbst zum Lesen war. Selbstverständlich erhielt ich auch Unterricht, natürlich nicht von meinem Vater, sondern von einem Gelehrten (Grieche - was sonst?), der gerade gelehrt genug war, unterrichten zu können, aber nicht gelehrt genug, nicht unterrichten zu müssen. Man möge mir diese Eitelkeit verzeihen, aber ich selber sehe mich durchaus als intelligent an und ich hatte eigentlich kaum Probleme, dem Unterricht zu folgen, zumindest in geistiger Hinsicht. Wegen meiner schlechten Konstitution ermüdete ich jedoch rasch, daher blieben die Fortschritte in einem unterdurchschnittlichen Rahmen. Zudem wurde ich trübsinnig, hatte zu nichts recht Lust, und der lethargische Vortrag meines Lehrers erweckte in mir nicht ein einziges Jota Interesse an den Unterrichtsgegenständen.


    Mein Vater, der meine Leistungen kontrollierte, wurde immer unzufriedener mit mir und eines Tages nahm er mich beiseite und sprach zu mir diese Worte, die ich niemals vergessen sollte:
    “Sohn. Du bist ein intelligenter Junge, aber dein Körper ist schwach und ohne die Hilfe deines Körpers kann dein Geist nicht alles erreichen, was er erreichen könnte. Ich kann dir jegliche Hilfe anbieten, die sich ein junger Mensch nur wünschen kann, aber es liegt an dir, deinen Körper zu stärken.”


    Ich habe nicht lang gezögert und ihm geantwortet: “Ich werde meinen Körper stark machen.”

  • Ich werde meinen Körper stark machen. Ich werde meinen Körper stark machen. Hatte man schon je etwas so lächerliches gehört? Ich kann es eigentlich kaum glauben, daß ich damals so altklug dahergeredet habe. Und wenn ich gewußt hätte, was auf mich zugekommen wäre, dann wären mir diese Worte beileibe nicht so leicht über die Lippen gekommen. Ich werde meinen Körper stark machen... peinlicher gehts kaum noch.


    Selbstverständlich fing ich nicht damit an, gleich 10 römische Meilen zu laufen, ich konnte ja kaum einmal den hortus umrunden, ohne mehrmals Pausen machen zu müssen. In meinem kindlichen Übermut wollte ich aber sofort von Null auf Hundert durchstarten - was natürlich gewaltig daneben ging. Schon am zweiten Tag fühlte ich mich noch schlapper als sonst und war dementsprechend demotiviert und grantig auf mich selber und auf meinen Körper. Typisch Kind, wenn nicht gleich was so funktioniert, wie man es haben möchte, dann ist es deppert und anzipfend und schon hat man keine Lust mehr drauf. Zwei oder drei Tage später (plus-minus, so genau weiß ich das ja auch nicht mehr) habe ich es dann wieder probiert, habe wiederum übertrieben und das Ergebnis war dasselbe. Irgendwann dann muss sich mein Vater wohl erbarmt haben, denn bald kümmerte sich Ralla um mich. Ralla war ein ehemaliger Legionär, der in seiner aktiven Zeit in der 32. Adiutrix gedient hatte, stationiert in Theveste, irgendwo in Africa Proconsularis. Nach seiner Entlassung hatte er ein Stück Land bekommen, das jedoch bald verkauft, weil er als Bauer nichts taugte, wie er selber sagte. Vermutlich hatte er auch Schulden, doch das wurde mir erst im Erwachsenenalter bewusst und da war Ralla schon längst ins Elysium gegangen. Er hatte vor seiner Militärzeit keine großartige Bildung genossen, aber er war ein guter Menschenkenner und hatte gleich übernosert, daß er mit “Schleifen” (also dem harten Drill mit hauptsächlich nutzlosen Brüllereien die angeblich motivieren sollen) nur wenig Erfolg haben würde. Statt dessen weckte er mein Interesse - er zeigte mir seinen Gladius (nicht das im griechischen Sinne, du Ferkel), seinen Helm, erzählte von seinen Heldentaten (vermutlich beschönigt und ordentlich aufgeschmückt, aber gut erzählt) und was für mich als ständigen Fragequengler wichtig war: er erklärte mir alles. Auch beim Training. Er erklärte ganz genau, warum wir gerade jene Übung machten, wie ich es richtig machen sollte, was ich vermeiden sollte, was mir das bringen würde. Haarklein. Aber - und das war schon sehr perfide von ihm - er erlaubte mir nur eine Frage, dann hatte ich seine Übungen zu machen. Wenn ich die Übung zu seiner Zufriedenheit erledigt hatte, dann erst durfte ich wieder eine Frage stellen. Und es dauerte lange, ewig für mich, bis er zufrieden war. Ich weiß nicht mehr genau, welche Übungen ich zu machen hatte. Sie hatten jedoch klingende Namen wie “Hol den Apfel” oder “Löwen verjagen” und ähnliches und waren doch eigentlich ganz banale Sachen wie Strecksprünge oder Kieselweitwerfen.


    Wenn ich vohin meinte, daß Ralla mich nicht schliff, so heißt das nicht, daß ich nicht trotzdem meine Blessuren davontrug. Dabei rede ich noch nicht mal von den vielen Abenden, an denen ich freiwillig (!) ins Bett ging, weil ich so erschöpft war. Sondern von den vielen Blasen, den kleineren Kratzern, auch hatte ich mir mehrmals den Knöchel oder das Handgelenk verstaucht, ein widerwärtiges Gefühl. Und selbstverständlich hatte ich auch schlechte Tage, wo ich müde war und mir einfach nichts so recht gelingen wollte. Aber Ralla hat mir dann immer gesagt, daß das nur vorübergehend wäre und daß meine Fortschritte gut zu sehen wären.

  • Selbstverständlich dauerte es seine Zeit, bis ich körperlich den Level eines gesunden Jungen erreichte. Für mich unmerklich langsam verbesserte sich meine Ausdauer, so daß ich mit der Zeit immer später ermüdete und/oder nach größeren Belastungen. Mein Tag begann immer im Morgengrauen. Ich wurde von Ralla geweckt, und wir begannen unsere Morgenübungen noch vor dem Frühstück. Die Übungen variierten, doch Laufen war immer ein Bestandteil, wobei die Distanzen dabei naturgemäß immer länger wurden. Danach hatte ich immer einen Bärenhunger, was meine Mutter schon oft mit einem pikierten Blick bedachte. Könnte aber auch sein, dass ich die traditionell-römische Art des hastig eingenommenen Frühstücks nie wirklich befolgte, sondern mir sehr gerne Zeit beim frühstücken ließ. Das wiederum goutierte mein griechischer Lehrer nicht gar so sehr, denn er musste mich doch öfter zum Unterricht antreiben und nicht selten verwies er dabei auf meine Schwester, die natürlich schon längst für den Unterricht vorbereitet war und genüßlich grinsend ihre Aufgaben erledigte.


    Nachdem ich das trivium zur Zufriedenheit von Lehrer und Vater absolviert hatte, erfolgte meine weitere Bildung. Besonders die Astronomie hatte es mir angetan, aber die anderen Fächer waren auch ganz in Ordnung. Außer – naja – ein Fach: die Musik. Wobei dieses Fach natürlich nicht nur die Musik im eigentlichen Sinne beinhaltete, also das Klampfen auf der kithara und dergleichen, auch mit der Poesie, die ebenfalls Bestandteil des Faches Musik war, hatte ich so meine gröberen Probleme. Das Spielen von Musikinstrumenten ist den Göttern sei Dank den römischen Männern zum größten Teil aufgrund sozialer Normen abgenommen worden, mit meiner schwachen rechten Hand hätte ich auch kein übermäßiges Talent zu einem ansprechenden musikalischen Vortrag gehabt. Doch Poesie sollte man können und ich hatte und habe so gar kein Verständnis dafür. Hier ähnle ich meinem Vater, auch er war eher der Prosa zugeneigt.


    Nach dem Mittagessen nahm sich oft mein Vater für mich Zeit und unterrichtete mich in römischem Recht, unserer Familiengeschichte, Politik oder allem, was ich seiner Meinung nach auf dem glatten römischen Parkett einmal brauchen könnte, selbst wenn ich nicht in Rom reüssieren würde. Danach standen die Nachmittagsübungen am Programm, und zwar jene, die vor allem Kraft benötigten und weniger die Ausdauer. Manche dieser Übungen hatten ihren Ursprung in der Mythologie, Herakles und so weiter, zumindest glaube ich das, denn sie ähnelten der Geschichten doch sehr und waren auch nach diesen benannt. Wenn dann das Abendessen erfolgte, war ich körperlich so erschöpft, dass meine Arme regelrecht zitterten und ich wahrlich Probleme hatte, das Essen zu mir zu führen. Meistens erntete ich von meiner Mutter den zweiten pikierten Blick. Wenn wir Gäste hatten, war es naturgemäß noch peinlicher. Vermutlich hielten mich alle für grenzdebil oder ähnliches.

  • Die erste Zeit seit der Nachricht vom Tod meines Onkels war die Stimmung in der Villa gelinde gesagt sehr trüb. Mein Vater zog sich noch mehr zurück als sonst und hatte nur noch zynische Kommentare für die Geschehnisse in und um Rom übrig und war in den ersten Tagen auch sonst sehr barsch zu allen um ihn herum. Nur mein kleiner Bruder, der kurz zuvor seine ersten Schritte tat und nun anfing, unter den wachsamen Augen meiner Mutter im Garten herumzulaufen, konnte ihn milde stimmen. Erst nach den besagten paar Tagen konnte man mit ihm wieder einigermaßen sprechen. Einigermaßen.


    Für mich stellte die Hinrichtung eine eher ambivalente Situation dar. Selbstverständlich war ich auch traurig und zornig und in meiner kindlichen Vorstellung würde ich dereinst die Ehre der Familie retten und dem Vescularier höchstpersönlich die Kehle durchschneiden und zusehen, wie er um sein Leben winselte und röchelte. Ralla schüttelte darüber nur den Kopf und fuhr mit dem Training fort. Für die Nachbarskinder aber stand ich nun im Mittelpunkt, eine Position, die mir durchaus gefiel. Es hatte wohl etwas anrüchiges, sich mit mir zu treffen und zu spielen, was rückblickend schon etwas merkwürdig ist, denn eigentlich würde man mit solchen Personen nichts mehr zu tun haben wollen. Sala ist wohl anders. Oder es sind die Kinder, die anders sind.


    Den umwälzenden Ergnissen zum Trotz erlaubte mein Vater keinen unnützen Müßiggang meinerseits und er fand in Ralla einen großen Befürworter. Trauer um meinen Onkel wurde nicht als Grund für ausfallende Unterrichts- und Trainingsstunden akzeptiert und so hatte ich weiter meine Übungen zu praktizieren, in geistiger wie körperlicher Hinsicht. Ein Erlebnis werde ich dabei nie vergessen. Es war nach der Mittagsruhe und ich erschien wie (fast) jeden Tag im Officium meines Vaters, um meine tägliche Lektion in römischem Recht zu erhalten. Doch anstatt mich das Zwölftafelgesetz rauf- und runterbeten zu lassen, sagte er zu mir nur, dass ich Stift und Tafel hierlassen solle, wir würden an diesem Tag draußen lernen. Also tat ich, was er sagte und folgte ihm aus der Villa. Gemeinsam spazierten wir zu einem Acker unweit des Landgutes, denn mein Vater hatte es ja mit dem Knie und war dementsprechend nicht mehr so gut zu Fuß. Auf dem Weg dorthin fragte er mich, wie man Besitz erwirbt. “Animo et corpore” schoss es sofort aus mir heraus. “Gut,” sagte er, “und was bedeutet das?” “Animus ist der Wille, eine Sache entweder für sich oder für einen anderen haben zu wollen und corpus ist die Nahebeziehung zur Sache.” antwortete ich nicht ohne Stolz wie aus einem Lehrbuch. Und wieder antwortete mein Vater: “Gut.”


    Inzwischen waren wir bei dem Acker angekommen und wir hielten an. “Eine körperliche Nahebeziehung zu einer Sache herstellen, die man einfach in die Toga einstecken kann ist einfach. Aber was ist, wenn man ein Grundstück in Besitz nehmen will?” dozierte mein Vater und zeigte auf den Acker. “Nehmen wir an, ich möchte dir diesen Acker verkaufen. Was wirst du tun?” fragte mich mein Vater, doch hatte ich nicht wirklich eine Ahnung, was ich da zu tun hätte. Es kann ja niemand ein ganzes Grundstück irgendwo einstecken oder sich ins Atrium stellen. Fragend blickte ich daher meinen Vater an und zuckte mit den Schultern, denn eine Antwort hatte ich keine.


    “Eine Möglichkeit wäre, daß du das Grundstück umrundest und so Besitz nimmst.” schlug mein Vater vor. “Natürlich!” rief ich - ganz Kind - stürmisch aus. “So muß es gehen!” Und da mir mein Vater diesen Acker ja “verkaufen” wollte, lief ich gleich los. Jetzt, Jahre später, habe ich keine Ahnung mehr, was ich mir dabei gedacht habe. Es handelte sich natürlich nicht um einen Grundstück hinterm Haus einer kleinbäuerlichen Familie, sondern um ein - wenn man es so nennen will - voll “ausgewachsenes” Getreidefeld, ewig lang, ewig breit, erst recht für ein Kind. Als ich nach einer gefühlten wie wahren Ewigkeit den Acker umrundet hatte, fand ich meinen Vater dösend unter einem Arganbaum vor und ließ mich schwitzend und laut keuchend neben ihm nieder.
    “Das hättest du einfacher haben können.” sagte er trocken. Und wieder verstand ich nicht. “Das Umrunden ist nicht notwendig, es reicht, wenn du das Grundstück betritt.” Ich war noch erschöpft, daher brauchten meine Gedanken länger als sonst, bis ich das Gesagte verstand. Das einzige, was ich daher in diesem Moment anmerken konnte war ein ungläubiges: “Was?” “Allerdings,” fuhr er fort, “brauchst du die Absicht, das Grundstück bis zu den Grenzen besitzen zu wollen. So, und nun komm, es ist Essenzeit.” “Warum hast du mir das nicht vorher gesagt?” fragte ich vorwurfsvoll, denn ich war ganz schön angepisst. “Du hast nicht gefragt.” antwortete er lapidar. “Sonst hätte ich dir Alternativen aufgezeigt. Oder du hättest selber nach anderen Möglichkeiten suchen können.” Das regte mich zum Nachdenken an, an jenem Tag und auch noch später.

  • Seit unserer Reise nach Sala (und meiner damit einhergehenden Krankheit) hatte ich keinen Fuß mehr auf ein Schiff gesetzt. Es war nie notwendig gewesen, denn die meiste Zeit verbrachten wir - natürlich - ohnehin in Sala selbst, und wenn wir wohin reisten, dann nur innerhalb der Provinz und gerade mal einen Abstecher in die Nachbarsprovinz zur Ala III Asturum in Altava und das nur aus geschäftlichen Gründen. Eine Schiffsfahrt hatte ich daher nicht wirklich aktiv vermieden, es störte mich aber auch nicht weiter. Und nun sollten wir mehrere Tage fast ununterbrochen auf einem Schiff sein. War ich auf der Hinreise noch aufgeregt und wißbegierig gewesen, nun erfüllte mich dieser Gedanke mit Unbehagen. Doch ich verstand auch die Notwendigkeit, auch Vaters wegen. Außerdem kannte ich mich nun gut genug in Geographie aus um zu sehen, daß eine Reise über Land im Vergleich dazu nciht intelligent gewesen wäre, nicht zu dieser für Seefahrten guter Jahreszeit. An meinem Unbehagen änderte das freilich nichts.


    Mutter war in diesen Tagen nach dem Erhalt des Briefes vollauf mit den Reisevorbereitungen beschäftigt gewesen. Nicht nur die Habseligkeiten an sich mussten verstaut werden, auch Anweisungen an Aufseher, Haussklaven und - auch - Klienten und Geschäftspartner waren zu tätigen. Ich hatte ja schon einmal erzählt, daß mein Großvater ein unglaublich umtriebigier Geschäftsmann war. Mein kleiner Bruder ließ sich natürlich von der Aufregung anstecken und war nur noch überdreht. Meine Schwester hingegen war irgendwie komisch, maulte nur herum und wollte zuerst gar nicht mit. Naja, sie war verliebt in irgendeinen Gnaeus Sowieso, keine Ahnung mehr wie der hieß. Zugegeben ein recht gutaussehender Kerl, Sohn von einem der Decurionen der Stadt, allerdings sonst nicht viel dahinter. Sie vergaß ihn später auch recht schnell, angesichts der Fülle an jungen Männern, die Rom zu bieten hatte. Es war also nur eine Backfisch-Schwärmerei gewesen. Mädchen halt.


    Ich für meinen Teil nutzte die letzen verbleibenden Tage mit letzten "Expeditionen" mit Freunden in und um Sala, klettern auf Arganbäumen und ähnlichem. Meine Eltern veranstalteten auch noch ein Abschiedsfest, zu welcher sie Freunde und die übliche städtische Prominenz einluden. Ich erinnere mich noch daran, daß die Situation nicht einer gewissen Skurrilität entbehrte: vordergrüdig die gewohnte heimelige Atmosphäre, doch im Hintergrund standen die gepackten Koffer und Truhen und alles war bereits reisefertig. Somit endete meine Jugend in Sala Colonia in der Provinz Mauretania Tingitana. Ich sollte später noch einmal hierher kommen, doch davon vielleicht ein ander Mal.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!