Ratio re publicae gerendae oder: Aberglaube versus Amtsgewalt

  • Es war eine einsame insula, mitten in dem lebendigen und pulsierenden Viertel, das auch noch viele Jahrhunderte später sehr berühmt war, ein Viertel, in dem sogar Iulius Caesar gelebt hatte, und obwohl es solch eine noble Person, einem vergöttlichten menschlichem Wesen mal als Wohnort gedient hatte, war es wirklich kein feines Viertel, noch verziert mit prunkvollen und vornehmen Villen; es war die subura, wie sie leibte und lebte. Handwerksbetriebe sorgten genauso für den täglichen Lärm, wie auch all die vielen tausend Menschen, die sich zwischen den Häusern, in den Garküchen, den tabernae und auf den Straßen tummelten, manche, um den Tag, an dem sie mal wieder keine Tagelohnarbeit erhalten hatten, tot zu schlagen, andere, um ihren Geschäften nachzugehen oder um die familia zu versorgen, zwischen all diesen mehr oder minder unbescholtenen Menschen tummelten sich auch das zahlreich unehrliche und verbrecherisch ambitionierte Gesindel; und eben inmitten all dem lag die insula, die genauso unauffällig wirkte wie die Meisten ihrer Art. Die Gemäuer waren vielleicht ein wenig schief, die Fassade hatte schon vor vielen Jahren das leuchtende Rot verloren, es wirkte jetzt mehr gräulich braun und an vielen Stellen war der Putz bereits abgebröckelt; die Risse wirkten schon wie ein eigenes Kunstwerk, als ob sich ein Baum über die Fassade zog, die Äste bildeten die weit verzweigten Riße. Das Dach hätte auch eine neue Abdeckung vertragen können, es hing reichlich durch an vielen Stellen, sehr zum Leidwesen der oberen Bewohner; die alte Camilla schimpfte immer wieder, wenn es regnete und die Sturzbäche vom Himmel an jeder Stelle durch das Gebälk der Dächer ran und sich in den zahllosen Eimern, Tontöpfen und Kannen versammelte.


    Eben neben diesem Rohrspatz wohnte Jaref; auch in seiner kleinen Wohnung standen bemalte Tontöpfe, verbeulte Eimer und sogar sein Nachttopf unter den schrägen Balken, es tropfte in einem munterem Konzert von Wassertropfen in all die Behältnisse hinein, denn es regnete am heutigen Tage, graue Wolken hingen über der ewigen Stadt und entluden all die Wasserschlieren über den Dächern der Stadt. Das Trommeln des Wasser auf den stetig wachsenden Pfützen bemerkte Jaref jedoch nicht, der hagere und großgewachsene Mann mit der ausgeprägten Adlernase, den eingefallenen Wangen und den großen, grauen Augen hatte sich über eine trockene Schüssel gebeugt; seine Hände entzweiten geschickt ein großes Ei, das womöglich von einer Gans stammte, das Eigelb ran in die Schüssel hinein, er verührte es dort mit seinem Finger und murmelte leise etwas vor sich hin, in einer fremden Sprache.
    „Jaref?“
    „Nicht jetzt...!“
    Eine junge Frau trat auf spitzen Zehen in den Raum und schloß die Tür hinter sich, neugierig spähte sich über die Schulter auf das, was Jaref dort tat; dieser griff nach einem Bastkäfig und öffnete die Tür, seine Finger griffen nach einer weißen Tauge, die aufgeregt mit dem Schnabel nach ihm piekte und versuchte, sich mit ihrem Flügelschlag zu befreien, doch Jarefs knochigen Finger umgriffen die Taube zu fest, als daß sie sich entwinden könnte. Er hielt die Taube über die Schüssel, griff nach einem scharfen und gebogenem Dolch, schnitt damit in einer schnellen Bewegung der Taube den Bauch auf; das Blut spritzte in die Schüssel und glitt über die gelbe Eimasse hinweg, den toten Taubenkörper legte Jaref achtlos zur Seite und rührte in der blutigen Masse herum, dabei drehte und wendete er die Schüssel im mageren Licht der Öllampe. Grübelnd biß er auf seiner Unterlippe herum, dann sah er zu der jungen, recht hübschen Orientalin hoch.
    „Was ist, meine Schöne?“
    „ Du hast Besuch, er wartet bereits unten. Und dann hat die alte Sophia eine Nachricht geschickt, sie möchte Dich noch heute sprechen, der Eunuch hat eine Versammlung einberufen. Des neuen Aedils wegen!“
    Jaref nickte, es überraschte ihn alles nicht, er lächelte schmal als er in Gedanken schon das durchging, was er bereits wußte.
    „Schicke ihn hoch!“
    Die junge Frau lächelte, sie hatte nicht erwähnt, wer der Besuch war, doch sie war es gewöhnt, daß Jaref ihr immer etwas voraus war. Jaref lehnte sich auf dem dicken Kissen zurück, das ihm als Sitzgelegenheit diente, seine Augen wanderten zu dem halb geöffnetem Fensterladen, hinter dem der Regen wie graue Perlenschnüre nach unten floßen. Heute war kein guter Tag, aber es würde sich zeigen, was die Götter damit bezweckten, noch hatten sie sich Jaref gegenüber nicht offenbart.




  • Er hatte das alles so satt!
    Deron war wutentbrannt aus dem Haus gestürmt. Wieder einmal. Seitdem das Balg auf der Welt war, war alles schlimmer geworden. Dabei hatten er und Elisa einfach nur ihr Glück in Rom suchen wollen. Deron erinnerte sich noch gut daran, wie er Elisa vor gut acht Jahren kennengelernt hatte. Damals waren sie so verliebt ineinander gewesen. Und heute? Deron schnaubte, als er daran dachte, dass ihn zu Hause nur wieder die traurige Miene seiner Frau erwartete. Und das unaufhörliche Schreien des Mädchens, dass sie vor drei Wochen auf die Welt gebracht hatte. Seins war es nicht! Dessen war er sich absolut sicher. Heute aber würde er Gewissheit erlangen. Und wenn sich sein Verdacht bestätigte, dann sollte sich Elisa mit ihrem verkrüppelten Bastard besser vor ihm in acht nehmen, so viel stand fest. Denn er würde sich ganz sicher nicht ausbeuten lassen, nur weil sie ihm ein fremdes Balg unterschieben wollte. Wenn es wenigstens gesund gewesen wäre! Aber so? Ein Maul mehr zu stopfen hatte er, noch dazu ein unnützes. Mit diesen kräpeligen Ärmchen und der hässlichen Fratze würde das Kind niemals einen Nutzen haben. Nicht einmal stolz konnte Deron sein. Und es war auch nicht sein Kind. Seines hätte rostrotes Haar, wie er. Nicht schwarzes. es wäre sicherlich auch nicht so schmächtig, denn Deron war recht sportlich gebaut. Und gesund wäre es. Denn das war auch Deron. Kein jämmerlicher Krüppel.


    Als er aus der Kneipe trat, goss es wie aus Kübeln. Deron zog eine Grimasse, machte sich dann aber doch auf den Weg, sein Schicksal zu ergründen. Pfützen wich er nicht aus, sondern schritt durch sie hindurch. Innerhalb kurzer Zeit war er durchnässt bis auf die Haut, einen Mantel besaß er nicht mehr, seitdem er ihn in freudiger Erwartung gegen Holz für ein schlecht gezimmertes Kinderbett eingetauscht hatte. Und wozu das Ganze? Wieder kochte Wut in Deron hoch, diesmal gewürzt mit ein wenig Verzweiflung. Eigentlich liebte er Elisa. Aber wenn sie ihn betrogen hatte, würde das Konsequenzen für sie haben. Und für das Monster, das ihrem Schoße entsprungen war.


    Das Haus war unscheinbar und schäbig. Er musste hier richtig sein. Mit schwerem Herzen und den letzten Münzen in der Tasche nahm er sich schließlich zusammen und klopfte. Kurz darauf ließ man ihn ein. Kaum hatte sich die Tür hinter ihm geschlossen, beschlich ihn das untrügliche Gefühl, dass dies ein Fehler war. Unsinn! Er wollte es wissen, und der Bewohner konnte ihm diese Gewissheit verschaffen. Augen zu und durch.


    Deron nahm seine Umwelt wahr. Es roch nach sauren Bohnen, ein Geruch, der beinahe perfekt zu seiner ungewaschenen haut passte. Irgendwo zeterte gedämpft eine alte Frau. Monotones pling-pling erfüllte die Luft. Dann kam die Schönheit wieder, die ihm geöffnet hatte. Sie lächelte. Mein Gott, wie sie lächelte! "Der Meister erwartet dich oben", sagte sie und schmunzelte verschmitzt. Jaref mochte es, wenn sie ihn als den Meister bezeichnete. Und er entschied gern selbst, wem er seinen Namen offenbarte und wem nicht. Deron war ganz hin und weg. Er riss sich trotzdem los von dem Anblick der hübschen jungen Frau und stieg die knarzende Treppe hinauf in einen weiten Raum, der ihm vollgestopft schien mit allerlei Klüngel. In einem Käfig neben einem rissigen, halbgefüllten Krug gurrten zwei Tauben. Kot verschmierte den Boden. Leise tröpfelte es in den Krug hinein. Pling-pling. Derons Kehle war wie zugeschnürt. Er räusperte sich nur, als er fast oben angekommen war.



  • Tatat-tu-tum-ta-ta-tu-tum, Jaref mochte das monotone Plingen in all den kleinen Schüsseln um sich herum, er mochte Regen, er mochte es, wenn die Welt grün und voller Pflanzen waren, denn Jaref kam von einem Landstrich vom toten Meer, wo mehr die Trockenheit über das Naße herrschte, wo der Regen ein seltenes Geschenk der Götter war und Menschen das Glück oder den Tod brachte - wenn er sich dem Land verweigerte. Und obwohl Rom kein Britannia war, so regnete es doch deutlich öfters hier als in seinem Heimatdorf, dem er seiner Armut wegen entflohen war, vor langer Zeit, und seitdem hatte er viele Widrigkeiten erdulden mußte und überstanden. Das vom Regenwetter diffuse Zwielicht in dem Raum wurde nur von dem Glimmen einer Kohleschale unterbrochen, die zugleich etwas Wärme spendete, denn einen Nachteil hatte das Wetter, es war Jaref ein wenig zu kalt und kroch ihm in seine nicht mehr ganz jungen Knochen, um an seinen Zehngelenken unangenehm sich in Schmerzen zu manifestieren. Die Augen halb geschlossen vernahm Jaref die Schritte auf dem hölzernen, etwas morschen Boden; er saß immer noch im Schneidesitz auf dem dicken Kissen, dass mit vielen Gänsefedern und etwas Stroh gestopft war, und er hielt die Augen immer noch halb geschlossen als er hörte, daß die Schritt verharrten und sich nicht weiter näherten. Jaref wartete einige Herzschläge, denn er wußte, daß die Besucher immer sich gaffend umsahen, vielleicht sogar verängstigt, manchmal mißtrauisch, aber auf jeden Fall mit Respekt, ob nicht übernatürliche Kräfte sich gleich hier zeigen würden, all die Amulette aus Knochen, die an den Balken hingen, den Vogelschädeln, die aufgereiht auf einem Regal lagen, das rote Glänzen auf den großen Metallschüsseln, das von dem vielen Blut der Opfertiere stammte, aber auch der Geruch nach Weihrauch, orientalischen Kräutern, gemischt mit den Ausdünstungen nach Tier und Mensch, zudem die blutigroten Zeichen an manchen Teilen der Wände, vermochte eine andere Welt dem normalen Mann oder Frau zu eröffnen, eine, in die auch die Geister leichter gelangten, die Schleier zum Jenseitigen schienen nicht ganz so stark zu sein, selbst wenn hier noch kein mundus lag.


    Erst, nachdem er dem Mann genug Zeit gelassen hatte, um einerseits noch unbehaglicher zu werden, andererseits zu der Erkenntnis kam, daß Jaref vielleicht von solchen okkulten Dingen etwas verstand, wenn er sich mit dem ganzen Plunder umgab, wandte Jaref sein Gesicht zu Deron. Große, graue Augen, die die Farbe einer Taube oder eines dichten Morgennebels hatten, waren das Erste was man in dem hageren Gesicht des Syrers erkannte. Eingefallen wirkten die Wangen des Mannes, einem Asketen aus der Wüste glich er, der sich in dieses herunter gekommene Viertel verirrt hatte und in all dem Regen verloren schien, doch die Augen von Jaref vermittelten keine Hilflosigkeit, eher ein durchdringendes Sondieren seines Gegenübers – Deron, ganz als ob Jaref danach ergründete, die tiefen Geheimnisse von jenem bereits jetzt zu erfahren. Schweigend hob Jaref seine knochige Hand, an der einige Elfenbein- und Silberarmreifen klimperten, über die eine rotgewebter Wollumhang fiel, den sich Jaref der klammen Kälte wegen umgelegt hatte; mit der Hand deutete er auf eine Sitzgegelegenheit ihm gegenüber, zwischen den beiden Kissen stand die große Schüssel, in der immer noch das Blut mit dem Ei vermengt sich befand. Jaref schwieg immer noch und schien es wohl nicht für nötig zu erachten den Mann zu begrüßen, oder die sonstige orientalischen, übertriebenen Schmeicheleien zu beginnen, um an das Geld zu kommen, was er immer für seine Dienste verlangte. Er hatte fest gestellt, daß die Stille seine Besucher mehr beeindruckte als übertriebende Blumensprache.
    „Hast Du das Blut von ihr und dem Kind mitgebracht?“
    Schneidend und kalt durchbrach Jaref doch die Ruhe im Raum, die von dem Stakkato der Regentropfen begleitet wurde.
    „Und das Geld? Hundert Sesterzen!“



  • Obwohl die Kohle in ihrem fleckigen Becken glomm, war Deron kalt. Das mochte an der Art der Blicke liegen, mit dem der Wahrsager ihn betrachtete, oder aber an den ganzen unheimlichen Dingen, die hier die Regale und fast jeden freien Platz füllten. Pendel, Amulette und Knochen gab es, einen ausgestopften und recht zerfledderten Raben auf einem Stock und viele, viele kleine Schälchen und Schüssel. Ein einigen lagen seltsame Dinge, die wie Knochensplitter, Krallen oder Fingernägel wirkten. Es gab auch blutverschmierter Federn und ein Glas mit lebenden Kröten. Deron gruselte es. Das war abartig. Aber jetzt zu flüchten, kam auf gar keinen Fall infrage. Er schluckte, spürte wieder den eisernen Blick des Magiers auf sich ruhen. Warum sagte er nichts?


    Deron wurde äußerst mulmig zumute. In einer Windbö bewegte sich träge ein mottenzerfressener Vorhang, der einmal von purpurner Farbe gewesen sein mochte. Jetzt war er verblasst und schäbig. Der Wind trieb ein paar Regentropfen durch die Fensteröffnung, die mit leisem Prasseln auf die ausgetretenen Holzdielen fielen und kleine, dunkle Punkte darauf zurückließen. Deron unterdrückte mit aller Macht den Impuls, die Arme um den Körper zu schlingen. Unruhig huschte Derons Blick zu dem hageren Mann mit der Adlernase hin. Immer noch sprach er kein Wort und sah ihn nur mit seinen unheimlichen Augen an. Als er sich bewegte, klirrten die zahlreichen Ringe an seinen Armen leise. Das Geräusch jagte Deron einen Schauer über den Rücken, und er warf einen schnellen Blick über die Schulter und die Treppe hinunter. Doch die Stiege war leer, von der hübschen Schönheit keine Spur. Deron war allein mir dem Wahrsager.


    Als er die Stimme hob, zuckte Deron ein klein wenig zusammen. Dann gab er sich einen Ruck und stieg die letzten zwei Stufen hinauf, um zu dem Syrer hinüber zu gehen. Einen Meter vor dem Mann blieb er stehen und hob die rechte Faust. Er verfluchte sich für das leichte Zittern, als er sie öffnete. Zwei schlanke Phiolen lagen darin. Deron schluckte. Bei dem Bastard war es leicht gewesen, an Blut zu kommen. Elisa hatte er erst schlagen müssen, um ihr beim anschließenden Säubern der Wunden etwas Blut abzwacken zu können. Als der Fremde zum zweiten Mal sprach, zuckte Deron erneut zusammen, diesmal jedoch vor Entsetzen. "Hundert! Aber...abgemacht waren achtzig! Ich... ich hab nicht mehr!" Das war eine Lüge, denn am Vorabend hatte Deron den Beutel eines reichen Römers gefunden. Seine Hand glitt zu dem ledernen Beutel an seinem Gürtel. Mit fahrigen Bewegungen schnürte er ihn los und hielt ihn dem Wahrsager hin. Gut verborgen unter seiner tunica befanden sich weitere zehn Sesterzen und ein paar Asse, aber das würde er dem Kerl sicherlich nicht auf die Nase binden. Unverschämt, einfach so den Preis zu erhöhen! "Das ist alles, ich schwöre es", beteuerte er glaubhaft. Hoffentlich schickte der Wahrsager ihn jetzt nicht unverrichteter Dinge fort. Vielleicht würde Deron doch an seinen eisernen Vorrat gehen. Er musste es einfach wissen. Er musste.



  • Es war ein angenehmes Prickeln, was über Jarefs Nacken rieselte, die Gewißheit, daß er mit Blicken, mit seiner ruhigen Präsenz und wenigen Gesten einen Menschen derart aus der Fassung bringen konnte, ihnen sogar Angst einjagen, das war etwas, woran er lange geübt hatte, selbst wenn er mit seinen eigenartig grau-kalten Augen schon von je her einen Vorteil besaß, aber die hagere Askese und viel Übung hatten ihm dabei geholfen; und heute verdiente er auf die Art mehr Geld als die bunten und kreischenden Wahrsager, die schrill sangen, sich mit ihrem Körper wogten und leicht als Scharlatane zu entlarven waren, aber nein, Jaref hielt sich nicht für einen Scharlatan, er glaubte an all das, was er tat und meinte auch, eine große Gabe zu besitzen. Und er war nicht leicht aus der Ruhe zu bringen, die ihn umstrahlte, selbst wenn es ärgerlich ihn durchzuckte; Makesh, der Idiot, dachte Jaref, hatte mal wieder den falschen Preis ausgehandelt. Aber obwohl Makesh ein gewitzter Verhandler war, fehlte ihm doch viel von dem Geist, den wiederum Jaref geerbt hatte, wie unterschiedlich doch zwei Brüder sein konnten, selbst wenn nur ein Jahr zwischen ihrer Geburt lagen. Marginal nickte Jaref, er war kein Geschäftskrämer und er feilschte nicht, das hatte sein Bruder zu erledigen, wenn er sich selber zu sehr mit solchen mondänen Dingen beschäftigte, so glaubte Jaref, könnte es ihm schaden, aber er konnte sich auch nicht von jedem Dahergelaufenen in seinem Preis drücken laßen, das war mitunter eben für die Zukunft nicht gut.


    Er griff mit seiner kalten und trockenen Hand, die rauh und etwas schuppig war, sich fast wie eine Schlange anfühlten, nach den filigranen Phiolen und entnahm sie vorsichtig der zitternden Hand seines Gegenübers; und obwohl Jaref innerlich über die Aufregung des Mannes grinste, wenn nicht sogar lachte über die klamme Hand, die er kurz berührte, ließ er sich äußerlich nichts davon anmerken; sorgsam die Glasphiolen haltend – soetwas war ja auch nicht billig, außerdem trugen sie sehr kostbaren Inhalt in sich – zog er die Hand an sich heran und griff nach einer der Phiolen, um sie gegen das Licht zu halten; warm und dunkel glänzte das Licht auf der tiefroten bis fast braunen Oberfläche des Blutes und brach sich in viele funkelnde Strahlen dort, wo nur das Glas vorherrschte; einige grünweiße Lichttupfen glitten über das hagere Gesicht des Syrers. Während er noch die Phiole vor sein Auge hielt, um sich das Blut anzusehen, meinte er leise und mit kaltem Tonfall:
    „Es ist immer hundert Sesterzen für solche Fälle, aber gut, ich werde mich dieses Mal mit den Achtzig begnügen. Sollte ich jedoch erfahren, daß Du mit meinem Bruder Hundert abgemacht hast und mich hier belügst, dann...“
    Er ließ die Phiole sinken und fixierte mit seinen grauen Augen den Anderen.
    „...wirst Du Deines Lebens nicht mehr glücklich werden, denn ich mag es nicht, wenn man mich betrügen will. Haben wir uns verstanden?“




  • Deron musste sich zusammenreißen, um nicht zurückzuzucken, als die hornige Hand des Magiers die - selbstverständlich ebenfalls geklauten - Phiolen aus Glas von seiner Handfläche nahm. Die Haut des Mannes wirkte stellenweise wie der rissige Boden eines ausgetrockneten Wasserlochs in der ägyptischen Wüste. Deron hatte so etwas Ähnliches schon einmal gesehen. Die hygienischen Verhältnisse waren in Rom an und für sich nicht sonderlich gut, aber in der subura waren sie widerwärtig. Krätze hatte die Krankheit geheißen, welche die alte Livilla gehabt hatte, wenn er sich recht erinnerte. Aber statt dahinzusiechen, hatte die Alte behauptet, ihre Kräutertinkturen würden bestens dagegen helfen, und damit hatte sie einen rechten Reibach gemacht, bis sie Rom verlassen hatte. Zumindest erzählte man sich das so, ob es stimmte, und ihr Leichnam nicht den Tiber hinabgetrieben war, während das geld ganz wo anders auf Wanderschaft ging, wusste natürlich niemand.


    Der rothaarige Deron, aus dessem bleichen Gesicht die obligatorischen Sommersprossen bei dem spärlichen Licht beinahe herausstachen wie Leberflecke, war froh, als der Magier die Hand wieder fortnahm und das Blut begutachtete. Das des Mädchens war ein wenig heller als das der Mutter. Deron hatte keine Ahnung, warum das so war. Vielleicht dunkelte das Blut mit zunehmendem Alter nach. Vielleicht zeichnete der tatsächliche Vater des Kindes aber auch verantwortlich dafür, indem er dem Bastard schwaches, wässriges Blut vermacht hatte. So musste es sein. Derons Blick flackerte kurz, heftete sich dann an die Phiolen.


    "Nein nein, ganz bestimmt nicht!" beeilte er sich zu sagen. Zwar war Deron von Natur aus weder ein Speichellecker noch jemand, der schnell kleinbei gab, aber der Kerl hier war ihm einfach zu suspekt. Er traute ihm alles zu. Da konnte es nicht schaden, sich ein wenig folgsamer zu geben als es sonst üblich war. "Ich belüge dich ganz bestimmt nicht, Herr." Von wegen. Ausgehandelt worden waren zwar tatsächlich nur achtzig, aber die Münzen, die er noch am Körper trug, hätten zusammen mit jenen, die Jaref bereits hatte, annähernd hundert ergeben. Rasch senkte er den Blick, als der Magier ihn durchdringend taxierte. "Genügt dir das?" fragte er, um abzulenken, und wies mit einer halbherzigen Bewegung auf das Blut.



  • Ein kalter und unheilschwangerer Blick ruhte noch einige weitere Herzschläge auf dem Mann vor Jaref, denn über den Tisch ziehen lassen wollte sich der Wahrsager nicht. Zumal sich das herum sprechen würde und es ganz und gar nicht gut für sein Geschäft war. Der Boden knarrte im Einklang mit der Tropfensymphonie als er sich geschmeidig von dem Kissen erhob. Obwohl sein Körper hager und asketisch war, vernachlässigte er ihn nicht, er wollte schließlich am Besten noch mindestens zwei Jahrzehnte mit diesem Körper leben und das auch gut.
    „Ja, das genügt!“
    , erwiderte er und legte die Phiolen vorsichtig auf das Kissen, das ihm eben noch als Sitzplatz gedient hatte. Seine langen Knochenfinger langten nach einem weiteren Korb, der in einem der schäbigen und schiefen Regale stand, die das Zimmer zierten. Seine Hand griff in das weiche, flauschige Fell eines jungen Kaninchens, vielleicht zwei Wochen alt und von zierlicher, filigraner Gestalt, das Fell war weiß mit einigen schwarzen Tupfen und wirkte so flauschig, das es wohl jeden dazu eingeladen hätte, es zu kraulen. Doch Jaref griff dem Tier nur geschäftig in den Nacken und trug das zappelnde Bündel zurück zu dem Kissen, auf dem er sich nicht minder gewandt wieder herunter sinken ließ, nicht ohne mit Obacht die Phiolen auf seinen Schoß zu legen, direkt neben dem Kaninchen, das er fest hielt. Das Tier beruhigte sich kurz darauf und begann an einem Teil der Kleidung von Jaref zu knabbern, der sich daran nicht störte.


    Mit einem sparsamen Bewegung griff er nach einer alten Tonkaraffe, auf denen blutig rote Male gezeichnet waren und durch deren Bauch ein feiner Riss sich zog; ein Strahl von grünen, zähen Öl ergoß sich in eine große Schüssel vor Jarefs Beinen, rann die Rundung hinab und versammelte sich zu einer Lache am Boden des Gefäßes. Er entkorkte die Phiolen und ließ das Blut in das Öl träufeln, dann warf er noch einige Brocken schwarzer und undefinierbarer Substanz dazu, ehe seine Hand plötzlich nach vorne schnellte und die von Deron packte, wie ein Schraubstock legten sich die Finger um das Handgelenk des anderen Mannes und zog die Hand über die Schüssel; ein scharfer, krumm gebogener Dolch kam zum Vorschein und die grauen Augen richteten sich kalt auf Deron.
    „Stelle die Frage, die Du beantwortet haben willst! Aber ich warne Dich, stelle sie genau und auch nur dann, wenn Du die Antwort wissen willst. Denn die Wahrheit ist nicht immer zum eigenen Vorteil.“




  • Es erinnerte Deron an eine Schlange, wie der Mann sich bewegte. Hinterlistig, aber schnell, und dabei so fließend, als würden sogleich seine Lippen auseinanderklaffen und zwei rasiermesserscharfe Zähne entblößen, die sich tief in sein Fleisch bohren würden und... Deron schluckte abermals und fasste sich nun vor dem Körper locker an den eigenen Händen. Schließlich wollte er sich nicht unbedingt vor den Augen des Hexers in seine tunica krallen, das wäre schließlich das Zeichen von Schwäche schlechthin gewesen...


    Derweil hatte sein Gegenüber das Kaninchen aus einem Korb gezogen. Das kleine Tier zappelte mit den im Vergleich zum Körper viel zu großen Hinterläufen. Nun ja, es würde wohl niemals die Gelegenheit haben, seine geschmeidigen Läufe auf grünem Gras auszuprobieren. Deron war das herzlich gleichgültig, obwohl er Hasen gern hatte. Und zwar gebraten und mit Honigkruste überzogen. Ans Essen allerdings dachte er gegenwärtig nicht. Vielmehr beobachtete er jeden Handgriff des Zauberers interessiert. Was er tat, wirkte sicher. Gewiss hatte der Kerl Ahnung davon. Öl ergoss sich soeben in die Schale vor dem sitzenden Jaref. Deron fiel auf, dass er immer noch herumstand. Kurz sah er sich suchend um, konnte allerdings kein zusätzliches Kissen entdecken, weshalb er sich kurzerhand auf den kahlen Boden setzte, auf die andere Seite der Schale und damit gegenüber von Jaref. Rote Tropfen vermischten sich nur langsam mit dem Öl. Schlieren zogen sich, wie Nebel in einem Wasserglas. Deron machte soeben wieder einen Atemzug und betrachtete argwöhnisch den gezogenen Dolch, als plötzlich die Hand vorschnellte und ihn packte. Vollkommen perplex keuchte der Peregrine und riss die Augen auf. Im nächsten Moment ärgerte er sich bereits wieder über seine Reaktion. Der Hexer musste ja denken, er hatte es mit einer Memme zu tun! Also biss er die Zähne aufeinander und taxierte den Alchemisten leicht feindselig, ehe er dessen Frage beantwortete. In der Zwischenzeit trommelte beständig der Regen.


    "Ich will wissen, ob das Kind meins ist. Oder ob mein Weib mir Hörner aufgesetzt hat!" presste er hervor, denn natürlich wollte er das wissen, deswegen war er schließlich hier, und deswegen hatte er das letzte Geld zusammengekratzt. Und die Götter mochten seinem Weib gnädig sein, wenn letzteres der Fall war und sie ihn nach Strich und Faden hintergangen hatte!



  • Es zeigte sich keine Regung auf dem markanten Gesicht des Syrers, es verschattete sich dennoch in dem Raum, denn noch grauere Regenwolken zogen über den Himmel von Rom, um weiterhin ihre Schleusen über der großen Metropole und dem schlagenden Herzen des Imperiums zu öffnen. Jaref beugte sich etwas nach vorne und noch ehe ein Atemzug verstrich, ließ er den scharfen Dolch über die Haut von Deron fahren, direkt am Handballen, zuerst war nur eine hauchdünne, feine weiße Linie zu erkennen, dann quoll das Blut hervor; immer noch wie im Schraubstock hielt Jaref die fremde Hand fest und drückte fester gegen das Fleisch, damit mehr von dem Blut in die Schüssel tropfte und sich mit dem anderen Lebensodem zu vermengen. Erst dann lockerte er den Griff und ließ von der Hand des Deron ab.


    Aus den Räumen nebenan drang ein helles Kreischen zu den Beiden hinüber; die Worte waren nicht zu vernehmen, doch es stammte immer noch von der keifenden Alten. Der Syrer kümmerte sich nicht darum, sondern griff nach der ersten Phiole, deren Glaskolben er vorsichtig hinaus zog und den Hals nach unten kippte; langsam träufelte das schon halb geronnene Blut aus dem Behältnis und löste sich in der Flüssigkeit der Schüssel nur langsam auf. Auch aus der anderen Phiole folgte das Blut und alle drei Lebensodem bildeten ein zart rosa Gespinnst in dem öligen Untergrund. Mit einer zielsicheren Bewegung griff Jaref nach dem Nacken des Kaninchens und begann leise und völlig unverständliche Worte zu summen. Ein hoher Oberton mischte sich mit einem tiefen Brummen, ganz als ob zwei verschiedene Menschen hier waren und die Worte von sich gaben. Das Kaninchen zapptelte wild, die Worte von Jaref wurden eindringlicher, dann blitzte der Dolch im Schein der Öllampe auf. Die Spitze stieß in das weiche und weiße Fell und er schlitzte dem Tier die Kehle auf. Das Blut spritzte nicht nur über die Schüssel, sondern auch über das Gesicht des Jaref, aber auch über die Kleidung der beiden Männer; ein roter Schwall ergoß sich in der Schüssel. Achtlos ließ Jaref das Kaninchen in ein anderes Behältnis fallen und griff ohne überflüssige Bewegungen nach einer Karaffe, um schwungvoll etwas von der klaren Flüssigkeit dort hinein zu gießen. Mit einer Zange griff er nach einem glühenden Kohlestück aus der Gußeisernen Pfanne in der Nähe; als das Glutstück die Oberfläche der Flüssigkeit berührte, flammte diese blau und rot brennend auf, doch schon nach wenigen Herzschlägen erstarben diese Flammen wieder.


    Jaref beugte sich über die Schüssel und starrte lange und konzentriert dort hinein. Es schien eine schiere Ewigkeit zu vergehen, ehe Jaref leise brummte und die dichten Augenbrauen zusammen zog.
    „Hmmm....das Kind wird Unheil über Dich bringen. Großes Unheil, ich sehe Tod und Leid auf Dich zukommen. Das Kind trägt den Samen eines Anderen in sich. Und es ist dennoch Deins. So wie es Dein Schicksal unwiderbringlich besiegeln wird.“
    Jaref sah auf und seine Augen richteten sich düster auf den anderen Mann.



    EDIT: Da hier kein Interesse von Seiten Corvinus' zu bestehen scheint, werde ich das auch mal offiziell als beendet deklarieren. Finis. Egal, was auch immer an jenem Tag dort noch passierte.


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