Die Holzarena des Decrius Pandus am Rand des Aventin

  • Am Rand des Aventin in einer größeren Seitenstraße stand das Holztheatrum des Lucius Decrius Pandus recht unscheinbar zwischen den übrigen Gebäuden. Der Platz, den das Theatrum in Anspruch nahm, war hart erkämpft, und immer wieder drängten Barbiere und kleiner Verkaufsstände weiter vor und drängten so den Platz der halboffenen Arena zusammen. Eine wirklich feste Begrenzung gab es hier nicht, vielmehr war die Arena auf der einen Seite begrenzt von der halbrunden Tribüne, wo die Zuschauer schon auf Kopfhöhe der Kämpfer unten sitzen konnten, und auf der anderen Seite von einer einfachen Holzkonstruktion, nicht viel mehr als ein paar Klappböcke mit einem dünnen Schlagbaum darüber, wo die Zuschauer Platz fanden, die aufgrund von Stand oder späten Ankunft kein Anrecht auf einen Sitzplatz hatten.
    Rechterhand war noch ein einfaches Tor gezimmert worden, durch welches die Gladiatoren dieser kleinen Arena selbige betreten konnten. Der Boden, der in diesen Straßen ohnehin nicht mehr als festgestampfte Erde war, war mit etwas Sand bestreut worden, um so das Flair der großen Arenen herzubringen – und wohl auch, um das Blut aufzusaugen.
    An der Querseite schließlich war noch freier Platz, wo der ein oder andere Käfig aufgestellt wurde: Entweder mit neuen Gladiatoren, oder Verurteilten, denn nicht selten wurden Verbrechen, die hier am Aventin begangen wurden, auch direkt hier am Aventin gerichtet, so dass alle Angehörigen und Zeugen auch die Gerechtigkeit Roms hautnah miterleben konnten. Natürlich nur, wenn die Verurteilung „ad ferrum“ oder „ad gladium“ hieß, für alles weitere war man hier nicht ausgerüstet.


    Zwei Mal bereits war die Arena abgebrannt und wieder errichtet worden, allein in den letzten 15 Jahren. Lucius Decrius Pandus vermutete dahinter hauptsächlich die nahen Händler, die den Platz nur zu gerne für weitere Verkaufsstände genutzt hätten. Vor allem ein Metztger aus der Gegend fragte immer wieder einmal an, ob der alte Decrius sein kleines Gewerbe nicht lassen und stattdessen lieber sich an der lukrativeren Metzgerei beteiligen wolle. Mit dem Platz könnte man einige Viehstände anbauen, nicht für Kühe, aber Schweine und Ziegen und Hammel, die dann auch frisch nach bedarf geschlachtet werden konnten. Aushängen konnten die Tierhälften dann in den Vorratskammern der Käufer. Aber Decrius behielt lieber sein kleines Theatrum und handelte mit einer anderen Art von Fleisch und Blut.


    Die Kämpfe hier waren mit jenen in den großen Theatern bei großen Munera nicht zu vergleichen. Die Gladiatoren hier hatten sich kaum einen Namen gemacht. Lediglich die, die hier die Urteile gegen Verbrecher vollstreckten, hatten bei den amatores dieses kleinen Theaters ihren Ruf. Laut wurde gejubelt, wenn sie einen Verbrecher hinrichteten. Dann wurden ihre Namen gebrüllt und gesungen. Doch nie würden sie die Gelegenheit haben, in den großen Arenen aufzutreten. Dafür waren sie schlicht zu alt, zu schwerfällig, nicht spektakulär genug, nicht gut genug ausgebildet.


    Aber um Neulinge in das harte Leben der Gladiatoren einzuführen, wurde diese Örtlichkeit immer wieder gern von den verschiedensten Lanistae augesucht.

  • Der Mittag war noch nicht ganz vorüber, und doch stand schon der transportable Käfig aus hartem Schilfrohr als Gitterstäben an seinem Platz in stummer Erwartung der Dinge, die da kommen mochten.


    Heute würde es Gladiatorenkämpfe geben. Auch in den kleinen Arenen mit den namenlosen Gladiatoren gab es das nicht alle Tage, aber heute war mal wieder so ein Festtag. Überall in der Nachbarschaft hatte man Schmierereien an den Wänden gefunden, die es angekündigt hatten.


    Nicht schön, nicht künstlerisch, aber alles wichtige stand drauf.


    Und zur Feier des Tages gab es sogar zwei Hinrichtungen, die Decrius Pandus extra für sein kleines Theatrum organisiert hatte. Ein paar Gelder an die Stadtwache hier, ein kleiner Besuch im Carcer dort, und schon waren zwei Delinquenten gefunden, die hier in der Subura vor nicht allzu langer Zeit jemanden abgestochen hatten. Und von da an war es nur noch ein Schmeicheln und werben, ein Verweisen auf die Gerechtigkeit Roms, dass Strafen dort vollstreckt werden sollten, wo die Straftat begangen... und ein wenig mehr Geld, um die nötigen Unterlagen zu erhalten.
    Die erste Hinrichtung war schon vorbei, nur noch eine blutige Schleifspur zum hinteren Teil der Arena und dem einzigen Tor deutete davon, dass sie stattgefunden hatte. Da wurde auch schon der zweite hereingeführt, ein hageres Bürschlein von vielleicht 16 Jahren, dünn wie ein Gerippe und zitternd. Seine Hände lagen in schweren Ketten, als er hereingezerrt wurde. Er versuchte, sich dagegen zu stemmen, und seine nackten Füße schliffen über den sandigen Boden. Gezogen von zwei großen Helfern, zwischen denen er fast unterging, half auch sein leises Jammern nichts.


    Mit grabesschwerer Stimme polterte der Ausrufer des Theatrums auch schon lautstark für die durch den ersten Tod noch angeheizte Menge: “Das ist Cnaeus Cincius Lecanianus, ein Mörder und ein Dieb. Er hat den ehrbaren Servius Hirtius Dexter rücklings erstochen und ausgeraubt und wurde zum Tod ad gladium verurteilt.“
    Noch während der Mann sprach und die Wachen die Fesseln des zitternden Jungen lösten, erschallte schon lauthals der Spott und die Buh-Rufe. Auch flogen einige Dinge in die Arena; verdorbenes Gemüse, das nicht mehr essbar war, aber das meiste waren Dreck und steine, die auf den Rüstungen der Wachen prasselnde Geräusche verursachten. Der Cincier hatte keine Rüstung und konnte nur schützend die Hände vors Gesicht heben. Man ließ der Menge kurz ihren Unmut, dann schritten die Helfer ein und forderten Ruhe. Die Wachen traten aus der Arena, kickten den ein oder anderen Unrat beiseite beim gehen, während der Junge allein und zitternd zurückblieb.
    Erst, als die Wachen weg waren, flog das Schwert, mit dem er kämpfen sollte, auf den Boden der Arena, keine zwei Schritte von dem Jungen entfernt. Er sah es an, als wäre es eine Giftschlange, und zitterte noch heftiger. Ein feiner, gelber Faden lief sein Bein entlang und dort, wo sein Fuß bebend auf dem Sandboden stand, bildete sich rasch ein dunkler Fleck. Das brachte noch mehr Spott und Gelächter mit sich, und die immer lauter werdende Forderung, er solle wie ein Mann sterben und endlich das Schwert aufheben. Der Bursche sah sich hilfesuchend in der Arena um, fand aber nur die Gesichter der nach Blut geifernden Menge. Vielleicht dachte er an Flucht, sich mit dem Schwert einen Weg freizuschlagen, aber wie hätte er durch die Zuschauer hindurch sollen? Wie durch die Wachen? Zögerlich hob er das Schwert auf, und gab somit auch das Zeichen zum Öffnen des Tores. Das Erscheinen des Gladiators auf der anderen Seite machte jeden aufkeimenden Fluchtplan zunichte.


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    Doch auf der anderen Seite der Arena gab es ein paar Personen, die das Spektakel nicht interessierte. Einer der doctores dimachaerii stand neben dem Käfig und redete auf Shayan ein, schon während der Ausrufer noch die Straftat des Verurteilten vorlas.
    “Die da erwarten alle, dass du verlierst. Keiner erwartet von dir, dass du gleich den ersten Kampf gewinnst. ABER ICH SCHON! Hast du verstanden, du parthischer Barbar? Du wirst denen da draußen gefälligst zeigen, dass wir im Ludus Dacicus Gladiatoren ausbilden und keine Hampelmänner! Also NIMM deine Deckung vernünftig hoch, achte auf die Randbereiche, dreh den Kopf mit dem Helm nicht wie ein Huhn auf der Suche nach Körnern, und denk an das Training! Attacke, Attacke, Attacke! Und Beinarbeit. Ich will vernünftige Beinarbeit von dir sehen, hast du mich verstanden?“
    In der Arena versuchte gerade das Bürschlein etwas Abstand zu dem schwer gepanzerten Gladiator zu bekommen. Er schlug mit dem Schwert, als versuchte er, Fliegen zu verscheuchen. Der Gladiator ging ihm nur ruhig nach und wischte die Metallklinge nur immer wieder lässig beiseite.
    “Ich geh jetzt auf die Tribüne zu Decrius und regele das restliche. Sobald der Affentanz da vorbei ist, bist du dran. Und denk nicht mal daran, mich zu blamieren!“


    Und damit ging er und ließ Shayan in seinem Käfig mit der einzigen sonstigen Begleitung allein: dem Nubier.
    Als dieser hier aufgetaucht war, hatte es kurz einen größeren Tumult gegeben. Nubius, der Primus Palus der Dimachaeri Roms, mit seiner phänomenalen Kampfstatistik von 17 Siegen und keiner einzigen Niederlage, hier in der Subura! Ein Mädchen war spontan in Ohnmacht gekippt, die meisten anderen beschränkten sich auf hysterisches Kreischen und drängten mit verweinten Augen nach vorne, um ihn einmal zu berühren. Und er war ja auch beeindrucken: Groß, schlank, trainiert, nicht ein Gramm an ihm schwächlich oder kränklich. Er hatte zwar ein paar Narben, aber keine von ihnen war wirklich häßlich zu nennen. Einige sahen sogar so aus, als wären sie künstlich erschaffen worden, weil sie so perfekt seine raubtierhafte Gestalt unterstrichen. Und so dunkel wie er war, so spielerisch wie er sich bewegte, erinnerte er an eine große Raubkatze. Es gab Geschichten aus dem Süden, von Panthern, die sich in Menschen verwandeln konnten. Und so es solche Wesen gab, der Nubier war einer davon.
    Die Mädchen und Frauen hatten sich vorgedrängt, noch an den Männern, die ihm auf die Schulter klopfen wollten, vorbei, fielen ihm um den Hals, hauchten ihm Liebesschwüre ins Ohr. Nicht nur ein Mann reagierte mit kaum verhohlener Eifersucht und zerrte sein Mädchen wieder zurück. Dem ein oder anderem Mädchen flüsterte der Nubier etwas zurück. Einer jungen Grazie, vielleicht dreizehn oder vierzehn, legte er kurz die Hand auf den Po und kniff leicht zu, während er sich zu ihr herunterbeugte und ihr etwas ins Ohr flüsterte, was sie zutiefst erröten und danach hysterisch kichern ließ.
    Es hatte fast eine viertel Stunde gebraucht, bis sie den Käfig durch die Menschentraube durchführen konnten und wieder Normalität eingekehrt war.
    Jetzt stand der Nubier mit leichtem Raubtierlächeln neben dem Käfig, und seine Zähne blitzten geradezu grotesk weiß auf dem schwarzen Gesicht.
    “Aufgeregt?“ Es war das erste Wort, das der Nubier überhaupt an Shayan richtete in der ganzen Zeit, in der der Parther im Ludus Dacicus trainierte. Die spöttische Angstmache hatte er den anderen überlassen, er selbst hatte sich vornehm zurückgehalten.

  • Die Zeit verging, während Shayan seine Tage damit verbrachte, entweder im Ludus zu trainieren oder der Flavia als annähernd ständige Begleitung zur Verfügung zu stehen – und als eine Art Mädchen für alles. Hatte sie ihn am Anfang noch testen wollen, schien es ihr inzwischen zur Gewohnheit geworden zu sein, den Parther mit den verschiedensten Dingen zu beauftragen. Sie befahl ihm keine Arbeit, die die gewöhnlichen Haussklaven erledigen konnten – aber wenn sie etwas brauchte, wenn sie etwas erledigt haben wollte, was über dem Putzen von Böden, Wechseln von Wäsche oder Bringen von Getränken rangierte, war es mittlerweile häufig er, den sie beauftragte. Ihm war nur nicht so ganz klar, ob sie da tatsächlich einen bewussten Unterschied machte – ob sie wirklich ihn auswählte, vielleicht weil sie sich an ihn gewöhnen und ihn an sie binden wollte, in irgendeiner Form, war er doch nach wie vor als ihr Leibwächter ausersehen; oder ob sie gar nicht darüber nachdachte, sondern einfach immer nur irgendeinen Sklaven wählte aus jenen, der am zuverlässigsten und schnellsten ihre Wünsche erfüllte.
    Es schien also, dass seine Herrin ihn inzwischen in den... nun... inneren Kreis gelassen hatte, sofern man das so bezeichnen konnte, denn sie behandelte diese Sklaven nicht wirklich besser als alle anderen. Dass sie – verhältnismäßig wenigstens – weniger Ärger bekamen, lag nur daran, dass sie weniger Fehler machten, und dass sie die Flavia gut genug kannten, um zu wissen, wann sie sich aus der Gefahrenzone begeben mussten, sofern sie die Gelegenheit dazu hatten. Und genau das war der Knackpunkt, denn die, die sie am häufigsten um sich haben wollte, konnten selten flüchten, wenn die Flavia wieder eine ihrer Launen hatte. Häufig blieb dann nur zu hoffen, dass irgendjemand dazu kam, kein Sklave, sondern ein Aurelier, vorzugsweise ihr Mann. Die Anwesenheit eines anderen Römers war die effektivste Methode, die Flavia dazu zu bringen, sich zusammenzureißen – und das wiederum konnte sie in solchen Situationen verblüffend schnell und gut, so gut, dass Shayan sich manchmal fragte, warum um alles in der Welt sie das nicht immer machte. Es würde nicht nur die Nerven der Anwesenden schonen, sondern auch ihre eigenen, fand er. Aber sie schien Spaß daran zu haben, ihren Launen freien Lauf zu lassen, wenn es keine unliebsamen Zeugen dafür gab.
    So oder so: er gehörte nun offenbar zu dem Kreis Sklaven, der ihr am nächsten stand. Dennoch hieß das nicht, dass sie seiner Loyalität oder Eignung völlig vertraute. Obwohl sie ihn ständig mitnahm, war er nach wie vor noch nicht ihr Leibwächter. Die Villa verlassen durfte er zwar inzwischen, aber das nur in Begleitung. Und mit ihm zu reden, wenn sie nicht gerade etwas befahl, oder gar über irgendetwas zu informieren, hielt sie ohnehin nicht für nötig. So war es dann auch nicht sie oder einer ihrer übrigen Sklaven – über deren Loyalität es keinen Zweifel gab – gewesen, sondern einer der Angestellten des Ludus, der ihn darüber informiert hatte, dass sein erster öffentlicher Kampf bevorstand. Und Shayan wusste, was das hieß. Die Neuen wurden nicht einfach so zur Probe in die Arena geschickt. Der erste öffentliche Kampf wurde für einen von ihnen nur dann angesetzt, wenn die Doctores und der Lanista den betreffenden Kämpfer für tauglich hielten, den Status des Neulings hinter sich zu lassen und als Gladiator aufgenommen zu werden. Alles was dann noch zu tun blieb, war, diesen ersten Kampf zur Zufriedenheit des Doctors zu meistern.


    Shayan lehnte locker gegen die Stäbe des Käfigs, der ihn umgab, seit sie den Ludus verlassen hatten. Er verstand zwar nicht wirklich, warum der Käfig nötig war, aber er betrat ihn widerspruchslos und so stumm wie stets. Wenn er eines hier gelernt hatte, dann das: was der Lanista und die Doctores anordneten, geschah. Mal auf die angenehme Art, mal auf die weniger angenehme, je nach Reaktion der Gladiatoren – aber es geschah.
    Den Weg hierher, zu der kleinen Arena, in der er seinen ersten Kampf haben sollte, hatte er dazu genutzt, seine Muskeln zu lockern und zu dehnen, so gut es möglich war in dem Käfig. Als sie die Arena erreichten und in die Menge eintauchten, hörte er auf damit, lehnte sich nur gegen die Stäbe und ließ seinen Blick ohne Gefühlsregung über die Menschen schweifen, während er den Tumult um sich herum ausblendete. Das Interesse der Leute richtete sich ohnehin nicht auf ihn, ganz im Gegensatz zu dem Nubier, der als Begleitung mitgekommen war. Was es für Shayan leichter machte, den Lärm einfach zu ignorieren.
    Erst, als der Doctor ihn sich noch einmal vorknöpfte, sammelte Shayan seine Aufmerksamkeit und konzentrierte sich auf seinen Trainer, der ihm ein letztes Mal einbläute, worauf er zu achten hatte – und dass er, natürlich, zu gewinnen hatte. Was sonst. Der Parther nickte nur auf die Anweisungen hin. Er war ohnehin nie geschwätzig gewesen, aber das konstant geforderte Schweigen hier – nicht nur im Ludus, auch bei der Flavia, die ungefragte Äußerungen von Sklaven ebenso wenig schätzte wie die Doctores – war ihm mittlerweile so sehr in Fleisch und Blut übergegangen wie die endlos wiederholten Übungen. So hörte er dem Doctor nur aufmerksam zu, sah ihn dabei an, damit auch klar war, dass er aufpasste – und nickte schweigend.
    Einen Moment lang sah er dem Mann noch nach, als dieser dann verschwand, und wollte dann schon wieder seine Aufmerksamkeit schweifen lassen in den letzten Augenblicken vor dem Kampf, der ihm bevorstand, als der Nubier ihn ansprach. Shayan sah ihn an. Dass dieser Gladiator mit ihm sprach, war eine Premiere. Es gab einige, die die Neuen immer mal wieder anredeten, in der Regel um sie zu verspotten – der Nubier gehörte nicht dazu. Er hatte so etwas vermutlich auch gar nicht nötig, besah man sich seinen Status, sein Aussehen, sein Können. Er war eines der Zugtiere des Ludus, einer der Publikumsmagneten, einer von denen, die die größtmögliche Freiheit hatten, die ein Gladiator haben konnte. Warum ausgerechnet er mitgekommen war, wusste Shayan nicht zu sagen.
    Über die Frage musste der Parther nicht lange nachdenken, dennoch ließ er seinen Blick kurz zur Arena hinüber schweifen, wo der Junge immer noch versuchte, dem Gladiator auszuweichen, was immer lauter werdende Buhrufe des Publikums hervorrief. „Nein“, antwortete er dann. Er spürte eine zunehmende Anspannung in sich, jene Anspannung, die er auch immer vor einer Schlacht gespürt hatte – das Kribbeln, das durch die Glieder lief, die alarmierte Aufmerksamkeit, die alles einnahm und die, wenn man nicht aufpasste, vor dem Kampf zu viel Energie verbrauchte. Shayan hatte sich immer bewusst bemüht, diese Phase vor einer Schlacht so lange wie möglich hinauszuzögern, hatte versucht, sich zu entspannen, sich abzulenken, um seine Reserven zu schonen. Im Grunde war es genau das, was er auch jetzt tat, wenn er den Lärm weitestgehend ignorierte. Aber Aufregung? Das war ein Gefühl, das im Lauf der Kämpfe und Schlachten, an denen er teilgenommen hatte, zunehmend geringer geworden war, bis es schließlich gänzlich der Spannung Platz gemacht hatte.
    Sicher war diese Form von Kampf neu für ihn – aber er hatte dem römischen Heer gegenüber gestanden, mehr als einmal, und so sehr das Training im Ludus jenes bei der Armee, das keineswegs leicht gewesen war, in den Schatten stellen mochte, so sehr übertraf umgekehrt das Wissen um eine bevorstehende Schlacht, das Erleben eines Kriegs das, was ein Zweikampf wie dieser hier bedeutete. Davon abgesehen lag sein Leben ohnehin in den Händen Ahura Mazdas. An ihm lag es nur, sein Bestes zu zeigen. „Angespannt“, fügte er noch hinzu. „Aber nicht aufgeregt.“

  • Kurz wurde das Lächeln ein wenig breiter, ehe es in seine Ursprungsform zurückkehrte. Der Nubier war schwer zu durchschauen, wenn er so lächelte, weil das alles aber auch nichts heißen mochte und seinem Gesicht weder einen besonders freundlichen noch irgendeinen anderen Ausdruck verlieh. Es war wirklich das Lächeln eines Krokodils, und zwischen Freude und Berechnung war kein Unterschied festzustellen.
    “Dann bedaure ich dich. Anspannung strafft deine Muskeln, lässt sie verhärten und verknoten, zieht deinen Magen zusammen und verursacht einen schlechten Geschmack. Sie macht dich langsam und abgelenkt. Lass sie einfach los.“
    Beim letzten Satz wurde die Stimme des Nubiers geradezu melodiös, als hätte er es gesungen. Allerdings war es kaum mehr als ein leichtes Anheben der Stimme. Da keine Frage in seinen Worten war und Shayan diese Regel für einen Neuling gut gelernt hatte – andernfalls würde er kaum hier stehen – erwartete er auch keine Antwort auf seine Worte.
    “Sieh dir den Kampf da vorne an, wie der Junge ihm zu entgehen versucht. Die Angst stinkt ihm aus jeder Pore bis hier her. Wie unbeholfen er versucht, seinen Gegner auf Abstand zu halten. Und sie dir den anderen Mann an. Er ist ruhig, entschlossen. Er spielt mit ihm, um der Menge zu gefallen. Das Schwert in der Hand des Jungen ist keine Waffe. Er könnte ebenso nackt hier herumrennen, es würde keinen Unterschied machen. Und doch rennt er herum wie ein Huhn und versucht, sein Leben zu verlängern.“
    Alles samt Wahrheiten, die jeder Blinde sehen konnte, und die der Nubier eigentlich nicht referieren musste. Aber er redete gern, wenn sich die Gelegenheit dazu bot. Im Moment war so eine. “Und dabei vergisst er, dass jeder Mensch sterben muss. Jeder einzelne hier auf dem Platz, jeder in der Stadt, jeder auf der Welt, wird in hundert Jahren nur noch Staub sein. Der Tod ist nichts, wovor man sich fürchten muss. Du und ich wissen das. Oder zumindest solltest du es inzwischen wissen.“ Es hatte mehr Übungen dazu gegeben, wie man starb, als man zählen konnte. Immer und immer wieder wurde es trainiert, wurde die Furcht genommen, der Tod mehr akzeptiert. Irgendwann war diese Übung für jeden so mechanisch wie das einprügeln auf den Palus. Die einen brauchten länger, die anderen kürzer, aber irgendwann akzeptierte jeder das, was ohnehin nicht zu ändern war.


    Inzwischen hatte der Gladiator wohl genug gespielt. Die Menge wurde unleidlich und lauter, hatte genug von dem Gehetze durch die Arena. Der Belustigungsfaktor der Sache war aufgebraucht, jetzt wollten sie endlich Blut sehen und befriedigt mit dem Wissen sein, dass eine gerechte Strafe erteilt worden war.
    Und von da ging alles recht rasch. Der Gladiator wartete auf den nächsten Angriff des Jungen, fing ihn mit dem Schwert ab, drehte seine eigene Klinge geschickt an der des Jungen vorbei. Der Bursche stach hoch in die Luft, hoch ins nichts, während die Klinge des Gladiators sich so tief in seinen weichen Bauch grub, dass sie auf der anderen Seite wieder austrat. Der Gladiator hielt den Jungen einen Moment im Arm, wartete, bis der Bursche das Schwert hatte fallen lassen, und zog sich dann mit einem schnellen Schritt zurück. Der Cincier fiel zu Boden wie ein nasser Sack und blieb bäuchlings liegen, während sich unter ihm eine kleine Blutlache bildete.


    “Aber ich verrate dir ein Geheimnis. In dem Moment, wenn der Kampf vorüber ist, und du noch lebst, du nicht tot bist, da fühlst du das Leben wie in keinem anderen Augenblick. Du fühlst den Schmerz in deinen Gliedern, jede einzelne Wunde, die dir geschlagen worden ist, mit solcher Deutlichkeit, dass es ein wahrer Rausch ist. Es tut nicht einmal weh, das kommt später. In jedem Moment, wenn du da draußen kämpfst, bist du lebendiger als jeder von denen, die dir zuschauen, und wenn du gewinnst, bist du lebendiger, als jeder von ihnen je sein wird. Und das ist ein Grund, warum man ruhig aufgeregt sein darf, warum einem das Blut in Arme und Beine schießen darf und einen schnell machen kann.“
    Das Tor öffnete sich wieder, und ein kahlköpfiger Hüne trat hervor, bewaffnet mit einem garstig aussehendem Hammer und einem großen Fleischerhaken, an dem ein Seil befestigt war. Er trat zu dem blutenden Jungen, schlug mit dem Hammer noch einmal auf dessen Kopf ein. Blut spritzte und eine scheußlich anzusehende Delle war da, wo einmal die Rückseite des Schädels des Jungen gewesen war. Wenn er nicht schon durch den Gladiator gestorben war, jetzt war er definitiv tot. Mit Schwung rammte der Charon den Haken in eine der Fersen des Toten, prüfte mit kurzem Zug, ob es auch hielt, und zog ihn dann wie das leblose Stück Fleisch, dass er war, hinter sich her und durch das Tor.
    “Sieh dir den Tod ruhig gut an. Er ist einfach, schnell, blutig, endgültig. Aber nichts, was wirklich erschreckt. Kein Grund, um angespannt zu sein. Du hast trainiert, du hast die letzten Monate besser gegessen als jeder hier, warst öfter bei einem Medicus. Akzeptiere es, und vergiss die Anspannung.“ Mit einem Lächeln fügte er an: “Wenn du willst, kannst du etwas sagen.“


    Aber viel Zeit zum Reden blieb nicht, denn der doctor kam schon wieder zurück. In der Arena gingen gerade ein paar Helfer mit Binsen über den Boden, verteilten den Sand besser, verwischten das Blut. Für die Kämpfe wollte man einen vernünftigen Boden bereitstellen.
    “Gut, gleich ist es so weit. Du gehst eine Runde, grüßt die Menge, grüßt Decrius Pandus da drüben, und kommst dann wieder hier her. Und wink der Menge zu! Ein Bursche kommt gleich und trägt deinen Helm und deine Schwerter. Dann rüsten wir dich ein und sehen, wer dein Gegner ist. Alles klar soweit?“ Der Käfig wurde schon geöffnet, und eigentlich gab es nur eine Antwort darauf. Sie konnten ohnehin nicht warten.

  • Shayan erwiderte den Blick des Nubiers, musterte ihn, während dieser sprach, vermochte aber nicht wirklich zu sagen, was der andere wohl denken mochte. Er lächelte, aber die Art wie er es tat ließ keinen Aufschluss überdahinter liegende Motive zu.
    Was der Nubier ihm allerdings sagte, ließ in dem Parther kurzfristig ein Gefühl der Verwunderung aufsteigen. Was er nun beschrieb, was er dem Gefühl der Anspannung zuschrieb, war etwas, das Shayan eher mit dem Begriff der Aufregung verbunden hatte, nach der der Nubier ihn gefragt hatte. Aber sein Latein war nach wie vor nicht das Beste. Er hatte zwar durchaus ein paar Fortschritte gemacht, diese aber vornehmlich was das Verstehen betraf, und es gab immer noch genug Begriffe und Wendungen, die er nicht kannte oder falsch verstand – und noch deutlich mehr, die ihm beim Sprechen fehlten, von seinem parthischen Akzent gar nicht zu reden. Die beständige Schweigsamkeit tat ihr Übriges dazu zu verhindern, dass Shayan in letztem Bereich irgendwelche Fortschritte gemacht hätte. Er musste den Nubier falsch verstanden haben, denn das, was seinen Körper zittern und verkrampfen ließ, spürte er nicht, hatte er schon lange nicht mehr gespürt. Man überlebte nicht lange als Soldat, war man langsam oder abgelenkt, wie der Nubier es formulierte. Der Zustand, der sich seiner nach und nach bemächtigte, war jener wache, aufmerksame Zustand, der ihn kampfbereit machte und Höchstleistung bringen ließ.


    Aber er sagte nichts. Es war müßig, diesen Irrtum aufzuklären, meinten sie doch offensichtlich dasselbe. Ganz davon abgesehen, dass der Nubier gar keine Antwort erwartete, sondern weiter sprach. Gehorsam sah er zu dem Geschehen in der Arena hinüber, auf das der Primus Palus wies, und beobachtete für einige Momente, wie der Gladiator den Burschen durch die Arena hüpfen ließ, bis die Menge irgendwann genug hatte von dem Spiel. Reglos sah er dabei zu, wie der Junge die Klinge zu spüren bekam, wie er erschlaffte, seine Waffe fallen ließ und gleich darauf von dem Gladiator fallen gelassen wurde, der ihn Augenblicke lang gehalten hatte. Der Tod war nichts, worüber Shayan allzu intensiv nachdachte. Der Tod mochte unausweichlich sein, und nichts, was zu fürchten war, das stimmte wohl – aber das änderte nichts daran, dass Menschen leben wollten, so lange es ihnen möglich war. Die meisten jedenfalls. Und Shayan bildete da keine Ausnahme. Wenn er tatsächlich darüber nachdachte, fiel es ihm immer noch schwer, bei jenen Sterbe-Übungen einfach nur stillzuhalten, sich nicht zu wehren, obwohl er in der Lage dazu wäre. Auch wenn er sich mittlerweile gut genug unter Kontrolle hatte, um selbst dann nicht mehr zu zucken, wenn er diesen Gedanken zuließ – was er meistens ohnehin nicht tat. Er hatte sich antrainiert, in diesen Momenten einfach an gar nichts zu denken, und das gelang ihm inzwischen recht gut.
    Dennoch hatte der Nubier auch hier Recht. Dieser Junge lieferte hier eine erbärmliche Vorstellung, und vertat damit seine letzte Chance, sich als Mann zu erweisen und sein Schicksal mit Fassung zu ertragen – und seinen Göttern damit zu gefallen. Shayan wandte ihm seinen Blick wieder zu, als der Mann immer noch weiter sprach, weiter erzählte, nun vom Kampf in der Arena, von dem Gefühl, das sich einstellte bei dem, der kämpfte, der überlebte, der siegte. Und das nun war etwas, das er nicht kannte. Nie kennen gelernt hatte. Er war kampferprobt, aber nicht in einer Arena, und das war ihm immer irgendwie bewusst. Wieder wanderte sein Blick zu dem Jungen, der nun weggeschleift wurde, und der im Grunde Glück gehabt hatte – Glück, dass ihm ein schneller Tod gewährt gewesen war. Und das war auch der Vorteil der Gladiatoren. Es gab kein langsames Sterben in der Arena. Gladiatoren verreckten nicht elendig. Sie wurden im Kampf getötet, oder nach dem Kampf durch einen schnellen, sauberen Stich, aber sie wurden nicht schwer oder tödlich verletzt irgendwo liegen gelassen, oder kamen in Lazarette, in denen man sich unter Umständen mehr schlecht als recht um sie kümmern konnte.


    Shayan begegnete wieder dem Blick des Nubiers bei dessen letzten Worten. Was sollte er schon auf das sagen, was der andere ihm erzählt hatte? Er konnte zustimmen. Er konnte auflisten, was er anders sah. Er konnte das Missverständnis von Beginn aufklären. Aber letztlich hatte das alles wenig Sinn, fand er. Der andere war weit erfahrener als Gladiator denn er, und das war etwas, was Shayan respektierte – und er hatte ihn teilhaben lassen an seinem Wissen, seiner Meinung. Einen Augenblick sah er ihn einfach nur schweigend an, dann zeigte sich auch auf seinem Gesicht ein flüchtiges Lächeln. „Danke“, war das einzige, was er schließlich schlicht sagte, bevor der Doctor schon wieder herkam und erneut auf den Parther einredete. Ein weiteres Nicken, als dieser zum Ende gekommen war, dann war Shayan auch schon aus dem Käfig heraus und tat, wie ihm geheißen. Er ging die Runde, und er winkte sogar, obwohl er sich dabei dann doch ein wenig… nun ja, dämlich vorkam. Er sah in die Menge, sah die Gesichter, die zu einer Masse zu verschwimmen schienen, die teils johlten, teils buhten, als Reaktion auf irgendetwas, was angekündigt wurde, worauf Shayan aber nicht achtete. Ein Gruß zur Menge, ein weiterer zu dem Mann, den der Doctor ihm gezeigt hatte, und dann war er auch schien wieder zurück, wo er gerüstet wurde. Die Bewegungen waren fließend, waren oft genug ausgeführt worden, dass sie wie von selbst vonstatten gingen. Bis er die Schwerter in die Hand bekam. Sein erster Eindruck war gelinde Überraschung – darüber, wie leicht sie waren. Seit seinem ersten Übungskampf im Ludus, jenen zur Probe, ob er überhaupt angenommen werden würde zum Training, hatte er keine scharfen Waffen mehr in der Hand gehabt, hatte nur mit den Holzschwertern geübt – und diese waren deutlich schwerer. Probeweise ließ er die Klingen kreisen, locker aus dem Handgelenk heraus, einmal die rechte, einmal die linke, darauf achtend, dass er um sich genug Spielraum hatte, um niemanden zu treffen, während unterdessen der andere Kämpfer die Arena betrat und seine Runde machte wie Shayan zuvor.

  • Auch vom hiesigen Theatrum drehte ein Mann seine Runde. Ein Thraker mit den hohen Beinschienen, die ihn als solchen auswiesen, und dickem Helm mit hohem Busch. Er präsentierte dem Volk stolz seine Waffe und ließ nur seinen Schild, der zwar durchaus prunkvoll, doch auch schon leicht verbeult war, von einem Jungen hinter sich hertragen. Und die Leute jubelten ihm sogar ein bisschen zu.
    Während die Kämpfer sich also mit letzten Handgriffen ihre Rüstungen festmachen ließen, beugte sich der Nubier zu Shayan herunter. Er half dem Parther gerade dabei, seine manica an den Armen auch fest genug zu zurren, als er sich im Plauderton einfach meldete. “Flamma ist ein schwerer Brocken mit guter Ausdauer. Versuch nicht, ihn müde zu kriegen, du fällst eher um.“
    Der doctor grunzte etwas unwillig, während er den Sitz des Helmes prüfte und daran ein wenig ruckte, so dass Shayan perfekte Sicht hatte. Zumindest, soweit sein Visier das zuließ.
    “Immer, wenn er mit dem Schild einen hohen Angriff abblockt, folgt danach von ihm eine tiefe Attacke mit seinem Schwert auf deine Beine. Das ist so sicher wie der Morgen, er macht es jedes Mal. Nutze es für dich aus.“


    Noch ein paar letzte Griffe, und Shayan war fertig. Zwei Sicae in den Händen, einen leichten Helm auf dem Kopf, blanke Brust, zwei manicae, je eine pro Arm. Sein Gegner hingegen war gerüstet mit einem schweren Schild, einem auffälligen und schweren Helm, den hohen Beinschienen und ebenfalls einer manica an seinem Waffenarm. Und zum Zeichen, dass er bereits auf Shayan wartete, ließ er einmal sein Schwert Metallisch auf den Rand seines Schildes schlagen.
    Der Schiedsrichter in seiner annähernd weißen Toga sah noch einmal zu jedem der Kämpfer und einmal zur Tribüne. Auch wenn es hier jedes Mal derselbe Gastgeber war, der Spiele ausrichtete, Tradition war Tradition. Und mit einem Nicken des Decrius und einem gebellten “Los!“ des Schiedsrichters war der Kampf auch schon unter dem noch mäßigen Beifall des Publikums eröffnet.

  • Shayan ließ sich dabei helfen, den Rest seiner Rüstung festzuzurren, als der Nubier plötzlich noch einmal das Wort ergriff, in einem reichlich lockeren Tonfall, als würden sie sich über das Wetter unterhalten. Er lauschte aufmerksam, seine Miene indes blieb dabei unbewegt, verriet nichts von dem, was er dachte. Nur sein Blick wanderte hin und wieder zu dem Gladiator hinüber, der gleich sein Gegner sein würde. Und für einen Augenblick fragte er sich, was der Nubier damit bezweckte, dass er ihm einen Tipp gab. Gut, der andere gehörte zu jenen Gladiatoren, die sich im Ludus zurückhielten, wenn es darum ging, die Neuen, die Anfänger, die Schwachen zu piesacken. Allerdings hatte sich bisher kein einziger damit hervor getan, sonderlich hilfreich zu sein, oder Tipps zu geben. Der Parther wollte sich durchaus keinen – keinen fairen, hieß das – Vorteil entgehen lassen, den er kriegen konnte, und zuvor etwas über die Kampfweise des Gegners zu erfahren, zählte zu dieser Kategorie. Aber er hatte auch nicht vor, einfach blind auf etwas zu vertrauen, was ihm gesagt wurde. Im Ludus herrschte keine Atmosphäre des Vertrauens. Die anderen Gladiatoren mochten eines Tages zu Brüdern werden, aber das hieß nicht notwendigerweise, dass sie Freunde waren – schon gar nicht jetzt schon, wo er noch nicht wirklich dazu gehörte. Dass der Nubier ihn allerdings absichtlich auflaufen ließ, noch dazu mit dem Doctor als Zeugen, wollte Shayan auch nicht so ganz logisch erscheinen.


    Nun, groß genug war sein Gegner allemal, dass er nicht so leicht müde zu bekommen war, und was die Sache mit dem hohen Angriff anging: das würde Shayan ja erleben, sobald er das erste Mal einen ausführte. Er nickte dem anderen Gladiator nur zu zum Zeichen, dass er ihn verstanden hatte, sagte aber nichts mehr, sondern setzte sich im Anschluss in Bewegung, mit ruhigen Schritten, bis er seinem Gegner gegenüber stand, der bereits wartete. Nach dem Los des Schiedsrichters allerdings war es der Parther, der zunächst abwartete. Die Worte des Nubiers klangen ihm zwar noch in den Ohren – aber alte Gewohnheiten ließen sich schwer ablegen. Shayan war Zeit seines Soldatenlebens Bogenschütze gewesen. Der direkte Zweikampf war nichts, worin einer von ihnen idealerweise verwickelt werden sollte, und wenn es doch geschah, dann lag ihr Heil selten im Angriff. Beobachten, abschätzen, warten, bis der Gegner seine Macken verriet oder gar einen Fehler beging – und dann zuschlagen, das war, was er gelernt hatte. Davon abgesehen hieß Zurückhaltung zu Beginn eines Kampfes ja nicht, dass er vorhatte seinen Gegner müde zu machen, indem er ihm zunächst das Angreifen überließ. Der Parther wartete also, geduldig, spiegelte die Bewegungen seines Gegners, wenn dieser ihn umkreisen wollte, testete selbst aus, wie der Thraker reagierte, wenn er sich mal nach hier, mal nach da bewegte. Schon bald hatten sie einige kleinere Schlagabtäusche hinter sich, klirrend hell, wenn die Klingen aufeinander trafen, dumpf, wenn eines von seinen Schwertern auf das Schild des anderen prallte. Vor allem anderen merkte Shayan in diesen ersten Momenten des Kampfes eines: all das harte Training, die endlosen Wiederholungen, der schier unmenschliche Drill hatten sich gelohnt. Der Kampfstil mit leichter Rüstung und zwei Schwertern lag ihm, weit besser als der eines Thrakers beispielsweise, aber das war ihm schon vorher klar gewesen. Nun allerdings fühlte er sich, als hätte er nie etwas anderes getan, als wären die zwei Klingen nur eine Verlängerung seiner Arme, keine von ihm getrennten Gegenstände. Und dieser Effekt war etwas, das neu für ihn war. Beim Bogenschießen hatte er immer sofort gemerkt, wenn er besser wurde im Training, nicht nur wenn er zielgenauer traf, auch wenn er größere Bogen zu spannen lernte oder den Takt und die Frequenz seiner Schüsse erhöhen konnte. Selbst bei strikt vorgegebenen Übungen, die sich immer wieder wiederholten, immer wieder die gleiche Bewegung forderten, war das irgendwann zu merken. Beim Schwerttraining hatte er zwar gemerkt, dass seine Bewegungsabläufe flüssiger und geschmeidiger wurden. Aber wie sehr sie sich eingebrannt hatten in seine Muskeln, dass er sie ohne nachzudenken abrufen konnte, dass sein Körper wie von selbst reagierte, das war etwas, was bei vorgegebenen Übungen – gleich ob gegen einen Pfahl oder gegen echten Gegner – nicht zeigte. Nicht ihm jedenfalls, der bislang noch wenig Erfahrung im Schwertkampf aufzuweisen hatte. Dieser Effekt, der sich nun bei ihm einstellte, erstaunte ihn also durchaus ein wenig – und zugleich freute es ihn auch. Er hatte nicht geglaubt, sich mit den Schwertern wirklich anfreunden zu können, und nun das Gegenteil festzustellen, versöhnte ihn für den Moment ein wenig mit allem, womit er in letzter Zeit gehadert hatte. Das hier war das, wofür er gemacht war. Er war Parther und würde es immer bleiben, daran änderte auch seine Ergebenheit in sein Schicksal nichts, und er würde einiges geben, könnte er wieder in seinem Heer kämpfen – aber dass er überhaupt wieder die Gelegenheit hatte zu kämpfen, wo er nun als Sklave in Rom gestrandet war, hatte er bis vor kurzem nicht zu hoffen gewagt.


    Wieder klirrten Klingen aneinander, und nun begann Shayan, das Tempo ein wenig anzuziehen, immer weiter austestend, welche Schwachstellen sein Gegner haben mochte. Er ging häufiger in die Offensive, mit dem Ziel, ihm Konter um Konter aufzuzwingen, um ihm keine Gelegenheit mehr zu einem eigenen Angriff zu bieten, teils bedingt durch den Ratschlag des Nubiers, nicht zu versuchen, den anderen müde zu machen – was für Shayan bedeutete, dass er eher auf ein schnelles Ende des Kampfes drängen sollte, bevor ihn selbst die Kraft verließ. Und dann war da noch der zweite Rat, den er zumindest auszutesten gedachte – wie in eben diesem Moment, als eine seiner Klingen einen blitzenden Bogen in der Luft beschrieb und von oben auf den Thraker niedersauste.

  • Flamma war wirklich ein schwerer Brocken, in jeder Beziehung. Er hatte sich eine gesunde Schicht schützenden Winterspeck angefuttert, ohne dabei jedoch wirklich dick zu wirken. Und wenn man die freien Stellen seines Körpers betrachtete, wusste man auch, wieso der Gladiator das gemacht hatte. Er hatte einige Schnitte und Kratzer in seinem Leben kassiert, und es war allemal besser, so eine Klinge schnitt durch Haut und Fett als durch Haut und Fleisch. Und sein Körpergewicht behinderte den großen Mann nicht im geringsten, war er doch dennoch durch und durch trainiert.


    Und so fing der Kampf an, erst langsam, bis das Publikum ungeduldig wurde. Doch schließlich fing der Tanz an, langsam, dann schneller werdend. Flamma blieb hinter seinem Schild in Deckung, blockte die Angriffe, griff nur an, wenn er eine gute Gelegenheit hatte. Schnell durfte sein Gegner merken, dass er kein Hitzkopf war, der sich aus der Deckung locken ließ. Selbst wenn er diese mal öffnete, um dem Publikum eine besonders schöne Drehung oder einen außerordentlich wilden Schlag vorzuführen, so begab er sich nie ernstlich in Gefahr, Shayan die Gelegenheit zu einem gefährlichen Schlag zu geben. Immer wieder machte es nur tock oder klack, wenn eines der Schwerter an Schild oder Schwert abgeblockt wurde.
    Und so fing Flamma auch die hohe Doppelattacke seines Gegners ab, um danach – wie vom Nubier vorausgesagt – seinerseits eine tiefe Attacke als Riposte auf Shayans Beine durchzuführen, im festen Glauben, die Schwerter seines Gegners oben mit dem Schild festgenagelt zu haben.

  • Shayan war nicht unbedingt das, was man als klein hätte bezeichnen können. Aber gegen den Thraker wirkte er klein – und beinahe schmächtig. Die größere Wendigkeit, die ihm dadurch gegeben war, wirkte sich aber nur bedingt zu einem Vorteil für ihn aus, weil sein Gegner vielleicht nicht ganz so schnell sein mochte wie er, aber bei all seiner Masse dennoch nicht schwerfällig war. Dazu kam, dass der Mann sich nicht aus seiner Deckung locken ließ, sondern sich die meiste Zeit lieber hinter seinem Schild versteckte, und so betrachtet war es kein Wunder, dass der Nubier gesagt hatte, dieser Gegner ließe sich nicht müde machen. Wie auch, wenn er sich nur so wenig wie möglich bewegte, auf keine Herausforderung, keine Provokation – wortlos, mit blanken Klingen ausgeführt statt mit der Zunge, denn Shayan kämpfte ohne einen Laut von sich zu geben – einging.
    Dieser Kampfstil, der ganze Kampf, stellte den Parther allerdings vor ein kleines Problem: eigentlich gehörte er selbst eher zu jenen, die abwarteten, die einen Gegner kommen ließen, die nicht allzu sehr in die Offensive gingen. Im Lauf des Trainings hatte er, durchaus auf die harte Art, bereits gelernt, dass das als Dimachaerus nicht wirklich die beste Taktik war. Er hatte keinen Schild, hinter dem er sich verstecken konnte, keine schwere Rüstung, die ihn schützte, und Klingen, die kleiner waren als die seiner üblichen Gegner – die des Thrakers, um nur ein Beispiel zu nennen. Und nun stand er auch noch einem Gegner gegenüber, der ihm bislang keine Blöße geboten hatte, und sich auch nicht dazu bringen ließ, eine zu bieten.


    Der Kampf ging weiter, wogte hin und her und wurde nach und nach schneller, so dass dem Publikum auch mehr geboten wurde, aber nichts schien den Brocken dazu bringen zu können, Shayan mehr Angriffsfläche zu bieten – umgekehrt gedachte auch der Parther nicht, sich allzu ernsthaft in Gefahr zu begeben, solange er nicht wenigstens die Aussicht darauf hatte, einen guten Treffer zu landen, weshalb er zwar weiterhin Angriffe ausführte, aber leichtfüßig auswich, wann immer der Thraker ihm zu nahe zu kommen drohte. Versuch nicht, ihn müde zu kriegen, eher fällst du um, echote es dabei jedoch in seinem Kopf… und Shayan war bewusst, dass er so nicht weiter machen konnte. Sein Gegner war zu massig, zu trainiert und zu gut darin, sich so wenig wie nötig zu bewegen, als dass tatsächlich eine Chance bestünde, ihm würde vor dem Parther die Luft ausgehen.
    Das war der Moment, in dem Shayan beschloss, den zweiten Rat des Nubiers zu versuchen. In einem schön ausgeführten Bogen führte er seine Waffen von oben an den Thraker heran – und wurde, wie erwartet, wie bei sämtlichen Attacken zuvor, von seinem Gegner abgeblockt. Und beinahe zeitgleich kam das, was der Nubier vorhergesagt hatte: während er mit dem Schild Shayans Angriff blockte, führte der Gladiator mit seinem Schwert eine Attacke auf die Beine des Parthers durch. Und Shayan nutzte die Chance, die sich bot. Er löste die Klingen von dem Schild, wich dem Angriff des Thrakers aus und brachte seine Waffen noch in der gleichen Bewegung in einem doppelten Schlag nach unten, um die Lücke auf der linken Seite seines Gegners zu nutzen – und dieser schaffte es tatsächlich nicht, Schild oder Schwert schnell genug zur Verteidigung herumzureißen. Die Waffen trafen, diesmal nicht auf Schwert oder Schild, sondern seinen Gegner, und als der Parther sie zurückzog, schimmerten die Klingen rot. Und von diesem Moment an schlug der Kampf zu seinen Gunsten um. Die Verwundung des Thrakers verschaffte ihm den Vorteil, den er gebraucht hatte, um seinen Gegner mürbe machen zu können – und er nutzte ihn. Er verlagerte seine Attacken mehr und mehr nach rechts, um so die Schwäche seines Gegners ausnutzen zu können, bewegte sich – mit zunehmender Erschöpfung immer weniger leichtfüßig, aber immer noch wendiger als sein Gegner – immer so, dass der andere sein verletztes Bein mehr belasten musste, wenn er sich mitdrehen wollte, und traktierte ihn verstärkt mit Angriffen – bis, schließlich, der Kampf sein Ende fand, als der andere aufgab, und beide Gladiatoren darauf warteten, ob es nun Leben oder Tod hieß für den Unterlegenen.

  • Auch mit der Verletzung wusste Flamma sich eindeutig zu wehren. Er war kein Anfänger und schon öfter verletzt worden, aber je länger der Kampf andauerte, umso mehr fühlte er das Brennen und Ziehen der aufgerissenen stelle, fühlte die Wunde und auch den leichten Blutverlust, der zum Glück durch seine Masse eingedämmt war. Und so gesellten sich zu seinen Wunden bald noch ein paar weitere dazu, am Arm, am Bein, wenn er zu langsam wurde für die flinken Schwerter seines Gegenübers. Zwar landete auch er seine Treffer, doch waren die nicht mehr als Kratzer auf der Haut seines Gegenübers. Dennoch wenigstens ein klein wenig Genugtuung, dass er den flinken Burschen auch mal erwischt hatte, wenn auch nicht so sehr, wie dieser ihn.
    Dennoch war es nur eine frage der Zeit, bis ihn die Kräfte verließen. Oh, er lieferte noch eine gute Show für die Zuschauer, brachte seine Fans, seine amatores dazu, ihm laut zuzujubeln, seinen Namen zu rufen, mit jedem Streich mitzugehen, aber dennoch war das Ende absehbar. Und schließlich machte er sich mit einem letzten Schildstoß von seinem Angreifer frei und ließ seine Waffe fallen und sein Schild, sank auf ein Knie und hob seinen Arm Shayan entgegen. Sofort war auch einer der Schiedsrichter dabei in seiner weißen Tunika und hielt Shayans rechten Arm fest. Nicht erst einmal war es passiert, dass ein siegender Gladiator nicht das Votum des Ausrichters abwartete und im Eifer des Gefechtes seinen Kontrahenten einfach nieder machte. Eine Katastrophe, musste der Ausrichter dann doch den Gladiator ersetzen, was mitunter sehr teuer war. Außerdem liebte das Publikum das Bild, dass der Gladiator, diese persona infamia, ihre barbarische Seite zeigte. Und auf der anderen Seite diese gleichzeitige Ambivalenz, die beim Mut des Unterlegenen auftrat, wie dieser sich ergab, ruhig, geradezu stoisch, auf den Schiedsspruch wartete. Nicht jammernd, nicht zaudernd, nicht stöhnend. Er nahm sein Schicksal mit ruhiger Gelassenheit an. Wenn der Niedrigste der Niedrigen zu solchem Heroismus fähig war, wieviel mehr mochte dann ein wahrer Römer schaffen?


    Und so dauerte es ein paar Sekunden der Stille, ehe die Rufe laut wurden. "FLAMMA!“ riefen sie, intoniert von den treuen Anhängern des geschlagenen Gladiators, der zwar nur hier in den Straßen zu einer beschaulichen Berühmtheit gelangt war, dafür aber umso treuere Fans hatte. Und so dauerte es nicht lang, bis die wenigen die anderen Leute um sie herum durch ihre Stimmung und ihr rhythmisches Rufen für sich gewonnen hatten und die kleine Holzarena vom Namen des Geschlagenen widerhallte. Und Decrius Pandus war nur zu gewillt, seinen eigenen Gladiator zu entlassen, so dass er laut vernehmbar die “Missio!“ verkündete.


    Ruhig erhob sich Flamme. Sein halber Bauch war rot, auch wenn es eigentlich nur ein Schnitt war, der nicht einmal sonderlich blutete. Aber es sah aus, als wäre er halb geschlachtet worden. Aber er wankte nicht, als er ging, an Shayan vorbei und zu dem Eingang, von dem er gekommen war. Im Vorbeigehen raunte er dem Parther noch etwas zu, das sich ein wenig nach 'nicht schlecht für 'nen Anfänger' anhörte.


    Der Doctor wartete schon, winkte Shayan zu sich, dass er wieder zurück zum Käfig kommen mochte, damit sie ihm die Rüstung ausziehen konnten. Neben ihm stand der Nubier, dessen weißes Lächeln aus seiner schwarzen Gestalt heraus blitzte wie die Zähne einer Raubkatze. Kurz nickte er Shayan zu, und als er nah genug war, meinte er ganz lapidar: “Vielleicht wirst du doch noch mein Bruder.“

  • Im Stillen dankte Shayan seinem Gott dafür, dass die Flavia nicht auf die Idee gekommen war, ihn in einer der Gladiatorengattungen ausbilden zu lassen, die eine schwerere Rüstung und ein Schild erforderten. Er mochte die Bewegungsfreiheit, die ihm dadurch blieb, nicht gegen den größeren Schutz tauschen, den Rüstung und Schild boten. Dazu kam, dass er ganz sicher Konditionsschwierigkeiten bekommen hätte. Er war nicht so groß wie sein Gegner, und er war auch kein solches Kraftpaket wie er – und an den Thraker hier oder andere Gladiatoren wie ihn würde der Parther wohl auch niemals heranreichen, egal wie viel er auch trainieren mochte. Und je erschöpfter auch er in diesem Kampf nun wurde, je mehr er spürte, wie seine Bewegungen etwas langsamer wurden, seine Reaktionen ein wenig verspäteter einsetzten, desto dankbarer war er dem Umstand, dass er nur so wenig Rüstung mit sich herumschleppen musste.
    Es ließ sich nicht verhindern, dass auch er den ein oder anderen Treffer abbekam. Aber er war immer schnell genug, um einen schwerere Wunde zu vermeiden, und im Eifer des Gefechts waren diese gering genug, dass er sie kaum beachtete, sondern weiter kämpfte, weiter, weiter. Bis der andere schließlich aufgab. Beinahe gleichzeitig mit der Hand an seinem Arm, die ihm Einhalt gebot, brach Shayan den Angriff ab, den er gerade gestartet hatte, als er sah dass der Thraker Waffe und Schild fallen ließ.


    Erst jetzt, als der Kampf vorbei war, begann langsam der Rest der Welt, den er zuvor völlig ausgeblendet hatte, wieder vehement seine Aufmerksamkeit zu fordern. Er nahm die Hand auf seinem Arm wahr, hörte die Leute rund um die Arena brüllen, spürte nach und nach jeden Kratzer, jede Prellung, die er davon getragen hatte in diesem Kampf – ebenso wie die Erschöpfung, die sich nun erst so wirklich breitzumachen begann. Und das Gefühl des Sieges. Wie der Nubier gesagt hatte, kam es einem Rausch gleich, einem Rausch, der ähnlich jenem war, den er in Schlachten verspürt hatte – und doch zugleich so anders, wie er nur sein konnte. Shayan konnte den Unterschied nicht einmal genau benennen. Da war der Triumph, der Stolz, die Leistung… Was fehlte, war das Gemeinschaftsgefühl. Was im Gegenzug hinzukam, war ein Gefühl von… Einzigartigkeit. Diesen Kampf hier hatte er geschlagen, er allein, ohne Hilfe, ohne Unterstützung. Und das war… auf eine ihm unbekannte Art berauschend.


    Er ließ seine Schwerter sinken, blieb stehen, wo er war, und wartete das Urteil ab. Es dauerte nicht lange, bis klar wurde, was die Menge wollte. Sie riefen den Namen seines Gegners, forderten lautstark, dass er leben sollte, und Shayan hatte das Gefühl, dass die kleine Arena vibrierte im Takt des Lärms, der eine gewisse Rhythmik entwickelte. Unwillkürlich schoss die Frage durch seinen Kopf, ob die Menschen auch für ihn so gestimmt hätten, würde er anstelle seines Gegners im Sand knien. Es war müßig, darüber zu spekulieren, das wusste er – zugleich konnte er sich aber nicht des Gedankens erwehren, dass es die Stimmung doch um einiges geteilter gewesen wäre. Nicht nur, weil der Thraker hier ganz offensichtlich nicht unbekannt und schon gar nicht unbeliebt war, sondern auch, weil er publikumswirksamer gekämpft hatte. Ab dem Zeitpunkt, ab dem Shayan die Arena betreten hatte, hatte er sich nicht mehr um die Zuschauer geschert, sondern sich nur noch auf den Kampf konzentriert – jetzt, im Nachhinein, fiel ihm auf, dass das bei seinem Gegner nicht ganz so der Fall gewesen war. Der Thraker war keinesfalls unkonzentriert gewesen, und er hatte auch keinen reinen Schaukampf inszeniert, der nur darauf zielte, dem Publikum etwas zu bieten. Aber er hatte immer wieder Bewegungen eingebaut, die spektakulär waren.
    Der Parther blieb, wo er war, bis sein Gegner an ihm vorbei ging, und als dieser etwas zu sagen schien, was Shayan nur halb verstand, neigte er leicht den Kopf in einer anerkennenden Geste. Nach wie vor wortlos drehte er sich dann um und ging zu dem Doctor und dem Nubier zurück. Noch bevor er die beiden wirklich erreicht hatte, ergriff letzterer das Wort, und der Parther verharrte kurz mitten im Schritt und warf einen Blick zurück in die Arena, zu den Leuten, die immer noch riefen, zu dem aufgewühlten, teils rot befleckten Sand – und dann nach unten auf seine Schwerter, deren Klingen ebenfalls rötlich glänzten. Der Augenblick nahm nur eine winzige Zeitspanne ein, bevor der Parther wieder zurücksah und ebenfalls nickte. „Vielleicht“, antwortete er – und trotz der Tatsache, dass der Nubier keine explizite Frage gestellt hatte –, in seiner typischen ruhigen Art, die keinen Triumph durchschimmern ließ. Er überwand auch die letzten Schritte zu den beiden, und nachdem er seine Rüstung abgelegt hatte, machten sie sich wieder auf den Weg in den Ludus Dacicus.

  • Auch wenn es keine großen Spiele gab, so verlangte es das Volk dennoch nach wie vor nach Ablenkung. Und so gehörte die kleine Arena am Aventin noch immer zu den gut besuchten Orten der Gegend. Auch wenn Gladiatorenkämpfe seltener waren und die Stimmung aufgrund des aufkeimenden Bürgerkrieges gereizt war, gab es einige Dinge, die das Volk von Rom sich nicht nehmen lassen wollte. Und da die großen Arenen nicht mit Spielen für Ablenkung sorgten, waren die kleinen umso besser besucht.


    So war es auch heute der Fall, als Kieran hierher gebracht wurde. Sein Ausbilder begleitete ihn, ebenso wie einer seiner Trainingspartner und drei Miles, die acht gaben, dass niemand etwas blödes anstellte. Gladiatoren waren ja nichts desto trotz ausgebildete Kämpfer, und in der Arena bekamen sie scharfe Waffen in die Hand. Da sollte sichergestellt sein, dass man sie töten konnte, ehe sie jemanden aus dem Publikum umbrachten. Die Vorfälle um Spartacus hatten das römische Volk diesbezüglich Vorsicht gelehrt, die sie nie wieder ablegen würden.
    Es war früher nachmittag, die Hinrichtungen waren bereits vonstatten gegangen, der blutige Sand zeugte noch von ihnen. Kierans Kollege war als erster an der Reihe, wurde fertig gerüstet und bekam noch ein paar Tipps mit auf den Weg, ehe er in die Arena gegen einen Thraex geschickt wurde. Auch Kierans Gegenspieler würde ein solcher Gladiator sein. “So, Großmaul“, wandte sich der Doctor an seinen Schützling. “Du wolltest eine Chance, dich zu beweisen, hier hast du sie. Dein Gegner wird ein Hoplomachus sein. Ausrüstung vom Hoplomachus? Und dein Plan, ihn zu besiegen?“ verlangte der Doctor harsch zu wissen, um noch ein letztes Mal abzuklären, ob der Hibernier auch zugehört hatte, wenn er ihm Wissen eingeprügelt hatte.

  • Der Hibernier war etwas nervös. Sein erster echter Kampf. Und auch noch gegen einen Gladiator, gegen den er bisher noch kaum trainiert hatte. Doch heute würde er sich beweisen müssen. Entweder er würde etwas taugen...Oder weniger wert als der Dreck auf dem Arenaboden wert sein. Jedenfalls in den Augen des doctor. Nun wurde der Kelte, der bereits fast fertig gerüstet war, es fehlten nur noch Helm, Schild und Waffe, auch nochmal vom doctor angesprochen. Nur kurz musste er überlegen, wurden ihm diese Lektionen doch sehr intensiv eingebläut. "Seine Rüstung ähnelt der meinen. Ähnlicher Helm, gleicher Beinschutz und auch eine manica am Waffenarm. Sein Schild jedoch ist kleiner, rund und nach außen gewölbt. Als Waffe trägt er eine hasta und in seiner Schildhand zusätzlich noch ein Kurzschwert. Besiegen werde ich ihn, in dem ich sobald es die Gelegenheit ergibt angreife und versuche ihm mit meiner Waffe das Schild zu entreißen. Ansonsten bliebe mir noch die Möglichkeit zu versuchen seinen Beinschutz an den Oberschenkel zu durchstoßen oder seinen Waffenarm zu verletzen." Fest war sein Blick, er war eindeutig entschlossen diesen Kampf zu gewinnen, wenn nötig auch durch den Tod seines Gegners.

  • Kieran bekam anstelle eines Helms erst einmal einen kleinen Schlag auf den Kopf von seinem Ausbilder. So als kleine Gedächtnisstütze, wie der Mann es häufig tat, wenn er mit der Antwort nicht vollumfänglich zufrieden war, im Groben und Ganzen aber schon.
    “Vor allem musst du nah an ihn rankommen. Mit seinem Zahnstocher hat der Kerl die dreifache Reichweite von dir. Er wird versuchen, dich auf Abstand zu halten und dich gar nicht erst in die Nähe kommen zu lassen. Sobald du zu nah bist, als dass er die Hasta einsetzen kann, nützt ihm der lächerliche, kleine Schild sehr wenig gegen deine Sica.“
    Der Doctor zurrte noch an der Verschnürung der Manica, damit diese auch ordentlich saß und die Bewegung des Armes nicht behinderte. Als Gladiator waren nur wenige Stellen wirklich gerüstet, auch wenn ein Thraker schon zu den am schwersten geschützten armaturae überhaupt zählte.
    “Versuch, irgendwie den Speer festzupinnen. Mit deinem Schild, tritt meinetwegen darauf, aber kümmer dich um den Speer. Provozier niedrige Angriffe, so dass du die Chance hast, das Ding in den Boden zu stampfen. Solange er hoch angreifen kann, kannst du nur abwehren. Versuch, am Speer vorbeizukommen, wenn du ihn nicht entwaffnen kannst. Und um Hercules Willen, pass auf deine Beinarbeit diesmal auf!“


    Der andere Kampf neigte sich dem Ende. Kierans Kollege schnitt nicht ganz so gut ab. Sein Gegner war einen Kopf größer als er und hatte ganz offensichtlich ordentlich Kraft im Schlag, so dass er den kleineren Gladiator vor sich hertrieb. “Hast du noch eine Frage, dann stell sie jetzt. Ansonsten wird dich der Editor gleich ankündigen. Du hebst zum Gruß den Helm mit der einen und deine Waffen mit der anderen Hand an und verneigst dich leicht ihm gegenüber, danach drehst du dich dem Publikum zu und lässt dich bejubeln. Und mach bloß nicht den Mund auf! Bei irgendwelchen Spielen meinten mal so Spaßvögel, den Editor grüßen zu müssen und haben sich gleich als Todessüchtige präsentiert! Also, nichts sagen, einfach nur grüßen und Jubel genießen.“

  • Ohne zu murren nahm der Kelte den Schlag auf den Kopf hin, war er doch begründet und die Worte des doctors auch nicht gerade unwichtig. Nachdem dieser noch an der manica herumgezurrt hatte, bewegte Kieran probeweise seinen Arm und nickte zufrieden. Ja, seine armatura saß gut. So stand er auf und nickte dem doctor zu. "Ich habe alles verstanden und keine Fragen mehr. Ich bin bereit." Mit diesen Worten griff er nach Helm und Sica und stand auf, sich bereit fühlend für das was nun kommen mag.

  • Den ersten Auftritt meines ersten eigenen Gladiators is spe, den durfte ich mir natürlich nicht entgehen lassen. Mit schlechtem Gewissen schlich ich mich aus der Castra, in der die Arbeit, insbesondere die Verhöre, nie ein Ende zu nehmen schienen. Ich war in zivil unterwegs, und in Begleitung von Sidonius. Wir marschierten zum Aventin, und folgten dem Gejohle und Fußgetrappel bis zur Arena des Decrius. Bona Dea, was für ein armseliges Ding. Hoffentlich brach das nicht heute schon zusammen.
    Ich gab dem Mann am Einlass ein schönes Trinkgeld und er verschaffte mir einen Platz auf der Tribüne ganz nahe am Geschehen. Sidonius schlappte voraus und machte mir den Weg frei, dann ließen wir uns beide auf der hölzernen Bank nieder.
    Den Kopf in die Hände gestützt betrachtete ich das Geschehen in der Arena. Mit mäßiger Begeisterung, ich war eben verwöhnt durch die großen Spiele mit den Top-Gladiatoren. Aber auf Lupus' Kampf war ich mehr als gespannt. Ich wollte doch sehen ob er das in ihn investierte Geld wert war... Und ich sah ihn ja überhaupt gerne an. Ausserdem hatte ich das vage Gefühl: falls er unglücklicherweise draufgehen sollte, dann war ich es ihm wenigstens schuldig Zeuge seines Kampfes zu sein.

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  • Noch ein paar letzte Handgriffe, um zu prüfen, ob auch wirklich alles saß, und dann reichte der Ausbilder Kieran zum ersten Mal eine echte Sica aus scharf geschliffenem Eisen und seinen Helm aus getriebener Bronze. Sein Schild wurde von einem Sklavenjungen noch getragen, der ihn dem Kämpfer reichen würde, sobald die Begrüßung durch den Editor vorbei war. Das Publikum interessierte sich weniger für Schilde als für nackte Männerhaut, Blut, Schweiß und Schwerter.


    Der andere Kampf hatte geendet – Kierans Kamerad hatte verloren, war aber am Leben. Allerdings hatte er ein paar übel aussehende Schnitte einstecken müssen gegen seinen Gegner, die ihn wohl einige Tage vom Training abhalten würden. Der Editor blickte kurz fragend zum Doctor des Ludus dacicus und erhielt von ihm ein Nicken. Ja, sie waren bereit.


    Decrius Pandus erhob sich also von seinem Ehrenplatz, und die Menge wandte sich schon gebannt ihm zu, dem nächsten Kampf entgegenfiebernd.
    “Bewohner des Aventin! Als nächstes gebe ich euch... Pugnax, Hoplomachus!“
    Kierans Gegner betrat die Arena. Er war nicht ganz so groß wie Kieran und die Schultern etwas schmaler, dennoch zeigten die Narben auf seiner Brust und die ganze art, wie er sich bewegte, dass er durchaus wusste, mit seinen Gaben umzugeben. Den Speer hatte er in der einen Hand hoch erhoben, in der anderen sein Helm. Der kleine Schild mit dem kurzen Schwert wurde von einem unauffälligen Jungen von vielleicht acht Jahren hinter ihm hergetragen. Er präsentierte der johlenden Menge seine muskulöse Gestalt und seine Waffen, trat in die Mitte der Arena und verneigte sich leicht vor dem Editor.
    “Und ich gebe euch aus dem Ludus Dacicus.... Lupus, Thraex!“

  • Als er aufgerufen wurde blickte Kieran nochmal kurz zum doctor und nickte ihm leicht zu, ehe er sich hinaus in die Arena begab, die Arme mit Helm und Sica hoch erhoben. Den Jungen hinter ihm, der seinen Schild trug beachtete er kaum, sondern richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf seinen Gegner in der Mitte der Arena, den er abschätzend betrachtete. In der Mitte der Arena angekommen verbeugte er sich vor dem editor, anschließend vor der jubelnden Menge. Als dann dem Ritual genüge getan war wendete er sich wieder seinem Gegner zu, setzte seinen Helm auf und ließ sich den Schild geben.
    Tief atmete er ein und in diesem Moment schien die laute Menge einfach zu verschwinden, obwohl er sie im hintersten Winkel seines Bewusstseins noch wahrnahm, und nur noch sein Gegner war wichtig.

  • Auch sein Gegner wurde noch vollends eingerüstet. Sowohl bei ihm als auch bei Kieran half der jeweilige Sklavenjunge dabei, die Riemen am Helm zu schließen und reichte den Schild an. Danach entfernten sich die Kinder und ließen die beiden voll gerüsteten Gladiatoren zurück.
    Der Hoplomachus hatte den Speer noch leicht auf den Boden abgesetzt, die Spitze nach oben, und betrachtete seinen Gegner durch das geschlossene Visier des schweren Helmes. Der summa rudis, der oberste Schiedsrichter, kam zu ihm, prüfte kurz mit einem leichten Rütteln den Sitz von Helm und die Festigkeit des Schildes, danach kam er zu Kieran und zerrte so auch kurz an seiner Ausrüstung, um dem Publikum zu zeigen, dass alles echt und intakt war. Schließlich wollte man einen fairen und damit spannenden Kampf. Danach stellte er sich ein paar Schritte von beiden Weg, außerhalb der Reichweite ihrer Waffen, die seine bloße, weiße Toga mit Leichtigkeit durchstoßen konnten. Den Blick zum Editor gerichtet wartete er auf das letzte Nicken, und als das schließlich kam, befahl er schlicht “Kämpft!“


    Was der Hoplomachus auch sogleich tat. Von einer lebenden Statue verwandelte er sich augenblicklich in einen Kämpfer. Der Speer zuckte vor, in einer einzigen, gezielten Bewegung, direkt auf Kierans Kopf zu, während der Mann selbst anfing, sich seitlich zu bewegen, zu der Seite von Kierans Schild, um ihm keine Möglichkeit zu geben, seine Waffe nutzbringend einzusetzen, und ihn auf Distanz zu halten.

  • Und da war er. Ich grinste in mich hinein, voll kindlicher Freude dass dieses schöne.... nein, nicht "Spielzeug"... sagen wir "Luxusgut", mir gehörte, und das anerkennende Gebrüll von den Rängen trug noch zu dieser Freude bei.
    "Lu-pus!" rief ich anfeuernd, und auch Sidonius neben mir machte gut Stimmung.
    Wie man ordentlich einmarschiert, ohne Furcht zu zeigen, das hatten sie immerhin schon mal in seinen Dickschädel reinbekommen. Aber etwas schneidiger könnte er dabei ruhig noch werden. Und dass die Kämpfer gar nicht eingeölt waren, also nein, ich fand da wurde am falschen Ende gesparrt. Die gestählten Körper kamen so doch nur halb so schön zur Geltung... Nun, es war ja auch mehr eine Hinterhofarena. Der Weg zum großen Ruhm begann halt ganz unten.
    Mein Blick wanderte von Lupus zu seinem Gegner. Der machte, in Erscheinung und Auftreten, einen erfahrenen Eindruck... und, sobald es losging, seinem Namen alle Ehre.
    "Auf ihn, Lupus, auf ihn...!"
    Voll Spannung verfolgte ich den Kampf.

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