Am Limes

Es war ein sonniger Spätsommernachmittag. Die Männer am Limesabschnitt MXII, westlich von Castra Regina taten wie jeden Tag ihre Pflicht, standen früh Morgens auf, schickten den Wachposten der Nacht ins Bett und starrten dann über die Holzpallisaden hinaus nach Germania Magna. Wie immer war nichts ungewöhnliches zu sehen. Auf der schmalen Straße, welche nicht viel mehr war als ein Pfad, bewegte sich nur hin und wieder ein Schäfer, der hier und dort seine Schafe auf eine Wiese trieb, und zweimal am Tag kam eine Turma durch, die für die Überwachung der Straßen im Hinterland zuständig war. Auf der anderen Seite hingegen war ein breiter Streifen Wiese, den man gewissenhaft frei zu halten hatte und dann begann Wald. Nichts als Wald. Germanien war überhaupt eine einzige geschlossene Waldfläche, die nur hier und da, von Siedlungskammern und schmalen Lichtungen durchbrochen wurde. Wenn man in Germania Magna unterwegs war, so erzählten sich die Veteranen, dann konnte es vorkommen, dass man Tage lang - vor lauter Baumdächer - den Himmel nicht sah.

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"HARHAR, Lass den Scheiß, Quintus. Du bist kein Nero und hier brennt auch kein Wald. Mach lieber Deine Glotzbobbel auf, nicht dass Du noch den Schäfer verpasst ..."

Der Optio, welcher zusammen mit den Männern auf dem Turm einquartiert war und diesen Limesabschnitt zu kontrollieren hatte, schüttelte den Kopf. Dann widmete er sich wieder seiner Wachstafel und notierte die Vorkommnisse, welche am gestrigen Tage geschehen waren. 'Nichts!', wieder 'Nichts!' und dreimal 'Nichts!'. Kürzel statt Unterschrift und fertig. Er klappte das Ding wieder zu und legte es auf die Seite.

"Und? geht heute was?"

"Jetzt hör mit dem Scheiß auf! Geht was?"
Er wurde ungehalten, erhob sich und trat ebenfalls nach draussen und blickte hinunter.

"Das seh ich jetzt auch! DANKE!"
antwortete der Vorgesetzte und gab dem Wachposten einen Schlag auf den Hinterkopf.

Dann trat er wieder nach innen und scheuchte zwei andere Miles nach unten, damit sie den Müll nach draussen beförderten und nicht nur untätig rumsaßen. Es war zum Haare raufen. Kaum hatte man sie einmal wieder auf diesen Abschnitt eingeteilt, ging an den ersten Tagen alles gut, je länger sie jedoch hier herum saßen, um so mehr ließ die Disziplin nach. Nun gut, sie war immer noch hervorragend, schließlich waren die COHORS I Breucorum civium Romanorum eine Eliteeinheit unter den Auxilia, und das Leben war knallhart, doch wenn man zu lange mit den selben Männern auf einem Zimmer, oder einem Turm saß, dann konnte das Folgen haben, im Falle des Miles Quintus gar bis kurz vor den Wahnsinn führen...

Der Pfeil kam, auf seinem langen Weg aus dem Wald durch die Luft leise sirrend, wie plötzlich mitten aus dem Nichts und schlug neben dem Kopf des Miles in der hölzernen Wand - urplötzlich und unerwartet - mit einem dumpfen Plopp ein und weckte diesen aus seinen Tagträumereien...

Der Optio sprang auf und begab sich sofort nach draussen. Ebenso griffen die anderen nach ihren Waffen, nur die Nachtwache schlief ungerührt fort, hatte sie doch einiges an Schlaf nachzuholen. Und schon war das kurze Geschrei dumpf und fern aus dem Wald zu hören, wie das Dröhnen von Wellen, die an eine Küste schlugen, nur dass es aus den Kehlen einiger Germanen kam, welche meinten, dem Wachposten drohen zu müssen. Weit und breit war jedenfalls nichts von einem Angriff zu sehen und der Optio nahm seine Hand wieder vom Knauf seines Gladius.

"Quintus! Jag mir nie wieder so einen Scheiß in die Knochen! Wo sind die bitte schön Germanen???? Hä???? So lange hier keiner aus dem Wald kommt, oder über die Palisaden klettert, brauchst Du nicht 'ALARM' schreien. Wie oft muss ich Dir das noch sagen?"
wieder gab er ihm einen Klapps auf den Hinterkopf.
"Schafskopf!"
Dann erblickte er den Pfeil.

"Gib mir den Pfeil. Ich muss das dokumentieren"

"Danke!"
er nahm den Pfeil und verschwand wieder im Inneren des Turmes.

Wieder klappte er die Wachstafel auf und dokumentierte den Vorfall. Das unerhörte Ereignis, war doch an diesem Abschnitt des Limes schon seit Wochen nichts vergleichbares mehr vorgefallen. Gut, ein abgeschossener Pfeil war kein Grund, gleich über die Signalkette Alarm auszulösen, doch war die Sache doch auch bedenklich. Man schoß nicht nur einfach mal einen Pfeil auf den Turm und traf dann auch auf diese Distanz so genau. Der Schütze musste schon ein erfahrener Krieger sein. Folglich schrieb er: "KAL SEP DCCCLVI A.U.C. TURM NUMMER MXII LIMES RAETIA COHORS I BREUCORUM CIVIUM ROMANORUM OPTIO VALENS - Ein germanischer Pfeil wurde auf den Turm abgeschossen und schlug in unmittelbarer Nähe zu Miles Quintus ein. Vorfalls wird an vorbeikommenden Patrouille der Ala weitergegeben. Vorerst verstärkte Aufmerksamkeit, aber kein allgemeiner Alarm. Kürzel..." Er klappte die Wachstafel zu und schickte dann einen zweiten Mann nach draussen, der zusammen mit Miles Quintus den Wald mit den Augen absuchen sollte.

"Ich latsch mal zu Turm MXIII hoch. Ihr haltet hier die Stellung."

Der Optio ging eine Etage nach unten und nahm dann die Leiter nach draussen. Es war Zeit, dass er mal wieder mit seinem Kollegen aus dem benachbarten linken Turm sprach, den man in der Ferne erkennen konnte.

Der Optio machten sich auf den Fußweg zum nächsten Turm, welcher an diesem Abschnitt in einer Entfernung von achthundert Metern errichtet worden war. Erst vor ein paar Jahren war die hölzerne Palisade errichtet worden und dieser Abschnitt zählte zu den besser ausgebauten. Bis der Limes an allen Stellen auf diesem Standard sein würde, würde in jedem Fall noch eine Menge Arbeit ins Land ziehen, vor allem, weil auch der letzte Krieg seine Spuren hinterlassen hatte.

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Er pfiff sein Liedchen und dachte daran, dass seine Einheit in der nächsten Woche abgelöst werden sollte. Sie hatten lange genug hier ausgeharrt und es war ein angenehmer Gedanke, dann wieder im Castellum in Vetoriana sein zu können. Als erstes würde er sich in den Thermen eine richtige Massage holen, baden bis ihm Schwimmhäute wachsen würden. Dann eine neue Tunika besorgen und in der Stadt Betita besuchen. Er hatte Betita schon lange nicht mehr gesehen und ihre vollen Brüste vermisste er sehr.

Er grinste und warf den Grashalm dann weg, auf dem er herumgekaut hatte. In der Tat hatte er den weiten Weg schon fast zur Hälfte zurückgelegt. Auf dem anderen Turm hob einer den Arm um ihm zuzuwinken. Er erwiderte den Gruß...

Der Optio zwischen den Türmen war noch nicht allzuweit gekommen und hatte den anderen Turm noch nicht erreicht, als ihm die Turma entgegenkam, welche hinter dem Limes standardmäßig patrouillierte. Er hob erneut zum Gruß den Arm und der kleine Trupp an Reitern stoppte genau vor ihm.

[Blockierte Grafik: http://img48.imageshack.us/img48/5307/avaeques1ap3.gif] | Decurio

"Salve, Optio. Und auf einem Spaziergang?
Ist was vorgefallen, oder verbrennst Du Dir auf dem Turm den Arsch?"

Die Männer lachten und hatten ihren Spaß. In der Tat war der Tag heute ziemlich heiß und sie alle hatten auf ihrem Routineritt nicht gerade wenig Strapazen auszuhalten. Der Weg unmittelbar hinter dem Limes war zwar relativ gut ausgebaut, aber dennoch mühsam.

"Es war so knapp?"
Der Decurio zeigte sich beeindruckt und kratzte sich am Kinn.
"Nunja, wir könnten nachsehen, wenn Du meinst. Auf jeden Fall aber schicke ich mal einen Reiter in jede Richtung, der den Turmbesatzungen Bescheid gibt, dass sie auf sich aufpassen sollen. Man kann nie wissen."

"Ist mir schon klar. War auch ein langer Tag. Falls sich der Ärger wiederholt, gib ein Zeichen durch, dann jagen wir auf der anderen Seite mal diesen Idioten und versohlen im den Arsch. Er ist nicht der einzige, der dann seinen Spaß hat. Wir haben ihn dann auch..."
Er spuckte aus.

"Ist gut. Richte ihm nen Gruss aus.
Vale, Valens."
Die Turma setzte sich wieder in Bewegung.