[In den Wäldern] Spel mi dat Leed vun'n Dood


  • Es war pervers schönes Wetter, wenn man bedachte wozu sie heute hier zusammenkommen würden. Die Vögel zwitscherten, die Pflanzen strotzten immer mehr mit ihrem Grün, und der Geruch der erstarkenden Natur nach einem harten Winter lag in der Luft.
    Und mitten auf einer Lichtung im Wald, die gewissen Teilen der Bevölkerung nur allzu bekannt war, fanden sich nach und nach größere und kleine Gruppen von Menschen ein.


    Lando ritt seiner Gruppe voraus, neben ihm seine Schwester und Witjon, die anderen folgten auf dem großen Wagen oder selbst auf ihren Pferden. Man sprach wenig, eigentlich kaum. Es gab nichts, worüber man an einem solchen Tag großartig palavern könnte. Das Rumpeln der Wagenräder, die sich über den vom Morgentau noch nassen Boden arbeiteten, das Stampfen der Pferdehufe in lockerem Humus, die Geräusche der unbekümmerten Natur waren das einzige, was man hier zu hören bekam.


    Das Oberhaupt der Familie machte sich Sorgen. Wie es sich immer Sorgen machte, wenn Entscheidungen und Dinge anstanden, die eklatante Auswirkungen auf das Wohl der seinen haben könnten. Und das hier war nicht gerade eine Situation, die man auf die leichte Schulter nehmen konnte. Ganz und garnicht.
    Zwar hatte er in den letzten Tagen vermehrt geübt, immerhin hatte er nie wirklich aufgehört sich an der Waffe zu stählen, aber es war ihm sichtlich schwer gefallen. Der Staub in seiner Lunge ließ ihn schon beim ersten Versuch daran zweifeln, es mehr als drei Augenblicke lang auszuhalten. Aber Pudens war älter als er... zehn Winter lagen zwischen ihnen. Vielleicht verschaffte das einen Ausgleich.
    Und doch... die Erkenntnis, seine besten Tage lange hinter sich gelassen zu haben hatte ihn arg mitgenommen. Und ihn dazu gezwungen, Vorbereitungen zu treffen. Es war unmöglich gewesen, diese zu treffen ohne seiner Familie das Gefühl zu geben, er würde an seine Niederlage glauben. Und doch hatte er alle Reaktionen darauf barsch beiseite gestrichen.


    Nun standen sie also auf der Lichtung, stiegen ab, und warteten darauf, dass die Tudicii kamen.

  • Der Wagen holperte und rollte über den unebenen Boden. Elfleda hasste es, nicht vorne bei Lando reiten zu können, aber ihre Schwangerschaft ließ das einfach nicht zu. Sie konnte reiten, aber mit dem großen Bauch war das eben gefährlich für Mutter und Kind und der Wagen sicherer. So blieb ihr nichts, als von hier zu Lando hinüber zu schauen.
    Ich sollte da vorne sein. Bei ihm. An seiner Seite. Es ärgerte sie maßlos, dass sie es nicht sein konnte, wenn es auch nur für den Weg war. Aber nicht seine Schwester sollte neben ihm reiten, sondern seine Frau! Ach, es war einfach zum Haare raufen.


    Elfleda wusste, dass das nicht der eigentliche Grund war, warum sie so unruhig war und sich über diese Kleinigkeit so aufregte. Und auch nicht der Grund, warum sie heute Nacht nicht geschlafen hatte, sondern nur wach neben Lando gelegen hatte. Ihn sanft im Schlaf gestreichelt hatte. Ihn am Morgen nochmal ins Bett zurückgezogen und lang geküsst hatte.
    Sie hatte Angst. Ganz schnöde, einfache, tiefgehende Angst. Lando war nicht gesund, der Husten war noch immer nicht verklungen. Er hatte zwar trainiert, aber Elfleda war nicht verträumt genug, um die Realität auszublenden. Sie sah mit ihren Augen, nicht mit ihrem Herzen. Und ihre Augen sagten ihr, dass es gefährlich war. Dass Lando verlieren könnte, wenngleich er diese Möglichkeit immer beiseite gewischt hatte. Dass sie als Witwe heute heimkehren könnte. Und das machte ihr unsäglich viel Angst.
    Aber sie saß auf dem Wagen, ruhig und gelassen wie ein Fels. Sie würde sich nicht von dieser Angst beherrschen lassen. Der Feind sollte keine Genugtuung darin haben, zu sehen, wie ängstlich sie war. Sie war Mattiakerin. Sie war gemacht aus Stein und Eis, wenn es sein musste. Und heute musste es sein.


    Der Wagen hielt an und Elfleda ließ sich herunterhelfen. Mit dem dicken Babybauch war das nicht mehr so einfach alles. Vor allem hatte sie das Gefühl, viel mehr zugelegt zu haben als bei ihrer ersten Schwangerschaft, obwohl sie nicht mehr aß und auch im Gesicht nicht zugenommen hatte. Sie stützte kurz ihre Hand im Rücken ab, um diesen zu entlasten, und ging dann ein paar Schritte vor zu ihrem Mann hin. Sie zwang sich zu einem angedeuteten, aufmunternden Lächeln, aber auch das konnte nicht über die Unruhe in ihren Augen hinwegtäuschen. Gern hätte sie ihn jetzt an sich gezogen, ihm nochmal alles gesagt, was in ihrem Herzen war. Ihn gefragt, ob es wirklich sein musste, was er hier vorhatte. Aber das hätte nach Abschied geklungen, und danach, als würde sie nicht annehmen, dass er es überlebte. Also schwieg sie und blickte einmal über die grotesk schöne Landschaft, die sich vor ihr entfaltete.

  • Witjon ritt stolz an Landos Seite. Er hatte sein Sax frisch geschärft um seine Hüfte gegürtet und saß aufrecht auf seiner braven Stute Skaga. Doch so stark und mutig er vielleicht wirkte, so unsicher und sorgenvoll war er in seinem Inneren. Wie den anderen Duccii war auch ihm nicht verborgen geblieben wie angeschlagen Lando noch immer von der großen Staubmenge war und wie schwer er bereits nach wenigen Augenblicken des Schwertkampfes atmete. Witjon hatte große Angst davor, noch einen lieben Menschen zu verlieren. Und besonders hatte er Angst davor, an Landos Stelle treten zu müssen, sollte er nicht mehr in der Lage sein die Sippe zu führen. Er fürchtete sich vor der Verantwortung. Als sie die Lichtung erreichten wischte Witjon die bitteren Gedanken jedoch beiseite und sah sich um. Noch waren die Tudicii nicht eingetroffen. So blieb noch etwas Zeit, die jedoch vor lauter Spannung unerträglich zu überbrücken schien. Witjon warf Eila hinter Landos Rücken einen sorgenvollen Blick zu, um sich dann abzulenken indem er Skagas Hals tätschelte und sich selbst mühevoll Mut zusprach.

  • Marcus Tudicius Pudens
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    Oh, was war das für ein beschissener Tag. Pudens hockte auf einem Wagen und blickte missmutig voran während sich in seinem Kopf düstere Gedanken um seine Aufmerksamkeit stritten. Immer wieder blickte er zurück, in der Hoffnung zu sehen, was bisher nicht zu sehen war, doch keine Chance: seine Sippe und er waren allein.
    Nicht einmal Herge traute sich her, was Konsequenzen haben würde. Pudens hätte sich niemals auf etwas derartiges mit dem plumpen Idioten einlassen dürfen, die Quittung durfte er gleich serviert bekommen. Er war alt, und wenn nur ein Quäntchen von dem wahr war, was man sich von Lando erzählte, dann würde das ein harter Kampf werden. Ein sehr harter... aber vielleicht... Pudens blickte sich wieder um, und wieder war der Weg hinter ihnen leer.


    Als sie auf der Lichtung ankamen, sah er, dass die Duccii bereits eingetroffen waren. Wo war der Gode? Vielleicht bekam er noch etwas Zeit zum warten... vielleicht würde es reichen.
    Sie verteilten sich in einem großzügig bemessenen Kreis, und Pudens ließ sich das alte Schwert seines Vaters reichen, der bei den Auxiliareinheiten gedient hatte. Hoffentlich wusste es noch, wie man kämpfte, denn bei Pudens lag die letzte bewaffnete Auseinandersetzung Dekaden zurück. Noch einmal blickte er sich unsicher um, doch wieder konnte er die erhoffte Rettung nicht erblicken. Er würde sich stellen müssen..


    "Da bin ich. Lass uns beginnen..."

  • Zitat

    Original von Elfleda
    Sie war Mattiakerin. Sie war gemacht aus Stein und Eis, wenn es sein musste. Und heute musste es sein.


    Rodrik war auch Mattiaker. Aber er war keineswegs Stein und Eis, auch wenn er es sein sollte. Heute sollte er so sein, aber... naja, er war Rodrik. Roddi. Er konnte es nicht einmal sein, wenn er es wollte. Dat ging einfach nicht. Im Prinzip hatte er nicht einmal wirklich Ahnung, worum es bei dieser Sache ging. Sein Problem war, dass er ständig in der Goldschmiede herumhing und daher nur wenig von den Problemen in der "Sippenhütte" mitbekam. Aber er hatte mitbekommen, dass es mit einer anderen Sippe Probleme gab und da war er natürlich dabei. Zwar in der zweiten Reihe, aber er war dabei.


    Er hatte etwas Met mitgeschmuggelt. Sicher, er hätte es nicht tun sollen, denn es war sinnlos, andere haben ja auch ihren Met mit, aber er wollte mehr Met mitnehmen. Ja, gut, er wollte ihn für sich mit. Aber irgendwie musste er sich ja psychisch aufpäppeln! He! Seine Sippe wuselte irgendwie komplett neben sich her in den letzten Tagen! Ganz ehrlich, da musste etwas getan werden!


    Als sie dann endlich auf der Lichtung ankamen, tat Rodrik also etwas, was in seiner Geisteswelt unbedingt getan werden musste: er nahm den Met, den er mitgebracht hatte. Und da er - etwas ungünstig - noch immer nicht so wirklich den Alkohol vertrug (ganz im Vertrauen: er hatte schon während des Ritts von dem Met getrunken, aber pscht, nicht weitersagen), war er besser drauf als die anderen aus seiner Sippe. (Erst recht Elfi... wenn die schwanger war, war die ... naja, Frauen und schwanger, da muss man nicht mehr erklären)


    Mit dem Metschlauch in der linken Hand suchte Roddi sich einen guten Platz. Und er fand ihn auch, denn es gab einen umgestürzten Baum, da konnte man sich gemütlich hinsetzen und hatte einen sagenhaften Blick auf das Geschehen. Und nicht nur das. Die Akustik war ... bravurös.


    He! Yo! Loki! Zieh dem Nemeter die Lederhosen aus... Lederhosen aus... Lederhosen aus... Zieh dem Nemeter die Lederhosen aus... Lederhosen aus... Lederhosen aus...


    Und nocheinmal: Zieh dem Nemeter die Lederhosen aus... Lederhosen aus... Lederhosen aus...

  • Die Tudicii trafen schließlich ein, und eine weitere Gruppe mit Unbeteiligten, die als Zeugen dienen würden. Lando machte sich bereit zum Kampf. Als er in die Mitte der Lichtung trat trug er nur eine braune Hose aus grobem Stoff am Leib. In bester Form war er schon lange nichtmehr, dafür hatten die Jahre in römischem Dienst gesorgt. Auch wenn er sich durch die Arbeit auf der Hros und gelegentliche Übungen fit hielt: er war ein Schatten seiner ehemaligen Form. Dennoch.. er würde seine Haut so teuer wie möglich verkaufen.


    Lando baute darauf, dass es Pudens nicht anders erging. Er hielt Schwert und Schild in der Hand, und hoffte darauf, dass beides hielt. Der Schild war aus gutem Holz, mit wenigen Verzierungen, ein absolutes Zweckobjekt. Das Schwert war scharf und gut ausbalanciert, etwas, dessen Lando sich auf dem Weg zur Mitte noch einmal versicherte, in dem er das Schwert aus dem Handgelenk schwang.


    Als sie aufeinander zugetreten waren, verschwendeten die beiden Männer nicht viel Zeit damit sich anzustarren. Sie kannten sich. Man würde sich nichts schenken, sich aber gleichzeitig mit großem Respekt bekämpfen.
    "Nur du und ich, Pudens. Nur du und ich.", sprach Lando, und machte damit klar, dass das Ritual des Duells so schlicht wie einfach verlaufen würde. Kein Gode würde den Zirkel feierlich weihen, keine Aufnahme weiterer Kombatanten. Das Duell würde vorbei sein, wenn einer der beiden nicht mehr atmete oder die Waffen streckte. Pudens wollte antworten, doch Lando ließ das nicht zu, in dem er gegen seinen Schild klopfte, und damit das Duell begann. Er war nicht hier, um über Modalitäten zu verhandeln. Er war hier, um Pudens auf seinen Platz zu verweisen. Pudens blieb nicht viel anderes übrig, als die Aufforderung zu quittieren, und auf seinen Schild zu schlagen. Dann verschwamm die Zeit.


    Lando war schon immer ein recht offensiver Kämpfer gewesen, was ihm die Initiative gab. Er schwang das Schwert, wurde natürlich abgeblockt, konnte aber sogleich mit dem Schild das Schwert des Tudiciers zur Seite drücken und die Kante gegen den Unterarm schmettern. Ein kleiner Erfolg, gleich am Anfang des Kampfes. Doch Pudens blieb nicht untätig. Er wich einen Schritt zurück, deckte sich mit dem Schild und stach dann mit dem Schwert auf Lando zu, der den Angriff leicht parierte. Pudens war kein guter Kämpfer, das war schnell klar. Was Lando allerdings schnell auffiel: er selbst war schon nach zwei Streichen angestrengt am atmen.. das war nicht gut.
    Pudens schien das zu bemerken, denn er machte fortan Angriffe, die kaum zu treffen hofften, aber dennoch pariert werden mussten, um selbst Luft für einen Angriff zu haben. Lando atmete mit jedem Schlag schwerer, und er wusste, er musst die Entscheidung so schnell wie möglich herbeiführen. Im Hintergrund hörte er das sorglose Geschrei Rodriks, und ein schmales Lächeln zog sich auf seine Lippen. Wieder schlug er zu, duckte sich weg, rammte den Schild als zweite Waffe gegen Pudens, und wiederholte das ganze so schnell er konnte. Ihm lief die Zeit weg, seine Lunge brannte, die Luft die er atmete schien nicht genug zu sein.
    Und dann sah er seine Möglichkeit. Pudens schwang das Schwert um Lando weiter zu entkräften, doch dieses Mal zog er das Schwert zu weit zurück, was Lando eine gute Möglichkeit gab. Er schmetterte seine Linke mit dem Schild gegen Pudens Schild, konnte diesen mit schierer Gewalt beiseite drücken, und schließlich mit dem Rückschwung den kommenden Schlag abwehren. Eine Lücke in Pudens Verteidigung entstand, durch die eine Legion hätte marschieren können. Lando nutzte den Moment, um mit seinem eigenen Schwert mit Gewalt zuzuschlagen. Pudens konnte im letzten Moment noch mit dem hastig hervorgehaltenen Schild abfälschen, aber die flache Seite von Landos Klinge krachte dennoch auf seinen Schwertarm, der ob des massiven Metalleinschlags mit einem hörbaren Krachen barst.
    Mit einem lauten Schmerzensschrei ließ Pudens das Schwert los und wich zu seinen Leuten zurück. Lando schlug ein weiteres Mal zu, dieses Mal nur gegen den Schild, aus dem wieder ein dickes Stück Holz splitterte. Sein Gegner stolperte und fiel rücklings in das Gras der Lichtung, machte aber keine Anstalten den Schild ebenfalls weg zu werfen, und damit seine Niederlage einzugestehen. Lando war außer sich vor Wut, was sollte das?


    "Gib auf.", keuchte er mit rasselndem Atem, er war so gut wie am Ende seiner Kräfte, "GIB AUF!!"
    Doch Pudens gab nicht auf. Er hielt den Arm mit dem Schild weiter vor sich, und kroch rückwärts auf seine Leute zu. Lando schlug erneut zu. Er hätte Pudens mit Leichtigkeit töten können, aber wieso sollte er das tun? Der Mann war quasi wehrlos. Und doch weigerte er sich, aufzugeben.. ein weiterer Schlag, der Schild glich bald mehr einem Stück Bast als einem echten Holzschild, und doch klammerte Pudens sich an diesen, als würde er Loki persönlich abhalten können. Kaum zwei Schritte vor Pudens Leuten richtete Lando schließlich sein Sax auf den Hals seines Gegners: "Gib verdammt nochmal auf, Pudens. Es ist vorbei..."

  • Anders als die anderen ritt der Gode hinter dem Wagen her, er die anderen nicht verunsichern mit seiner nachdenklichen Miene und seinem gläsernen Blick. Wieso war das so? Nun das war ganz einfach .. Phelan hatte auf dem Podest bei dem Rhenusopfer an der Brücke nichts von der hitzigen Stimmung im Volk mitbekommen. Erst als die Streitigkeiten vorbei waren erklärte ihm Witjon was geschen war. Die darauf folgenden Nächte schlief er unruhig .. nicht, dass er an Landos Fähigkeiten als Kämpfer zweifeln würde. Eigentlich konnte er gar nicht verlieren, zumal Pudens fast schon ein alter Sack war und bestimmt kein guter Kämpfer. Phelan plagte etwas anderes, es waren die Vision, die er in der Nacht nach der Streigkeit hatte. Er konnte nicht schlafen, er dachte die ganzen Nächte fortan an nichts anderes als diese Vision. In dieser sah er seine Familie am Tisch zu Abend essen. Elfleda mit Naha und einem neugeborenen Kind, Witjon, Eila, Rodrik, Ragin und er selbst saßen um den Tisch .. aber einer fehlte .. es war Lando. Die Stimmung war allerdings normal wie sie es oft war, man scherzte und lachte. Phelan schaute in seinen Becher und wollte gerade einen Schluck nehmen, da sah er Landoskopf als sein Spiegelbild, er war blutüberströmt! Danach war der junge Duccier sofort schweißgebadet aufgewacht und war komplett überfordert mit dem, was ihn heimgesucht hatte. Er hatte keinem davon erzählt, KEINEM! Noch nichtmal seiner Schwester hätte er es erzählt, wenn sie denn da gewesen wäre, um in diesem Moment für ihn da zu sein.
    Auch als sie an der Lichtung hielten, war er auf Stille bedacht. Er half der schwangeren Elfleda von dem Wagen und ließ sich dann auf einem Stein nieder. Sollte er mit Lando darüber sprechen? Sollte er ihm sagen was er gesehen hatte? Sollte er ihm sagen, dass er nicht auf Risiko setzen sollte? Nein, er musste sich daraus halten, es war ein schlechtes Omen, Visionen den betroffenen preiszugeben. So verharrte er auf seinem Stein und Pudens kam schon mit seinen Leuten.
    Der Kampf begann. Während des gesamten Klingenaufeinanderprallens ballte der Gode fest seine Faust um die Kette mit dem duccischen Wolf und flüsterte leise Stoßgebete zu den Göttern. Die römischen Götter ließ er dabei völlig aus der Acht, hier hatten sie keinen Platz, Wodan und seine Kinder waren einzig und allein mächtig genug, um das Gute in diesem Kampf herbeizuführen. Als Pudens zu Boden ging ballte Phelan seine Faust immer fester um die Kette und riss die Augen weit auf.

  • Eila war an der Seite ihres Bruders geritten, dem Platz der ihr ihrer Meinung nach immer gebührt hatte und gebühren würde. Sie würde stets an seiner Seite stehen, in Leid und Freud, im Kampf und im Frieden bis ans Ende ihrer Tage. Wäre dies ein normaler Tag und ein normaler Kampf zu dem sie geritten wären, hätte sie bestimmt gescherzt und all das nicht allzu ernst genommen. Aber Loki ging es nicht gut und nicht umsonst hatte sie versucht ihn von dieser törichten Idee abzubringen. Seine Atmung klang wie eine Drohung der Götter selbst und er seine Haut schien langsam die Farbe der eingeatmeten Asche wiederzugeben. Er war nur ein klägliches Abbild des wahren Lokis und gerade deshalb wollte Eila nicht, dass er kämpfte. Nicht jetzt.


    Aber ihre Überzeugungsreden hatten alle nichts genützt und so war sie nun hier, um ihm zumindest moralisch alle Unterstützung zu geben, die sie konnte. Sie trug ebenso wie die Männer ein Sax, das von ihrer Reise noch geschärft und poliert war, sodass es in der Sonne glänzte. In einer fließenden Bewegung schwang sie sich von Neisti herunter und landete auf beiden Füßen. Eine Hand in die Hüfte gestemmt, die andere auf ihrem Schwertknauf abgestützt, stand sie da. Ihre Angst und innere Aufgewühltheit war nach außen hin von Ernst und Stärke überspielt. Es würde ihrem Bruder wenig helfen, wenn der Gegner die Sorge in der Gestik von Lokis Gefolge wahrnehmen würde.


    Sie beobachtete, wie ihr Bruder auf seinen Gegner losschritt, wie die wenigen Worte gewechselt wurden und der Kampf begann. Eila stand, obwohl sie nicht selbst könnte, unter absoluter Anspannung. Sie beobachtete jede Bewegung genau und in Gedanken gab sie ihrem Bruder Anweisungen a la "weiter links!", "noch einmal...", oder "Ja, gut so." Natürlich fanden diese Gedanken nicht den Weg zu ihren Lippen, aber sie konnte nicht anders. Hätte sie gekonnt, sie hätte an seiner statt gekämpft.


    Als der Gegner zu Boden ging tat ihr Herz zunächst einen Freudenschrei. Eigentlich, ja eigentlich, würde jeder diesen Kampf als gewonnen ansehen. Aber was tat dieser Kerl. Warum warf er seinen Schild nicht weg. Wie ein Feigling kroch er weiter und weiter vor Loki davon... und näher zu seinen Leuten. Eila überkam ein ungutes Gefühl. Irgendetwas stimmte hier doch nicht... Besorgt wandte sie sich kurz vom Geschehen an und suchte Marsus Blick. Ging es ihm ähnlich? Was sollte das werden?

  • Witjon hatte sich vor lauter Aufregung nicht setzen wollen. So stand er mit verschränkten Armen da und erwartete die Tudicii, die dann auch endlich kamen. Pudens machte keinen sonderlich fitten Eindruck, aber das konnte man von Lando auch nicht gerade behaupten. Witjons Herzschlag beschleunigte sich rapide, als der Kampf immer näher rückte. Herge war nirgendwo zu entdecken, der Feigling. Aber er hatte auch nicht erwartet, dass man diesen Nichtsnutz hier antreffen würde, wenn es hart auf hart käme. Dann war es so weit, die Kontrahenten trafen sich in der Mitte der Lichtung. Die Ausrüstung entsprach der Tradition: Sax, Rundschild, Hose, Schuhe. Mehr brauchte man auch nicht, um sich gegenseitig umzubringen. Im Grunde genommen könnte man sogar Hose und Schuhe weglassen, doch das wäre wohl dem Anlass entsprechend unangebracht gewesen.


    Ein Schauer durchfuhr Witjon, als die ersten Schläge gegeneinander geführt wurden. Rodrik feuerte seinen Verwandten in bester Metseliger Laune an und entlockte damit auch Witjon ein Grinsen. Doch wo der Ubier bei jedem anderen Wettkampf mitgegrölt hätte, ließ er sich hier doch nicht anstecken. Zu groß war die Sorge, zu übermächtig das unwohle Gefühl in der Magengegend. Lando war schnell außer Atem, was der Tudicius bemerkte und auszunutzen versuchte. Nicht nur Eila gab in Gedanken Ratschläge und so focht Witjon den selben Kampf wie sein Vetter, während er ein Stoßgebet an Theiwaz schickte, dass er Landos Schwert den Sieg schenken möge. Und so kam es dann auch. Witjon ballte siegesgewiss die Fäuste, als Pudens' Armknochen zerbarst und der Hund zu Boden ging. Ein Raunen ging durch die Kampfeszeugen und von manchem Weib hörte man ein erschrockenes Quietschen.
    Doch was tat dieser Feigling da? Statt die Aussichtslosigkeit seiner Lage einzusehen und den Kampf verloren zu geben, floh der Wurm erbärmlich rückwärts kriechend vor Landos Schwert. Der Schild zerbarst wie zuvor der Schwertarm, doch Landos Forderung blieb unbeantwortet. Witjon ging es in diesem unheilvollen Moment genau so wie Eila, die ihm gerade einen unruhigen Blick zuwarf, den Witjon mit hochgezogenen Augenbrauen erwiderte. "Was bei Donars Hammer..." murmelte er empört über die Feigheit des Tudicius und richtete seinen Blick dann wieder auf die Szene auf der Lichtung. Lando ging gefährlich nahe auf die verfeindete Sippe zu, was Witjon genauso wenig behagte wie seiner Base. In diesem Moment richtete Lando seine Klinge auf Pudens' Hals. Witjons Herz raste vor Aufregung und er konnte nicht mehr an sich halten. "WO BLEIBT DEINE EHRE, PUDENS?" brüllte er lauthals los und machte auch einen nervösen Schritt nach vorn. Er wollte sich am liebsten neben seinen Vetter stellen, doch noch war der Kampf nicht vorbei. Außerdem hatte er Angst vor einem Handgemenge, das losbrechen konnte, falls die Duccii nun von Witjons Vorstoß motiviert auf die Tudicii zumarschierten. Eine solche Provokation konnte nur ins Auge gehen. "GIB AUF, MANN!" brüllte er jedoch weiter, in der Hoffnung sich selbst etwas Mut einzuflößen und den Verlierer endlich zum Aufgeben zu bewegen.


    Nun stand er einige Schritte vor seiner Sippe mitten auf der Lichtung. Seine Haltung vermittelte zwar einen gewissen Mut und Selbstvertrauen, doch innerlich wollte er vor Aufregung und Nervosität am liebsten platzen. Was sollte das? Was musste Lando noch tun, um zu gewinnen? Was wollten der Tudicius bezwecken? Was für einen hinterhältigen Trumpf hielt er etwa noch in der Hand? Witjon warf einen Seitenblick auf das umgebende Unterholz bei dem plötzlichen Gedanken an ein Falle. Saßen Herges Schergen etwa schon bereit, ihnen die Klingen in den Rücken zu bohren? Die Götter mochten ihnen beistehen, sollte das der Fall sein. Und was war eigentlich mit den anderen Duccii? Auf einmal kam er sich dort vorn, losgelöst von den Seinen, ziemlich albern und einsam vor. Herrje, jetzt sahen die Tudicii ihn auch noch allesamt an! Sein Herz drohte ihm in die Hose zu rutschen, einzig und allein gehalten von seinem Stolz. Leicht zitternd legte sich seine Linke auf den Knauf seines Schwertes, bereit jeden Moment zu handeln.

  • Nachdem Phelan ihr vom Wagen geholfen hatte, hatte sich Elfleda zu den anderen gestellt. Irgendwie hatte sie gehofft, Lando würde wenigstens nochmal zu ihr sehen, nur ein kleines Lächeln mit ihr tauschen oder irgendwas, um ihr Mut zu machen. Aber er beachtete sie gar nicht. Ein klein wenig fühlte sie sich zurückgesetzt, aber auf der anderen Seite konnte sie es ihm nicht vergelten. Er musste sich jetzt konzentrieren, da war vermutlich wenig Platz für Gedanken an Weib und Kind. Und Elfleda wollte ihn unterstützen, und es ihm nicht noch schwerer machen.


    Als der Kampf begann, war sie so angespannt wie die meisten. Nur Roderik fing an zu singen und zu saufen und erntete dafür von Elfleda kurz einen missmutigen Blick. Sie hatte im Moment mehr Angst als jemals in ihrem Leben. Zumindest, dass sie sich daran erinnern könnte. Zumindest hatte sie nie so unmittelbare Angst um jemanden gehabt, den sie liebte. Wenn die Männer aus ihrem Dorf Krieg geführt hatten, war natürlich auch dort immer die Angst gewesen, dass einige nicht zurückkehren würden. Aber da war sie sicher im Dorf gewesen und weit weg vom Tod. Jetzt hier war sie dazu verdammt, notfalls zuzusehen, wie Lando starb. Und das war mehr Anspannung, als sie ertragen wollte. Und doch musste sie hier ausharren, musste stark sein und es mit ansehen.
    Elfleda legte ihre Hand auf den Bauch, als das Kind die Unruhe der Mutter fühlte und sich zu regen begann. Ihre Augen folgten Lando über das Feld, jedem Schlag, jedem Gegenschlag, und bei jedem zweiten zuckte sie leicht zusammen. Gerne hätte sie nach irgendjemandes Hand gegriffen und sie einfach nur gehalten, sich selbst so Sicherheit gegeben, aber sie unterließ es. Wessen Hand sollte sie schon nehmen? Eila war die einzige Frau hier außer ihr, und bei dieser konnte es Elfleda nicht. Nicht, weil sie eifersüchtig auf Eila war ob ihrer Stellung bei Lando, sondern weil sie glaubte, diese würde sie eher verspotten als ihre Angst zu teilen. Abgesehen davon wollte Elfleda nicht schwach erscheinen.


    Und dann geschah es, das Wunder, auf das Elfleda gehofft hatte. Der Tudicius fiel und verlor seine Waffe. Mit dem Schild robbte er rücklings zu den Seinen, und Lando folgte ihm. Ja, selbst Witjon folgte ihm, indem er sich aus der Gruppe löste und vorwärts schritt, den Mann zum aufgeben aufforderte. Lando hatte gewonnen, das war unbestreitbar. Und doch konnte Elfleda noch nicht erleichtert aufatmen und die Anspannung von ihr abfallen lassen. Irgendwas war merkwürdig. Warum gab er nicht auf? Es war ein Ehrverlust, aber er blieb am Leben. Warum gab er nicht auf? “Gib schon auf, Mann. Und lass meinen Mann wieder zurückkommen...“ Elfleda murmelte nur leise. Die Angst wollte einfach nicht weichen und krampfte sich wie eine Faust um ihren Magen. Was war sie froh, wenn Lando gleich wieder zurück sein würde.

  • Marcus Tudicius Pudens
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    Bevor Pudens sich mit Schwert und Schild in Richtung Lichtungsmitte aufmachte, ließ er sich noch einmal von seinen Söhnen und von seiner Frau Mut zusprechen. Er nahm sich so viel Zeit wie möglich, und schielte immer wieder in Richtung des Weges, den sie hierher genommen hatten. Aber es zeigte sich nichts. Schließlich gab er auf, und ging geknickten Geistes zu Lando in die Mitte. Machte es Sinn, unter diesen Umständen auf eine andere Art des Duells zu beharren? Wahrscheinlich nicht... und doch... vielleicht kam er ja doch.
    Aber bevor er etwas sagen konnte, machte Lando ihm einen Strich durch die Rechnung. Nur sie beide. Pudens wagte es erst nicht, zu widersprechen, doch als er sich aufmachte den Mund zu öffnen donnerte Landos Schwert schon gegen seinen Schild, und es war zu spät. Ein Hauch von Panik streifte Pudens' Geist, als er und Lando sich zu umkreisen begannen. Sein Schild erbebte, als er einen von Landos Streichen parierte, und sein Schwertarm schien sich mehr als nur widerwillig in Schwung zu bewegen, doch je mehr Streiche er parierte, desto schwerer atmete Lando. Wie konnte das sein? Er war zehn Jahre jünger, und doch schien er schneller außer Atem zu geraten als Pudens selbst. Er nahm sich vor, dieses Zeichen nicht ungenutzt zu lassen. Wenn er es darauf ankommen lassen sollte, sich im direkten Fechten mit Lando zu messen würde er wahrscheinlich kurz und klein geschlagen. Er konnte also nur darauf setzen, den Duccius so schnell wie möglich zu erschöpfen, um ihn nachher zu entwaffnen. Er schickte ein Stoßgebet zu den Göttern als er begann, lächerliche Schläge auszuteilen, die ihn sehr viel Kraft kosteten. Und Lando ging darauf ein. Zumindest eine Zeit lang. Mit jedem Schlag schien der Cherusker schwerer zu atmen, mit jedem Hieb wurden die Schläge schwächer.
    Euphorie erfasste Pudens, er sah tatsächlich eine Möglichkeit lebend aus diesem Zirkel zu kommen und auch noch zu gewinnen! Wieder ging ein Schlag fehl, und wieder vibrierte der schwere Holzschild schwächer als zuvor durch die Wucht des abgefangenen Schlages. Er war fast am Ziel.
    Und dann geschah es: ein winziger unachtsamer Moment wurde sofort bestraft, in dem Pudens auf einmal mit weit ausgebreiteten Armen dastand, und Landos Schlag auf ihn niedersauste. Pudens schaffte es gerade noch den Schild so schnell vor sich zu reißen, dass der Schlag abgefälscht wurde, aber das Ergebnis war wahrscheinlich nicht minder schmerzhaft: mit einem Bersten, dass auf keinen Fall von seinem Körper stammen konnte, stammen DURFTE knallte Landos Schwert auf seinen Arm. Pudens sah fast in Zeitlupe, wie seine Hand das Sax losließ, und fassungslos blickte er erst zu Lando, dann auf seinen Arm der sich anfühlte wie ein Stück taubes Fleisch. Lando forderte ihn auf, sich zu ergeben, doch Pudens war immernoch so fassungslos, dass er einfach den Schild vor sich hielt und zurück wich. Weniger bewusst als einfach nur instinktiv zurück zur Familie. Irgendwann lag er im Gras, und Lando hieb Stück für Stück aus dem Schild, bis dieser bloß eine Karikatur seines früheren selbst war. Irgendwann kehrte auch das Gefühl in den Arm zurück, und Pudens stöhnte vor Schmerz und Angst. Er hatte Todesangst. Auf die Idee, das alles zu beenden indem er einfach den Schild wegwarf, kam er erst garnicht. Im Moment war der Schild das einzige was ihn vom wütenden Lando trennte, der keuchend und japsend vor ihm stand, und einen Moment später die Spitze der Klinge auf Pudens' Hals richtete. Er war geschlagen, und Lando würde ihn einen Moment später töten.. der alte Mann schloss mit dem Leben ab, und ließ sich offenen Auges ins Gras senken, wo er die Arme ausstreckte... und direkt in das grinsende Gesicht seines Neffen blickte.


    Ortnit, Sohn des Rutger
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    Ortnit hatte die beste Nacht der letzten Monate hinter sich. Er hatte nicht nur einen Teil des Geldes im Lupanar ausgegeben, nein, er hatte ALLES ausgegeben. Das hatte dazu geführt, dass er am heutigen Morgen mit dröhnendem Schädel und gleich drei Huren im Arm aufgewacht war, weil die Sonne durch das Fenster schien und ihn im Gesicht kitzelte. Kopfschmerzen und Kater zum Trotz war er noch einmal über eine der Frauen gestiegen bevor er sich wieder angekleidet hatte, und erst dann war ihm eingefallen warum er überhaupt soviel Geld hatte um sich die Nacht leisten zu können.
    Mit einigen Flüchen auf den Lippen war er aufgebrochen, die Wahrnehmung noch stark verschwommen und Schmerzen zwischen den Ohren die ihresgleichen suchten, aber nichtsdestotrotz musste er es schaffen. Sein Onkel hatte ihm am Abend zuvor noch erklärt, wo das Duell stattfinden würde, und nachdem er sich etwas durchgefragt hatte, war er schließlich auf dem richtigen Weg gewesen. Mit tiefliegenden roten Augen, dem Atem eines Trolls und der Laune eines ins Meer gefallenen Bergriesen war er auf der Lichtung aufgetaucht als das Duell anscheinend schon im vollen Gange war. Pudens schlug sich garnicht soooo schlecht, doch dann wurde er von Lando mit einer schon fast peinlichen Finte ausmanövriert, und mit einem schiefen Lächeln nahm Pudens das Geräusch des brechenden Armes wahr.
    Alle schien es zu überraschen, dass Pudens zurück kroch, doch nicht Ortnit. Er wusste ja schließlich, was abging. Die Duccii, und sogar einige der unparteiischen Zeugen, forderten Pudens lautstark auf, aufzugeben, und einer der Duccii begab sich in die Mitte der Lichtung, für Ortnit ein klares Zeichen, dass er darauf wartete Lando abzulösen. Doch soweit wollte er es nicht kommen lassen. Pudens ließ sich schließlich flach ins Gras sinken, als Lando ihn schon fast hatte, und Ortnit grinste seinen Onkel siegessicher an. Mit einem großen Schritt war er über den alten Mann drüber her, schlug mit einem zünftigen Schlag Landos Sax weg und verpasste dem keuchenden Duccius einen kräftigen Tritt gegen den Brustkorb. Der Mogontiner protestierte japsend, doch Ortnit war nicht zum reden hier. Er hatte nicht einmal einen Schild genommen, den erschöpften Lando würde er auch mit einer auf den Rücken gebundenen Hand erledigen können. Was er dann auch tat. Es brauchte nicht viele Hiebe, um Lando auf die Knie zu schicken, und schon fast sanft drückte er die Klinge seines Gegners zur Seite.
    Als er die Klinge hob erfasste ihn ein Moment der Klarheit. Sämtliche Kopfschmerzen waren passé, es gab nurnoch ihn und sein Opfer. Und mit einem gellenden Triumphschrei rammte er Lando die Spitze seiner Klinge in die linke Schulter.

  • Seine Gedanken rasten, er wollte das Ende. Er wollte endlich zurück zu den seinen, und sich um Dinge kümmern die ihm mehr lagen als Gefechte im Wald. Seine Muskeln schienen kaum mehr zu existieren, so taub fühlten sie sich an, und seine Lunge brannte mit jedem hechelnden Atemzug den er tat. Das Sax lag unglaublich schwer in seiner Hand, er konnte die Spitze schwanken sehen, und auch die helle Panik in den Augen seines Gegners war nicht zu übersehen. Wieso also gab er nicht auf?
    Dann geschah etwas, das Lando vollkommen irritierte. Pudens legte sich vollends ins Gras, streckte alle Glieder von sich und rührte sich nichtmehr. Lando ließ die Klinge beinahe sinken, und starrte den älteren Mann verwirrt an. Was war das denn jetzt?


    Doch zum Fragen kam er nicht mehr. Ein Mann trat über Pudens hinweg und hämmerte so stark auf Landos Sax ein, dass es ihm beinahe aus der Hand gerissen wurde. Als hätte der Schwung des Hiebs nicht alleine gereicht, um Lando arg in Bedrängnis zu bringen, so wurde ihm auch noch mit einem Tritt sämtliche Standfestigkeit geraubt. Er taumelte zurück, und konnte den neuen Gegner nur mit hervorgehaltener Hand abwehren. "Halt... was tust du?", jappste Lando, schon lange über das Ende seiner Kräfte hinaus, "..das ist eine... Sache zwischen... ihm und mir." Doch der Fremde hörte nicht, nein, noch stärker hieb er sogar auf Lando ein, und trieb den vollkommen entkräfteten vor sich her, bis irgendwann schließlich einfach nichtsmehr ging. Lando knickte einfach ein, die schweißverklebten Haare im Gesicht, den Mund weit aufgerissen um wenigstens etwas Luft in die geschundenen Lungen zu bewegen, und die Arme runterhängend als würden sie nichtmehr zu seinem Körper gehören. Bunte Flecken tanzten vor seinen Augen als die Erschöpfung jeden Part seines Körpers erfassten, und die Geräusche der Welt, die Schreie der seinen, der Zeugen und sogar der Leute des Pudens verstummten und machten dem Rauschen des Blutes in seinem Kopf Platz. Das einzige, was noch zu ihm durchdrang war das Triumphgebrüll seines Gegners, bevor ein kurzer aber intensiver Schmerz in seiner Linken alles übertönte.
    Mit beinahe absurder Leichtigkeit wich jede Schwere von ihm. Es war, als würden sich nach und nach alle Sinne von ihm verabschieden, die Taubheit seiner Gliedere wich einer monströsen Schwerelosigkeit, das Rauschen in seinen Ohren verstummte und machte seiner ungekannten Stille Platz, das Bild der nassen Haare, die ihm teilweise die Sicht nahmen wich einem weißen Gleißen, und dann war da ein kleines Mädchen, das auf einer Kuh ritt. Einen Moment später begriff Lando, dass er Eila sah. Aber als kleines Mädchen, das lachend und jauchzend auf einer mageren Kuh ritt und ihn mit leuchtenden Augen anblickte. Es war ein losgelöstes, ehrliches Lachen, wie Lando es schon lange verloren glaubte. Er wandte sich um.. die grünen Bäume seiner Heimat. Die saftigen Wiesen des Landes, das ihm verboten war. Und sie waren nicht allein... vom Rand des Waldes prosteten ihm seine Freunde zu, die Duccii und seine römischen Freunde.. und auch seine Eltern... alle waren da. Als er sich umwandte, bemerkte er, dass seine Frau neben ihm stand, mit der kleinen Naha auf dem Arm. Lando zog sie zu sich heran, küsste sie beide und sah dann seiner kleinen Schwester weiter dabei zu, wie sie mit viel Freude auf der Kuh ritt. Und irgendwann lachte Lando auch. Ein Lachen, dass er schon seit sehr langer Zeit nichtmehr gelacht hatte. Ein befreites Lachen, ein losgelöstes Lachen. Ein Lachen der Freude. Der vollkommenen, ungetrübten und glasklaren Freude.


    All dies geschah in dem winzig kurzen Augenblick, den es für Lando brauchte um mit einem Seufzen den letzten Atem auszustoßen, und kraftlos wie ein nasser Sack nach vorne zu kippen. Das letzte, was seine Augen sahen waren die dichten Grashalme der Lichtung und das rote Haare, das sich durch sein Gesicht zog. Als der Glanz aus seinen Augen schwand weilte Lando, Sohn des Landulf schon lange nicht mehr auf dieser Welt.

  • Marcus Tudicius Pudens
    [Blockierte Grafik: http://www.kulueke.net/pics/ir/nscdb/b-germanen-maenner-alt/29.jpg]


    "NEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEIN!!!!!!!!!!", brüllte Pudens erstickt, als er mit anblickte wie sein Neffe Lando zu Klump schlug. Er wusste nicht, wo der Bengel nun aufgetaucht war, aber die Tatsache, dass er da einen unfassbaren Rechtsbruch begann ließ ihm das Herz gefrieren. Er krabbelte mit schwachem Schritt hinter den beiden her, immer wieder um Hilfe jappsend und seinen Neffen anflehend, mit seinem Tun aufzuhören. Aber der Junge wollte einfach nicht hören. Immer schlimmer schlug er auf Lando ein, der sich kaum mehr wehrte, bis es schließlich zum absoluten Supergau kam. Pudens beobachtete das Ende des duccischen Familienoberhaupts mit entrücktem Blick, und als Lando tot ins Gras sank zerbrach etwas in ihm. "Bei den Göttern..."
    Während sein Neffe noch zufrieden mit sich selbst vor dem Toten stand, rappelte Pudens sich verzweifelt auf und wankte mit Tränen in den Augen auf Witjon zu, der nun in diesem Moment das Familienoberhaupt der mächtigsten Familie Mogontiacums stellte. Als er vor diesem ankam warf er sich mit dem Gesicht voran vor diesem auf den Boden, und jappste mit quiekender Stimme: "WITJON!!! Ich flehe dich an! Bring die meinen nicht um.. ich unterwerfe meine Sippe und ihre sämtliche Habe dem Stamme Wolfriks, nur bring die meinen nicht um! Bring sie nicht um, bei den Göttern, bitte bring sie nicht um!"
    Seine eigene Sippe stand zu Stein erstarrt da, sein Eheweib und seine Kinder rührten sich nicht, aber man konnte ihren kreidebleichen Gesichtern ansehen, dass sie wussten worum es jetzt ging. Sein idiotischer Neffe hatte einen Rechtsbruch begannen, der ohne weiteres und ohne mit der Wimper zu zucken mit dem Tod einer ganzen Sippe gesühnt werden konnte. Seiner Sippe. Er würde den Duccii wohl alles Geld der Welt anbieten können, aber um den Tod eines Mannes wie Lando zu sühnen, kam nicht viel in Frage. Eigentlich kaum etwas. Bis auf den Tod der kompletten Sippe, die sich an den Traditionen und Gesetzen vergangen hatte. Oder eben die Unterwerfung in den Stand der Leibeigenen. Und für Pudens war das noch immer ein besseres Los als verrotend irgendwo im Wald zu enden. Wenn die Duccii nur darauf eingingen.

  • Ungläubig sah Elfleda, wie ein junger Mann aus der anderen Sippe sein Schwert hob und sich über den am Boden liegenden Pudens stellte. Ihr Mund ging auf, als sie sah, wie dieser auf Lando einzuhämmern begann, ihm sein Sax beiseite schlug und ihn zurückdrängte. Als würde die Zeit träge wie Honig dahintropfen sah sie, wie ihr Mann etwas sagte, und dann, wie der junge Kerl mit seinem Schwert zustach. Wie Lando einknickte und fiel.
    Erst jetzt löste sich aus ihrer Kehle ein Schrei, der kaum mehr menschlich zu nennen war. Das konnte nicht wahr sein. Das durfte nicht wahr sein. Das durfte einfach nicht geschehen. Ihre Füße bewegten sich, ohne das sie es mitbekam. Sie rannte, trotz ihres Zustandes, über die Wiese, zu ihrem Mann, der blutend im Gras lag. Es war ihr egal, wer zusah. Es war ihr egal, was irgendjemand denken mochte. Es war ihr gleichgültig, ob sie stark und ruhig alles ertragen wollte, unbarmherzige Kälte ausstrahlen wollte, Unverletzbarkeit demonstrieren wollte. Es war ihr alles gleichgültig.
    Direkt vor seinem Mörder fiel Elfleda neben Lando auf die Knie, und sie wusste selbst nicht so recht, ob sie eingeknickt war oder es so beabsichtigt war. Sie heulte, dass die Tränen ihr die Sicht nahmen. So laut, dass es über die ganze Lichtung schallte, klang ihr Wehklagen, als sie ihren toten Mann vorsichtig herumdrehte und seinen Kopf an ihrem Schoß bettete. Sie beugte sich zu ihm herunter, so sehr ihr Bauch das zuließ. Sie fühlte noch einmal nach seinem Puls, auch wenn sie bereits wusste, dass da keiner mehr war. Und als sie auch hier keinen ertastete, sackte auch das letzte bisschen von Elfledas sonst so stolzer Gestalt in sich zusammen und schluchzte nur noch bei ihrem toten Mann, den sie festhielt, als wolle sie ihn beschützen.
    ““Ich liebe dich... du bist mein Leben... ich liebe dich...“ heulte sie nur immer wieder und wieder und bekam dabei gar nicht mit, wie Pudens um seine Familie flehte, und auch nicht, wie Witjon darüber entschied. Es war ihr auch gleichgültig im Moment. Ob sie lebten oder starben war ihr vollkommen gleichgültig. Ihr war großer Schmerz und noch größeres Unrecht widerfahren, und noch ließ das keinen Wunsch an Rache zu. In einigen Momenten, wenn die Trauer weggefegt werden würde vom Zorn, sähe das wohl anders aus. Doch noch war Elfleda nicht fähig, an irgendetwas anderes zu denken als daran, wie sehr sie ihren Mann liebte und dass sie es ihm viel zu selten gesagt hatte.

  • Das Alles ging viel zu schnell für Eila... Ihr Geist weigerte sich, das, was sie sah so schnell zu begreifen. Ein Fremder, ein Schwert und ihr Bruder, der verwundet zusammensackte - das alles hätte nicht passieren sollen. Irgendetwas lief hier schief. Was es jedoch genau war, war ihr in diesem Moment egal. In ein und demselben Augenblick zog sie ihr Sax aus der Schwertscheide und rannte auf den Fremden zu. Ihre blonden Locken leuchteten dabei in der Sonne und sie sah aus, wie sich die meisten Menschen wohl eine wutentbrannte Walküre vorstellen mussten. Ohne zu denken und mit einer Kraft von der sie nicht genau wusste, woher sie kam, schlug sie mit aller Wucht drei, vier Mal auf den Fremden ein, bevor dieser zu Boden ging. Mit einem furchteinflössenden Aufschrei rammte sie ihm dann das Schwert mitten in die Brust.


    Das Blut des Fremden lief über dessen Körper und Eila ging einen Moment noch immer von ihrem Kampfrausch übermannt in die Knie. Sie blickte in die weitaufgerissenen Augen des Fremden, sah das tiefe Rot des Blutes und erst dann kam die volle Klarheit zurück in ihren Geist. Augenblicklich wandte sie sich um, ließ ihr Sax im Körper des anderen verharren, während sie sich vom Boden erhob und die wenigen Meter zu ihrem Bruder stolperte, der mittlerweile im Schoß seiner Frau lag.


    Sie kniete sich in das Blut, welches er verloren hatte - sein Blut - ihr Blut.
    Hastig tastete sie nach seinem Gesicht, blickte in seine Augen, suchte Leben... irgendein Anzeichen für Leben. Doch die leblosen Augen ihres Bruders blickten an ihr vorbei.


    Und sie schrie- die Arme um ihren Körper schlingend, den Blick gen Himmel gerichtet. Einen Schrei aus dem Innern ihres selbst - aus ihrem Magen, der sich ruckartig verkrampfte, aus ihrem Herzen, das für diesen Moment zu schlagen aufzuhören schien. Nein, Neeein, Neeeeeeeeeeeeeeein!, war ihr einziger Gedanke. Es war ein elendes, schmerzerfülltes Schluchzen, das ihren Körper durchzuckte. Immer wieder blickte sie zu ihrem Bruder nieder, strich ihm übers Haar, über die Brust und spürte nichts, als reinen und unerträglichen Schmerz.

  • JA .. ja! schrien die Stimmen in Phelans Kopf. Sein Vetter schien die Fehde zu gewinnen. Wie ein mickriger Wrum rutschte Pudens auf dem Rücken davon in Richtung seiner Leute. Das einzige was ihn mehr oder minder schützte war sein schon halb zerfledderter Schild. Verwirrung.. völlige Verwirrung und Ahnungslosigkeit machte sich in dem jungen Duccier breit, dieses Szenario glich einer Farce. Er glaubte aber, dass Lando nichts mehr passieren könne, so löste er also leicht seine Faust von der Kette. Die Anspannung schien bei den anderen ebenfalls nicht abzuebben, Witjon war einige Schritte nach vorne gegangen. Verwunderlich wie viel Macht er in diesem Moment verkörperte. Seine Unsicherheit war ihm in Phelans Augen nicht anzusehen. Phelan hielt sich allerdings weiterhin ruhig und beobachtete weiter, Witjon erhob schon seine Stimme.
    Was geschah da!? Ein Jungspund kam aus der Sippe des Pudens hervor und trat Lando von dem Verwandten weg. Phelan stand auf und ballte seine Faust so feste um die Kette, dass sie sich in seine Handinnenfläche bohrte, doch es war keine Zeit den Scherz zu fühlen, das einzige was er fühlte war Angst und Adrenalin. Wie versteinert sah er mit an, wie der Junge seinen Vetter, der ihm nach fast drei Jahren so sehr ans Herz gewachsen war, niederprügelte.
    Just einen Moment später hörte er nur noch Elfledas grauenhaften Schrei und ihm wurde klar was geschehen war .. das Schwert des Jungens steckte in Landos Schulter. Mit aufgerißenen Augen, bluttriefender Hand und starrer Haltung stand Phelan nun vor dem Stein auf dem er gesessen hatte. Jede folgende Sekunde schien 10 mal so schnell zu verstreichen. Aus dem Augenwinkel sah er Eila, Landos Schwerster, mit gezogenem Sax auf den Feind zurennen und ihn im vollen Kampfrausch niederstrecken. Pudens krabbelte auf Knien zu Witjon und faselte von Vergebung. Elfleda war zusammen gesunken vor Landos Laib, wie nun auch Eila, und wehklagte mit furchterregenden Schreien um ihren Geliebten Gatten.
    Phelan sah rot. Hier war Blut, dort war Blut.. selbst er war voll Blut.. es lief ihm immer noch durch die Ritzen seiner geballten Faust seinen Unterarm bis zu seinem Ellenbogen hinunter.


    Chaos.


    Langsam machte sich das bedrängenste Gefühl in ihm breit, was er je gespürrt hatte. Er sah immer noch versteinert zu seinem Vetter, der blutüberströmt auf dem mittlerweile rotgefärbten Gras lag. Seine.. Vision hatte sich.. offenbart..


    Gefühlschaos.


    Nun verstrich jede Sekunde 10 mal so langsam wie normal und er spürrte immer mehr den Druck in seiner Brust. Er hatte Lando und seiner Sippe nichts gesagt, er hatte geschwiegen.. er.. war Schuld. Schuld, ganz alleine ER war SCHULD an dieser MIESERE. Nun verspürrte er immer mehr Hass, Hass gegen die Feinde, aber noch viel mehr gegen sich selbst. Von seinen Gefühlen gesteuert griff er in den Wagen der Familie und zog seinen Bogen heraus. Völlig geistesverlassen, unkontrolliert und aggressiv war sein Blick mit dem er nun zu dem von Eila niedergestreckten Jungen ging. Er spuckte aus tiefster Seele auf den Menschen.. nein.. auf den Hundesohn, der seinen Vetter kaltblütig ermordet hatte. Völlig wahnsinnig schritt er einige Meter vor der Sippe des Pudens im Gras hin und her. Mit gespanntem Bogen zielte er auf jeden einzelnen, egal ob Mann, Frau, oder Kind.
    Zum ersten mal erhob er seine Stimme, laut schrie er unter Tränen und Wahnsinn "WITJON!! ICH TÖTE JEDEN EINZELNEN VON IHNEN!" das einzige worauf er wartete, war Witjons Todesurteil.

  • Alles ging ganz schnell. Doch Witjon nahm die Geschehnisse der nächsten zwei Minuten wie in Trance wahr. Ein Mann trat aus den Reihen der Tudicii hervor und begann auf Lando einzuschlagen! Innerhalb von Sekunden entwickelte sich der Zweikampf zu einem Desaster. Entsetzt musste Witjon mit ansehen wie sein Vetter zu Boden ging und im Gras liegen blieb. Er zog sein Sax, doch bevor er überhaupt einen Schritt nach vorn tun konnte, rauschte Eila an ihm vorbei und tötete Landos Mörder in wilder Raserei, um gleich darauf schluchzend über ihrem toten Bruder zusammenzusacken. Auch Elfleda stürzte nach vorn, den Gefallenen zu beweinen. Witjons schlimmste Angst hatte sich bewahrheitet.


    Und alle Welt schaute auf ihn.


    Tudicius Pudens kniete vor ihm nieder und bat um Gnade. Witjon sah auf ihn herunter, der Schock steckte ihm tief in den Gliedern. Unfähig zu denken, zu sprechen, oder gar um Lando zu trauern, stand er da und betrachtete die Szenerie. Phelan drehte durch und sprang über die Lichtung, bereit jeden Moment ein Massaker anzurichten. Auch die anderen aus seiner Sippe hatten ihre Waffen gezogen und hatten sich nun hinter Witjon postiert. Sie erwarteten seine Anweisungen, warteten auf seine Befehle. Er war jetzt Anführer der Sippe! Er musste über Leben und Sterben entscheiden!
    Seine Augen fanden den kauernden Pudens wieder, seine Gedanken klarten auf. Er sollte seine Sippe verschonen? "Dieses Verbrechen muss gesühnt werden," erklärte er mit tonloser Stimme. Sein Blick spiegelte den Zwiespalt wider, der in ihm herrschte. "Zu viel Blut wurde bereits vergossen. Landos Blut..." Er musste sich räuspern um weitersprechen zu können. Seine Entscheidung stand fest und er wollte sie verkünden. Er wollte seinem Vetter ein guter Nachfolger sein und seine erste Amtshandlung fand gerade statt. Witjon hob den Kopf und sprach über Pudens hinweg an alle Tudicii gewandt so laut, dass es alle auf der Lichtung hören konnten.
    "Der Mörder meines Vetters hat seinen Lohn erhalten, doch damit soll es nicht genug sein. Vom heutigen Tage an sollen die Tudicii in der Munt meiner Sippe stehen. Sie werden Unfreie sein, Knechte im Dienste der Ducii! Phelan, halt ein! Kein Unschuldiger soll sterben!" Daraufhin sah er Pudens von neuem an und erhob seine Stimme noch lauter. Gleichzeitig hob er sein Schwert. "Deine Sippe soll leben, Pudens. Doch dein Leben ist verwirkt!"
    Mit einem kraftvollen Stoß rammte Witjon dem kläglichen Kerl die Klinge in den Leib und drehte sie mit aller Kraft, so dass Eingeweide rissen und Blut in Strömen floss. Pudens röchelte, riss seine Augen auf, doch kein Wort verließ mehr seinen Mund. So sank sein lebloser Körper ins Gras wie schon zwei vor ihm. Witjon wischte seine Klinge an Pudens' dreckiger Kleidung ab und stieg dann über dessen Leichnam auf die Tudicii zu.


    Einen Augenblick herrschte - bis auf das Schluchzen der Frauen - absolute Stille auf der Lichtung. Witjon näherte sich der Stelle wo Lando beweint wurde, warf einen traurigen Blick auf Eila und Elfleda und sah dann wieder die Tudicii an. "Geht mir aus den Augen!" polterte er dann unvermittelt, woraufhin die Tudicii hastig begannen ihre Sachen einzusammeln und sich aus dem Staub zu machen. Sie würden auf ihre Höfe zurückgehen und ihr Los wie Ehrenleute annehmen. Keiner von ihnen würde sich der Leibeigenschaft entziehen wollen, denn das bedeutete nach germanischem Recht die Vogelfreiheit des Entflohenen. Niemand würde es riskieren von duccischen Häschern gejagt zu werden.
    Witjon kniete sich derweil neben Eila. Sein Schwert fiel unbeachtet ins Gras, die Arme hingen schlaff herunter. "Nein..." murmelte er nur. Sein Blick wanderte zwischen Eila, Elfleda und dem Leichnam hin und her. Abseits wollten einige tudicischen Frauen den toten Neffen vom Boden aufnehmen, doch Witjon registrierte das und brüllte Wuterfüllt: "NEIN! Lasst ihn liegen! Seine Leiche sollen die Tiere holen!" Die Weiber schrien entsetzt auf, wurden jedoch unter Tränen von ihren Männern davongeschafft. Witjon wollte dieses Pack nicht mehr sehen, seine Gedanken waren jetzt ganz bei Lando. Der Vetter, der ihn die ganze Zeit über auf seinem Weg begleitet hatte, der für ihn wie ein Bruder geworden war. Jetzt war er tot. Wie hatte das nur passieren können? "Wir treffen uns wieder in Walhalla," flüsterte er, die Tränen unterdrückend.

  • Alkohol, obwohl man zu dieser Zeit das Wort noch nicht kannte, aber die berauschende Wirkung war - oh ja - sehr wohl bekannt, hat eine wundervolle Eigenschaft: egal, was man sich davon erwartete, er erfüllte es. Versuchte man seine Traurigkeit zu überbrücken, dann machte einen der Alkohol fröhlich, war man mißmutig und nicht gewillt, etwas daran zu ändern, dann stachelte einem der Alkohol zu bösartigen Taten an. Rodrik wollte nichts von alledem, er wollte nur eine gute Stimmung haben. Und ja, den hatte er, denn im Gegensatz zu seiner Sippe ging er von einer absolut felsenfesten Überzeugung aus, dass niemand sterben würde und jeder der Kombattanten würde nach Hause gehen und gemütlich sein Abendbrot zu sich nehmen. Deswegen fühlte Rodrik sich eigentlich gut, auch während des Kampfes seines Vetters. Mit ein bißchen mehr Aufmerksamkeit hätte er zwar bemerkt, dass Lando nicht in guter Form war, aber diese Tatsache hatte der Alkohol erfolgreich verschleiert. Rodrik war sich des Sieges sogar so sicher, dass er zwischendurch den Met im Schlauch seiner Hand analysierte und die Geschmacksnuancen zu benennen versuchte. Freilich erfolglos, versteht sich.


    Dumpf jedoch bemerkte er, dass das Geschehen vor sich nicht dem entsprach, was er sich im vorhinein so vorgestellt hatte. Nein, eigentlich so ganz und gar nicht. Bereits schwindlig vom Met verfolgte er das Geschehen, das Kriechen des Nemeters, das Eingreifen irgendeinen jungen Mannes, das schmatzende Geräusch, als das Schwert in die Brust seines Vetters versank. "Ehm..." Ja, mehr konnte er dazu vorerst nicht sagen, dazu war das vor sich zu spannend und atemberaubend. Dass Lando seinen letzten Atem aushauchte, das bekam Rodrik nicht einmal so wirklich mit, denn sogleich ging es weiter. Auf einmal stürzte Eila, die duccische Amazone, auf den anderen, den jungen Nemeter, und tötete ihn. Dann sagte Witjon etwas und tötete den alten Nemeter. Und zwischendurch war die hochschwangere Elfi bei Lando und Phelan auch noch irgendwo und ... und... und...


    Das ging alles irgendwie viel zu schnell für den angetrunkenen Rodrik. Er begriff einfach nicht, was da alles vor ihm passierte und welche Konsequenzen das haben würde. Er konnte nur ungläubig zusehen, vom mittlerweilen toten Lando zu Witjon, von Witjon zu Elfi, von Elfi zu Eila und gleich zu Phelan und das alles wieder zurück. "Alter... was geht denn hier ab..." war das erste, was er dazu sagen konnte. Den Met im Schlauch blickte er als nächstes an, dann wieder zu Lando und den anderen, dann wieder zum Met. Seine Augenbrauen zuckten, als ihm eine Idee gekommen war. Er führte den Met zu seiner Nase und roch daran, doch der Met roch genauso wie jeder andere, den er bisher gesoffen hatte. Dann blickte er wieder auf die Lichtung, doch nichts hatte sich geändert. "Wuou..." sagte Rodrik ganz baff. "Der Stoff hier ist echt krass." Und nachdem er das gesagt hatte, warf er den Met-Beutel weit hinter sich weg.


    Dann machte er das, was er in solchen und allen anderen Situationen zu tun pflegte: er stand (ziemlich wacklig, nämlich vom Met) herum und wusste nicht, was er tun sollte.

  • Von den Geschehnissen um sie herum bekam Elfleda kaum etwas mit. Sie sah zwar den Mörder ihres Mannes ins Gras sinken, konnte dabei aber noch nicht einmal Genugtuung empfinden. Sie bekam mit, wie auch Eila zu Lando kam, ihn umarmte und weinte. In diesem einen Moment war für Elfleda aller Streit und alle Konkurrenz vergessen. Während Eila sich über ihren toten Bruder beugte, ließ Elfleda ihren Kopf gegen deren Schulter sinken, hielt sich auch an ihr fest und suchte Trost im gemeinsamen Schmerz.
    Sie bekam auch nicht mit, wie Witjon entschied. Sie hörte nur das Weinen der tidicischen Frauen, als er sie mit barschen Worten wegjagte und ebenfalls zu ihnen kam. Wäre er näher bei ihr gewesen, Elfleda hätte sich auch an ihn gelehnt und weiter geweint. Ihre Tränen schienen kein Ende nehmen zu wollen. Normalerweise weinte sie nie. Immer hatte sie die nötige Beherrschung, keine Schwäche zu zeigen, immer unterdrückte sie notfalls ihre Gefühle, um ihre Ziele besser erreichen zu können. Aber im Moment war sie weit von jeder Art der Selbstbeherrschung entfernt. Sie hielt sich nur den Bauch, wo das Kind gegen die plötzlichen Krämpfe des Mutterleibs wehrte und heftig trat, hielt Lando, der trotz allen Flehens tot blieb, und wollte sich am liebsten zu ihm legen.


    Sie wusste nicht, wie lange sie dort saß. Irgendwann half ihr jemand auf und brachte sie zum Wagen. Sie bemerkte noch, wie wackelig ihre Schritte waren, und wie sie es nicht ertrug, auch nur auf Armlänge von ihrem Mann getrennt zu sein. Landos Leichnam wurde auf die Wagenfläche gehoben, und Elfleda kletterte hinterher. Wieder bettete sie seinen Kopf ganz sachte in ihrem Schoß. Ihre Tränen waren versiegt, sie hatte keine mehr übrig, die sie noch hätte weinen können. Sie fühlte sich schwer und leer, und ihre Lungen schmerzten heftig. Und auch dem Kind ging es gerade nicht sehr gut, es kam in ihrem Bauch einfach nicht zur Ruhe. Dennoch beklagte sich Elfleda nicht darüber, wie es ihr ging. Sie schluchzte nur immer wieder leise und streichelte ihrem Mann vorsichtig durch die Haare.
    Erst, als der Wagen sich holperig in Bewegung setzte, zurück zum Haus, kamen Elfledas Gedanken wieder im hier und jetzt an. Ihr wurde ganz schlecht, weil es so schnell ging, dass sie über die Zukunft nachdenken konnte. Aber ihr fielen die Dinge ein, die sie nun tun mussten, sobald Lando aufgebahrt war. Sie beugte sich zu ihm herunter und gab ihm noch einmal einen sanften Kuss auf die Lippen, fuhr dann damit fort, ihm die Haare zu streicheln. Sie würde Alrik und Arbjon schreiben müssen, oder Witjon dazu bringen, dass er es möglichst rasch tat. Und sie würden den Nachbarn Bescheid sagen müssen. Und Landos Freunden. So viele, denen sie es sagen sollten. Kurz schüttelte es Elfleda, als sie auf diese Erkenntnis einen tieferen Atemzug nahm. Eine Hand legte sich auf ihren Bauch. Bitte, Götter... Frigg... lasst es ein Sohn sein... und lasst ihn stark sein.... Elfleda bat die Götter sehr selten um etwas, und auch diesmal tat sie es nur stumm. Aber so sehr es schmerzte, überhaupt darüber nachzudenken: Sie brauchte einen Sohn von Lando. Jetzt noch mehr als zuvor.

  • Eilas Gefühlswelt war ein Hin und Her zwischen Wut, Schmerz und Hilflosigkeit. Sie atmete und schluchzte unkontrolliert, Tränen überströmten ihr Gesicht und kein einziger klarer Gedanke wollte sich in ihr finden. Sie sah nur immer wieder zu ihrem toten Bruder, dann zum Himmel und wieder zu Lokis Leichnam. Sie merkte nur am Rande, wie sich Elfleda an sie lehnte, doch es störte sie auch nicht. Viel zu ernst war dieser Moment für jede Form des weiblichen Missmuts.


    Eila, die noch immer im Blut ihres Bruders kniete, beugte sich nach vorn und griff mit ihren Händen in die Erde vor ihren Knieen, auf der Suche nach Halt, den sie dort natürlich nicht fand. Sie brauchte ihren Bruder, grausamer Weise, gerade jetzt mehr denn je. Schon der Tod ihrer beider Eltern war kaum zu ertragen gewesen. Doch immerhin hatten sie noch einander gehabt... jetzt war sie gänzlich allein.


    Sie bemerkte am Rande, wie jemand sich neben ihr im Gras niederließ und erkannte dann Witjons Stimme. Und ohne großartig nachzudenken, wandte sie sich zu ihm um und schlang ihre Arme um seinen Hals, von dem unbändigen Wunsch nach Trost und Geborgenheit getrieben. Die sonst so starke Germanin, die gerade erst den Mörder ihres Bruders getötet hatte, barg ihr Gesicht wimmernd an seiner Schulter. Sie nahm nichts um sich herum wahr - sah weder Phelan noch Rodrick noch sonstwen, sondern versuchte vergeblich, die Augen geschlossen, zu vergessen, was gerade geschehen war. Kämpfte gegen die zunehmende Erkenntnis, dass der einzige Mensch, den sie von ganzem Herzen geliebt hatte, nun Tod war... Und während sie das tat, nässten ihre Tränen Witjons Hemd. Sie hätte ja die Augen geöffnet oder versucht ihn loszulassen und aufzustehen... doch sie fürchtete sich zu sehr vor dem großen dunklen Loch, in das sie dann zwangsläufig fallen würde.

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