[Patavium] Villa Claudia Rustica


  • Südwestlich von Patavium gelegen, am Fuße der Colli Euganei , befindet sich einer der Landsitze der Adelsfamilie Claudia. Eigentlich nur ein gelegentliches Refugium, wenn es galt, der Sommerhitze der Hauptstadt des Imperiums zu entkommen, war es lediglich als lustres, kaum bekanntes Ausflugsgut erbaut worden während der Zeit der claudischen Kaiser für einige Angehörige des Kaisers. Weinreben zieren die Hänge hinter der flavischen und rustikalen Villa, Gärten schmücken die Innenhöfe. Angenehm für das warme Klime des Sommers ausgestattet, mit Mosaikböden und aufwendigen Fresken verzierte Räumlichkeiten. Hier kann man einige Wochen im Sommer mit unterhaltsamer Gesellschaft verbringen. In manchen Zeiten hingegen erscheint es mehr ein Ort für die Flucht zu sein. Im Augenblick ist sie von einer Claudia und ihrer Familie bewohnt.



    Protagonisten dieses Stücks:
    Claudia Antonia - Titus Flavius Gracchus - Sciurus

  • Barbarische Krieger stürmten über den Hang, der von Gras bewachsen war, deren Halme so riesig wie Giganten waren. Der Erdreich aus riesigen Brocken bestand, die jedem Halm einen schweren Weg an das Licht der Sonne beschert hatten. Es waren die Horden des Königs Xerxes. Dem Tyrannen aus der Fremde. Blutig und grausam waren seine Soldaten, die danach trachteten, die Heerscharen des Königs Leonidas nieder zu metzeln. Jener Feldherr hingegen stand mit sicherem Fuß in den Brocken von Erdreich und hielt seinen Speer bereit, sah ohne Arg und Schrecken den Horden entgegen. Und wenn ER ALLEINE, sich jenen stellen würde, um sein Land zu verteidigen, um jene Wüteriche wieder zu vertreiben, dann würde er es tun. Er war ein Feldherr, er war ein König. Er war der Retter seines Landes.
    „Midas, der Sohn der Großen Göttin, war ein mächtiger König in Makedonien...“ Midas? Wer wollte schon von Midas hören, wenn er Leonidas heißen durfte? „So mächtig und reich er auch war, so sehr suchte er aber auch Vergnügen aller Art. So hatte er sich einen prächtigen Rosengarten angelegt, in dem die duftenden Rosen von selbst wuchsen und jede sechzig Blätter hatte. Schon als kleines Kind wurde ihm riesiger Reichtum von den Wahrsagern vorhergesagt: Ein Prozession Ameisen trug nämlich Weizenkörner an seine Wiege und legte sie zwischen die Lippen des schlummernden Säuglings.“ Ameisen. Sie waren wie die Giganten der Barbaren, die mit lautem Brüllen einer fremden Sprache über die Heerscharen der Griechen stürzen wollten. Ameisen.


    „Titus...hörst du mir zu?“ Der Junge von gerade mal fünf frischen und knospenden Sommern erhob sein kleines Kindergesicht, das doch auch für einen römischen Patrizier fein geschnitten war. Große dunkle Augen richteten sich auf den Mann, der in den Gewändern eines Sklaven vor ihm stand. Ein Grieche. Eigentlich ein Makedonier, aber dieser feine Unterschied war dem Jungen egal. „Ich höre immer zu.“, sprach der Knabe. Der Lehrer, Lynkos war sein Name, hob skeptisch die Augenbrauen. „Dann lege deine Strohpuppe zur Seite, Titus.“ Ein mahnender Tonfall lag in der Stimme des Makedoniers, der gerade in der Hochblüte eines Mannes war. Keine vierzig Lenze hatte er erlebt und lebte gerade mal zwanzig davon in dem Herzen des Imperiums, bis vor kurzem noch in der ewigen Stadt: Roma. Titus hob die Strohpuppe an, die einen ledernen Torso umgebunden hatte, eine römische Legionärstunika darunter und sogar kleine Miniatursandalen besaß. „DAS ist KEINE Puppe, Lynkos. Das ist Leonidas, der König von Sparta, der größte Feldherr aller Zeiten.“ Der kleine Mund des Jungen wurde für einen Augenblick zu einem schmaleren Strich als er seiner Empörung Luft verschafft, dass SEIN Held eine einfache Puppe sein solle. Doch gleich darauf holte Titus tief Luft, dachte kurz nach, was man durch das Kräuseln der Haut auf seiner Stirn erkannte. „Nach dem göttlichen Iulius Caesar und unseren Kaiser natürlich.“ Er wusste nicht, ob der jetzige Kaiser, der zudem ihm unbekannterweise noch verblichen war, ein großer Feldherr war. Aber der Junge war schon klug genug, um zu erkennen, was man in dieser Hinsicht zu sagen hatte. Zumindest hatte im Lynkos das oft genug gesagt.


    „Sprich nicht vom Kaiser.“, zischte Lynkos jedoch warnend. Titus neigte den Kopf zur Seite und musterte verwirrt dem Lehrer, der ihm seit einem Jahr schon an die Seite gegeben worden war, um in Wachstafeln mühsam die ersten Buchstaben zu lernen. Um die Geschichten von den Griechen und Römern zu lernen. Damit er vorbereitet wurde auf den Dienst für die Götter, wie es eines Tages sein Weg als Patrizier sein würde. „Warum?“ Den Unwillen, es einem fünfjährigen Patrizier erklären zu müssen, sah man dem Makedonier sehr deutlich an. „Erinnerst du dich, was ich zu der Politik gesagt habe? Das sie von einem Tag zum Anderen ganz anders sein kann?“ Die Verwirrung stand immer noch im Gesicht des jungen Titus geschrieben. „Ja.“ Titus wusste es aber nicht mehr. Sein Kopf war da sicherlich wieder in Sparta gewesen, dem Ort seines Helden Leonidas. Oder er hatte einen Vogel beobachtet. Oder an seiner Nase gekratzt. Oder sich gelangweilt, weil er – wie so oft – mal wieder keine Lust auf die Unterrichtsstunden im Garten oder den Zimmern der Villa hatte. „Das ist genauso, Titus, mal ist die Macht in der einen Hand, dann lobt man ihn, aber an anderen Tagen ist es gefährlich, seinen Namen in den Mund zu nehmen. Sprich im Augenblick nicht von dem Kaiser, mögen die Götter seine Seele in die elysischen Felder geleitet haben.“ Titus' Nase kräuselte sich jetzt auch. „Was heißt das?“ Der Sklave seufzte schicksalsergeben. „Das erkläre ich dir an einem anderen Tag.“ Titus legte die Puppe zur Seite, Leonidas war für den Augenblick vergessen, auch seine Pläne, später Mäuserennen mit zwei Sklavenjungen zu spielen. Das Rennen wurde dadurch aufregender, dass sie die Mäuse mit kleinen brennenden Strohballen antrieben, noch schneller zu rennen. Es hing viel davon ab, welche Maus gewann und ob Titus den Sklavenjungen eine seiner wertvollen Münzen geben musste, die er in einer Kiste sammelte. Immer, wenn sein Vater ihm etwas gutes tun wollte und ihm jene schimmernden Dinge in die Hand drückte. Oder aber ein Spielzeug, wie diese Puppe. Eine flüchtige Begegnung, ein Blick auf sich spürend, den der Junge nicht verstand. Aber merkte, dass er seinem Vater nicht recht war. Dass er den jungen Titus nicht um sich haben wollte. Wie auch seine eigene Mutter, die er seltener zu Gesicht bekam als all die Sklaven des Haushaltes. Selbst die Köchin redete öfters mit dem Patrizier und schien den schlanken, zu klein geratenen Knaben verhätscheln zu wollen. Es war auch ihr Sklavensohn, mit dem Titus öfters spielte.


    „Sind wir deswegen hier?“ Lynkos sah den Jungen überrascht an. Er war gerade mal fünf Jahre alt, dennoch vermochte er hin und wieder den Makedonier mit einer kindlichen Klugheit zu verwundern. „Ja.“ Sie waren immer noch nicht außer Gefahr, sondern auf das Landgut der Familie geflüchtet. Fort von Rom, hinaus aus dem brodelnden Kessel, in dem die Patrizier und Senatoren reihenweise verhaftet wurden. Wo die Praetorianer im Augenblick das Sagen hatten, auf den Pflastersteinen Roms, zwischen den Häusern von der Subura bis zu den collinischen Hügeln. „Wie lange müssen wir hier bleiben, Lynkos?“ Der Lehrer neigte den Kopf und zuckte mit den Schultern. Womöglich stand sogar ein Bürgerkrieg bevor, aber wie sollte er das einem Jungen in dem Alter erklären können?

  • Die Wände erdrückten sie. Alles und jeder in Antonias Umfeld schien derzeit ihr Feind zu sein. Sie hasste diesen Ort. Sie hasste die Sklaven, sie hasste die Dekoration, sie hasste die Einöde. Ein Refugium, ein Zufluchtsort. Für die Patrizierin jedoch ihr Gefängnis. Schon die flavische Villa in Rom war eine Art Käfig gewesen, doch er war esin Rom gewesen. In Rom, dem Mittelpunkt der Welt, wo das Leben pulsierte. Ihr Verstand wusste, dass es dort zu gefährlich für sie und ihre Familie war. Und dennoch... alles schien ihr derzeit verlockender, als dieses selbstauferlegte Exil. Selbst ihre Sklaven, die durchaus an die wechselnden Launen der Claudia gewöhnt waren, zogen es vor, sich möglichst unbemerkt in ihrer Nähe zu bewegen, aus Furcht eine teure Vase oder einen Schminktopf an den Kopf geworfen zu bekommen. Gründe brauchte Antonia hierfür nicht.
    Mit einer Schriftrolle eines mäßig begabten Dichters in der Hand saß sie heute in ihren Gemächern. Immer wieder rutschte sie auf ihrem Korbstuhl herum, fand keine rechte Position, die ihr bequem war. Selbst ein Kissen, das ein unglücklicher Sklave ihr bringen musste, konnte keine Abhilfe schaffen. Hätte sie keine patrizische Erziehung genossen, sie hätte wohl lauthals geflucht. So jedoch zischte sie nur leise, hob den Kopf von ihrem Schriftstück und fixierte die gegenüberliegende Wand, als sei sie schuld an allem. ”Schund.”, stellte sie zornig fest und schleuderte das Papyrus quer durch den Raum. Sofort eilte ein pflichtbewusster Diener herbei, um es aufzusammeln, denn schließlich konnte die Herrin im Laufe des Tages ihre Meinung wieder ändern. Wahrscheinlich. Mit Sicherheit. Antonias Blick indes glitt zum Fenster, durch das warm und lockend das orangegelbe Sonnenlicht hereinfiel. Mit einem Mal fühlte sich sich, als schnüre die Enge des Raumes - der nüchtern betrachtet eine enorme Größe hatte - ihr die Luft ab. Ruckartig erhob sie sich und wies auf die Tür, die der nächste Sklave in windeseile öffnete. Raus. Sie wollte nur raus. Raus aus alldem. Ihr einziger Trost war, dass derzeit nicht der tadelnde Blick ihres Gatten zu jeder Stunde auf ihr ruhte. Trost und Marter zugleich. Denn einerseits fürchtete sie den Gemahl und andererseits vermisste sie ihn, der in seiner Vollkommenheit ihre Person stets so minderwertig erscheinen ließ.


    Zielsicher führten ihre Füße die Claudia schließlich durch durch die Villa und an so mancher Ecke konnte man das eilige Trappsen von Sklavenfüßen hören, die vor der nahenden Domina die Flucht ergriffen. Ihr Weg führte sie vorbei an kunstvollen Statuen, an denen sie sich längst satt gesehen hatte. An Vasen und Mosaiken, auf denen Geschichten abgebildet waren, die sie nicht mehr interessierten. Und vorbei an einer offenen Tür, die sie inne halten ließ. Ihr Sohn. Der Jüngste, nicht Minimus, nicht ihr Herz, ihr Leben, das Kostbarste, das sie hatte. Nur der Jüngste, der sie einst beinahe das Leben gekostet hätte. Weil er zur richtigen Zeit am falschen Ort geweilt hatte. Niemals würde sie die Nacht seiner Geburt vergessen, in der ihr Gemahl, ein dunkelhäutiges Sklavenbalg in Händen, ihr gedroht hatte sie zu töten. Antonia fröstelte und verschränkte schützend die Arme vor ihrem Körper. Warum hatte Gracchus nicht ihn mit sich genommen? Warum hatte er dieses Kind und das unselige Mädchen bei ihr gelassen?
    Sie waren ihr zuwider. Beide. Eine Mutter sollte ihre Kinder lieben. Und doch reichte ihre Liebe nur für eines der drei Kinder, die sie geboren hatte. Nachdenklich ruhte ihr Blick auf dem Hinterkopf des Knaben, dessen fortschreitendes Wachstum sie an ihr eigenes Alter erinnerte. Jeden Tag glaubte sie nun neue Falten an ihrem Spiegelbild zu erkennen, fand sie ihr Haar stumpfer, den Körper schlaffer. Sie wurde alt. Nichts und niemand konnte das aufhalten. Und jedwede Beteuerung, sie strahle nach wie vor wie der junge Morgen, verhallten ungehört. Sie hasste diese Villa. Sie hasste ihr Leben. Vor allem jedoch, hasste sie sich selbst.
    Der Lehrer, dessen Namen Antonia sich nicht die Mühe machte zu merken, wies ihren Sohn gerade darauf hin, dass er den Kaiser nicht erwähnen sollte. Beklemmung ergriff Besitz von Antonias Herz, deren Blick sich kurz mit dem des Makedoniers kreuzte. Ernst nickte sie, was ihn fortfahren ließ. Eine andere Mutter wäre stolz gewesen ob der klugen Fragen, die das Kind stellte. Eine andere Mutter hätte dem Knaben ein Lächeln geschenkt und einen Kuss auf die Wange gehaucht, zur Belohnung. Die Claudia allerdings fühlte... nichts. Und erst als der Lehrer keine Antwort auf die wissbegierige Frage des Jungen wusste, trat sie näher, durchschritt die Tür und blieb erst neben Titus stehen. “Bis dein Vater uns mitteilt, dass wir nicht mehr hier bleiben müssen.”, sagte sie nüchtern und maß das Gesicht ihres Sohnes mit prüfender Miene. Er sah ihr am ähnlichsten. Das dunkle Haar, das feine Gesicht, die Augen... es war ihr egal. Sie vermisste Minor. “Warum lernst du nicht?”, forderte sie stattdessen zu wissen und zog tadelnd die Augenbrauen empor. “Soll dein Vater nicht stolz auf dich sein?”

  • Das Landgut im Besitz der Claudia Antonia lag idyllisch im Schein der blassen Sonne, in trügerisch beschaulicher Ruhe, die über die Gefahr, die ihren Bewohnern drohte, geflissentlich hinwegzutäuschen wusste. Als einer der Sklaven am frühen Mittag mit der Abschrift einer Meldung der Acta Diurna aus Patavium zurückgekehrt war, hatte Sciurus sogleich einen weiteren Sklaven entsandt, um die Nachricht zu ratifizieren. Doch auch dieser hatte nur gleiches zu berichten, so dass dem flavischen Vilicus letztlich keine andere Wahl blieb, als der Herrin des Hauses Bericht zu erstatten.


    Er fand Claudia Antonia in der Nähe ihres Sohnes und obwohl Sciurus diese vertrauten Momente zwischen den beiden sonst nicht zu stören gewagt hätte, so war die Nachricht zu dringlich, um zu warten.
    "Verzeih, Herrin, doch es gibt beunruhigende Neuigkeiten aus Rom." Kurz erwägte er, auf eine weitere Aufforderung ihrerseits zu warten, doch letztlich würde es ohnehin darauf hinauslaufen, dass er fortfuhr. "In der Acta Diurna wurde ein Dekret des Praefectus Urbi veröffentlicht, eine Proskriptionsliste mit folgendem Wortlaut."
    Gänzlich ohne Emotion las Sciurus die Worte von der Tabula in seinen Händen ab. "In nomine imperatoris caesaris augusti proscriptio praefecti urbi. Hiermit erkläre ich folgende Personen zu Staatsfeinden. Jeder Mann hat das Recht, diese Personen straflos zu töten. Ihr gesamter Besitz wird zu Staatseigentum erklärt. Für die Ergreifung der Personen tot oder lebendig wird eine Belohnung von jeweils 2000 Sesterzen ausgesetzt! Hinweise, die zur Ergreifung der Staatsfeinde führen, werden mit einer Belohnung von 1000 Sesterzen vergütet! Sextus Aurelius Lupus. Appius Cornelius Palma. Und Manius Flavius Gracchus."
    Nur kurz ließ er den letzten Namen nachklingen. "Das Dekret wurde bereits am vierzehnten Tag vor den Kalenden des Mars veröffentlicht, wir müssen also davon ausgehen, dass es mittlerweile in den meisten Teilen des Imperiums bekannt ist, zumindest aber in ganz Italia. Ich habe bereits Wachen an den Mauern des Hauses postieren lassen, dazu werde ich einige Sklaven im Gelände patrouillieren lassen."
    Er erwähnte dabei nicht, dass der Haushalt ohnehin nur sehr knapp bestückt war, die Sklaven zudem nicht für solche Aufgaben ausgebildet. In einem anderen Fall hätte Sciurus einige Männer aus Patavium zum Schutz der Claudia und ihrer Kinder angeworben, doch bei der Höhe der in Aussicht stehenden Belohnung wäre es wohl nur eine Frage der Zeit, bis einer von ihnen sie verraten würde - was selbst bei den eigenen Sklaven nicht auszuschließen war.

  • Es war einst die edle Tochter eines vornehmen Patriziers. Gefangen in den Mauern eines wilden Fürstenmannes, der sie geraubt hatte aus den Armen und dem Schoße ihrer Familie. Sie harrte der Ankunft eines mutigen Patriziers, der sie befreien sollte und zu seinem Weibe nehmen würde. Ein mutiger Heroe. Ein tapferer Feldherr. Die Augen des Jungen würden leuchten bei jener Geschichte. Er würde sich als diesen Helden vorstellen und würde ohne zu zaudern aufbrechen, um jene Edeldame zu erretten. In seinen Gedanken zumindest. Es war dennoch die Aufgabe seines Vaters. Und nicht die des Sohnes jener Dame. Zudem war der schmale Körper des Knaben kaum dazu geeignet um sich den grausamen Schergen des Fürsten zu stellen, der über wilde Stämme herrschte, die trotzig ihre Stirn dem mächtigsten Imperium der Weltscheibe entgegen reckten, den Römern, die dazu auserkoren waren, über die Welt zu herrschen. Zumindest war das auch das Verständnis des Jungen, der sich unter der Welt nur die Zeichnungen seines hellenischen Lehrers vorstellen konnte. Oder noch besser, wenn jener mit großen Steinen auf dem Boden des Gartens die Karte der Welt darstellte. Für den gerade mal fünfjährigen Jungen auch eine Herausforderung. Wie sollte er verstehen, wie groß jene Länder waren. Ameisen huschten über die Steine, die er mit einem Schritt bemessen konnte. Italia, zwei Schritte. Africa, fünf Schritte. Konnte es sein, dass hinter diesem mysteriösen Meer, das erst einst als kleiner Knabe gesehen hatte bei einem Familienausflug, ein Land gab, das größer war als Italia? Das für den Jungen schon die ganze Welt bedeutete. Nein. Undenkbar.
    Die dunklen Augen des Jungen wanderten über das rauschende Blättergeäst des claudischen Gartens. Sein Kopf war wieder ganz woanders. Seine Finger schlossen sich fester um den kleinen Feldherrn, gemacht aus Holz, Stroh und Stoff, gerüstet in einer kleinen Legionärsrüstung, mit Helm und einem Gladius in der Hand. Ein teures Geschenk an den gut behüteten Patrizierjungen aus der flavischen Gens.


    Titus war nicht von ungemeiner Aufmerksamkeit. Immer nur, wenn seine Neugier geweckt wurde. Aber so bemerkte er das Nahen seiner Mutter erst, als sie bereits auf der Höhe des Jungen und Lynkos war. Er sah auf und spähte in die strahlende Sonne, die ihn blendete, ehe er seine Mutter erkannte. Jene Frau, die ihn vor fünf Jahren geboren hatte und die ihm fremder war als so manch eine Sklavin, die sich um den Jungen mehr kümmerte als die Claudierin. Titus schürzte seine Lippen und sah ernst zu Antonia hinauf. Er legte das erste Mal heute den kleinen Feldherrn aus seinen Händen, stützte sich mit den Handballen im Kiesbett neben der grünen Wiese ab und erhob sich auf seine Füße, die in Sandalen mit feinen Lederriemen steckten. „Nein, das möchte ich nicht, Mutter.“, sprach der Knabe leise und mit nicht mehr so forscher Stimme, wie er zuvor die Fragen an den Haussklaven gerichtet hatte. Jupiter und Juno, sie waren dem Jungen manchmal näher als sein eigener Vater und Mutter. Beide sahen den Jungen an, als ob er aus weiter Fremde kam. Als ob nichts in ihm, sie berühren konnte. Oder womöglich schreckte es sie ab, dass er ihr Sohn war? Eine Frage, die sich Titus manchmal schon unbewusst stellte. Wenn er sah, wie die Sklavenkinder von ihren Eltern behandelt wurden. Aber es waren nun mal Sklaven, nur eine Stufe über den Tieren. Seine Eltern waren Patrizier und Vornehme, ein Schritt nur bis zum himmlischen Olympos. Titus reckte seine schmale und klein gewachsene Gestalt, die zu zögerlich zu wachsen schien und seinem Alter noch nicht ganz entsprach. Dafür schienen die dunklen Augen in dem runden Gesicht etwas altkluges zu besitzen, was seinem Alter voraus war. „Ich werde ganz viel lernen, damit du und Vater auf mich stolz sein könnt, Mutter.“, gelobte Titus. Ein sehr förmliches Latein sprach er dabei, auch wie er Antonia ansprach. Er hatte einen guten Lehrer, der ihm in dieser Hinsicht schon von der ersten Stunde an um ein gutes Latein bemüht hatte, auch wenn der Junge gar zu jung dafür erschien.


    Die Augen richteten sich auf den Sklaven, der seinem Vater wohl am Nächsten stand von dem Besitz des Flaviers. Der all das in die Hand nahm, worum sich ein Patrizier nicht selber kümmern würde. Der der Schreck der Sklaven des Hauses war. Allein darum hatte er einen Funken Respekt in dem Jungen geweckt. Herrschen, obwohl man nur ein Ding war. Besitz, ein Sklave. Nichtswürdig sonst. Und doch gefürchtet wie ein Feldherr. Und das war Sciurus gar. Herrschte er doch als Feldherr über die Sklavenschaft im Namen des Kaisers des Hauses, Flavius Gracchus.
    Stumm verfolgte der Junge, was der Blonde von sich gab. Er verstand es nicht. Der Name seines Vaters wurde genannt und was hatte das mit Staatsfeinden zu tun. Sein Vater war der Staat. Sein Vater war einer der höchsten Priester. Sein Vater diente den Göttern. Er war die Stütze des römischen Imperiums. Titus sah verwirrt von Sciurus zu Antonia und schlussendlich seinen griechischen Lehrer hinüber. Der sah selber zu Titus und nickte ihm dezent zu. Was Titus zu verstehen geben sollte, dass jener ihm später Rede und Antwort stehen würde. Für all die Fragen, die der Junge offen auf seinem Gesicht zur Schau trug. „Sciurus, wo ist mein Vater?“, sprach der Junge hingegen nur aus. Dekret? Was sollte das auch heißen? Und warum hatte der Sklave Wachen hier postiert? „Kommt er bald und holt uns ab? Gehen wir dann alle nach Africa in das Exil?“ Titus sprach einfach aus, was er dachte. Lynkos hatte derer schon angedeutet, dass sie gar auf dem großen Schiff in die Fremde fahren würden. Als Titus ihn befragte, wie groß jenes fremde Africa wohl war, das das Land der herrschsüchtigen und verderblichen Königin Kleopatra, der Feindin Roms, war, das das Grab des Feldherrn Alexander barg.




    Einige Steinwurf von dem Gut entfernt
    Trocken rauschten die Zweige der Olivenbäume. Schwere, genagelte Stiefel traten über den staubtrockenen Weg hinweg, der sich an einem Hain von Bäumen, einem Feld mit goldenen Weizenzweigen hin weg schlängelte. Stiefel, die schon bessere Zeiten erlebten, denn die Riemen waren abgetragen, die Sohlen an manchen Stellen brüchig bis löchrig und wurden gerade mal von den guten Nägeln noch zusammen gehalten. Ebenso die Reste der Uniform, die nicht den Weg zum Händler gefunden hatten, um ab und an mal etwas Brot zwischen das Gebiss, das nicht mehr sonderlich prächtig erhalten war, zu bekommen. „Ein Haus!“ Paulus Sacabos' Augen verengten sich, die Handvoll Männer, ebenso in den Kleidern von Legionären gehüllt, blieben hinter ihrem Kommandanten stehen. „Es sieht nach einem vornehmen Landgut aus, Centurio.“ Sacabos nickte langsam. „In der Tat. Wie weit ist die nächste Stadt?“ Der breitschuldrige Legionär Varus runzelte grübelnd die Stirn. Er kam aus der Gegend, auch wenn er schon seit fast zwanzig Jahren keinen Fuß mehr in diese gesetzt hatte. „Zwei Tagesmärsche.“ Sacabos nickte zufrieden. „Sehr gut. Wir werden hier nach...dem Rechten sehen, Männer. Age!“ Breites Grinsen in den Gesichtern des Dutzend Männer, die hinter Sacabos her liefen. Direkt auf das Landgut der Claudier zu, ohne Zaudern auch als zu sehen waren, dass Wachen aufgestellt worden waren. „Heee!“, rief Sacabos als er schließlich die Mauer erreichte. „Im Namen des Imperiums, macht die Tore auf für die Legionäre des Kaisers.“, brüllte Sacabos laut den Wachen entgegen. Die Männer und Legionäre hatten tatsächlich so etwas wie eine Marschformation wieder aufgenommen. Nur ein kundiges Auge würde womöglich erkennen: Hier stimmte etwas nicht.

  • Sciurus blickte auf den kleinen Jungen hinab, den jüngsten Spross seines Herrn, auf dessen Geburt alle Hoffnung desselben gelegen hatte. Doch seit das Kind geboren war hatte Gracchus die Nähe des Knaben gemieden, sich wieder mehr der Zukunft seines Ältesten zugewandt in der bangen Zuversicht, dass dessen Sehschwäche seine Karriere nicht weiter behindern würde. Um Titus sah der Vater dagegen nur die Schatten der Larven kreisen, sah sein eigens Schicksal fortgeführt, sah nur das Band seines Fluches, welches sich um den Sohn gelegt hatte. Und obgleich dieses Band sie mehr verbinden mochte als alles andere, so fürchtete Gracchus doch den Blick in den kindlichen Spiegel, der ihm all seine Unzulänglichkeiten und Fehler vorhalten mochte. Sciurus dagegen sah weder die Schatten, die sein Herr um sich selbst wahrnahm, noch diejenigen, die Titus umfangen hielten, so dass er dem Jungen nur in der gleichen respektvollen Art und Weise gegenüber trat wie jedem Mitglied des Haushaltes. Dies inkludierte gleichsam, dass er dabei keinerlei Rücksicht auf das kindliche Naturell nahm - nicht etwa, weil er mit diesem wie sein Herr überfordert war, sonder schlichtweg da aus seiner Sicht dafür generell weder eine Notwendigkeit, noch eine Berechtigung bestand. Was er jedoch oft tat, wenn er mit einem der herrschaftlichen Kinder sprach, war in die Hocke zu gehen, denn er war ein Sklave und als solcher hatte er nicht von oben herab mit den Herrschaften zu sprechen. So beugte er auch in diesem Fall sein Knie, um Titus Gracchus zumindest halbwegs auf Augenhöhe zu begegnen.
    "Ich kann leider kaum eine deiner Fragen beantworten. Dein Vater verbündet sich mit anderen Staatsmännern, um zu beenden, was er begonnen hat. Wo er ist, kann ich dir nicht sagen, denn er wusste selbst nicht, wie weit er für diesen Weg gehen muss. Dass der Verscularier ihn zum gesuchten Staatsfeind erklärt hat, lässt aber zumindest darauf vermuten, dass es ihm gelungen ist, Rom zu verlassen."
    Die grauen Augen, deren Farbe an das indifferente Graublau des Horizontes an einem trüben Herbsttag erinnerten, und die beständig die emotionale Kälte widerspiegelten, die in dem Sklaven vorherrschte, fixierten Titus.
    "Ob und wann er hierher kommt, kann ich dir ebenfalls nicht sagen, denn derzeit ist alles möglich - vielleicht hat dein Vater bereits sein Leben gelassen, vielleicht wird er es noch tun müssen, ehedem er dich wiederseht. Vielleicht könnt ihr schneller nach Rom zurückkehren, als gedacht, vielleicht werden wir uns von hier aus noch weiter von der Hauptstadt entfernen müssen, um eure Sicherheit zu gewährleisten. Die Zukunft ist vollkommen ungewiss und wir müssen von Tag zu Tag neu entscheiden, was zu tun ist."
    Sciurus mochte diesen Zustand nicht, denn während sein Herr es gewohnt war im Vertrauen auf seine Sklaven von Tag zu Tag zu leben, so war er es, der dieses Leben plante und organisierte. Er hatte einige Situationen durchdacht, Eventualitäten kalkuliert und Vorkehrungen getroffen, doch ob die Zukunft sich an seine Vorgaben hielt, würde sich erst noch zeigen.
    "Deine letzte Fragen kann ich dir dagegen beantworten, Africa wird nicht unser Ziel sein. Falls wir von hier fort müssen, wird unsere Reise nach Norden, in Richtung Germania, führen."



    Am Tor
    Hegesistratus war der Name des Sklaven, der die Aufgabe hatte, den Tag lang neben dem Tor über die Mauer zu spähen. Noch stand er nicht lange auf dem Konstrukt aus Holzkisten, doch ein wenig fade war ihm bereits geworden, da sich in dem Landstrich vor der Villa nicht viel tat. Um so genauer beobachtete er das Nahen der fremden Männer.
    "Da kommt jemand", wandte er sich an den Sklaven, der hinter dem Tor postiert war, Ariobarzanes. "Mehrere." Er kniff die Augen zusammen. "Zehn oder Fünfzehn in etwa."
    "Oh, oh. Wer?" fragte Ariobarzanes zurück und versicherte sich mit einem Blick und einem nervösen Rütteln, dass der Torriegel fest hinter das Holz geschoben war.
    "Sieht aus ... mhm ... sieht aus wie Soldaten."
    "Soldaten?" Ariobarzanes Stimmlage kletterte eine Oktave nach oben. Sciurus, der flavische Vilicus, der mit der Herrin und ihren Kindern angekommen und die Herrschaft über die Sklaven im Haus an sich gerissen hatte, hatte nicht viel gesagt, nur dass vielleicht Legionäre oder Praetorianer kommen würden - was für den Sklaven kein Unterschied machte, denn Soldaten waren Soldaten. Und dass diese vielleicht angreifen würden. Und dass diese alle Sklaven im Haus umbringen würden ohne mit der Wimper zu zucken. Weil sie jetzt alle Feinde des Imperiums waren. Weil ihre Herrin mit einem Mann verheiratet war, der im fernen Rom irgendetwas getan hatte, von dem sie nicht einmal wussten, was.
    "Ja, doch, ich glaub das eine ist ein Optio. Oder ein Tribun, so genau kenne ich mich da nicht aus. Oh oh ..."
    "Was!?"
    "Jetzt verfallen sie in einen Marschschritt!" Hegesistratus blickte nach unten. "Ist alles zu?"
    "Ja ... ja ... soll ich drinnen Bescheid geben? Und was ist mit Acichorius und Charicleitus? Die sind noch draußen!"
    "Ich sehe sie nicht, sie müssen irgendwo hinterm Anwesen sein. Dann müssen sie jetzt draußen bleiben. Und jetzt sei ruhig, die sind gleich da, vielleicht wollen sie nur nach dem Weg fragen ..."
    "Nach dem Weg? Nach welchem Weg? Dem Weg auf die Latrine? Bei Isis und Anubis, wir werden alle sterben!"Ariobarzanes verstummte mit dem lauten Brüllen, das durch das Tor drang. Legionäre des Kaisers! Sie waren des Todes! Allesamt!
    "Was wollt ihr?" fragte Hegesistratus in weit mutigerem Tonfall als er Mut in sich verspürte. Vor wenigen Wochen noch hätten sie ohne Zögern für die Männer des Kaisers das Tor geöffnet. Aber jetzt waren sie alle Feinde des Imperiums. Wegen eines Mannes, den sie nie im Leben gesehen hatten.

  • OOC: So, endlich geschafft. Es tut mir leid *Bestechungskekse verteil*


    Antonia, die bisweilen recht wenig Interesse am Schicksal oder auch nur dem Wesen ihres Sohnes zeigte, legte ihren prüfenden Blick auf die kleine Gestalt, die zwar zunächst den Blick erwiderte, doch recht schnell abgelenkt schien. Hörte er ihr überhaupt zu? Seine Augen schienen unstet über seine Umgebung zu huschen. Unkonzentriert und ziellos. Die Patrizierin spürte förmlich, wie es in ihren Schläfen dumpf zu pochen begann. Sicher, von der Vollkommenheit ihres Gatten war sie weit enfernt, doch dass die Götter sie mit einem solchen Kind bestraften schien ihr doch ungerecht. Dennoch entsann sie sich ihrer edlen Abstammung und dass es kaum angemessen war, den Jungen nun lautstark schimpfend zu maßregeln. Stattdessen schloss die Dunkelhaarige kurz die Augen und atmete gedehnt aus. Es half, sich auch seine Abstammung vor Augen zu halten. Ganz gleich was aus ihm geworden war, das Blut der Flavier und das der Claudier floss in seinen Adern. Und war nicht sogar aus dem Krüppel Claudius einst ein vorbildlicher Kaiser geworden? Sie hob die Lider wieder an und musterte ihren kleinen Sohn. Nein, er war kein Claudius. Er war Titus Flavius Gracchus und würde zeitlebens nichts weiter als eine Last und Enttäuschung sein. Kaum spürte sie die unschuldigen Augen des Kindes wieder auf sich, war ihr als starre ihr eine Larve, ein bösartiger Lemur entgegen, der ohne Hindernis in ihren Brustkorb fasste und ihr Herz zu zerquetschen drohte. Fröstelnd zog Antonia die Schultern näher an den Nacken. Warum nur hatte Gracchus sie mit diesem Kind allein gelassen?
    So schienen auch seine Worte wie Hohn in ihren Ohren und sie kam nicht umhin, skeptisch die Stirn in Falten zu legen. ”Dann stelle keine Fragen, deren Antworten du ohnehin nicht verstehst.”, gab sie ungerührt zurück und schien fast froh über die Störung seitens des Schattens ihres Gemahls. Mit einem Nicken bedeutete sie ihm weiterzusprechen, war doch jede Nachricht aus Rom ein Strohhalm, der sie am Puls des Lebens halten konnte. Was der Sklave jedoch zu berichten hatte, ließ die Patrizierin unter ihrer hellen Schminke noch ein Stück weit blasser werden. Proskription. Jenes eine Wort, das wohl jedem vornehmen Römer wie ein Schreckgespenst nachjagte und vor dem niemand sicher schien. Wie taub stand sie da und lauschte ausdruckslos den Worten eines namenlosen Schreiberlings, der wohl vor nicht allzu langer Zeit das Urteil niedergeschrieben hatte. Angst schnürte ihr die Kehle zu, denn selbstredend wusste die Claudia nur zu gut, was das bedeutete. Niemand in dieser familia wäre mehr sicher. Zugleich jedoch wallte Zorn in ihr auf. Wie konnte es dieser Emporkömmling nur wagen, einige der edelsten Männer des Imperiums für vogelfrei zu erklären? Schien sie in den ersten Momenten einer Ohnmacht nahe, presste sie nun fest die Kiefer aufeinander und ballte die Hände zu Fäusten. Sie würde sich nicht die Blöße geben vor den Sklaven und ihrem eigen Fleisch und Blut Schwäche zu zeigen. Nein, sie würde ein Fels in der Brandung sein, wie Cornelia, Mutter der Gracchen und großes Vorbild Antonias. Dennoch schwieg sie, traute sie doch der Ruhe ihrer eigenen Stimme nicht.


    Inwieweit sie die behilfsmäßigen Wachen beruhigten vermochte sie nicht zu sagen. Denn zwar betrachtete die Patrizierin die Sklavenschaft als ihr Eigentum, das zu Gehorsam verpflichtet war, doch so naiv anzunehmen, dass sie unbestechlich oder gar so tapfer wie römische Legionen waren, war sie nicht. ”Gut.”, war vorerst alles, was Antonia zu dem Bericht des blonden Sklaven zu sagen hatte. Ihre Gedanken jedoch rasten. Was nun? In das Schweigen, das sich über sie legte, brach nun Titus mit seinen unschuldigen Fragen hinein. Missbilligend legte sich der Blick seiner Mutter auf ihn, Sciurus jedoch beantwortete bereits seine Fragen. Um ein wenig Ordnung in ihr geistiges Chaos zu bringen schritt Antonia indes ein wenig auf und ab, während sie schützend die Arme um sich schlang. ‘Germania’ drang an ihr Ohr und um ein Haar hätte sie abfällig geschnaubt. In ihrer Jugend war sie gerne gereist, hatte Verwandte in den verschiedensten Provinzen besucht und auch kurz Germania gesehen. Es war primitiv, ungastlich und alles andere als ein angemessenes Refugium für eine Familie wie die ihre. Doch wer war sie, dass sie dem Willen ihres Gatten widersprechen würde? Oder war es nur der Wille des Sklaven?
    Ihre Augen wanderten von Sciurus zurück zu Titus, den sie mit einem Mal noch abstoßender fand als zuvor. All dies war seine Schuld. Er war ein Unglücksbringer, das Pech haftete an ihm wie klebriger Honig. Tröstend schien allein der Gedanke, dass Minor, sein Bruder, bei ihrem Gemahl und somit weit weg von ihm weilte.
    Mitten in diese Szenerie platzte ein atemloser Sklave, der panisch hinter sich deutete. “S...so...”, stammelte er und stützte sich mit den Armen schließlich auf den Oberschenkeln ab, um wieder zu Luft zu kommen. Für gewöhnlich gestattete Antonia kein solch unwürdiges Verhalten ihrer Sklaven, doch eine böse Vorahnung ließ sie Schweigen. “Soldaten.”, jappste der Sklave endlich und suchte zuerst den Blick seiner Herrin, um sich schließlich an Sciurus zu wenden. “Am Tor.” Das war nun endgültig zu viel für die schmale Gestalt Antonias. Ihr Herz setzte für einen Moment aus und schwarze Punkte tanzten vor ihren Augen. Sollte das ihr Ende sein? Hörbar schnappte sie nach Luft und schüttelte den Kopf, als könne diese Negation die Ereignisse ungeschehen machen. ”Wie viele?”, fragte sie tonlos, worauf sie ein Schulterzucken erntete. Waren denn alle in ihrem Umfeld unfähig und dämlich? “15... vielleicht auch 20. Oder 25. Ich weiß es nicht genau, vergib mir domina.” Unwillkürlich verengten sich die Augen der Patrizierin zu Schlitzen, ehe sie sich an Sciurus wandte. ”Tu etwas.”, presste sie hervor und klammerte sich an die Hoffnung, dass ihr Gatte sich durchaus etwas dabei gedacht hatte, als er gerade diesen, seinen treuesten Sklaven ausgewählt hatte, um sie zu begleiten. Langsam sah sie zu ihrem jüngsten Sohn, der augenscheinlich nicht begriff, was gerade vor sich ging. Wie sollte er auch... einer plötzlichen Gefühlsregung folgend streckte Antonia ihm eine Hand entgegen. ”Es wird alles gut.”, sagte sie, wohl jedoch mehr um sich selbst zu beruhigen als ihn. ”Niemand wird Hand an uns legen.” Und tatsächlich hatte Antonia nicht vor, sich vom Pöbel in Stücke reissen zu lassen. Es gab schließlich Mittel und Wege, sich aus freien Stücken in die Hand der Götter zu übergeben. Fast zärtlich strich die Mutter über den dunkeln Haarschopf ihres Kindes. Er war ein Unglücksbringer. Doch er war ein Flavier. Und würde damit ihr Schicksal teilen. Ebenso wie seine Schwester.

  • ooc: Nun, ich hab deutlich länger gebraucht für das bisschen Text *noch nen größeren Entschuldigungskeks reicht*




    Iuno war die mächtigste Göttin. Sie war die Mutter aller. Sie war die Herrin über alle Sterblichen. An ihrer Seite gab es nur ein Wesen, das ihre Erhabenheit und Macht teilte. Und wenn Iuno eine sterbliche Hülle wählen würde, Titus war sich sicher, dann musste es seine Mutter sein. Erhaben war sie in jeder Faser ihres Körpers. Sie strahlte eine Würde aus, die er bei keiner anderen Frau erfahren hatte. Und sie war seine Mutter. Er liebte sie. Er sehnte sich nach einer Umarmung von ihr. Aber er wusste genauso, dass sie eben etwas ganz besonderes war. Sein Vater umarmte sein Weib nicht, er sah nie eine Zärtlichkeit zwischen dem Ehepaar. Warum sollte es dann bei ihm anders sein? Sklavenkinder wurden gedrückt, aber sie waren auch nun mal nur Sklaven. Er würde eines Tages ein großer Patrizier werden. Ein Mann des Senates oder der Priesterschaft. Wie es sein Vater für ihn bestimmen würde. So war nun mal der Lauf der Dinge und so war es ihm von seinem Hauslehrer gesagt worden. Dennoch, er wäre gerne von ihr umarmt worden. So wie es die Köchin manchmal tat, ehe sie ihm eine kleine süße Frucht zusteckte und ihm in die Wange kniff. Das mit der Wange wäre ihm jedoch nicht unrecht gewesen, wenn sie es nicht bei ihm tun würde. „Natürlich, mater.“ Er wollte brav sein. Er wollte, dass sie auf ihn stolz sein könnte. Aber... „Woher weiß ich nur, was ich fragen darf? Was ich verstehe und was nicht?“ Er sah sie groß an, altklug, wie so oft und mit einem naiven Gesichtsausdruck, der nur von einem Kind mit wenigen Sommern so glaubhaft und ernst gezeigt werden konnte. Und eben echt war. Sciurus beachtete Titus nicht mehr, er sah aufmerksam in das Gesicht seiner Mutter. Doch dieses Aufflackern von Wissenwollen schwand mit einem Mal als die Kunde der Soldaten sie erreichte.


    Titus sah zu dem atemlosen Sklaven und lächelte. Soldaten. Soldaten waren gut, denn sie stammten vom Kaiser. Und der Kaiser beschützte sie Patrizier. Auch wenn es Titus verwunderte, dass er in letzter Zeit gar nicht von dem Kaiser mehr sprechen durfte. Dass immer ein strenger Blick den Jungen traf, wenn er seinen Hauslehrer dazu befragen wollte. Das waren wohl auch solche Fragen, deren Antworten er nicht verstehen könnte. Warum auch immer das so war. Titus verstand das aber auch genauso wenig, dass es solche Antworten geben sollte. Aber die Aufregung, die Sorge, die in den Gesichtern all der Erwachsenen stand, das kam dem Jungen gerade zu Gute. Er spürte ein dezentes Zeichen von Aufmerksamkeit seiner Mutter, lächelte leicht als er ihre Berührung an seinem Schopfe spürte. Ein seltenes und kostbares Geschenk.
    Geweckt in der Aufmerksamkeit hörte Titus indes die am Tor gewechselten Worte. Nicht verstehend, was dort gesprochen wurde, aber wohl mit lauter Stimme. „Ist es nicht gut, dass die Soldaten am Tor sind? Sie wollen uns doch sicherlich schützen. Vor der Gefahr aus Rom.“ Titus nickte ernsthaft. Mehr war ihm nämlich auch nicht gesagt worden. In Rom schwebten sie in Gefahr. Darum hatte der Kaiser sicher Soldaten geschickt, um sie, wie bereits erwähnt, eben zu schützen.





    „Was wir wollen?“, polterte der vermeintliche Centurio laut zu den Sklaven empor. Paulus Sacabos wandte sich demonstrativ zu seinen Kameraden. „Hört nur, das Sklavenpack wird immer frecher heutzutage. Jetzt fragt er schon einen Mann des Kaisers, einen CENTURIO, was er denn am Tore will.“ Er lachte höhnisch auf, einige der Soldaten stimmten mit ein und Sacabos drehte sich wieder zu den Torsklaven herum. „Was ICH will und somit das Imperium Romanum, in dessem Dienste ich stehe, geht dich, du WICHT, ganz sicherlich nicht an. Ich stehe nur deinem Herrn Rede und Antwort. So öffne das Tor und lasse uns herein oder möchtest du morgen in der Sonne mit gebrochen Gliedern am Kreuze braten, weil du dich den Soldaten des Kaisers in den Weg gestellt hast?“ Er schlug mit seiner Faust demonstrativ auf den Schild, den er mit seiner rechten Hand trug. Die Soldaten hinter ihm taten es gleich und ein lautes, fast schon synchrones Donnern der Fäuste erhob sich in den Himmel. Einige Vögel stoben erschrocken aus den Zweigen einer Nahe wachsenden Zypresse in den Himmel.

  • ooc: ...


    Selbstredend folgte Sciurus der Anweisung der Claudia. Allerdings nicht aus dem Grund, da sie seine Herrin war, sondern nur deswegen, da ihre Aufforderung sich mit den Befehlen seines Herrn deckt, alles erdenkliche zu tun, um Antonia und die beiden Kinder zu schützen. "Ich kümmere mich darum."
    Zwar würde es schwer sein, einem potentiellen Feind zu erliegen und gleichzeitig die letzte Anweisung seines Herrn zu erfüllen, die Familie zur Not mit dem Gladius vor Schande zu bewahren, doch Sciurus hatte nicht vor, irgendjemandem zu erliegen. Das Anwesen war gut genug gesichert, um einige Männer eine Zeit lang abzuhalten und notfalls würde Sciurus eine Möglichkeit finden, jeden einzelnen über die Mauer hinweg zu eliminieren. Selbst wenn es bedeuten würde die Pila der Soldaten mit den Körpern nutzloser Sklaven abzufangen, um sie ihnen anschließend in ihre Köpfe zurück zu schleudern.
    "Auf jeder Seite eines Krieges kämpfen Soldaten. Daher sind nicht alle Soldaten gut", beantwortete er die Frage des jungen Flavius, um sich dann abzuwenden und zu sehen, auf welcher Seite diese Soldaten kämpften.


    "Es sind Soldaten des Kaisers!" flüsterte ein Sklave, von denen sich nach Ansicht des Vilicius viel zu viele im Hof herumdrückten. "Sie wollen mit dem Herrn sprechen." Es klang, als hätte der Mann bereits mit dem Leben abgeschlossen, weil kein Herr anwesend und dies daher unmöglich war.
    Sciurus scheuchte mit einem harschen Befehl Hegesistratus von den Kisten hinunter und stieg selbst hinauf. Er maß die Männer vor dem Tor mit abschätzendem Blick.
    "Ich bin der Herr dieses Anwesens" rief er unbeeindruckt zu den Soldaten hinunter. Sie sahen nicht aus als würden sie der nahen Legio I entstammen. Eher als hätten sie eine lange Reise hinter sich, vielleicht eine missglückte Überfahrt. "Wie ist dein Name, Centurio, welcher Legion gehört ihr an und weshalb habt ihr euch von dieser entfernt?"

  • Soldaten mit blitzenden Helmen und wogenden Büschen, Centuriones mit aufrechten Rücken, Feldherren auf Streitwägen. Auf Bildern war es, was der kleine Flavier, Spross und Sohn des Manius Flavius Gracchus, bisher davon erfahren hatte, was es bedeutete, Soldat des römischen Imperiums zu sein. Es hatte Erhabenheit an sich, wenn man von den Soldaten sprach, die die Grenzen Roms bewachten und dafür sorgten, dass das Weizen die Häfen Roms erreichten. Und gleichsam war es doch die liebste Spielfigur des Titus, die er auch in seinen Händen hielt, die die Kleidung eines Soldaten trug. An manchen Tagen war die Figur ein Centurio, der sich durch die Grashalme kämpfte, als ob es die germanischen Wälder waren und gegen Ameisen kämpfte, die für die bösen Germanen standen. An anderen Tagen wiederum sauste die Spielfigur als Feldherr und Kaiser auf einem Stück Holz über die Wogen einer Pfütze, um an Africa zu landen und sich den Horden von Karthago zu stellen.* Auf jeden Fall versprach das alles Aufregung und Abenteuer. Ein Abenteuer, in den der Flavier gerade unversehns hinein zu rutschen schien.
    Ernst und den Kopf hoch erhoben, er reichte dem Sklaven dennoch damit nur unter die Hüfte, lief der Junge neben dem Sklaven seines Vaters her. Er musste fünf Schritte rennen, um nur einen von Sciurus zu schaffen. Titus dachte über die Antwort des Mannes und Sklaven nach. „Aber es sind römische Soldaten, Sciurus.“, sprach der Junge und suchte nach Worten, die nicht gleich so kindlich sich anhörte. Er hatte gemerkt, dass er dann auch ernster genommen wurde. Er verstand nicht, was Sciurus meinen könnte. Römer waren die Soldaten des Kaisers. Und der Kaiser war gut. Oder doch nicht? Er biss sich auf seine Unterlippe und hob die Hand, um mit zwei Fingern an seiner Oberlippe nachdenklich herum zu zwirbeln. Er würde seinen Lehrer fragen, wenn Sciurus ihm die Antwort an dem Tag nicht geben würde. Oder eine, die er genug verstehen konnte. Dafür war schließlich der griechische Sklave da. Auch wenn dieser nicht immer alle seine Fragen und Unverständnis lösen konnte.


    Dennoch lief er schnell hinter Sciurus her und wartete unten an der Treppe, diezum Tor hinauf führte. Der Junge runzelte seine Stirn als er die Worte des anderen Sklaven vernahm. Also doch Soldaten des Kaisers. Schwer wog die Bulla unter seiner Tunika. Er war nur ein Junge, kein Mann, sonst würde er selber da stehen, wo Sciurus augenblicklich seine Stimme erhob und so tat, als wäre er der Herr des Hauses. Titus hob seine kleine Holzfigur, mit der er noch im Garten gespielt hatte. „Unverschämt ist er, mein Kaiser. Ein Sklave, der sich als Herr ausgibt. Aber er ist auch klug. Wir müssen sehen, ob wir das in Zukunft noch dulden dürfen. Dass er so unverschämt ist... jaaa... aber das muss pater meus wissen.“ Die letzten Worte flüsterte der Junge in das Ohr der Holzpuppe. Verschwörerisch, als ob er gerade über Tod und Leben entschied. Die Figur wurde an seinen Gürtel gesteckt, ein Kaiser musste schließlich beschützt werden, dann kletterte der Junge mit seinen kurzen Beinchen eilig die Kisten hinauf und stellte sich neben Sciurus. Mit seiner eher geringen Größe passte er auch gerade noch neben den Sklaven. Er war der Stellvertreter des wirklichen Hausherrn. Er war der Sohn des Gracchus. Somit war es sein Recht, hier zu stehen. Ja! Nur brachte der Junge auch nicht den Mut auf, etwas zu sagen. Viel mehr zog er sich über die Mauer, so dass er gerade noch mit seinen braunen Augen darüber hin weg sehen konnte und nicht nur seine schwarzen Haare hinüber ragte. Aufmerksam sah der Junge zu den Soldaten herunter. Es fehlten die Streitwägen. Das fiel dem Flavier sofort auf.


    Dem römischen Imperium zu dienen schien dem Centurio keine heroische Angelegenheit zu sein. Schon gar nicht, wenn man nur noch als Deserteur durch die Landen streunerte in einer Zeit, in der das Imperium über der Herrschaftsfrage in Aufruhr war. Der Centurio, der eigentlich niemals diesen Rang besessen hatte, es aber zu gern gewesen wäre, hatte lange genug auf ein Stück Land gewartet. Auch wenn er noch gar kein Veteran war. Aber das waren doch unbedeutende Kleinigkeiten. Hinter sich eine Rotte voller Männer, die nichts zu verlieren hatte, sah der frühere Soldat hoch zu dem Mann, dessen blonder Schopf erschien. Er klang wie ein vornehmer Römer, er sprach wie ein vornehmer Römer, er sah nur wie keiner aus. Aber Reden und Kleider machten Leute. Insofern glaubte ihm der 'Centurio'. „Ceturio Luranius Sextus. Wir gehören zu der ersten Legion, Bürger Roms, und wir verlangen Einlass, so wie es ein aufrechter und Kaiserstreuer Bürger Roms den Männern des Kaisers gewähren sollte.“ Hände ruhten an den Gladii, Finger schlossen sich fest um die Speere, Augen funkelten nach oben. „In Zeiten wie diesen, guter Mann, solltest du Farbe bekennen, auf welcher Seite du stehst. Ansonsten müssen wir davon ausgehen, dass du ein Feind des Kaisers bist und wir müssen deine Villa besetzten, anstatt nur sie als Ort unserer Rast zu nutzen. Du hast die Wahl, Mann, wir warten schon zu lange in dieser verfluchten Hitze, meine Männer sind gereizt und ihre Finger willig, einige unnütze Leben zu beenden, wenn sie sich uns in den Weg stellen. Ich zähle also bis zehn, um deiner Entschlussfreude mehr Zügigkeit zu verleihen, damit deine Gedanken so schnell wie Hermes' Flügel gleiten. Eins...zwei...“, begann der Centurio zu zählen.


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    * (Historische Genauigkeit ist doch gewiss bei einem Kind nicht zu erwarten.)

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