• Das erste Pferd hatte er angetrieben, bis auf seinen Flanken Schaum stand und er jeden Atemzug des Tieres als rasselnde Vibration zwischen seinen Schenkeln wahrnahm. Der Mann, der ihm das zweite Tier noch in den späten Abendstunden verkaufte – und ihm dafür ein mittleres Vermögen abnahm – wollte es zuerst gar nicht nehmen. “Taugt nur noch zum schlachten“, hatte er gesagt, und auch wenn Sextus von Pferden keine Ahnung hatte, wusste er, dass sein Gegenüber recht hatte.aber das war egal. In den ersten Stunden zählte nur, eine möglichst große Distanz zwischen sich und Rom zu kriegen, ehe jemand merkte, dass er weg war.
    Sextus hatte sich da keine Illusionen gemacht. Überhaupt war es ein kleines Wunder, dass die Prätorianer noch nicht vor seiner Tür aufgekreuzt waren. Natürlich hatte er Erkundigungen eingezogen, was mit seinen Verbündeten geschehen war, und auch, wenn er nichts allzu genaues wusste, waren die Informationen, die er erhalten hatte, eindeutig genug. Sein Patron war tot, ebenso wie seine Nichte. Beide waren gestorben, als die Prätorianer in ihr Haus eindrangen. Sein Sohn verschwunden, und selbst von Flora hatte Sextus keine Nachricht. Die Vinicier hatten ebenfalls Besuch von den Schwarzröcken bekommen und waren seitdem verschwunden. Sextus vermutete, dass sie wohl auch alle tot waren. Die Flavier waren auch seit einigen Tagen nicht mehr gesehen worden, auch wenn Sextus hier nichts von bewaffnetem Besuch gehört hatte. Selbst Avianus war verschwunden, ohne dass Sextus etwas von ihm gehört hätte.
    Das alles ließ nur einen Schluss zu: Salinator hatte jemanden gefunden, der vor seinem Tod geredet hatte. Und vermutlich noch redete. Sie waren aufgeflogen. Daher war es nur eine Frage der Zeit, bis auch vor seiner Tür jemand mit einem Gladius stehen würde. Und Sextus hatte nicht vor, brav wie ein Opferlamm darauf zu warten, dass man ihm die Kehle durchschnitt.


    Mit dem zweiten Pferd war er noch in die Nacht hinein geritten. Noch vor Sonnenuntergang hatte er die Straße verlassen und hatte – wesentlich langsamer – den Weg querfeldein eingeschlagen. Auf der Straße, allein und im Dunkeln, da hätte er sich auch gleich ein Schild um den Hals hängen können: Raubt mich aus! Wenngleich seine Räuber das vermutlich nicht hätten lesen können. Dennoch war es sicherer, er ließ sein Pferd im Dunkeln fernab der Straße von Waldstück zu Waldstück trotten. Als die Sonne schließlich gänzlich untergegangen war und der Vollmond die einzige Lichtquelle war – Sextus hatte den Zeitpunkt seiner Flucht SEHR genau geplant – ging es langsamer voran, aber stetig. Durch Waldstücke führte er das Tier am Zügel. Er konnte sich nicht leisten, dass das Tier sich auf unwegsamem Boden ein Bein brach.
    In einem kleinen Hain stieß er auf einen Weihestein, der für Silvanus aufgestellt worden war. Auch wenn es gefährlich war, hielt er kurz an und nahm sich die Zeit für ein kleines Gebet. Er nahm ein wenig Wasser aus der Feldflasche an seinem Sattelzeug und wusch sich rudimentär die Hände. “Selvans“, sprach er den Gott auf Etruskisch an. “Gott, der du die Reisenden schützt, der du in den Wäldern wohnst. Bärentöter, Herr der Natur. Ich bin Sextus Aurelius Lupus, und ich verspreche dir einen prächtigen Weihestein, prächtiger als diesen hier, wenn du meinen Weg schützt. Lass mich wohlbehalten in Mantua ankommen. Verwirr die Hunde, die mir folgen werden, und verwische meine Spur. Lass deinen Hund mich auf sicherer Spur führen, bis ich bei meinem Vetter angekommen bin.“ Aus seinem Beutel holte Sextus einen Aureus und legte ihn auf den kalten, mondbeschienenen Stein. Do, ut des.
    Erst danach machte er sich auf den weiteren Weg. Schlafen tat er nicht, es war zu gefährlich.
    Mit dem nächsten Morgengrauen stieg er wieder in den Sattel und suchte die nächste Straße, immer Richtung Nordosten, Mantua zu. Er legte nur eine Rast an einer Wegestation ein, aß etwas schlechten Getreidebrei und erfand auf Nachfrage ein paar Neuigkeiten aus Asculum, wo er vorgab, herzukommen. Danach weckte er sein Pferd, das vor dem Haus schlief, und ritt auch schon weiter. Auch die zweite Nacht reiste er weiter, fernab der Straße. Einmal meinte er Stimmen zu hören und verbarg sich in einem Waldstück hinter stacheligem Dickicht. Sein Pferd tat ihm den Gefallen, ruhig zu bleiben, auch wenn er selbst nach einer Stunde nichts neues mehr hörte. Keine knackenden Äste, keine Stimmen, nur einen verirrten Kauz, der die Nacht mit seinen Rufen durchzog. Er reiste weiter, bis er meinte, keinen Schritt mehr wach machen zu können, und suchte sich einen Rastplatz. Auch wenn es bitterkalt war, hüllte er sich nur in die mitgenommenen beiden Schaffelle in eine Mulde unter einem Baum und schlief, betend, dass das Pferd keine Wölfe oder Bären anlockte. Er war nicht verrückt genug, sich mit einem wilden Tier auf einen Kampf einzulassen.


    Ob Silvanus ihn erhört hatte oder nicht, konnte Sextus nicht sagen. Er öffnete die Augen, als ihn die Sonne weckte. Der Morgen war schon weit vorangeschritten und er hatte länger geschlafen, als er wollte, aber er lebte noch, und das Pferd war auch noch da. Er rappelte sich hoch und verfluchte die steifen Knochen, versuchte etwas Wärme in seine Glieder zu bekommen. Aufgrund der winterlichen Temperaturen ein sinnentleertes Unterfangen. Feuer machte er immernoch keines. Er schüttete etwas frostiges Wasser in seine Handfläche und gab es so dem Pferd zu trinken, das zwar die Hälfte verschüttete, dennoch seinen Durst stillen konnte. Sextus selbst nahm nur einen kleinen Schluck. Er konnte sich nicht leisten, erst auf die suche nach einem Bach oder einem Brunnen zu gehen und musste daher mit seinem Wasser haushalten.
    Mit dicken Ringen unter den Augen machte er sich auch schon wieder auf den Weg. Inzwischen hatte er vermutlich alle Verfolger abgehängt, sofern diese nicht eine ebensolche Verbissenheit an den Tag legten wie er selbst. Dennoch war Sextus nicht gewillt, sein Tempo zu verlangsamen und sich in Sicherheit zu wiegen. Dass seine Abwesenheit auffiel, war er sich relativ sicher. Vielleicht nicht unbedingt am selben Tag seines Aufbruches, er hatte keine weiteren Termine gehabt. Mit Glück fiel seine Abwesenheit noch nicht einmal bei der Senatssitzung des folgenden Tages auf. Aber spätestens heute würde man sich wohl wundern, dass er gänzlich abgängig war, ebenso wie seine Frau. Vermutlich würde er noch eher in Mantua sein, als sie in Tarquinia, dennoch war sie aus der direkten Verfolgungsrichtung in jedem Fall hinaus. Denn dass er versuchen MUSSTE, zu seinem Vetter zu gelangen, wäre jedwedem Verfolger wohl klar. Und auch Salinator. Ursus war mit der Nichte von Tiberius Durus verheiratet. Nicht einer entfernten verwandten x-ten Grades, sondern der Tochter seines Bruders. Da musste man kein Genie sein, um einen Zusammenhang zu Tiberius Durus und Sextus, der dessen Klient und Ursus Verwandter war, zu erkennen.


    Den ganzen weiteren Tag trieb er sein ähnlich erschöpftes Tier zu erhöhtem Tempo an. An einer Station des Cursus Publicus tauschte er sein Pferd gegen ein frisches – was wieder einige Münzen obendrein kostete, damit der Stationarius auf den Tausch einging. Das letzte Tier schließlich brachte ihn schließlich mit einer weiteren schlaflosen Nacht einen Tag später in den Abendstunden nach Mantua.

  • Es war ein sonniger Tag, als ein Wagen in das kleine Wäldchen angerollt kam, gezogen von gleich zwei Ochsen mit dicken Ringen durch die Nasen. Auf dem Wagen führen drei Männer, vier weitere liefen noch nebenzu und halfen mit, die Wagenräder über den holprigen Untergrund zu drehen, damit der Wagen möglichst weit in das kleine Wäldchen hineingelangen konnte, soweit die Bäume das zuließen. Als sie schließlich doch nicht weiter kamen, berieten sie kurz und machten sich dann daran, ihre Fracht abzuladen und ein geeignetes Plätzchen dafür zu finden. Es war ein großer Stein aus solidem, dunklen Marmor mit einer großen, fein gearbeiteten Statue, mannshoch, alles bis auf Hochglanz schließlich poliert. Das Abbild zeigte einen schreitenden Mann mit Bart, gekleidet in ein Bärenfell mit Kappe und begleitet von einem Hund, der zu ihm aufblickte. Darunter befand sich eine einfache Inschrift:

    DEO SELVANS SACR
    S. AURELIUS LUPUS
    SENATOR ET HARUSPX
    V.S.L.M.


    Sie benötigten fast den gesamten Tag, um den Stein so zu platzieren, dass er sicher und eben im Wald stand. Danach ließen sie dem hier frisch aufgestellten Gott noch ein paar kleinere Opfergaben in Form von Früchten, Blumen, Korn und – als jagender Gottheit – schließlich Fleisch da, wie es mit ihrem Auftraggeber abgemacht gewesen war.

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