[Via Campana] Der Hain der Dea Dia

  • Der Hain der Dea Dia


    Am fünften Meilenstein der Via Campana auf dem rechten Tiberufer befindet sich der Hain der Dea Dia. An dem Hang erhebt sich der uralte, aber noch immer genutzte Tempel der Fruchtbarkeitsgöttin, umgeben von Altären zu Ehren von Ceres, Tellus und anderen Fruchtbarkeitsgottheiten.


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    Am Fuße des Hangs befindet sich ein etwas neueres Gebäude: Das Caesareum, in dem eine Kaiserstatue und ein Altar zur Verehrung des Genius Augusti bereit steht. In einem Nebenraum befindet sich außerdem ein triclinium für die Opfermähler der Arvalbrüder. Auch die papolliones für den Aufenthalt der Brüder während der Feierlichkeiten zu Ehren der Göttin sind hier zu finden.


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    Ebenfalls am Fuße des Hanges steht der Circus ad deam Diam. Diese ausschließlich für die Feier der Dea Dia gedachte Rennbahn beherbergt einmal jährlich spannende Wagenrennen, die von den Arvalbrüdern organisiert werden.


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    An der Mauer um das Heiligtum sind riesige, marmorne Tafeln angebracht, auf denen die Mitglieder des Collegiums verzeichnet sind:


    ANNO DCCCLVII A.V.C.
    Q TIBERIVS VITAMALACVS MAGISTER


    ET


    L VLPIVS IVLIANVS IMP CAES AVG PM
    SEC FLAVIVS FELIX
    L FLAVIVS FVRIANVS
    M' TIBERIVS DVRVS
    AP TIBERIVS IVVENALIS
    T TIBERIVS FLACCVS
    L CLAVDIVS MARCELLVS
    T AVRELIVS CICERO
    FL AVRELIVS SOPHVS


    ARVALES FRATRES ERANT

  • Opfermarathon, anders konnte man das nicht bezeichnen, was der junge Patrizier da in den Tempeln der ewigen Stadt abzog. Jawohl, Flavius Piso hatte sich mit den Göttern gut zu stellen. Da konnte er es sich nicht leisten, Bitten an jene zu richten, höchstens die Bitte, ihm zu verzeihen, dass er seine Opfer so lange hatte schleifen lassen. Aber bei Dea Dia hatte er wohl eine Spezialbitte, die sie ihm nciht verwehren konnte.
    Dieses mal war es wieder Cassivellaunus alleine, der die Opfergaben schleppte. Dieses mal waren es weniger als vor ein paar Tagen der Iuno, der Minerva und dem Iuppiter, aber dafür waren es wertvolle Kleinode. Piso hatte nicht gespart. Trotz seiner latenten Armut, mit der er gerne mal prahlte.
    Weiß war er gekleidet, als er den heiligen Hain der Dea Dia betrat. Bis zum 5. Meilenstein der Via Campana hatte er gehen müssen, aber gut, das war es ihm wert.
    Cassivellaunus wurde irgendwo stehen gelassen, dort konnte der Lümmel einmal die Natur im Hain betrachten und seine Vorstellung der Ästhetik festigen. Piso nahm seine Opferkiste, die er schon beim Opfer an seinen Ahnen benutzt hatte, in die Hand, und schleppte sie zum Tempel hin.
    Einen Aedituus hatte er sich geschnappt, der würde ihm die Opfergaben auf das Altar legen. Derenthalben würde Piso sein Gebet sprechen.
    Piso stellte sich vorm Altar im Tempel in Gebetsposition auf. Hände ausgestreckt, Handflächen nach oben. So war es recht. Der Aedituus legte den Weihrauch auf und zündete ihn an. Der vertraute Gestank von verbranntem Weihrauch drang ihm in die Nase.
    „Dea Dia, große Göttin!
    Dea Dia, Göttin des Wachstums!
    Dea Dia, hohe Göttin!
    Dea Dia, die uns Kreszenz verschafft!
    Ich rufe dich an!“

    Laut rief er seine Bitte, Dea Dia sollte ihn schließlich hören. Auf dem Altar landeten Dinkelkekse.
    „Ich bin ein guter Mann, Dea Dia, ein frommer Mann, der dir Opfer schon gebracht hat.“ Vor 8 Jahren einmal, spaßeshalber. „Und der dir dieses Opfer bringt! Nimm dieses Opfer an, große Göttin! Nimm dieses Opfer an und höre mich!“
    Er wollte sich räuspern, wagte es jedoch nicht. Er röhrte sein Gebet weiter hinaus, als eine Varietät von Rosen, roten Rosen, weißen, schwarzen, gelben, pinken, braunen, auf dem Altar landete.
    „Dea Dia, dein Diener will ich werden! Arvalbruder zu werden ist mein Wunsch! Gewähre mir die Bitte, Dea Dia. Lass es zu, dass mich die Arvalbrüder unter den Ihren aufnehmen! Das ist mein Wunsch, meine Bitte, dir zu dienen, Dea Dia! Mehr verlange ich nicht, oh Göttin des Wachstums!“
    Verschiedene Früchte landeten auf dem Altar. Äpfel, Birnen, Zwetschgen, Marillen, Pfirsiche.
    „Ich werde dir, oh Göttin, weiterhin ein guter Diener sein! Wenn ich Arvalbruder werden sollte, wirst du in mir einen treuen Diener haben, der niemals in seinen Bemühungen, für dich da zu sein, nachlassen wird. Dea Dia, ich werde dir weiter opfern! Wie ich es jetzt tue, werde ich es weiterhin tun!“
    Nun wurde eine Amphore Falerner auf den Altar gestellt. Dies war sein Spezialgeschenk.
    „Ehre sei dir, große Göttin!“, improvisierte er einen Abschlusssatz und beendete das Gebet, indem er sich nach rechts drehte.
    Er war fertig. Was nun mit seinen Opfergütern passierte, verriet ihm der Aedituus. Sie würden verbrannt werden. Piso nickte nur kurz, bevor er hinwegschritt.

  • Zügig war der Zug der Arvalen aus der Stadt gen Hain gezogen, wo sie sich nun gegen Mittag im Tetrastylum versammelten. Flavius Piso, Magister des Jahres 861 nach Gründung der Stadt, hatte bereits im Vorfeld allein im Haine der Göttin am Altar die porcae piaculares, zwei Ferkel und darüber hinaus eine weiße Kuh geopfert. Während die Ferkel als Sühnopfer luci coinquendi et operis faciundi dienen sollten, also für das Beschneiden der Bäume und die verschiedenen im Haine bei Gelegenheit des Festes vorzunehmenden Arbeiten, so war die Kuh im Gegensatz dazu eine, wiewohl durch altehrwürdige Traditionen verlangte, so doch freiwillige Opfergabe. Die exta der Tiere waren im Tetrastylum untersucht worden und auf Altar und Herd niedergelegt, sodass dem Magister nun, nach Unterzeichnung des Protokolls, eine Weile der Ruhe in einem für ihn reservierten Pavillon zustand. Als sich jedoch am Mittag die Sonne strahlend zum höchsten Punkte der Himmelssphäre aufgeschwungen hatte, trafen auch die restlichen Brüder ein und versammelten sich im Tetrastylum, wo sie gemeinsam Platz nahmen, ihre Namen zum Beweise ihrer Teilnahme an der heiligen Handlung ins Protokoll einzeichneten und das Opferfleisch der beiden Ferkel gemeinsam verzehrten.

  • Nach dem gemeinsamen Mahl, das im Hain nie zu wahrhaft kulinarischen Höhenflügen sich aufhob, schien das Opferfleisch doch stets nicht sonderlich einfallsreich gewürzt und völlig überhastet zubereitet, sollte es nun erst richtig ernst werden. Zunächst wurde den Brüder die feierliche Amtstracht der Arvalen, die purpurverbrämte toga praetexta angelegt, sodann ihr ureigenstes signum der Ährenkränze mit weißen Binden. Capite velato aus Ehrfurcht vor den uralten, heiligen Handlungen zogen sie schließlich unter Vortritt ihrer Kalatoren hinauf zum Haine. Hier nun würde der Magister Arvalium des Jahres, Aulus Flavius Piso, gemeinsam mit dem gewählten Flamen in Anwesenheit aller Brüder unter Beobachtung des feierlichsten Caerimoniells eine agna opima, ein gemästetes Schaf im Tempel der Göttin als Opfer darbringen. Jenes war, seiner gewichtigen Bestimmung gemäß bereits prächtig herausgeputzt, von der Prozession hinauf auf den Hain und in den Tempel begleitet worden, wo es nun in den heiligen Hallen der dea Dia sein Leben lassen würde. Sich im Tempel versammelnd kam der Zug der Brüder schließlich zum Stehen, während die zahlreichen Zuschauer und Schaulustigen, die sich bereits um die Mittagszeit eingefunden hatten, in der Hoffnung, Stücke des Opferfleisches zu ergattern, oder ihren Spaziergang an der Via Campana wenigstens später durch spannende Pferderennen belohnt zu sehen, vor dem Tempel einen neugierigen Pulk formten. Alle Augen lagen nun auf Magister und Flamen, die das blutige Opfer vollziehen würden.

  • Die Last der Verantwortung spürte Piso buchstäblich auf sich sitzen. Wobei dies kaum etwas sein sollte, was ein Thema sein sollte, schließlich war er Pontifex. Für ihn war es Routine, solch ein Opfer zu bringen. Er hatte hier schon geopfert, das letzte Mal gerade erst eben, als er zwei Schweine als Opfer dargebracht hatte. Er musste noch daran zurückdenken, wie er hier zum ersten Mal geopfert hatte. Eine schöne Sauerei hatte er hinterlassen! Das würde ihm nicht noch einmal passieren. Zumindest hegte er die ehrliche Hoffnung darauf.
    Piso hörte den Zug hinter sich zu einem Halt kommen. Es war nun die Zeit. Er drehte sich zum Flamen und nickte ihm kurz zu. Es konnte beginnen.
    Unauffällig kratzte er den Straßenschmutz von den Schuhen an einer marmornen Treppenkante ab, bevor er sich daran machte, die Treppen mit langsamen und würdevollen Schritten zu erklimmen. Wie gut, dass die Toga gut saß. Er ging durch eine Allee von Flötenspielern, die sich schon hier versammelt hatten, in der berechtigten Annahme, gleich würde das Hauptopfer kommen.
    Vorm Tempel atmete er noch einmal kurz aus, und trat dann ein. Ein Sklave reichte ihm eine Schüssel, leise konnte man das Schwappen im Gefäss hören. Piso steckte seine Hände hinein und murmelte die rituelle Reinigungsformel.
    Dann ließ er auch den Flamen dran, während er selber zum Altar der Dea Dia hinschaute. Die Sklaven hielten die Opfergaben schon bereit. Der Flavier nickte dem Flamen zu. Es konnte beginnen.
    Die Sohlen machten einen ledrigen Klang am marmornen Boden, während sich die beiden Priester zum Altar hinbewegten. Ein Sklave reichte Piso Weihrauch, dieser blickte ihn eine Sekunde lang an, als hätte er keinen Plan, was damit zu tun wäre, dann aber schmiss er endlich die einen der Steine in das Feuer im Foculus. Dann breitete er die Arme aus.
    “Dea Dia, große Mutter, Göttin des Wachstums. Nehme diesen Weihrauch an. Möge er dir zur Ehre gereichen.“
    Der zweite Brocken Weihrauch wurde in die Schale geworfen. Piso drehte sich nach rechts, und schritt weg, damit der Flamen seinen Platz einnehmen konnte. Dieser hüstelte, bevor er auch begann. Er hielt einen Krug Wein in seinen Händen, den er auf den Altartisch stellte.
    “Dea Dia, große Mutter, Göttin des Wachstums. Nehme diesen Wein an. Möge er dir zur Ehre gereichen“, wiederholte er fast Pisos Worte.
    Der Weihrauch qualmte noch immer fröhlich, so dachte Piso, es musste eigentlich alles gepasst haben. Schon etwas optimistischer schritt er nach draußen, der Flamen ging hinter ihm einher. Er selber würde das fleischliche Opfer darbringen, schließlich war er der Magister.
    “Favete Linguis!“, erschallte die Stimme eines Herolds, und ein Getute fing an, dass es einem die Ohren gellte. Eine unglaubliche Kakophonie veranstalteten die Flötenspieler, und nur wahre „Künstler“ wie Piso wussten so etwas zu genießen, zumindest war er sich darin sicher. Mit einem hintergründigen Schmunzeln auf seinen Lippen schritt er herunter, wo schon am Altar das Tier lag. Armes wolliges Schäfchen, komplett ding vor lauter Drogen, welche man ihm ins gefrässige Mäulchen gestopft hatte. Mit einer dramatischen Geste zeigte er auf das Tier.
    “Dea Dia, große Mutter, Göttin des Wachstums, sieh herab! Dir sei dieses Tier geweiht! Möge es dir gefallen, wenn es ein gutes Opfer ist!“
    Er streckte die Hände, nur, um sich abermals symbolisch die Hände zu waschen und sie dann mit einem rituellen Tuch abzutrocknen. Dann begutachtete er einen Opferhelfer dabei, wie er eine gesunde Portion Mola Salsa über das Tier streichte. Piso wurde derweil ein Messer gereicht. Nicht ohne Bewunderung warf er einen Blick drauf, ein feines Exempel römischer Schmiedekunst, ganz ohne Zweifel.
    Dann nahm er es fest in die Hand und strich damit hingebungsvoll dem Schaf über den Rücken. Er händigte das Messer zurück und sprach dann mit fester Stimme, während die Flötenspieler leise wurden, aber nicht komplett aufhörten zu spielen:
    “Dea Dia, große Mutter, Göttin des Wachstums, Göttin der Fruchtbarkeit! Du hast unserem Reiche schon oft fruchtbare Perioden geschenkt, gute Ernten und rasch wachsendes Korn! Ich, Aulus von den Flaviern, genannt Piso, rufe dich an. Schon oft habe ich, schon oft hat meine Bruderschaft dir reichhaltige, großzügige Opfer gebracht. So bringe ich dir als Magister der Arvalbruderschaft auch heute ein Opfer: jenes Schaf hier. Im Austausch, gewähre mir eine Bitte! Erhalte auch für das kommende Jahr das Wachstum der Pflanzen auf Roms Äckern und Weiden. Bewahre das Wachstum unseres Reiches, unserer Städte, unserer Macht als Römer! Wenn du dies tust, so werde ich, so werden wir dir auch in Zukunft weiter gute Opfer geben, so du gibst, wie ich gebe.“
    Mit diesen Worten erpackte er den Weinpokal, den man ihm von rehcts reichte, hob ihn hoch über sich selbst und goss dann den Wein auf das Schaf. Anschließend wandte er sich an den Victimarius. Dieser blickte ihn einen Moment dumm an, bevor es ihm zündete.
    “Agone?“
    Piso bestrafte sein Zögern mit einer Pause von der selben Länge.
    “Age!“
    Das Messer schnitt tief in die Kehle des fetten Tieres ein. Während es sich mit einem schwachen Blöken von der Welt verabschiedete, eilten Ministri her und fingen das Blut mit Bechern auf. Der Victimarius machte sich daran, den Bauch aufzuschneiden und die Eingeweide herauszuschneiden. Diese wurden auf ein Tablett gelegt und Piso gereicht. Piso blickte argwöhnisch auf jene, gespannt, welche Qualität sie haben würden.

  • Im Kreise der Brüder wohnte auch der Neffe des Magisters dem feierlichen Opfer im Tempel bei. Für den Pontifex war es ob der bloßen Quantität ähnlicher Opferhandlungen im Gegensatz zu seinem jüngeren Verwandten bereits größtenteils Routine, die heiligen Handlungen zu vollziehen, bewundernd verfolgte also Quintus Flavius die unendliche (Selbst-)Sicherheit, mit der Piso das Voropfer und auch das anschließende blutige Opfer der agna opima der Göttin darbrachte. Die exta des Tieres wurden vom Magister persönlich begutachtet, und er sah, dass sie gut waren. So konnten die rituellen Handlungen sich fortsetzen, wozu zunächst die Arvalen vor dem Tempel im Kreise der neugierigen Zuschauermenge, die sowohl aus der unmittelbaren Umgebung, aber auch aus der Stadt selbst herbeigeströmt war, eine Spende von Weihrauch und Wein darbringen sollten. Weder als Erster noch als Letzter trat auch der junge Flavier schließlich an den Altar um dort eine Hand voll Weihrauchklumpen zu verbrennen und einen ordentlichen Schuss Wein in eine dafür vorgesehene güldne Schale am Altare der Göttin zu gießen. "Dea Dia, große Mutter, Göttin des Wachstums. Nimm an diesen Weihrauch, der zum Himmel aufsteigt gleich unseren Gebeten, und diesen Wein. Mögen sie dir zur Ehre gereichen.", kam ihm schließlich ein etwas holpriger Spruch über die Lippen, der dennoch seinen Zweck tat, und Flaccus schließlich wieder in die Reihen seiner Brüder zurücktreten ließ. Nun sollte einer der mystischsten Teile des Rituals folgen, bei dem die Arvalen im Tempel ihrer Göttin sonderbar anmutende Handlungen mit irdenen Töpfen vornahmen, so archaisch in ihrem Charakter, dass die Brüder selbst Sinn und Ziel der heiligen Handlung nicht mehr gänzlich mit ihrem Verstand zu fassen vermochten. Indessen, während also die Brüder im Tempel heiligen Klamauk mit den Töpfen treiben, vollzogen Magister und Flamen auf dem Rasen vor dem Tempel einen ähnlich heiligen Gebrauch, nachdem die übrigen Fratres erneut vor dem Heiligtume in Erscheinung traten, um klingende Münzen auf den Altar zu legen. Nun würden Magister und Flamen abermals Wein und Weihrauch opfern, und die Brüder vor der Türe des Tempels Stellung beziehen.

  • “Litatiooooooooooooooo!“, verkündete der Patrizier mit einem fast schon unbotmäßig langem o am Ende. Das Opfer war gut! Die Opferhelfer begannen nun, das Fleisch eifrig in die dafür vorgesehenen Kochtöpfe zu werfen. Die Eingeweide wurden gleich wieder herausgefischt und wieder auf das Tablett gelegt. Piso nahm es von einem Sklaven und schritt damit zu einem Opferfeuer hin, bevor er das Tablett ablegte und die Hände theatralisch erhob.
    “Dea Dia, wir danken dir, und überantworten deinen dir zustehenden Anteil deinem heiligen Feuer!“ Mit diesen Worten ergriff er das Tablett und haute die Eingeweide mit ein wenig Schwung ins Feuer. Das Feuer prasselte, als es die Innereien verzehrte; schwarz kohlte der Rauch hinauf, gen Himmel.
    Dann sorgte Piso dafür, dass der Rest des Tieres an die Arvalbrüder als Sportulae verteilt wurde; was übrign blieb, bekamen die Zuseher, welche, gierig nach Essen, zuschauten.
    Opfern konnte Piso; das war Routine. Viel schwerer jedoch gestaltete sich der nächste Teil des Ritusses, ein ausgefinkelter alter Brauch, auf den iso sich gar nicht freute. Aber es musste getan werden. Er hatte unbedingt Magister sein wollen, nun musste er dafür auch was tun!
    Doch zuerst kam etwas, was Piso wie eine Wiederholung des Voropfers anmutete. Er war im Übrigen der Letzte, der Weihrauch und Wein hier als Opfer vorbrachte.
    Er wiederholte die Worte, welche seine Vorgänger schon intoniert hatten, warf den Weihrauch ins Feuer, stellte den Wein aufs Altar, und wandte sich nach rechts.
    Nun kam der angesprochene Ritus. Piso und der Flamen jagten sich gegenseitig mit klappernden Töpfen über den Rasen. Wozu das gut war, wusste Piso nicht. Normalerweise hätte die schiere Kindischkeit dieses Treibens ihn angesprochen; allerdings war die Tatsache, dass der Flamen und Piso dabei erhebliche Matschspritzer sich einfingen, sehr unerquicklich. Missmutig schaute der Flavier hinunter auf seine betüpfelten Beine, als endlich Schluss war. Was konnte unästhetischer sein?
    Noch einmal ein Opfer, wieder Weihrauch und Wein. Wie originell! Piso agierte schon fast mechanisch; es war, als ob man eine Tür zusperrte oder aß, oder atmete. Man registrierte es nicht einmal wirklich, welche Bewegungen man da vollführte.
    Dann endlich stellten sich die Arvalbrüder in einer Reihe auf, artig, wie Musterschüler. Dabei hielten sie alle ihre Töpfe in den Händen, welche sie nach dem Opfer wieder aufgehoben hatten. Piso war der Erste, der nun den blöden Topfritus beendete. Er erhob seinen Topf hoch über seinen Kopf, rief den Namen der Göttin mit aller Kraft: “DEEEEEEEEEEEAAA DIIIIIIIIIIAAAAA!“ und warf dann mit Wucht den Topf die Treppen hinab, wo er zerschellte. Die anderen Arvalbrüder würden nun auch ihre Töpfe die Treppen hinabwerfen, dort ein Meer von Scherben hinterlassend.
    Anschließend nickte er seinen Mitbrüdern zu, und im Gänsemarsch schritten sie in den Tempel zurück. Dort gab Piso ein Signal, woraufhin alle anderen stehen bleiben würden. Der Flavier holte tief Luft und posaunte dann das alte archaische Lied der Arvalbrüder hinaus, während er gleichzeitig anfing, sich in seltsamen Hoppsern, die man wohl mit Müh und Not einen Tanz nennen konnte, sich vorwärts zu bewegen. Ach, die Ästhetik!
    Mit schrecklich falscher Stimmlage (deren er, der sich als großer Künstler gefiel, komplett unbewusst war) also entfleuchte seinen Lippen:
    “ Enos Lases iuvate
    enos Lases iuvate
    enos Lases iuvate
    neve lue rue Marmar sins incurrere in pleoris
    neve lue rue Marmar sins incurrere in pleoris
    neve lue rue Marmar sins incurrere in pleoris
    satur fu, fere Mars, limen sali, sta berber
    satur fu, fere Mars, limen sali, sta berber
    satur fu, fere Mars, limen sali, sta berber
    semunis alterni advocapit conctos
    semunis alterni advocapit conctos
    semunis alterni advocapit conctos
    enos Marmor iuvato
    enos Marmor iuvato
    enos Marmor iuvato
    triumpe triumpe triumpe triumpe triumpe!“

  • Möglicherweise allzu mechanisch und routiniert gingen die heiligen Handlungen für den älteren der beiden Flavii vor sich, sodass er offensichtlich in seiner Erinnerung die Reihenfolge und Art der Riten ein wenig durcheinander gebracht hatte. Als die Arvalen nämlich ihr Geld auf dem Altar deponiert und sich vor der Türe des Tempels aufgestellt hatten, wurden die irdenen Töpfe, welche sich zu diesem Zeitpunkt noch im Inneren des Tempels befanden, keineswegs auf den Treppen zerballert, vielmehr stiegen zwei der Brüder, unter ihnen auch der jüngere Flavius, hinab zum Tetrastylum, um von dort unter Assistenz der publici die am vorigen Tage geweihten dürren und frischen Ähren herbeizuholen. Mit kleinen Schweißperlen auf der Stirn, verursacht durch den ausgedehnten Spaziergang den Hain hinab und wieder hinauf unter der beträchtlichen Last der praetexta gelangten die beiden Brüder schließlich wieder zum Tempel, wo die fruges aridas et virides nun im Kreise der Arvalen so herumgereicht wurden, dass jeder sie mit der linken Hand empfing und mit der rechten weitergab, bis sie zu den publici zurückgelangten. Nun gingen sie wieder ins Innere des Tempels, richteten ein Gebet an die mit Mehlbrei gefüllten Töpfe, die - den Göttern sei Dank - völlig unbeschadet dort ausgeharrt hatten, und warfen diese - nun erst! - aus der geöffneten Türe des Tempels über den zum Hain hinaufführenden Weg hinunter. Munter purzelten die Tontöpfe durcheinander, wobei die individuellen Bahnen durch eine Breispur nachvollziehbar blieben. Mitnichten wurde jedoch nun bereits der archaische Gesang intoniert, sondern vielmehr nahmen die Brüder im Tempel auf Marmorsesseln Platz, um durch die publici die ebenfalls schon am Tage vorher geweihten panes laureati unter sich verteilen zu lassen und zu verzehren. Die kleine Stärkung nach dem Töpfe-Unfug tat gut. Nun also schickten sich die Arvalen an, die ganz rätselhaften lumemulia cum rapinis zu empfangen, und hernach die Göttinnen zu salben. Hierauf erst mussten alle Anwesenden mit Ausnahme der Brüder, also namentlich die publici, den Tempel verlassen, der nun verschlossen wurde, die Brüder schürzten ihr Gewand, nahmen die Textbücher zur Hand und tanzten im Dreischritt zum Rhythmus eines uralten Liedes. Lautstark stimmte auch Flaccus ein in den seltsamen Gesang bis schließlich nach Beendigung des Tanzes die publici wieder eingelassen wurden, um den Brüdern die Textbücher abzunehmen. Nun stellten sich die Arvalen erneut vor der Tür auf, nicht jedoch um abermals Ähren durch ihre Finger wandern zu lassen, sondern vielmehr, um sich, jeder durch seinen Kalator, einen Kranz bringen zu lassen, mit dem das Bild der Göttin geschmückt wurde. Nun jedoch würden die Feierlichkeiten einem weiteren Höhepunkt zustreben, stand doch jetzt die Wahl des Magisters und Flamen für das nächste Jahr, also von den Saturnalien zu den Saturnalien, an.

  • Etwaige Irrungen und Wirrungen konnte man hoffentlich entschuldigen angesichts der Tatsache, dass der Ritus sehr, sehr altbacken war und sehr verwirrend. Doch am Ende brachten die Arvalbrüder die Feierlichkeit doch noch gut hinter sich, und nachdem diverse Ähren durch die Hand gestrichen worden waren und die Gesänge der Arvalbrüder verklungen waren.
    Piso, der Magister, geleitete die Arvalbrüder zu einem etwas abgelegenen Teil des Tempels, wo schon Klinen aufgebaut waren. Er suchte, die (Wieder-)Wahl des Magisters, welche nun anstand, als eine informelle Sache zu gestalten, wo auch Wein ausgeschenkt wurde. Diverse Sklaven standen schon bereit, den Arvalbrüdern einzuschenken.
    Piso erhob sein Wort zu einer Rede.
    “Werte Mitbrüder, wir haben uns hier versammelt, um festzustellen, wer von uns in der Zukunft die Arvalbrüder als Magister anführen soll. Nach alter Tradition soll der amtierende Magister wieder gewählt, oder ein neuer Magister gewählt werden.“
    Er blickte in die Runde.
    “Ich, werte Brüder, habe mich dazu entschlossen, dass ich nur noch bis zum Ende dieser Feierlichkeiten als Magister amtieren möchte. Liebe Brüder, nehmt das nicht als Faulheit oder Pflichtvergessenheit auf. Aber ich fühle mich nicht mehr imstande, dieses Amt gebührend auszuführen. Ich bin nun verheiratet, bin Senator, bin Pontifex, und all diese Pflichten beschäftigen mich sehr, und es wäre geradezu ein Frevel wider die Götter, würde ich dieses Amt nicht an jemanden übergeben, der dieses Amt in Zukunft besser ausführen kann als ich.“
    Er atmete tief aus, nachdem er das Geständnis abgelieftert hatte. Er war damals in die Arvalbruderschaft gekommen wie die Mutter zum Kinde, und um ehrlich zu sein, fand er es mittlerweile eher eine Bürde. Die ganze altmodische Angelegenheit befriedigte nicht seine ästhetischen Anforderungen; es war etwas für alte Männer (auch im Körper von jüngeren). Das sagte er natürlich nicht laut. Aber er dachte es sich, und die Gedanken waren frei.

  • Selbstverständlich war auch Durus - trotz seiner Gebrechen - zu den Kulthandlungen im Hain erschienen. Dabei hatte er wie alle Jahre seinen Anteil geleistet, der diesmal vor allem in Dabeistehen und dem Verströmen von Gravitas und Dignitas bestanden hatte. Lediglich bei der Darbringung des Getreides hatte auch er mit der freien Hand - und relativ kraftlos - sein Töpfchen die Treppe hinabgeworfen und dabei den Namen des Göttin angerufen.


    Beim anschließenden Mahl kamen allerdings erstaunliche Neuigkeiten auf - Piso wollte sein Amt bereits wieder aufgeben. Bisher hatten die meisten Arvalmagister das Collegium bis zum Tod oder zur Amtsunfähigkeit geführt, doch scheinbar war der junge Flavier zur Zeit ein wenig überfordert. Fragend blickte er in die Mienen - es lag auf der Hand, wer der natürliche Nachfolger sein würde, selbst wenn er mindestens ebenso beschäftigt war wie Piso...

  • Piso saß ungern auf einem Amt, welches er nicht wahrnehmen wollte. Es war ja auch damlas eher auf ihn gedrückt worden, als dass er es begehrt hätte. Nun war es aber zu einer Last geworden, welcher er sich entledigen wollte. Und wer bot sich dafür besser an als Tiberius Durus? Sein Blick fiel auf ihn.
    “Ich schlage hiermit den ehrenwerten Tiberius Durus als zukünftigen Magister vor.“
    Sein Blick schweifte ab, und zu seinem jüngeren Verwandten hin. Für ihn könnte man ja auch noch ein Amt sichern...
    “Ich schlage zudem meinen verdienten und zweifelsohne mehr als nur würdigen Neffen Flavius Flaccus als zukünftigen Flamen unserer Gemeinschaft vor.“
    Nach dieser eher wortkargen Aussagen ließ er sich wieder nieder, begierig darauf, zu sehen, was die anderen Arvalbrüder dachten. Und darauf hoffend, dass er nicht der einzige war, der sich nun noch den Mund fusselig quatschte, denn von einem oder anderen Arvalbruder, glaubte er, war doch mangelndes Engagement zu verspüren. War dies also ein Wunder, wenn dies auf Piso abfärbte?

  • Nun also stand die Wahl des Magisters und Flamen der Buderschaft für das nächste Amtsjahr an und gespannt harrte auch Flaccus der Dinge, die nun kommen würden. Dass Piso das Amt wieder aufgeben wollte, verwunderte dessen jüngeren Verwandten kaum, handelte es sich schließlich um einen solchen Posten, der, wiewohl unter Umständen einiges an Ansehen, so doch ansonsten nur lästige Pflichten mit sich bringen mochte. Dennoch dachte Flaccus bereits mit Freude an jenen Tag, da er selbst einst würdig würde befunden werden, den Arvalen als Magister vorzustehen. Als Piso also Flaccus' Patron, den ehrenwerten Consular und Pontifex pro magistro Tiberius Durus, als neuen Magister vorschlug, nickte der junge Flavius grave und zustimmend. Natürlich war der höchst ehrenwerte und integre Mann die einzig mögliche Entscheidung. Als er aber in den nächsten Worten seines Onkels plötzlich seinen eigenen Namen wiederfand, konnte er sich doch einen Moment lang nicht des verwunderten Ausdrucks erwehren, welcher sich unweigerlich seiner Züge bemächtigte. Dennoch hatte er sich so schnell wieder unter Kontrolle, um zu erkennen, das es jetzt wohl an ihm lag, etwas zu dem Vorschlag zu sagen. Sich etwas aufrichtend blickte er zunächst Piso, dann aber auch Durus an, ehe er bestimmt antwortete. "Es wäre mir eine große Ehre, würde mich das collegium als würdig empfinden, unserer Bruderschaft im nächsten Jahr als Flamen zu dienen." Erwartungsvoll blickte er in die Runde, um zu sehen, wie viele der Brüder den Vorschlag des älteren Flaviers, dem jungen Alter des Kandidaten zum Trotz, unterstützen würden.

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