Aelius Quarto auf dem Weg zu Valerianus

  • Die Stadt Narona lag auf einer Anhöhe oberhalb des Flusses Narenses. Unten am Flussufer gab es einen Hafen. Von hier waren es nur rund drei Meilen bis zur Flussmündung, wo sich der Narenses in das Mare Adriacum ergoss. Das kurze Stück konnte auch von Seeschiffen befahren werden und darum war Narona ein wichtiger Hafen im südlichen Dalmatia.


    Die Liburne 'Obstinatio' hatte eine lange, aber trotz der Jahreszeit annähernd sorgenfreie Reise hinter sich. Zwar trug das Schiff nicht umsonst seinen Namen, der so viel wie 'Eigensinn' bedeutete, denn es hatte tatsächlich seinen eigenen Willen und lief gerne jeder Strömung nach, zwar war der Kapitän ein Trunkenbold und die Mannschaft machte keinen sehr Vertrauen erweckenden Eindruck, aber trotzdem waren sie sicher hierher gelangt.


    Begonnen hatte die Reise in Seleukia Pieria, dem Hafen der syrischen Stadt Antiochia.
    Dort waren eine Handvoll Prätorianer an Bord gekommen und dazu zwei Sklaven. Sie begleiteten einen hochrangigen Passagier, der auf dem schnellsten Wege von Syria nach Illyricum gelangen wollte.


    Dieser Passagier war niemand anderes als Lucius Aelius Quarto, Senator, ehemaliger Consul, seines Zeichens Magister Domus Augusti und nicht zuletzt der leibliche Bruder des Mannes, der dazu ausersehen war, der neue Kaiser des Römischen Imperiums zu werden.
    Zu ihm wollte er.


    Nun stand er an der niedrigen Reling des Schiffes und beobachtete das fremde Ufer. Er sah zu der römischen Stadt hinauf, die da oben auf dem Hügel über ihnen kauerte. Langsam näherte sich die 'Obstinatio' der Anlegestelle. Dort warteten bereits einige Männer, um gegen geringen Lohn die hinüber geworfenen Taue aufzufangen und beim Festmachen des Schiffes zu helfen.


    Quarto wusste, dass die Reise hier noch nicht enden würde. Er musste weiter landeinwärts, nach Singidunum, wo die Legion des designierten Herrschers ihr Standlager hatte.

  • In Narona hatte Aelius Quarto auf Vermittlung eines örtlichen Magistrats von einem wohlhabenden, dalmatischen Händler einen Reisewagen mitsamt Kutscher mieten können, dazu Pferde zum wechseln und für seine Begleiter. Nachdem das geregelt war hielt es ihn nicht mehr lange in der Stadt und schon am übernächsten Morgen brachen sie auf.


    Von Narona führte eine gut ausgebaute Heeresstraße in das Landesinnere. Sie folgte zunächst dem Flusstal. Dann ging es in die Berge, die zwar nicht sehr hoch waren, aber schroff und unwirtlich. Städte gab es hier keine, nur vereinzelte Weiler und schäbige kleine Dörfer, in denen das urtümliche, von der rauen Natur geprägte Bergvolk der Daesitiater lebte. Angeblich konnte man in diesen Bergen Gold und Silber finden, aber Anzeichen für großen Wohlstand konnte Quarto nirgendwo entdecken. Gelegentlich liefen schmutzige, halbnackte Kinder laut rufend neben dem Wagen her und machten sich einen Spaß daraus, die Prätorianer, die ihn begleiteten, mit Steinen zu bewerfen. Doch jedes mal, wenn einer der Reiter sein Pferd zügelte und sich ihnen zuwandte, schlugen sie sich so rasch in die Büsche, dass sie wie vom Erdboden verschluckt waren. Frauen sah er wenige, und wenn doch, dann waren es stämmige, schlampig aussehende Weiber mit verfilzten, langen Haaren. Die Männer trugen Überwürfe aus Schaffell, hatten Hirtenstäbe und Messer oder Dolche im Gürtel stecken. Misstrauisch folgten ihre Blicke der vorbeiziehenden Reisegruppe.


    Als sie diesen abweisenden Landstrich hinter sich ließen war Quarto sehr froh. Die Straße führte aus den Bergen heraus und entlang der letzten Hügel nach Osten. Sie hatten das Land der Skordisker erreicht, einem keltischen Volksstamm, der sich vor rund einhundert Jahren den Römern unterworfen hatte. Dann rief der Kutscher: “Domavia, dort!“, und Quarto wusste, dass nun der beschwerlichste Teil der Reise nach Singidunum hinter ihnen lag.

  • Domavia war eine kleine Stadt, noch kleiner als Narona. Aber hier traf die aus Süden kommende Straße mit der aus dem östlich gelegenen Naissus zusammen und eine dritte führte nach Norden. Das war der Weg, den die Reisegruppe um Aelius Quarto nahm.
    Die Berge wichen zurück, dass Tal weitete sich und die Landschaft wurde freundlicher. Bald nach Domavia überquerten sie einen Fluss. Eine gute, römische Brücke führte hinüber. Der Fluss wurde Drinus genannt und war von nun an ihr ständiger Begleiter. Links der Straße schlängelte er sich durch die noch immer winterstarren Wiesen und Felder, kam dem Straßendamm mal näher um sich dann wieder von ihm zu entfernen, ohne aber jemals gänzlich aus dem Blickfeld zu geraten. Schließlich mündete er in einen noch größeren Fluss, den Savus. An dieser Stelle traf die Straße erneut auf eine andere, die Quarto und seine Begleiter kurz darauf nach Sirmium führte.


    Sirmium war die Hauptstadt von Pannonia Inferior und der Sitz des Statthalters der Provinz Illyricum. Der Legatus Augusti pro Praetore – eine Mann namens Potitus Vescularius Salinator – war jedoch nicht hier. Wie Quarto erfuhr, weilte er bei Valerianus in Singidunum, also dort, wo auch er hin wollte. So hielten sie sich nicht lange in der Stadt auf, sondern machten sich nach nur einem Tag wieder auf den Weg.


    Die breite Heerstraße führte von nun an fast schnurgerade durch eine flache Ebene. Nachdem sie die nächste Stadt, Bassiana, hinter sich gelassen hatten, wurde Quarto von der Ungeduld gepackt. Er wusste sich seinem Ziel nun sehr nah und immer wieder reckte er den Kopf aus der Fensteröffnung des Reisewagens und spähte voraus. Denn endlich sah er es vor sich: Singidunum.

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