[Ludus discendi] Die Xanthosschule

  • Die Xanthosschule


    Am Forum von Mogontiacum besitzt der angesehene Schulmeister Xanthos, ein Grieche und freigelassener Sklave, eine berühmte Schule, die die meisten Söhne der städtischen Oberschicht besuchen.


    Es ist eine kleine Taberna, die nur mit dem Notwendigsten ausgestattet ist: Es gibt für jeden Schüler einen Hocker, einen großen Stuhl für Xanthos selbst und eine Karte des Römischen Reiches, die an der Wand hängt.


    Xanthos unterrichtet als Grammaticus Lesen und Schreiben auf Latein und Griechisch, sowie die wichtigsten Klassiker wie Homer, Cicero und Livius. Wegen seiner Strenge wird er von den Jungen seiner Klasse auch Xanthippus genannt - in Anlehnung an eine unfreundliche Griechin mit Namen Xanthippe. Er hat einen Bart, dafür jedoch eine Glatze, die nur von einem schmalen Haarkranz umgeben ist und widmet sich in seiner Freizeit mit Vorliebe der Mathematik.


    Die aktuelle Klasse besteht aus Mucius Domitius Marius, dem Sohn eines Tribunen bei der örtlichen Legion, Praetonius Rufus, ebenfalls ein Offiziers-Sohn, dessen Vater allerdings nicht in Mogontiacum stationiert ist, Caius Vinicius, der Sohn eines städtischen Magistraten, Antonius, Flavius, Iulius, der Sohn eines Anwalts in der Stadt und Publius.


    Sim-Off:

    Wem das alles hier bekannt vorkommt, der muss sich nicht wundern. Ich verweise ausdrücklich als Ideenreservoir auf die Caius-Reihe von Henry Winterfeld!

  • Nachdem Heila tot war und Crispus und seine Familie einige Tage getrauert hatten, beschloss dieser, wieder nach vorn zu blicken. Zwar war Lucius fast etwas jung, dennoch hatte sein Vater beschlossen, den Jungen in die Schule zu schicken, damit dieser etwas lernte und später einmal in höheren Kreisen verkehren konnte, ohne sich lächerlich zu machen. Außerdem hatte er keine Zeit, dem Jungen das Schreiben beizubringen.


    So erschien er am Morgen bei Xanthos, der ihm von seinen Nachbarn als der beste Lehrer der Stadt angepriesen worden war. Vielleicht konnte sein Sohn ja dort auch Kontakte zur zukünftigen Elite der Stadt knüpfen!


    Als sie - begleitet von Armin - an der Schule erschienen, waren die anderen sieben Schüler bereits da. Sie wirkten noch ziemlich müde und lungerten auf ihren Hockern, während der Lehrer selbst offensichtlich ein geometrisches Problem, das er mit Kreide auf den Boden gezeichnet hatte, begutachtete.


    Lucius sah sich mit großen Augen um: Er hatte noch nie eine Schule von innen gesehen - ebenso Armin, der noch nie eine Schule gesehen hatte. Da der Lehrer ihn nicht zu bemerken schien, räusperte sich der Petronier und meinte


    "Ave, Meister Xanthos!"


    Xanthos sah auf. Crispus fiel auf, dass sein Bart sauber gestutzt war, er jedoch ein unfreundliches Gesicht machte, als ob er sich über die Störung sehr ärgern würde.


    "Ich bin Marcus Petronius Crispus und das hier ist mein Sohn Lucius. Ich würde ihn gerne in deiner Schule anmelden."


    erklärte Crispus dennoch selbstbewusst. Er gehörte zur Oberschicht der Stadt und Xanthos war zwar angeblich wählerisch, würde aber sicher nicht solch einen Schüler verweigern.


    "Lucius, soso..."


    sagte der Meister und erhob sich, um den Knaben genauer anzusehen. Langsam ging er auf ihn zu und betrachtete ihn.


    "Er ist ziemlich jung, nicht wahr?"


    "Er ist fast sieben und sehr aufgeweckt. Ich bin sicher, dass er mitkommen wird."


    erwiderte Crispus. Doch Xanthos schien nicht überzeugt zu sein. Er beugte sich zu Lucius hinunter und fragte ihn plötzlich


    "Was ist sieben und vier?"


    Lucius war ganz erschrocken. Dann malte sich jedoch Nachdenklichkeit auf das Gesicht des Knaben und kurz darauf lächelte er.


    "Das ist leicht! Elf!"


    Xanthos strich sich den Bart glatt und richtete sich wieder auf.


    "Richtig. Er darf gleich bleiben - den Sklaven nimmst Du aber wieder mit! Er lenkt den Jungen nur ab!"


    Crispus atmete auf - für einen Augenblick hatte er befürchtet, sein Sohn würde nicht angenommen werden. Nun jedoch schickte er Lucius zu seinen neuen Klassenkameraden und einigte sich mit Xanthos über den Preis. Er war ordentlich, doch für Lucius wollte der Petronier nur das Beste!


    Schließlich packte er Armin ein und verließ die Schule, während Lucius seinen ersten Schultag begann.

  • [Blockierte Grafik: http://img55.imageshack.us/img55/7766/luciuspetroniuscrispuskex5.jpg]|Lucius Petronius Crispus


    Seit seiner Einschulung saß Lucius Petronius Crispus jeden Tag in der Schule des Xanthos - immer hinter Caius, der ihn öfter ärgerte, weil er größer und stärker als Lucius war. Doch dafür hatte Mucius ihn ein wenig unter seine Fittiche genommen und da Mucius der Anführer ihrer Bande war, musste Lucius wenig Angst vor den anderen haben.


    Vorn saß wie üblich Xanthos. Sie hatten in der letzten Woche das gesamte Alphabeth durchgenommen, nun waren sie zu den Silben vorgestoßen.


    "'qui' wie 'Quintus'! Ich möchte von jedem von euch ein 'qui' auf der Tabula sehen!"


    gab Xanthippus, wie die anderen Jungen ihn nannten, die Arbeitsanweisung. Dazu hob er eine Tabula hoch, auf der er die Silbe vorgeschrieben hatte.


    Lucius wusste nicht, warum sein Lehrer diesen seltsamen Spitznamen trug - kannte er doch nicht die Geschichte von dem unfreundlichen Weibe! Er hatte von seiner Mutter höchstens germanische Legenden gehört. Während er versuchte, ein schönes 'qui' auf seine Tabula zu bekommen, schweiften seine Gedanken ab zu Mama, die, wie ihm Gunda erklärt hatte, irgendwoanders war, wo es ihr gut ging.


    Plötzlich wurde er angestupst. Als er sich zur Seite wandte, saß dort Antonius und sah ihn unheilschwanger an.


    "Kennst du die Geschichte von Quintus, dem untoten Legionär?"


    flüsterte er ihm ins Ohr. Antonius liebte Geistergeschichten und hätte wohl zu jeder Silbe eine zu erzählen gehabt. Lucius sah auf: Xanthos hatte sich schon wieder einer Papyrus-Rolle zugewandt, die verdächtig nach Geometrie aussah.


    "Erzähl."


    antwortete Lucius und duckte sich ein wenig, als ob Xanthos ihn dann weniger hören würde. Eigentlich mochte er keine Geistergeschichten - davon bekam er schlechte Träume! Aber er wollte nicht als Angsthase dastehen, also harrte er der Dinge, die da kommen würden.




  • [Blockierte Grafik: http://img55.imageshack.us/img55/7766/luciuspetroniuscrispuskex5.jpg]| Lucius Petronius Crispus


    Auch Antonius warf einen prüfenden Blick auf Xanthos, dann wandte er sich wieder Lucius zu und begann.


    "Damals, als mein Großvater noch gelebt hat, gab es hier in Mogontiacum auch schon eine Garnison und dort lebte ein Legionär mit dem Namen Quintus. Er war ein rauher Bursche, der seinem Centurio immer Ärger machte und sich oft mit den Leuten in der Stadt prügelte. Dieser Quintus ging aber trotzdem oft in die Stadt, weil es ihm Spaß machte, sich mit kleinen Bauern anzulegen und ihnen die Nase einzudrücken. Besonders oft hat er sich mit einem jungen Mann angelegt, der Wigand hieß.


    Quintus war also eines Tages wieder in der Stadt unterwegs und legte sich in der Taberna Silva Nigra wieder einmal mit Wigand an. Aber Wigand war es langsam zu blöd und hatte sich schon was überlegt. Die beiden sind also zum Streiten vor die Tür gegangen und haben sich geprügelt, aber Wigand hat einen Dolch in seinem Schuh versteckt und ihn plötzlich herausgezogen und Quintus mitten ins Herz gerammt. Und Quintus ist sofort tot umgefallen.


    Da hat Wigand natürlich ganz schön Angst gekriegt - wenn man einen Römer umbringt, wird man auch umgebracht und der Statthalter war damals ein sehr strenger Mann! Aber Wigand hat den toten Quintus genommen und aus der Stadt geschafft. Er hat ihn irgendwo im Wald versteckt - unbeerdigt!


    Wenn ein Toter nicht beerdigt wird, dann kann er nicht in den Hades gehen. Und deswegen ist dem Quintus sein Geist - AH!"


    Antonius unterbrach seine Geschichte, als er von Xanthos am Ohr gepackt wurde. Auch Lucius schrie auf, denn mit der zweiten Hand hatte der Magister ihn ebenfalls am Ohr gepackt.


    "Was schwätzt ihr in meinem Unterricht? Wo sind meine 'qui's?"


    herrschte er die beiden Schüler an. Sein Gesicht war voller Missbilligung - er hasste es, wenn seine Knaben unaufmerksam waren. Dann konnte es leicht Strafen geben.


    "Ihr beide schreibt mir jeder hundert 'qui's - bis morgen!"


    Antonius und Lucius stöhnten auf. Eine Strafarbeit war ärgerlich und zusätzlich hasste es Lucius' Vater, wenn sein Sohn Strafen erhielt. Petronius Crispus konnte dann richtig wütend werden. Außerdem war dies natürlich ein großer Zeitverlust - er hatte ja schon den ganzen Tag Schule und dann auch noch Aufgaben für zu Hause? Schrecklich!


    Xanthos war inzwischen wieder zu seinem Stuhl gerauscht und fuhr mit seinem Unterricht fort. Erneut hielt er seine Tabula hoch und sagte


    "Jetzt möchte ich ein 'at'! Fünfmal bitte!"


    Einen Augenblick fixierte er die beiden Störenfriede mit mahnendem Blick, dann beugte er sich wieder über seine Geometrie, während Lucius rasch schrieb in der Hoffnung, alles richtig zu machen.




  • [Blockierte Grafik: http://img55.imageshack.us/img55/7766/luciuspetroniuscrispuskex5.jpg]|Lucius Petronius Crispus


    Am heutigen Tage stand Mathematik auf dem Programm und Xanthippus war ganz begeistert davon - war er doch selbst ein großer Mathematiker! Doch leider musste die hohe Mathematik noch einige Zeit warten - Elementarunterricht war hier angesagt und das bedeutete, dass die Jungen lernen mussten, zu zählen und mit einem Abacus umzugehen.


    "Heute gibt es Mathematik! Wir haben ja bereits die Zahlen von eins bis hundert gelernt. Wie gingen sie noch gleich?"


    Im Chor mussten die Xanthos-Schüler die Zahlen nun aufsagen, was sie allerdings schon öfter hatten tun müssen, sodass es insgesamt ziemlich gelangweilit und monoton klang. Lucius hatte relativ wenig Schwierigkeiten mit Mathematik, doch er wusste, dass der ein oder andere Schulkollege doch Probleme mit den Zahlen hatte.


    "Welche Buchstaben verwende ich, um die Zahl 'Vierundsechzig' darzustellen?"


    fragte Xanthos nach der langweiligen Aufzählung und deutete mit seinem Stock auf Caius. Dieser hatte wie üblich nicht aufgepasst, sondern versucht, aus seiner Wachstafel Wachs herauszukratzen und zu Kügelchen zu formen. Lucius wettete, dass er ihn anschließend mit den Kugeln terrorisieren würde.


    "Hmmm...ähm...X, X, X, X, X, X, I, I, I, I?"


    Xanthippus Augen leuchteten kurz auf, aber offensichtlich nicht vor Freude, sondern vor Ärger. Natürlich war das völlig falsch und Caius war manchmal wirklich ziemlich schwer von Begriff. Doch Xanthippus schien zu glauben, dass Caius sich nur keine Mühe gab und deswegen so ein schlechter Schüler war.


    "Falsch! Wenn ich deinem Vater erzähle, wie unaufmerksam du hier immer bist, nimmt er dich bestimmt von der Schule!"


    Er deutete auf Publius, der sich sowieso schon gemeldet hatte und es mit größter Sicherheit wusste. Tatsächlich erklärte er lässig.


    "L, X, I und V!"


    "Richtig! Heute lernen wir die Addition mit dem Abacus. Addition ist das Zusammennehmen zweier Zahlen. Holt eure Abaci hervor!"


    Lucius wandte sich zu seiner Tasche und holte einen hölzernen Abacus hervor, den sein Vater ihm auf dem Markt gekauft hatte. Er bestand aus einem Rahmen mit neuen Stangen, die jeweils geteilt waren. Auf der einen Seite waren jeweils vier, auf der anderen Seite jeweils nur ein Steinchen. Angeblich konnte man damit bis zu Größenordnungen von einer Million rechnen, was sich Lucius aber nicht vorstellen konnte (er konnte sich aber auch nicht die Zahl 'eine Million' vorstellen). Manche der anderen Schüler (beispielsweise Caius oder Iulius) hatten bronzene Abaci, die etwas edler aussahen, aber wohl den gleichen Zweck erfüllten.
    Auch Xanthippus hatte einen Abacus hervorgeholt, der allerdings wesentlich größer war und wohl zu Anschauungszwecken diente.


    "Wir beginnen mit der einfach Addition von II und III. Ihr müsst euch dabei vorstellen, wie ihr diese beiden Zahlen schreibt. Am Abacus steht jeder Stab für ein Zahlzeichen. Auf der einen Seite für I, X, C, M, und so weiter, auf der anderen Seite die Fünfer-Zeichen, also V, L, D und so weiter."


    Tatsächlich war sein Zeige-Abacus mit den Zeichen versehen, wobei die Zeichen an den anderen Stangen für Lucius ziemlich verwirrend waren und er daher beschloss, sie vorerst außer Acht zu lassen.


    "Zurück zu unserer III und der III. Wenn ich auf dem Abacus etwas addieren will, dann muss ich einfach entsprechend den Zahlzeichen die Steinchen an den Stangen verschieben. Ich fange also mit der ersten Zahl an."


    Er schob drei Steinchen auf der I-er-Stange zur Mitte.


    "Dann mache ich mit der zweiten Zahl einfach weiter. In unserem Falle wäre das noch einmal die III. Also so."


    Er verschob noch ein Steinchen auf der gleichen Stange, dann war jedoch keines mehr übrig.


    "Wenn die Steinchen auf einer Stange ausgehen, zähle ich einfach auf der Nächsthöheren weiter. Bei uns also die V-Stange. Dafür wird meine I-er-Stange wieder frei, also kann ich dort die anderen wieder abzählen."


    Er schob alle Steinchen der I-er-Stange zurück und dann die zwei fehlenden Steinchen dazu. Nun war auf der V- und auf der I-Stange jeweils ein Stein verschoben.


    "Jetzt können wir ganz einfach ablesen. Auf der V-Stange haben wir einen Stein, auf der I-Stange auch. Also brauchen wir ein V und ein I - was bedeutet VI?"


    Er deutete auf Lucius, der noch immer voller Faszination versuchte, die Rechenoperation seines Lehrer nachzuvollziehen. Das klang ja wirklich ganz einfach! Ob das auch mit größeren Zahlen klappte?


    "Was?"


    fragte er daher voller Erstaunen und Xanthippus wiederholte ungeduldig die Frage. Er wollte ganz offensichtlich weiterkommen.


    "Achso, naja, klar: VI heißt sechs!"


    "Genau. Wenn ihr an euren Fingern nachzählt, werdet ihr merken, dass das stimmt. Genauso funktioniert es auch bei Rechnungen, die über die Zehn oder die Fünfzig hinausgehen. Passt auf."


    Nun begann Xanthippus, größere Zahlen vorzuaddieren und die Jungen der Klasse versuchten, das ganze auf ihren Abaci nachzuvollziehen. Bis jetzt hatte Lucius keine Probleme, die Mathematik zu verstehen...




  • [Blockierte Grafik: http://img55.imageshack.us/img55/7766/luciuspetroniuscrispuskex5.jpg]| Lucius Petronius Crispus


    Als Lucius am Wahltag in die Schule kam (Xanthippus sagte, dass Kinder nicht wählen durften, also auch kein Recht hatten, an diesem Tag im Unterricht zu fehlen), war der Lehrer noch nicht im Klassenzimmer. Die anderen Jungen hingegen waren bereits da und schienen sich über die heutige Wahl zu unterhalten.


    "Mein Papa wird bestimmt wieder gewählt! Er hat gestern nochmal alle seine Freunde eingeladen und es gab ganz tolles Essen!"


    erklärte Caius gerade, als Lucius zu der Gruppe trat. Die übrigen Jungen schienen von den aktuellen Geschehnissen ziemlich fasziniert zu sein. Lucius grüßte die Anwesenden.


    "Havete!"


    Alle sahen ihn an: Es war natürlich bekannt, dass Lucius' Vater ebenfalls kandidierte und sie wollten wissen, was dieser für seine Wahl getan hatte. Daher ergriff Antonius das Wort:


    "Ah, Lucius! Dein Vater will doch Magistrat werden, oder? Hat er auch ein Essen gegeben?"


    "Nein, er hat aber seinen Namen auf die Hauswand geschrieben und Werbung gemacht!"


    erklärte der kleine Petronier. Caius ergriff wieder das Wort.


    "Mein Papa sagt immer, dass es nur hilft, wenn man mit den Leuten redet und ihnen gute Angebote macht. Ich weiß zwar nicht, was das heißt, aber mein Papa kennt sich mit sowas aus - er ist schon lange Magistrat!"


    Die Jungen nickten zustimmend - jeder wusste, dass Caius' Vater sich mit Politik auskannte wie wenige in dieser Stadt. Und selbst, wenn sie nicht wussten, was für seltsame 'Angebote' Vinicius machte, waren sie doch sicher, dass es etwas sehr kluges war und nichts mit dem zu tun hatte, was Iulius nun einwarf.


    "Mein Vater ist von jemandem gebeten worden, ihn zu vertreten: Er hat Wahlbestechung gemacht. Ob das etwas mit Bedrohen zu tun hat?"


    Auch hier konnten die Knaben wenig dazu sagen und sahen sich gegenseitig verwirrt an. Plötzlich hob Mucius den Finger.


    "Bestechung ist doch, wenn jemand dem anderen Geld gibt, damit der irgendwas macht! Wahrscheinlich ist Wahlbestechung, wenn jemand einem anderen Geld gibt, damit er gewählt wird!"


    "Aber hat dein Papa nicht Brot auf dem Forum verteilt? Ist das dann nicht auch sowas wie Wahlbestechung, bloß eben mit Brot statt Geld?


    warf Flavius ein und sah Lucius erschrocken an. Dieser lief rot an. Scheinbar war Wahlbestechung etwas Verbotenes und möglicherweise hatte sein Vater so etwas gemacht und jeder wusste es! Hoffentlich sperrte man seinen Vater nicht ins Gefängnis! Er war zwar streng, aber seit dem Tod seiner Mutter war er der einzige, den er noch hatte (außer natürlich Arminius und Gunda).
    Doch Iulius beruhigte ihn.


    "Ich glaube nicht, dass das verboten ist. Sowas wird doch jede Wahl gemacht!"


    In diesem Augenblick wurde der Vorhang beiseite geschoben und der alte Xanthippus betrat den Unterrichtsraum. Er blickte die Jungen scharf an, dann befahl er


    "Alles auf die Plätze! Wir fangen an! Heute steht Schreiben auf dem Programm!"


    Damit begann der Unterricht und die Knaben setzten sich rasch auf ihre Schemel. Jeder zog eine Wachstafel und einen Stylus hervor, dann begann Xanthippus, langsam einen Text über Wahlen zu diktieren.




  • [Blockierte Grafik: http://img55.imageshack.us/img55/7766/luciuspetroniuscrispuskex5.jpg]| Lucius Petronius Crispus


    Viele Tage, Wochen und Monate waren vergangen, seitdem Lucius zum ersten Mal die Xanthos-Schule betreten hatte. Und inzwischen kannte er die Jungen hier alle zu gut. In ihre Clique jedoch war er nie so wirklich völlig hineingelangt. Stattdessen saß er immer auf einem Schemel in der hinteren Reihe. Leider hatte sich gezeigt, dass seine Begabung für das Lesen und Schreiben ebenfalls etwas mangelhaft war, sodass er gelegentlich von den anderen Jungen ausgelacht worden war, wenn er wieder einmal völligen Unsinn vorgelesen hatte - nur Antonius, der oft genauso schlecht war wie Lucius selbst war etwas, was man als Freund bezeichnen konnte. Lucius jedoch bewunderte Mucius am meisten. Er war immer der Anführer der Bande, durfte entscheiden und wenn er etwas sagte, dann galt es. Oft war Caius eine kleine Opposition, doch die überragende Autorität von Mucius, der stets rasch von den anderen unterstützt wurde, zwang auch den eingebildeten Magistraten-Sohn in die Knie.


    Eigentlich besuchte er die Schule höchst ungern, denn meistens mussten sie sich doch mit dem Lesen und Schreiben beschäftigen, während die Mathematik, die Lucius wesentlich besser gefiel, einen sehr geringen Teil einnahm. Außerdem ging er hin, weil sein Vater es befahl. Einmal hatte er Armin, der ihn jeden Morgen in die Schule brachte, überredet, lieber aus der Stadt in den Wald zu gehen, doch als sein Vater es von Xanthos erfahren hatte, hatte der kleine Lucius die Tracht Prügel seines Lebens erhalten. Damals hatte er die ganze Nacht geheult und war am nächsten Morgen mit blauen Flecken in die Schule gegangen. Caius hatte ihn ausgelacht. Überhaupt machte Caius ihm am meisten Ärger - er schien geradezu Spaß daran zu haben, den kleinen und schmächtigen Lucius bei jeder Gelegenheit das Leben schwer zu machen. Nicht nur einmal hatte er von Meister Xanthos Ärger bekommen, weil Caius ihn in irgendeiner Weise (besonders mit seinem Stylus) vom Unterricht abgehalten hatte. Um genau zu sein, hasste Lucius ihn sogar!


    Der Lernfortgang war dennoch weitergegangen: Aus Silben waren ganze Wörter geworden und heute nun hatte Meister Xanthos sich eine weitere Teufelei ausgedacht: Sie mussten einen Text des göttlichen Divus Iulius Caesar lesen! Gerade hatten sie etwas über diesen beeindruckenden Mann der römischen Geschichte erfahren - Lucius hatte nicht aufgepasst, sondern stattdessen auf seiner Tabula Kopfrechnen geübt. Natürlich hatte Iulius wieder eine Menge gewusst - Lucius fragte sich, woher - er hatte sogar die Überlegung angestellt, mit ihm verwandt zu sein, doch das hatte nur Gelächter hervorgerufen. Iulius' Vater mochte ein angesehener Anwalt sein, aber eine Verwandtschaft mit dem ersten Kaiserhaus war doch sehr unwahrscheinlich. Inzwischen hatte Xanthos aber die große Buchrolle aufgerollt und reichte sie an Lucius.


    "Lucius, ließ uns die ersten Worte vor! Sie sind sehr bekannt!"


    Der kleine Petronier nahm voller Angst das Buch entgegen und suchte den Anfang. Bereits jetzt hatte er Angst zu versagen: Das war doch nur eine endlose Reihe von Buchstaben! Wo war der Anfang? Und war dieses V jetzt wie vulnera oder wie urbs auszusprechen? Als er auf den Finger blickte, mit dem er dem Text folgen wollte, bemerkte er, dass dieser zitterte. Würden die anderen ihn wieder auslachen? Warum hatte Xanthippus nur ihn ausgewählt? Sollte doch der dumme Brutus sich blamieren!


    "Ga...lliae stohm - äh - Gallia est omniis diiuiissaai - ähm - diiviissaa iin paa...rrtees treessquaa - äh - quaarruumuun - quarumun? - ah! - quaruum unnaam in-c-oolll...uhnn-t beel - hä?"


    stammelte er hervor. Irgendwie wollten diese verdammten Buchstaben keinen Sinn ergeben! Hilfesuchend sah er sich in der Klasse um. Antonius sah ihn mitleidig und etwas verzweifelt an, Iulius meldete sich bereits und Caius grinste hämisch. Und schließlich blieb sein Blick an Xanthippus kleben, der ihn streng und erwartungsvoll ansah.


    "Hast du zu Hause Lesen geübt, wie ich es dir aufgetragen habe?"


    Beschämt senkte Lucius den Kopf. Er erinnerte sich noch sehr genau daran, dass Meister Xanthos ihm das erst gestern aufgetragen hatte. Doch da sein Vater es nicht wusste, hatte er sich stattdessen mit den anderen Jungen getroffen und sie hatten eine Schneeballschlacht gemacht. Zuerst war alles ganz lustig gewesen, doch dann hatte Lucius Caius den Kratzer, den letzterer mit seinem Stylus gemacht hatte, heimzahlen wollen und ihm einen Schneeball direkt auf die Nase geworfen. Daraufhin war Caius wütend geworden, losgestürmt und hatte den viel schwächeren Lucius in den Schnee geworfen und sein Gesicht in einen besonders großen Schneehaufen gepresst. Eine Rangelei war entstanden und wenn Mucius die beiden nicht getrennt hätte, hätte Lucius wohl weitaus mehr als einen Riss im Mantel davongetragen. Zu Hause hatte es deswegen ordentlichen Ärger gegeben - sein Vater hatte ihm den Mantel weggenommen und entschieden, dass Lucius dann eben ohne Mantel leben musste, wenn er ihn kaputt machte. Heute morgen war er daher richtig froh gewesen, die Schule zu erreichen - zu kalt war es draußen gewesen, auch wenn er zwei Tunicae übereinander trug. Nun jedoch wünschte er sich in einen Schneesturm oder sonstwohin, wo Xanthippus bohrender Blick ihn nicht traf.


    "Indem du schweigst, sprichst du, Lucius! Offensichtlich brauchst du mehr Kontrolle: Schreibe mir bis morgen auf, was du den ganzen Nachmittag zu tun pflegst. Und sieh zu, dass die Tabula ganz voll ist!"


    Die ganze Tafel? Lucius war niedergeschlagen...dann fiel ihm etwas ein: Armin hatte doch von Morag ebenfalls gelernt zu schreiben! Und sicherlich würde Xanthippus es nicht bemerken, wenn er für ihn die Hausaufgaben machte! Dafür würde Lucius Armin eben einen Gefallen tun...hmm...vielleicht konnte er solange für ihn ausmisten! Der gute Asulf war Lucius sowieso nur sympathisch und er konnte es gar nicht erwarten, bis man ihm erlaubte, ihn zu reiten.
    Während Lucius so nachdachte und dabei den Kopf gesenkt hielt, fuhr Xanthos mit dem Unterricht fort. Er rief Iulius auf, der sofort auswendig die ersten Sätze des Gallischen Krieges rezitierte. Natürlich auswendig!


    "Gallia est omnis divisa in partes tres, quarum unam incolunt Belgae, aliam Aquitani, tertiam qui ipsorum lingua Celtae, nostra Galli appellantur. Hi omnes lingua, institutis, legibus inter se differunt. Gallos ab Aquitanis Garumna flumen, a Belgis Matrona et Sequana dividit.*"


    Sim-Off:

    * Gallien in seiner Gesamtheit ist in drei Teile geteilt, von denen den einen die Belgier bewohnen, den anderen die Aquitaner und den dritten, die welche in ihrer eigenen Sprache Kelten, in unserer Gallier heißen. Diese alle sind nach Sprache, Einrichtungen und Gesetzen untereinander verschieden. Die Gallier trennt von den Aquitanern der Fluß Garonne, von den Belgiern die Marne und die Seine.




  • [Blockierte Grafik: http://img14.imageshack.us/img14/7499/luciusgrer.jpg]| Lucius Petronius Crispus


    Inzwischen lasen die Knaben der Xanthos-Schule die römische Literatur ganz gut. Nachdem sie Caesar hinter sich gelassen hatten, hatte sich Xanthippus eine neue Teufelei ausersonnen: Nun wartete er den Jungen auch noch mit einer zweiten Sprache, dem Griechischen, auf. Das war zu viel für Lucius: Er hatte vor kurzem erst einen sicheren Umgang mit den lateinischen Buchstaben erreicht - nicht zuletzt aufgrund der Nachhilfe seiner Cousine - doch nun zeigte sich, dass diese verflixten Buchstaben auch noch andere Bedeutung erhalten konnten und noch einmal ergänzt wurden. Lucius war sich von Anfang an sicher, dass er es niemals schaffen würde, diese Sprache wirklich zu beherrschen.


    Doch eine Sache war zumindest tröstlich: Xanthippus hatte angekündigt, dass die Griechen große Philosophen hervorgebracht hatten. Zwar sagten Lucius Namen wie Epikur oder Platon nichts, aber dafür kam ihm der Name eines gewissen Thales bekannt vor - hatte der nicht etwas mit Geometrie zu tun? Und auch andere Namen klangen interessant, nachdem Xanthippus diese als große Mathematiker vorgestellt hatte. Das hatte ihm auch die Angst vor den Buchstaben etwas genommen und er begann eifrig zu lernen. Diese Hoffnung wurde jedoch enttäuscht, denn diese verfluchte Sprache erwies sich als unglaublich schwierig und die Hoffnung, auch nur jemals einen Text dieser Philosophen zu lesen, versank in einem Meer aus Angst vor dem Aufrufen, verzweifeltem Anstarren von Buchrollen und Furcht vor der Schelte des Vaters beim Nach-Hause-Kommen.


    Eine seltene Freude blieb jedoch der Unterricht in Arithmetik und Geometrie, den Xanthippus sehr schätzte - wie auch Lucius, denn komischerweise machten ihm Zahlen wesentlich weniger Schwierigkeiten als Buchstaben, Worte und Sätze. Und das Beste: Darin war er wesentlich besser als Caius und konnte sogar mit Iulius gleichziehen!


    "Caius, wie groß ist der Winkel hier?"


    Mit seinem Zeigestab deutete der Lehrer auf eine Wandkarte, auf der ein geometrisches Gebilde aufgezeichnet war. Caius blickte das Bild abschätzig an und zuckte mit den Schultern.


    "Woher soll ich das wissen?"


    "Indem du hier ein bisschen aufpasst!"


    erwiderte Xanthos gereizt. Trotz allen Hasses auf Caius bewunderte Lucius seinen Klassenkameraden: Ihm schien der Tadel des Lehrers überhaupt nichts auszumachen, er zeigte sich vielmehr völlig unbeeindruckt davon! Er selbst wäre vermutlich sofort im Boden versunken, wenn Xanthos ihn so angefahren hätte. Doch andererseits nährte dies auch seinen Hass auf den vornehmen Jüngling: Wie konnte man nur so respektlos sein? Er glaubte wohl, bloß weil sein Vater ein Magistrat war, konnte er sich alles erlauben! Naja, der bekam ja sowieso alles hinterhergeschmissen! Doch auch Xanthos konnte nichts unternehmen, denn Vinicius, der Vater von Caius, hielt seinerseits ebenfalls nichts von Geometrie und sorgte nicht dafür, dass sein Sohn die Strafarbeiten im mathematischen Bereich machte. Also ging er weiter.


    "Antonius?"


    Auch der kleine Antonius machte einen Versuch. Wie immer, wenn er etwas nicht wusste, dehnte er die Antwort dabei und starrte das Problem an, als wäre es soeben erst aufgetaucht.


    "Hmmm....mal sehen...vielleicht...ungefähr...dreißig Grad?"


    "Falsch! Lucius?"


    kommentierte Xanthos und ging sofort weiter. In Mathematik war Lucius der Klassenprimus und natürlich erwartete der Lehrer, dass der Petronier die Antwort parat hatte. Und natürlich wurde er nicht enttäuscht, denn Lucius hob sofort seinen Kopf und antwortete wie aus der Catapulta geschossen:


    "Siebenundzwanzig Grad, Meister Xanthos!"


    "Und warum?"


    "Weil der Winkel da unten siebenundzwanzig Grad hat und die Gerade einfach die parallele Gerade schneidet, Meister Xanthos!"


    "Sehr gut, Lucius!"


    lobte der Lehrer. Dieser Zusammenhang war Lucius auch ohne seine Erklärung klar gewesen. Wenn man dieses Bild auf ein Papyrus malte und die es diagonal faltete, konnte man ja sehen, dass es der gleiche Winkel war! Nein, in Geometrie machte ihm so schnell niemand was vor.


    "Siebenundzwanzig Grad, Meister Xanthos! Weil der Winkel sonstwas blabla, Meister Xanthos! Kann ich nochwas für Euch tun, o großer Meister Xanthos?"


    flüsterte Caius dem kleinen Petronier mit einem bösen Grinsen zu. Natürlich wusste er, dass dies Lucius besonders stören würde, denn er stritt die ganze Zeit um die Anerkennung der Jungen und obwohl er Caius hasste, so fürchtete er doch seinen Spott. Er wollte kein Streber sein, hatte jedoch nicht diese Ruhe, die Iulius gegenüber derartigen Angriffen an den Tag legte.


    "Halt's Maul, Caius!"


    meinte er daher und drehte sich um. Xanthos hielt in seinem Vortrag inne.


    "Wie bitte?!"


    Sofort fühlte sich Lucius wieder ertappt und sah beschämt zu Boden. Er spürte, wie das Blut in seinen Kopf schoss, als er erkannte, dass der Lehrer diese Beschimpfung gehört hatte.


    "Nur, weil du diesen Winkel erkannt hast, heißt das nicht, dass du den Unterricht stören darfst! Solche unflätigen Worte schätze ich nicht in meiner Schule! Raus!"


    Das Blut verließ Lucius' Kopf schlagartig - sogar so viel, dass er erblasste. Hatte Xanthippus ihn soeben tatsächlich aus der Klasse geworfen? Und was würde sein Vater sagen, wenn er mitten am Tag von der Schule nach Hause kam? Wie furchtbar! Er würde ihn vermutlich noch extra bestrafen! Er wollte um Gnade bitten, doch er brachte nichts heraus. Stattdessen griff er seine Tafel und hob sie langsam hoch.


    "Na los! Ich möchte fortfahren!"


    schimpfte Xanthos und hinter sich hörte Lucius ein Husten, das ganz danach klang, als würde Caius sich ein Lachen verkneifen. Rasch steckte er die Tafel in seinen Beutel und warf den Stylus hinterher. Dann erhob er sich und verließ schnellen Schrittes die Schule. Kaum hatte er den Vorhang passiert, begannen die ersten Tränen seine Augen zu verlassen. Was sollte er denn jetzt machen?




  • [Blockierte Grafik: http://img14.imageshack.us/img14/7499/luciusgrer.jpg]| Lucius Petronius Crispus


    Inzwischen besuchte Lucius die Schule des Xanthos schon mehrere Jahre. Alles hatte sich so entwickelt, wie es angefangen hatte: Beim Diktat, in der Grammatik und allen sprachlichen Dingen war Lucius geradezu unterirdisch, in allem mathematischen - besonders der Geometrie - hingegen sehr gut, weitaus über dem Klassendurchschnitt. Doch leider war diese Kunst im Lehrplan des Grammatikers Xanthippus nur eine Randnotiz und so litt der junge Petronier jeden Tag unter den Qualen der Literatur, seit neuestem auch in griechischer Sprache! In diesem Fall hatte Lucius allerdings noch weniger Verständnis als in der lateinischen Literatur. Natürlich hatte Xanthos ihnen erklärt, dass Griechisch die Sprache der Gebildeten war, zu denen sie einst gehören wollten. Doch Lucius hatte andererseits noch nie jemanden Griechisch sprechen hören - selbst sein Vater sprach kein Wort in dieser Sprache von Philosophen und Wirrköpfen. Nicht einmal die Aussicht des Lehrers, dass Euklid und die großen Mathematiker allesamt Griechen waren, konnte den Jungen motivieren - Geometrie musste man nicht lesen, sondern sehen und verstehen!


    Heute hatte man ein weiteres Werk des unsäglichen Homer aufgerissen: Die Ilias! Natürlich durfte Iulius, der Klassenprimus, die ersten Verse dieses Werkes vorlesen, was er wie üblich in tadellosem Griechisch tat (sein Vater hatte ihm bereits als kleiner Junge ein wenig von der Sprache der Gebildeten eingetrichtert und natürlich hatte er sie behalten!).


    "Singe den Zorn, o Göttin, des Peleiaden Achilleus,
    Ihn, der entbrannt den Achaiern unnennbaren Jammer erregte,
    Und viel tapfere Seelen der Heldensöhne zum Aïs
    Sendete, aber sie selbst zum Raub darstellte den Hunden,
    Und dem Gevögel umher. So ward Zeus Wille vollendet:
    Seit dem Tag, als erst durch bitteren Zank sich entzweiten
    Atreus Sohn, der Herrscher des Volks, und der edle Achilleus."


    Noch immer beherrschte Lucius das Griechische eher theoretisch als praktisch, daher machte er sich gar nicht die Mühe, genauer zuzuhören, sondern wendete seine Gedanken lieber seinem neuen Schwert zu, das er heute Nachmittag - wie jeden Tag - zu putzen gedachte. Seine Schulkameraden hatten ganz schön gestaunt, als er davon berichtet hatte! Ja, so ein Schwert flößte schon Respekt ein!


    "Dekliniere mir Kyon*, Lucius!"


    Verschreckt blickte Lucius auf. Kyon, der Hund - diese Vokabel hatte er sich glücklicherweise merken können! Doch welche Deklination war das verdammt noch mal? Erste? Nein, das war doch die mit dem -a! Dann also zweite...


    "Kyon, Kyou, Kyoi...ähm...Kyon, und...ähm...also...Kye-"


    Kaum hatte das Wort seinen Mund verlassen, fuhr ihm Xanthippus auch schon dazwischen. Ebenso, wie er sein mathematisches Talent schätzte, bekämpfte er unablässig seine mangelhafte Begabung für die Sprache. Und offenbar hatte er wieder einmal einen Fehler gemacht.


    "Kyon ist Neutrum, nicht Maskulinum! Der Vokativ lautet also?"


    Wieder einmal lief Lucius rot an. Er hasste es, blosgestellt zu werden - und genau das empfand er nun, zumal der dämliche Caius gleich wieder böse zu grinsen begann - obwohl er es wahrscheinlich selbst nicht besser wusste! Aber was war der Vokativ Neutrum der Zweiten Deklination? -a? Aber nein, -a war ja immer weiblich! Andererseits glaubte er sich auch an ein -a im Neutrum zu erinnern...aber war das nicht Plural? Oder doch nicht?


    "Ähm...also...ky..."


    Weiter kam er nicht, denn Xanthippus hatte bereits wieder von ihm abgelassen und sich seinem nächsten Opfer, Antonius zugewandt. Mit seinem Stock deutete er unnachgiebig auf diesen, der ebenfalls geradezu in Panik geriet - in Griechisch war er nur unbedeutend besser als Lucius!


    "Ja...Vokativ, Neutrum...also...kyon, genau!"


    Der Bursche lächelte selbst erleichtert, als er den zufriedenen Blick des Magisters entdeckte. Wieder einmal hatte er seinen Kopf aus der Schlinge gezogen - und das Strafgericht traf einzig den kleinen Petronier:


    "Sehr richtig! Lucius, du musst mehr lernen! Für morgen bringst du mir sämtliche Deklinationen mit je drei Beispielen! Denke daran - es ist vollkommen logisch! Wenn Neutrum und Vokativ, dann die und die Endung!"


    Lucius ließ den Kopf hängen. Diese Strafarbeit würde ihn Stunden kosten - Zeit, die ihm dann beim Training mit dem Schwert fehlte! Was nützte all dieses Geschwafel von Hunden und Helden, wenn er selbst ein Held werden konnte! Achill hatte zumindest wenig Grammatik gepaukt, da war er sich sicher! Das Imperium war mit dem Schwert erobert worden, die Unterwerfung der Griechen hatte doch gezeigt, wie wirkungsvoll ihre sogenannte Kultur war! Das Leben war so ungerecht!

    Sim-Off:

    * gr.: Hund




  • Thorgall:
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    "Junge!", rief Thorgall dem jungen Dagwin hinterher, "Wenn du so rennst komm ich mir unheimlich alt vor.. jetzt mach mal halt.. wir sind gleich da."
    Mit gemächlichem Schritt und einem Pferd an der Hand trottete er durch die Straßen Mogontiacums. Eigentlich hatte er einfach nur einem der Pferde von einem Schmied einen neuen Hufschuh anpassen lassen sollen, aber bevor er aus der Tür war hatte man ihm den jungen Neuzugang in die Hand gedrückt, damit er diesen bei der Xanthosschule vorbeibrachte.. was nicht genau auf dem Weg lag, aber nun ja... Thorgall war nicht in der Position um sich zu beschweren. Und so schlimm war der Umweg nun auch nicht..


    "Na, aufgeregt?"

  • Heute war der große Tag! Dagwin sollte eine öffentliche, römische Schule besuchen, wo er auf Latein lesen und schreiben lernen sollte. Auch in Mathematik hatte er einiges aufzuholen, denn da war er nun wirklich nicht der hellste Kopf. Auf dem Hof hatte er immer nur ein paar dutzend Eier oder so etwas zählen müssen, was ihm aber schon nicht immer leicht gefallen war und nur mit herausgestreckter Zunge aus dem rechten Munwinkel und starker Konzentration schaffen konnte.
    Thorgall, ein sogenannter "Bediensteter" seiner Familie - er verstand immer noch nicht genau, wie Menschen Menschen besitzen konnten, aber das würde er bestimmt auch in der Schule lernen - sollte ihn zur Schule bringen, da er eh in die Stadt musste, er hatte ein Pferd dabei, dem ein Schmied die Hufe beschlagen sollte oder so, irgendwie so etwas eben.


    Der Junge beschwerte sich, zurecht, über Dagwins Tempo, denn er hatte einen ganz schönen Zahn zugelegt, seit sie die Casa Duccia verlassen hatten.
    "Naja, schon ein wenig.. aber ich freue mich auch!" zum einen würde er viel lernen, und er war nunmal sehr wissbegierig, und er würde Kontakte knüpfen können. Also, nicht irgendwelche Kinder von umliegenden Höfen, sondern ebenfalls wissbegierige Kinder, dachte er jedenfalls.. das nicht jeder in seinem Alter so war wie er, wusste er nicht, konnte er sich auch nicht vorstellen.
    Was Dagwin auch nicht wusste war, dass ihm das ein oder andere ziemlich schwer fallen würde und Schule harte Arbeit bedeute, es war eben doch etwas anderes als mit Castor auf der Treppe über die Römer zu plaudern..


    "Wieso gehst du eigentlich nicht zur Schule Thorgall?" fragte er den Jungen mit dem Gaul an der Hand. Das er ein Bedienster der Familie war und es ihm somit nicht erlaubt war, wusste Dagwin nicht. Das Thorgall die Frage auch unangenehm sein könnte, wusste er ebenfalls nicht, daher hatte er einfach aus dem Bauch heraus, gesteuert von seinem Kindskopf, gefragt.
    "Wo ist es denn jetzt?"

  • Thorgall:
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    "Weil ich das nicht muss...", schmunzelte Thorgall den Jungspund an, "..ich habe meine Arbeit auf der Hros, und ich werde das auch noch auf lange Zeit tun. Deine Sippe hat eben eine bestimmte Verwendung für mich, genauso wie sie meinen Vater und meinen Bruder auf dem Acker arbeiten lässt, oder meine Schwester in eurem Hause.. glaubst du, dafür müssen wir rechnen können? Es reicht zu erkennen, dass mich jemand über's Ohr hauen will wenn er mir für eine Märe den falschen Preis gibt.. oder gar falschgegossene Münzen."


    Thorgall strich dem Jungen noch einmal über den Kopf, und deutete dann auf eine Taberna: "Das ist es... ich soll noch mit reinkommen, schließlich kannst du dich nicht selbst anmelden, oder? Ich habe Witjons Siegel dabei, immerhin soll ich beweisen, dass dies Pferd auch wirklich von der Hros kommt... selbst wenn der Käufer mich schon seit Jahren kennt. Gewisse Dinge müssen sein, verstehst du? Römer... also, geh voran und klopfe an."

  • Verwendung? Dagwin verstand das alles immer noch nicht. Wieso waren alle aus Thorgalls Familie "Bedienstete" seiner Familie? Eine Sache, die er auf jedenfall mal in der Schule ansprechen sollte, oder lieber nicht? Nein lieber nicht.. vorlaut wollte er nicht sein und blamieren vor anderen in seinem Alter erst recht nicht.. er könnte das Witjon aber beizeiten mal fragen! Ein Leben lang auf der Hors arbeiten? Das ging doch nicht..


    Als die beiden angekommen waren, erklärte ihm der Stallbursche noch, dass er ihn anmelden würde. Natürlich dachte Dagwin, dass er das auch selber könne, er sei ja kein Kind mehr (dachte er zumindest), aber er konnte nicht wissen, dass bestimmt irgendwelche Formalia abgehandelt werden müssten.
    Auf Thorgalls Anweisung also klopfe er an die Tür.

  • [Blockierte Grafik: http://img818.imageshack.us/img818/7085/xanthos.jpg] | Meister Xanthos


    "Ánthropos - Anthropou - Anthropoi - Ánthropon - Ánthrope"


    klang die zweite Deklination des Griechischen aus dem Munde eines kindlichen Chores Xanthos-Schule auf die Straße, als Thorgall den Vorhang beiseite schob und eintrat. Der Meister saß auf einem Korbsessel, vor ihm einige Jungen auf ihren Hockern. Auf einen Wink des Lehrers verstummten die Schüler und blickten neugierig zur Tür.


    "Ave!"


    grüßte Xanthos dann die beiden Fremden und erhob sich. Mit schnellen Schritten war er bei Dagwin und seinem Begleiter und sah misstrauisch von einem zum anderen.


    "Mit wem habe ich das Vergnügen?"





    MAGISTER - LUDUS XANTHOU

  • Thorgall:
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    "Salve..", begann Thorgall mit seiner Vorstellung nachdem sie eingetreten waren, und hielt dem Mann das Siegel entgegen, welches seinen offiziellen Auftrag bestätigte, "..ich bin Thorgall, Sohn des Hartwig. Ich komme im Auftrag von Numerius Duccius Marsus, Duumvir dieser Civitas, und bringe den jungen Faustus Duccius Decula, damit er in dieser Schule die Schrift der Römer lesen und schreiben lernt, sowie all das, was einem Mann von Stand an Bildung zur Ehre gereicht."

  • Das erste was Dagwin warnahm, waren Worte. Zum einen kamen sie von einer recht alten Stimme und zum anderen von Kindern in seinem Alter. Aufgeregt drängte er Thorgall in die Richtung, welcher dann den Vorhang beiseite schob und sie eintragen.
    Ein Mann, der weitaus älter als Witjon war, erhob sich aus seinem Korbsessel und kam auf die beiden zu. Das war bestimmt der Lehrer! dachte sich Dagwin sofort. Während er auf sie zu kam, schaute er an ihm vorbei und blickte in die Gesichter der Kinder in seinem Alter. Die Kinder saßen auf Hockern und schienen auf der einen Seite erleichtert, da sie eine kleine Pause durch Dagwins auftreten bekamen, auf der anderen Seite sehr interessiert und verfolgten ab sofort genau das weitere Geschehen.
    Thorgall zeigte dem Lehrer das Siegel von Witjon und erzählte ihm von seinem Auftrag, nämlich den jungen Duccius in der Schule anzumelden.
    Was Thorgall sagte, beeindruckte den Jungen, Witjon hatte zwar schon gesagt, dass er, wenn er älter sei, in die Fußstapfen seiner Verwandten treten und ebenfalls in der Stadtverwaltung und vielleicht sogar Politik aktiv würde. Das mit der Politik und der Stadtverwaltung war Dagwin bis dahin erstmal egal. Er wollte einfach nur die römische Kultur und vor allem ihre Sprache näher kennen lernen. Über seine späteren Tätigkeiten dachte er noch nicht nach, er war eben noch ein Kind.


    Gespannt schaute er dem Lehrer in die Augen und grüßte ihn mit deutlich germanischem Akzent "Salve magister!". Auch wenn er das konnte, hatte der Mann einen Jungen vor sich, der trotz seiner Wissbegierigkeit etwas Unsicherheit in den Augen hatte.

  • [Blockierte Grafik: http://img818.imageshack.us/img818/7085/xanthos.jpg] | Meister Xanthos


    Mit einem kritischen Blick prüfte Xanthos das Siegel, selbst wenn er gar nicht so genau wusste, wie dieses bei den Duccii aussah. Allerdings hatte er tatsächlich bereits Kontakt mit dem Duumvir gehabt, und aus dem Umstand, dass dieses Bürschchen davon wusste und einen kleinen Jungen mitgebracht hatte, kombinierte er messerscharf, dass dieser Thorgall die Wahrheit sprach.


    Daher sah er umgehend auf Dagwin hinunter und kniff die Augen zusammen, als dieser mit Akzent antwortete


    "Kannst du denn auch fließend Latein sprechen? Ich kann meine Schüler nicht damit aufhalten, einzelne Wörter zu vermitteln!"





    MAGISTER - LUDUS XANTHOU

  • Was sollte er jetzt sagen? Also Castor hatte er auf jedenfall verstanden, aber wenn es mal ein Wort gab, dass Dagwin nicht kannte, so hatte der Vilicus es ihm erklärt. Bei dem Lehrer, der ihn von Kopf bis Fuß musterte, würde er anscheinend nicht auf Wohlwollen stoßen.
    "Ja, Magister!" was hätte er auch sonst sagen sollen? Der Blick des Lehrers machte ihm Angst und hatte ihn ein wenig eingeschüchtert und er wollte auf gar keinen Fall wieder mit Thorgall zur Casa zurückkehren!
    Er würde sich die Worte einfach aufschreiben, die er nicht verstehe und sie dann später einem aus der Familie zeigen.. hoffentlich würde er nicht bei etwas dran genommen werden, was er nicht wusste, oder würde im Chor nicht mitsprechen können!
    Die anderen Schüler musterten ihn weiterhin, einige lächelten schon schelmisch, ein unwohles Gefühl machte sich bei Dagwin breit.

  • [Blockierte Grafik: http://img818.imageshack.us/img818/7085/xanthos.jpg] | Meister Xanthos


    Der Bürschchen war erfahrungsgemäß ein wenig eingeschüchtert, doch das war vermutlich normal für sein Alter. Immerhin zeigte dies, dass er Respekt vor einem Lehrer hatte!


    Xanthos wies auf einen freien Hocker, der in einer Ecke stand.


    "Gut, nimm dir den Hocker und suche dir einen Platz! Du kannst deine Sachen dort an den Haken hängen."


    Dann wandte er sich dem Sklaven zu, der Decula vorbeigebracht hatte. Es war üblich, dass die Paedagogi ihre jungen Herren nicht nur zur Schule brachten, sondern viele blieben auch bis zum Abend, um sie dann wieder nach Hause zu bringen. In großen Städten wie Rom mochte sich so etwas lohnen, aber in Mogontiacum konnte man den Weg wohl auch zweimal gehen. Allerdings nutzte es dem Sklaven natürlich, wenn er ein wenig vom Unterricht mitbekam - was Xanthos wiederum ungern sah, denn für den Sklaven bekam er kein Schulgeld.


    "Willst du hier warten oder holst du den Knaben später wieder ab? Und wann erfolgt die Bezahlung? Monatlich?"





    MAGISTER - LUDUS XANTHOU

  • Der scharfe Blick des Lehers verflüchtigte sich. Er wies den Jungen an einen Hocker aus der Ecke zu holen und sich einen Platz zu suchen. Das lies sich Dagwin natürlich nicht zweimal sagen und setzte es in die Tat um. Er hängte seinen Mantel an den Haken und ging in die Ecke um sich den Hocker zu packen. Was der Magister und Thorgall noch zu bereden hatten, bekam der Junge gar nicht mit, denn er hatte ein viel größeres Problem:
    Verdammte Axt wo setz ich mich hin?!
    Schüchtern blickte er in die Runde, alle Augen ruhten auf ihm. Wenn er in die eine Richtung ging rutschten die Schüler dort näher zusammen und schüttelten den Kopf. Ging er zur anderen Seite rutschten dort die Knaben zusammen, damit er sich ja nicht zu oder sogar zwischen sie setzen konnte. Na wie hieß das noch gleich? Genau! Der klügere gibt nach Ätsch! Also setzte er sich in die letzte Reihe und blickte nach links und nach rechts. Anscheinend saßen hier die Deppen: Der eine bohrte in der Nase, der andere schien gleich vom Stuhl zu kippen. Geschlagen geben würde er sich damit aber nicht! Er wollte an seinem ersten Tag nur kein Aufsehen erregen, es war schon schwierig genug und den Lehrer sollte man nicht strapazieren.

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