Prodigium

  • Und wieder gab es ein dringendes Thema zu bereden.


    Meine Damen und Herren, ich bitte um eure Aufmerksamkeit.


    Sicher habt ihr in der Acta Diurna von den Versäumnissen der Feiern zu den Nonae Caprotinae gelesen. Vor einigen Tagen hatte mich deswegen der Septemvir Vibius Valerius Victor aufgesucht. Daß man mich nicht mißversteht, es geht jetzt nicht um Versäumnisse des Cultus Deorum oder der mangelnden Bereitschaft der Bevölkerung, den Göttern den ihnen gebührenden Respekt zu erweisen. Zumindest nicht primär.


    Im besagten Artikel der Acta wurde erwähnt, daß ein Schaf auf den Stufen der Iuno Sospitas tot zusammenbrach. Es wurden auch von anderen Kleinviehverendungen berichtet. Die Priester fürchten nun, daß dies ein schlechtes Omen sei, ein Prodigium.


    Hungi wartete einige Momente ab, um die Worte wirken zu lassen.


    Ich hoffe, ihr seid euch der Tragweite meiner Worte bewusst. Der Senat hat die Aufgabe, zu entscheiden, ob ein Prodigium vorliegt oder nicht.

  • "Dazu müsste man wohl wissen, was für ein Schaf das war" murmelte Macer erst halblaut und wiederholte den Kommentar dann auch nochmal für die gesamte Versammlung. "Was für Kleintiere sind denn an welchen Orten noch verendet. Und kann schon ausgeschlossen werden, dass dies auf die momentan sehr warme Wetterlage zurückzuführen ist?"

  • "Ich habe neben diesem Vorfall mit der Ziege auch von anderen gehört. Sie kamen mir zwar vor wie Geschichten Betrunkener, denen ein Teil des Sehsinns abhanden gekommen sind, die von dummen Waschweibern aufgeschnappt und bei jedem Weg von Ohr zu Ohr noch ausgeschmückt wurden. Aber da ihr davon hier sprecht möchte ich sie doch erwähnen, vielleicht weiß ein anderer mehr davon:
    Über einem Tempel in Ostia soll es vor wenigen Tagen ein Gewitter gegeben haben, obwohl über dem restlichen Umland strahlender Sonnenschein lag. In Sulmo soll ein Kalb mit drei Köpfen und fünf Beinen zur Welt gekommen sein. Außerdem erreichten auch Gerüchte von selbstmörderischem Geflügel auf hohen Dächern mein Ohr."

    Mit einem fast entschuldigendem Blick für diese unglaublichen Geschichten, nahm sie wieder Platz.

  • Ein Kalb mit drei Köpfen? Kriegt man sicher viel Sulz raus... sprach Hungi halb hörbar aus.


    Na gut, nachdem der Senat sonst anscheinend nichts zu sagen hat, werde ich den Septemvir Valerius Victor in den Senat rufen.

  • Meine Herren und Damen Senatoren,


    Ich finde es äusserst bedenklich, dass eine solche Anfrage hier so wenig diskutiert wird, ja sogar praktisch keine Meinungsäusserung stattfindet. Immerhin seid ihr die Senatoren, der Rat, Roms.


    Es ist Aufgabe der Magistrate Roms, und dazu zähle ich auch die Senatoren, die Religio Romana zu leben, ihr Amt und ihren Status durch aktive Teilnahme und Ausführung der Riten auszuüben.


    Tauchen unheimliche Vorzeichen auf, so ist es unsere Pflicht als Magistrate Roms, diese zu untersuchen und eine Entscheidung zu treffen. Angesichts der schlechten Religionsausübung im Volk und vorallem bei den Magistraten, bin ich sehr geneigt, diese Vorkommnisse als Prodigia zu sehen!

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    CIVIS

    SODALIS FACTIO ALBATA - FACTIO ALBATA

  • Hungi fragte sich, ob es seit neuestem Mode war, daß ein Beisitzer des Senats ungefragt seine Stimme in der Curia Iulia erhob.


    Also soll ich den Septemvir Valerius nicht rufen lassen sondern den Auguren? fragte er sicherheitshalber nach.

  • Ich hatte diese Sitzung still verfolgt....mein Bruder wusste sicher auch, warum.... aber der Vorschlag, die Auguren zu befragen, schien mir sinnvoll.


    "Ich wäre auch dafür, die Auguren zu befragen, allerdings kann es auch nichts schaden, den Septemvir zu hören?!"

  • "Ich bin sehr dafür, zunächst den Septemvir zu hören", schaltete sich Macer noch einmal in die Debatte ein. "Immerhin sollten wir einige Fakten beisammen haben, bevor wir einen Augur befragen. Ich gehe zwar durchaus davon aus, dass jeder Augur Roms inzwischen von diesen Vorzeichen erfahren hat, sofern sie ernstzunehmen sind, aber es wäre doch zu albern, wenn uns der bestellte Augur keine Antwort geben kann, weil wir mangels Fakten nicht einmal die Frage formuliert bekommen."


    Bei allen seinen recht spärlichen Erfahrungen mit Auguren hatte Macer die Erfahrung gemacht, dass diese Männer dann am präzisesten arbeiteten, wenn man ihnen Fragen stellte, die mit Ja oder Nein zu beantworten waren.

  • Ein wenig irritiert hat Livia die bisherige Diskussion mitverfolgt. Nun fühlt sie sich doch zu einer Meinungsäußerung veranlasst.


    "Meine Herren, ich spreche mich eindringlich dafür aus, dass wir die traditionelle Vorgehensweise einhalten. Die Entscheidung, ob ein Prodigium vorliegt, obliegt einzig und allein dem Senat. Im Anschluss an den bereits erfolgten Bericht des Princeps Senatus ist es üblich, dass wir die Zeugen dieser Vorfälle hören, falls noch Unklarheiten bestehen. Erst anschließend, wenn der Senat seine Entscheidung gefällt hat, werden in der Regel die Pontifices, die Quindecimviri oder auch die Haruspices hinzugezogen, um das korrekte Maß des notwendigen Sühnerituals zu bestimmen. Eine Befragung der Auguren an dieser Stelle des Prozesses ist deplatziert und bringt außer einer weiteren Verzögerung keinen Nutzen. Auch der Septemvir hat seine Arbeit bereits getan und muss an dieser Stelle nicht weiter konsultiert werden. Stattdessen sollten wir uns vielmehr dem Besitzer des Tiers und möglichen weiteren Augenzeugen zuwenden."

  • Es gab Tage, da hasste es Hungi, Princeps Senatus zu sein. Dies war ein solcher. Soll er den Septemvir rufen lassen, einen Auguren oder auf seine Frau hören? Eine durchaus berechtigte Frage. Innerlich wog er ab und fragte sich dabei, mit wem er zusammenlebte. Es waren weder Senator Macer noch Senator Avarus - letzteres eine Feststellung, die ihn gnädig stimmte, da seine Weinvorräte länger lebten :D - oder gar der Volkstribun, sondern es waren sein Bruder und seine Frau, die in seinem Haus wohnten. Die Entscheidung war jetzt sogar leicht. Sein Bruder würde es schon verstehen. :D


    Na gut, dann sollen irgendwelche Zeugen befragt werden. Wunderbar... irgendwelche Leute befragen. Er winkte seinem Scriba zu und diktierte ihm leise einen Brief.

  • Von einem Scriba des Cultus Deorum begleitet erreichen Patros Menidokolos und Ambrosiana Fadilla die Curia Iulia. Patros Menidokolos ist ein einfacher Mann, der seine Heimat Griechenland verlassen hat, um in Rom reich zu werden. So ganz klappt das mit der Viehzucht zwar nicht, doch er kann nicht klagen. Die römischen Götter sind auch die seinen und obwohl er mehr dem Merkur opfert, so kann er es nicht verstehen, wieso ausgerechnet sein Schaf Teil eines göttlichen Zorneszeichens der Iuno sein muss. Dass es aber ein Zorneszeichen war, daran besteht für ihn kein Zweifel.


    Die Popa Ambrosiana Fadilla ist eine junge Frau, wohl kaum dem zweiten Jahrzehnt ihres Lebens entwachsen. Dennoch hat sie schon viele Opferdienste hinter sich gebracht, mit dem Messer weiß sie geschickt umzugehen. Sie hat auch schon viel gesehen, was in und um die Tempel herum passiert ist. Göttliche Zeichen, natürliche Trugbilder, menschliche Einbildung, das Spektrum solcher Dinge im Alltag einer Popa ist groß. Im Senat jedoch war sie noch nie und ein bisschen schlottern ihr die Knie, wenn sie daran denkt, vor all den wichtigen Frauen und Männern sprechen zu müssen.


    Der Scriba des Cultus Deorum gibt einem Scriba des Senats Bescheid und dieser benachrichtigt den Princeps Senatus über das Eintreffen der beiden Zeugen.

  • Ah sehr schön, sie sind also hier. Hungi winkte die beiden herbei.


    Ihr wisst, warum ihr hier seid? Wir würden gerne von euch erfahren, was denn genau passierte an diesem Tag, als das Schaf starb.


    Mann, der letzte Halbsatz war furchtbar reißerisch.

  • Ohne Zögern tritt Patros nach vorn und verneigt sich leicht vor dem Princeps Senatus. "Ehrwürdige Senatoren, ich möchte gleich zu Beginn erwähnen, dass ich ein ehrlicher, rechtschaffener und götterfürchtiger Mann bin. Mein Vieh ist gesund und von bester Qualität. Die Schafe weiden auf den besten Wiesen mit dem saftigsten Grad vor den Toren Roms und noch nie hat sich meine Herde eine Krankheit zugezogen! Auch vor und nach dem Vorfall zeigte keins meiner anderen Tiere auch nur irgendwelche Anzeichen von Krankheit." Das sollte alle von seiner Unschuld überzeugt haben. Der kleine Grieche kratzt sich am Bart und überlegt, wo er anfangen soll.


    Am besten am Anfang. "Der Tag des toten Schafs war bis zu diesem Vorfall ein recht angenehmer Tag. Ich hatte einen guten Platz im Schatten auf dem Markt erwischt und das Geschäft lief recht gut. Meine Tiere leben natürlich alle noch, wenn ich sie verkaufe, die Hühner sitzen in Käfigen, die Schafe und Ziegen sind angebunden, ebenso wie die Schweine, wenn ich welche dabei habe. Ich hatte gerade einen Gockel verkauft, als mein Standnachbar rief: Vorsicht, dein Schaf!" Auch Patros ruft das nun durch den Senat und duckt sich gleich darauf auf die beeindruckende Akustik hin.


    Peinlich berührt zieht er den Kopf ein und fährt fort. "Das Schaf hatte sich losgerissen und als hätte es eine Verabredung sauste es zwischen den Beinen der Marktbesucher davon. Ich lief natürlich sofort hinterher! Ihr müsst wissen, in so einem Fall halten wir Händler zusammen, ich kannte den Mann vom Nachbarstand auch ganz gut, das war der alte Durus, so dass ich mir keine Sorge um meine Waren machen musste. Wohl aber um mein Schaf! Es hielt mich beim Narren, immer, wenn ich ihm näher kam rannte es weiter. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie mir der Schweiß lief! Dann rannte es auch noch zum Palatin. Ich war schon kurz davor, aufzugeben und den Verlust einfach abzuschreiben, da blieb es auf den Stufen zum Tempel der Iuno stehen. Das war doch ein gutes Zeichen, dachte ich mir, und ging mit beruhigenden Worten auf das Tier zu, um das verlorene Schaf zurück in die Herde zu holen. Doch bevor ich es berühren konnte blökte es einmal laut auf und kippte vor meinen Augen einfach zur Seite und blieb tot liegen! Völlig ohne Grund! Ich war natürlich sehr erschrocken und bestürzt, doch es half nichts, das Tier war verendet. Soetwas ist mir in meinem Leben noch nicht passiert."


    Bevor jemand etwas sagen kann, fährt Patros eilig fort. "Ein Schaf ist für mich ein sehr kostspieliger Verlust, edle Senatoren, ich bin nur ein einfacher Händler. Wenn ihr also entscheidet, dass dieses Zeichen dem römischen Volk galt, und wie könnt es schon anders sein, bin ich doch ein ehrlicher, rechtschaffener und götterfürchtiger Mann, dann
    wäre es äußerst gnädig von euch, wenn das römische Volk für meinen Schaden aufkommen könnte und nicht ein armer Peregrinus wie ich die Last des Götterzornes tragen muss, wo ich ihn doch sicherlich nicht auf mich gezogen habe, denn ich bin ein ehrlicher, rechtschaffener und götterfürchtiger Mann." Er hofft, dass die Senatoren diese Bitte nicht als unverschämt ansehen. Die meisten von ihnen würden kaum nachvollziehen können, wie groß der Verlust für ihn ist, doch womöglich waren sie gerade aus diesem Grund vielleicht spendabel. Was ist schon ein Schaf im Vergleich zum Reichtum Roms...

  • Hungi nickte zu den Ausführungen des Mannes.


    Ich bin sicher, daß du entschädigt wirst, Händler.


    Dann blickte er die Frau an und lächelte ihr freundlich zu. Ich, das heißt der Senat, würde nun gerne deinen Bericht hören.

  • Ein wenig schüchtern tritt Fadilla aus dem Schatten des Griechen, der sich nur schwer in den Hintergrund drängen lässt, heraus. "Salvete Senatores, mein Name ist Ambrosiana Fadilla, ich bin Popa des Cultus Deorum, und an jenem Tag war ich im Tempel der Iuno Sospita zugegen. Ich trat gerade aus dem Aedes hinaus um in die Räumlichkeiten unter dem Tempelpodest zu gehen, um eine Opferschale zu holen, als das Lamm über die Straße lief und der Händler hinterher. Er rief laut, man solle das Tier halten, doch bis die Menschen erblickten, was er meinte, war das Schaf schon an ihnen vorbei. Es kam direkt auf den Tempel zu. Ich weiß, ich hätte hinabgehen sollen um das Tier einzufangen, doch ich stand einfach nur am Ende der Treppen und beobachtete fasziniert das Geschehen. Beinahe erwartungsvoll rechnete ich damit, dass das Tier weiterlaufen würde, sobald der gute Mann nur nahe genug heran war. Doch es blieb nur stehen, ohne Angst und ohne Hast und der Händler war schon zum Greifen nah." Fadilla blickt mit großen Augen durch das Halbrund des Senates.


    "Ein lautes, beinahe protestierendes Määähh erklang." In ihrem Blick liegt Verzweiflung. "Und dann begann es. Das Schweigen der Lämmer!" Fadilla schweigt einen Moment, bis sie ihren letzten Satz selbst realisiert. Sie reißt die Augen erschrocken auf. "Ich meine natürlich, das Schweigen des Lammes! Es kippte einfach um, bumm. Tot." Verlegen lässt sie ihren Blick auf den Boden der Curia gleiten. "Es war noch ganz jung und es wäre ein wunderbares Opferlamm für Iuno gewesen. Doch dies war kein Opfer. Wenn man einem Tier die Kehle durchschneidet, so bricht es nicht von einem Moment auf den nächsten zusammen. Mit dem herausrinnenden Blut rinnt auch das Leben aus ihm heraus. Manchmal scheint es beinahe, als fließe die Zeit langsamer dahin, wenn das Opfertier zur Erde kippt. Doch in diesem Fall schien es eher, als wäre die Zeit zwischen dem im Leben Stehen und dem tot auf dem Boden liegen des Schafes verloren gegangen." Zaghaft sucht sie den Blick des Princeps Senatus. Der letzte Satz hört sich selbst in ihren eigenen Ohren merkwürdig an, doch bessere Worte kann sie nicht finden.

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