• << Ein dickes Übel - Viridomarus


    Einen Augenblick später ging die Tür zu Terpanders Rückzugsraum auf. Viridomarus schaute auf den Mann, der es sich auf einer Teppichrolle bequem gemacht hatte. Ungefragt trat er ein und schloss hinter sich die Tür.


    "So sieht man sich wieder mein Bester. Du siehst ja ganz käsig aus, was Dir fehlt ist eine Aufgabe", schmunzelte Viridomarus und wippte von den Zehenspitzen auf die Versen und lächelte Terpander breit an.


    Eine stattliche wie ansehnliche Beute war der alte Sklave immer noch. Spartaner durch und durch, gefällt und gefangen mit duftenden Netzen. Viridomarus war erneut stolz auf sich und seine Leistung.

  • Terpander spürte ein Gefühl in sich aufsteigen, dass er schon lange nicht mehr gehabt hatte. Ein sehr intesives, dem er nur mühsam widerstehen konnte, denn es war ihm von kleinauf anerzogen worden. Er wollte Viridomarus töten. Sie waren allein. Nur das Fenster im Rücken des Fettsacks verhinderte, dass Terpander sich sofort auf ihn stürzte. Stattdessen wich er einen Schritt zurück, um ihn von dort wegzulocken. Er würde ihm das Genick brechen und den Kadaver von der Treppe herunterschmeißen. Wenn die Qualle zu dämlich war zum laufen und sich den Hals brach, konnte er nichts dafür.


    "Verschwinde aus diesem Haus", grollte Terpander. "Jetzt."

  • Viridomarus schüttelte leicht den Kopf, als wäre Terpander kein todbringender Spartaner, sondern ein kleines unartiges Kind. Natürlich wusste er, wie gefährlich dieser Mann war. Was Terpander aber vergessen hatte war wohl, dass Viri selbst auf seine ureigene Art gefährlich werden konnte.


    "Begrüßt man so einen alten Freund? Ich sehe es Dir nach Terpander, so nennst Du Dich jetzt ja? Interessanter Name. Ich werde dieses Haus nicht verlassen mein Guter. Es gehörte einst mir und ich habe es Lurco geschenkt. Falls jemand dieses Haus verlassen sollte, dann bist Du es und zwar um einen Auftrag für mich zu erfüllen.


    Schau wir beide wollen uns doch nicht gegenseitig wehtun oder?
    Deine rüde Art verletzt meine zarten Gefühle. Und ich bin ein sehr empfindsamer Mensch. Streit und böse Worte sind mir ein Gräul. Die Welt soll einen in Genuss zu Füßen liegen. Und ich denke, Dir ergeht es ganz genauso.Du möchtest das Deine Welt erhalten bleibt. Schau ich bin Händler und Du bist Ware, das ist doch ganz einfach lieber Terpander.


    Also tun wir dass, was das Schicksal für uns vorgesehen hat, wir beide gehen jetzt ein Geschäft ein. Du kaufst bei mir ein. Was Du gleich erwirbst ist mein Schweigen. Es kostet Dich keine einzige Sesterze. Nein um der alten Zeiten willen musst Du nichts weiter tun, als Deinem alten Freund Viridomarus bei Bedarf einen Gefallen zu erweisen.


    So etwas stimmt mich fröhlich und freundlich und meine Lippen bleiben beim Sprechen versiegelt. Solltest Du mich aber verärgern, dann kann es vorkommen dass ich mich aufgebracht verplappere. Ein Spartaner, gefangen von wundervollen athletischen nubischen Sklaven. Und all das während er einen anderen Mann hinterrücks ermordete und ausraubte. Terpander... LYSANDER... hach wer kann das im Stress schon noch auseinander halten.


    Na nun entspann Dich doch etwas mein lieber Lysander... hups... herje siehst Du? Was meinst Du zu unserem kleinen Geschäft?", fragte Viridomarus und lächelte so aufrichtig und falsch, dass dahinter mehr Drohung lag als in jedem bösen Wort.

  • Terpander schnaufte entsetzt, als Viridomarus seinen wahren Namen herumplärrte. Sein Blick huschte rasch in Richtung der Treppe. Dann wieder ins aufgedunsene Gesicht seiner fleischgewordenen Nemesis, deren Gesicht er am liebsten in einen Matsch aus Blut und Zähnen verwandelt hätte.


    "Du hast bereits an mir verdient", grollte er und wich einen weiteren Schritt zurück in die Schatten.

  • "Richtig lieber Lysander, aber schau mich an. Ich bin ein Mann der Gewohnheit, sozusagen ein Gewohnheitsmensch. Was sich einmal eingeschliffen hat, lasse ich nicht schleifen. Nun da wir uns endlich wiedergefunden haben, nach all den Jahren werde wir unsere Geschäftsbeziehung vertiefen. Wie ich sehe liegt Dir auch sehr viel daran, dass es Deinen alten Freunden gut geht.


    Lebe, Kyriakos dass waren Deine Worte. So etwas vergesse ich nicht, diese Gnade die Du dem Mann zu Teil werden hast lassen Lysander. Warum sollte ich Dir sie nicht vergelten, indem ich Dich anleite zur weiteren Güte? Ist es nicht die Pflicht eines jeden aufrechten Mannes an seine Mitmenschen zu denken? Und schau wie ich an Dich denke. Ich sorge mich sogar darum, dass Du nicht dem Müßiggang verfällst.


    So nun hör auf Dich zu zieren wie eine Jungfrau vor dem ersten Stich und antworte Deinem Freund Viridomarus. Ich bin extra den beschwerlichen Weg hier heraufgekommen um nach Dir zu schauen. Ich war in Sorge um Dich, wo Du an der Tür doch derart erbleicht bist, dass ich schon fürchtete Du hättest einen Blutsturz oder anderes Unbill. Ein bisschen Ertüchtigung für den guten Viri wird Dir wieder die Farbe in die Wangen zaubern", gab Viridomarus zurück und richtete seine wilden Locken.


    "Ein Wetter ist das heute, hast Du auch so Probleme mit dem Haar? Ich glaube ich werde nachher noch etwas Haaröl nachmassieren lassen. Es ist ein unschicklich wenn die Haare höher stehen als die Manneskraft", lachte Viri.

  • Nun war alles aus. Der Fluch wurde wirklichkeit, er war verloren. Tiberios würde alles gehört haben. Er konnte sie nicht beide töten, ohne dass es auffiel. Dass zwei gleichzeitig die Treppe herunterstolperten, war unwahrscheinlich. Terpander war weiß wie eine Kalkwand und kalter Schweiß sickerte seinen Hals hinab. Es war gleichgültig, dass niemand sein gutes Werk verstand, offiziell galt er als Deserteur und Schwerverbrecher. Wobei, war er denn desertiert? Viridomarus war es doch gewesen, der ihn widerrechtlich versklavt hatte! Er hatte zu seiner Einheit zurückkehren wollen!


    "Mein Herr wird das nicht glauben", antwortete Terpander und er sprach sehr langsam. "Du hast keinen Beweis, nur Worte. Es gibt keine Zeugen für dein Märchen. Du machst Tiberios Angst. Sag mir, was du möchtest und dann sehen wir weiter. Als guter Sklave sorge ich mich auch um unverschämte Gäste."

  • "Der gute Tiberios, ein so feiner junger Mann, nichts läge mir ferner als ihn zu verschrecken. Komm ruhig herein Tiberios. Mein guter Terpander, Gnade bedarf keines Beweises. Aber da Du meine Hilfe nun endlich annehmen möchtest, werde ich sie Dir gerne gewähren. Noch habe ich keinen Auftrag für Dich, wo Du mir behilflich sein könntest. Danke für Dein großzügiges Angebot, ich weiß Deinen Fleiß zu schätzen. Sobald Du mir behilflich sein kannst, werde ich es Dich wissen lassen.


    Lurco wird erfreut darüber sein, wir sind alte und sehr gute Freunde. Auch sein Kamerad Scato wird als Dein Herr nur lobend über Deinen Fleiß sprechen. Ein wahrer Freund der Freunde bist Du. Nun lass Dich nicht länger von mir aufhalten, genieße Speis und Trank die Dir von Tiberios mitgebracht wurden. Schau nur, auch er hat an Dich gedacht. Stärke Dich, in der Stärke des guten Mahls liegt Wonne und Erholung. Und Du hast beides nötig mein Lieber.


    Falls Du mich suchst, ich bin unten. Wir warten auf Dich. Bis später, gehabe Dich wohl", sagte Viri freundlich und schaffte es trotz seiner Leibesfülle scheinbar schwerelos aus den Raum zu tänzeln.

  • Casa Leonis, oberes Stockwerk



    Tiberios öffnete die Tür ganz und trat ein.
    Betont fröhlich sagte er:
    „Ich wurde gerade erst mit etwas zu essen nach oben geschickt und möchte nach dir sehen, Terpander!“


    Er fasste das Tablett mit beiden Händen und verbeugte sich kurz.


    Dominus Viridomarus sprach ihn freundlich an wie schon zuvor, und der furische Sklave lächelte nun:
    „ Du erschrickst mich nicht, kyrios, und niemand macht mir Angst, weshalb sollte das auch so sein ?“,


    sagte er und bemühte sich, seiner Stimme einen unbekümmerten Klang zu geben. Anstatt dominus entfuhr ihm jedoch das griechische kyrios ,und solche Fehler machte Tiberios nur noch, wenn er sehr nervös war.


    Er hätte gerne noch einmal den Preis für die Düfte für seine domina angesprochen – vielleicht konnte dominus Viri ab und zu einen Scriba brauchen, dann könnte er einen Teil abarbeiten – aber der leutselige Geschäftsmann hatte es nun eilig, wieder nach unten zu gehen.
    Verdenken konnte man es ihm nicht, das obere Stockwerk der Casa Leonis war noch wenig einladend.


    Tiberios setzte sich neben Terpander auf die Teppichrolle und schob das Tablett zu ihm hin. Er bemerkte, dass der Maiordomus älter aussah als sonst und feine Schweißtropfen den Halsausschnitt seiner Tunika dunkel gefärbt hatten.
    Terpander tat ihm nicht Leid, Tiberios hatte nicht die Anmaßung, dass Terpander Mitleid von jemandem
    wie ihm brauchte, doch es tat ihm Leid, dass er ihm ab und zu gedroht und das Ganze für ein scherzhaftes Gedankenspiel gehalten hatte.

    Ob Terpander wußte, dass er, Tiberios, so ziemlich alles von Anfang mit an gehört hatte, wenn auch gegen seinen Willen? Der Mann war ein spartiatischer Krieger. Er hörte vermutlich die Flöhe husten. Tiberios war ja auch auf der Treppe nicht leise gewesen – warum auch?


    Tiberios wagte Scatos Sklaven kaum anzusehen, doch er legte ganz leicht die Fingerspitzen auf seinen Unterarm:


    „Salve, Terpander“, sagte er freundlich und ernst und betonte die erste Silbe des Vornamens:
    „Möchtest du etwas trinken und essen? Dominus Scato hat dir eine Lukaner Wurst und Datteln aufgepackt, und ich Posca und Brot.“

  • Als Tiberios 'kyrios' sagte, zuckte Terpander tatsächlich zusammen, weil er im ersten Moment dachte, er würde 'Kyriakos' sagen. Tatsächlich waren die beiden Worte nicht nur phonetisch ähnlich, sondern auch semantisch verwandt - kyrios bedeutete 'Herr' und Kyriakos hieß 'zum Herrn gehörend'. Als Griechischlehrer wusste Terpander um die Organik der Sprache. Nur Terpanders Augen bewegten sich, als sein Blick auf den Teller fiel. Die Wurst und die beiden ovalen Datteln waren so angeordnet, dass sie eine unanständige Form ergaben. Ein scherzhafter Gruß von Scato. Tiberios schien das gar nicht bemerkt zu haben. Terpander griff nach dem Becher Posca und trank ihn in einem Zug aus. Er hatte Durst.


    "Du hast alles mit angehört", urteilte er.


    Die zarten Finger an seinem Arm registrierte er, ein Versuch von Tiberios, die von Viridomarus mit Worten geschlagene Kluft durch eine Berührung zu überbrücken. Doch Terpander fühlte sich, als stünde er nun völlig allein auf einer immer weiter abbröckelnden Insel. Sieben Jahre lang hatte er versucht, sich ein neues Leben aufzubauen, aber dem Fluch, den Kyriakos ihm hinterhergeschickt haben musste, konnte er nicht entkommen. Wie es aussah, hatte er seinen alten Mentor am Ende ihres letzten Kampfes doch noch besiegt.

  • Tiberios nickte nur und machte keine Ausflüchte.
    Terpander schien nicht böse zu sein, dass der furische Sklave die Angelegenheit mit angehört hatte:


    „Jetzt ist zu überlegen, was zu tun ist.“, sagte er ruhig und streichelte sanft Terpanders Arm:
    "Du kannst es auf sich beruhen lassen und hoffen, dass da nie etwas kommt. Es kommt nicht immer was nach."


    Auch Tiberios hatte sich einst dem Tavernenwirt Archias um einen Gefallen verpflichtet, ohne dass er wieder von ihm gehört hatte:


    Und du könntest es immer noch zur Bedingung machen, dass dominus Viri die gens Iunia in Ruhe lässt. Genau wie ich bist du ja verpflichtet, deine familia mit deinem Leben zu verteidigen.
    Ich frage mich allerdings, warum dominus Viridomarus dich überhaupt unter Druck setzen kann: Du warst ein freier peregrinus und wurdest versklavt, das kommt vor. Nur ein römischer civis ist vor solch einer Willkür durch Gesetz geschützt.
    Du hast damals einen Mann getötet oder fast getötet. Wenn er tot ist, ist er schon lange ein Schatten im Hades, wenn nicht, so hat er dir die ganzen Jahre nicht geschadet.
    Keinen Menschen, auch deinen dominus nicht, interessiert das noch.
    Was genau ist der wirkliche Grund, weshalb die Lage dir so aussichtslos erscheint, Terpander?"

  • "Ich berichtete dir von dem Fluch, der auf mir lastet ... sieben Tage Unheil wurden mir prophezeit, eine milde Strafe für sieben Jahre Pein. Ich habe niemanden ermordet, Tiberios. Ich habe jemanden gerettet. Aber ich bezweilfe, dass er oder jemand anderes das versteht. Augenscheinlich hat er mir einen Fluch auf den Hals gehetzt, mich jagen die Erynien oder vielleicht ist es auch ein kakodaimon? Wie lange wird er mich noch jagen und wie lange verfolgt er mich schon? Diese sieben Tage sind nur die Spitze des Eisberges. Es geht nicht nur um diesen fetten Erpresser!"


    Terpander, sonst wortkarg und wenig emotional, redete sich immer weiter in Rage.


    "Du weißt, dass die Seele aus einer anderen Welt, als Strafe für eine Schuld, an den Leib gefesselt ist. Sie muss eine lange Wanderung vollziehen, bevor sie erlöst werden kann. Ich werde nach meinem Tod nicht mal eine Grabinschrift erhalten. Ich bin ein alter Mann, Tiberios, mir bleibt nicht mehr viel Zeit, irgendetwas gut zu machen. Meine Zeit läuft schneller ab, als ich Schritt halten kann. Auf der anderen Seite wartet man auf mich, aber wie es aussieht, werde ich mein Versprechen nicht halten können, bald nachzukommen. Ich muss einen anderen Weg gehen nach meinem Ableben und wieder in irgendeiner erbärmlichen Hülle landen, noch schwächer als diese, damit die Lektion auch wirkt. Und mit dem neuen Leben werde ich ihre Gesichter vergessen haben und es wird mir noch schwerer Fallen, meine Schuld zu tilgen."


    Tiberios war noch jung, vermutlich waren seine Gedanken ganz auf Diesseits gerichtet. Das war gut, doch Terpander kam nicht umhin, jeden Tag in seinen schmerzenden Knochen zu spüren, wie der immer hungrige Chronos an ihm fraß und seine Lebenszeit ablief. Dieser weitere Rückschlag, den Viridomarus ihm verpasst hatte, war sehr hart. Und wenn es ganz übel kam, war damit seine Zeit endgültig vorbei.

  • Tiberios spürte, wie sich ihm die Nackenhaare aufstellten. Am liebsten wäre er aufgesprungen und hätte sich entfernt, um sich nicht dem Fluch Terpanders auszusetzen. Die daimones , die Erinyen, er wußte, dass sie immer um die Sterblichen waren und streng und unerbittlich auf die Taten eines Mannes blickten.


    Aber er hielt aus und zog die Hand nicht weg:
    „Wenn der Knabe mit der gesenkten Fackel zu dir kommt...“, gebrauchte er eine alte Todesmetapher:
    "..werde ich den Grabstein setzen, auch wenn ich nicht viel mehr als „ Lysander – geboren zu Sparta , gestorben in Roma " darauf schreiben kann. Und ich verspreche dir, ich werde dir die Münze für Charon unter die Zunge legen. “, sagte er sehr ernst:
    „ Es wird Zeit, dass du die Fluchtafel des Magus vergräbst und das Blutritual vollstreckst – ich habe ja gesagt, ich komme mit. Wann möchtest du aufbrechen?“


    Tiberios‘ Herz klopfte ihm bis zum Halse. Das waren keine erfreulichen Aussichten. Wieder wäre er am liebsten weggelaufen – in das untere Stockwerk, dort wo Licht, Lachen und Gemütlichkeit warteten.


    Er dagegen war gerade mit Terpander auf einem eisigen Gipfel. Wie einsam Terpander sein musste!
    Tiberios dachte daran, wie der ältere Grieche ihn in einer Umarmung getröstet hatte – doch für Terpander gab es keinen Trost.


    Dennoch lehnte sich Tiberios an die Seite des älteren Griechen und versuchte durch seine Körperwärme wenigstens Zuneigung und Freundlichkeit zu übertragen. Und sanft führte er dessen Hand zu dem Essen vor sich - erst jetzt fiel Tiberios die anspielungsreiche Anordnung der Datteln und der Wurst auf ....


    " Dominus Scato erinnert uns gerade an die starken Kräfte des Lebens.", sagte er lächelnd.

  • "Mein Herr hat bisweilen einen albernen Humor, aber besser als gar keinen."


    Terpander legte den Arm um die schmalen Schultern des Scriba. Er hatte keine Berührungsängste, im Gegenteil erschienen ihm die römischen Sitten borniert und prüde. Ruhig kraulte er Tiberios den weichen Oberarm. Wenn der Bursche überhaupt irgendwo Muskeln hatte, dann vermutlich in den Fingern der rechten Hand und in der Zunge, seinem Mundwerk nach zu urteilen.


    "Danke, Tiberios, für das Angebot. Du bist ein Ehrenmann, sofern man bei dir von Mann sprechen kann. Sagen wir, du bist ein Ehrenknabe. Ich hoffe, ich muss nicht so schnell darauf zurückgreifen, auch wenn im Moment alle Zeichen auf meinen vorzeitigen Tod deuten. Lysander, so hieß ich bis vor sieben Jahren. Aber du warst schon immer Tiberios, nicht wahr? Es wird Zeit, dass wir das Ritual durchführen, ehe es zu spät ist. Aber wer ist der Knabe mit der gesenkten Fackel?"

  • Als Knaben, der die Fackel senkt, stellen wir uns Thanatos vor, den Gott des friedlichen Todes, einfach einschlafen, weißt du.“, erwiderte Tiberios:
    „Vermutlich inkarniert er in Sparta nicht.“


    Er lächelte nun auch wegen des „Ehrenknaben“. Terpander schien gerade zu seinem alten, bissigen Format zurück zu finden, doch Tiberios hatte gesehen, was er gesehen hatte, und immer noch fühlte er sich unbehaglich:
    „Das Ritual, wann immer du willst.“, sprach er, und nun hob er die Hand und legte sie an Terpanders Wange, um sanft dessen Kopf so zu drehen, dass der seinem Blick nicht ausweichen konnte:
    Aber sag mir: Wer wartet auf der anderen Seite auf dich, wem hast du versprochen, bald nachzukommen? Oder besser: Sag es mir nur, wenn du möchtest. Vielleicht ist es mir zuträglicher, nicht alles zu wissen, nicht wahr?"

  • Viridomarus war so still, wie ein Mensch nur sein konnte. Er war zwar aus dem Raum verschwunden, jedoch war er nicht nach unten zurückgekehrt. So eine Gelegenheit bot sich nicht zweimal. Also tat er dass, was jeder gute Händler getan hätte, er lauschte. Andere hielten dies für eine Untugend, aber nur weil sie nicht wussten, wie wichtig und wertvoll Informationen waren. So hörte Viridomarus den beiden Männern im Raum ganz genau zu.


    Terpander und Tiberios...


    Sieben Jahre Unheil wurden Terpander vorhergesagt, für sieben Jahre Pein. Hochinteressant! Zudem wollte dieser ein Ritual durchführen, mit dem er sich von diesem Unheil freikaufte. Was faselte Terpander da von vorzeitigem Tod? Das würde Viri zu verhindern wissen. Schließlich hatte er ihn gerade an den Eiern, da würde er Terpander nicht so leicht davon kommen lassen. Soweit kam es noch, dass sich der alte Sparter drückte! Also ein bisschen mehr Infos durften es schon sein! Die beiden sollten schön weitersprechen, grinste Viri vor der Tür an der er wie eine Fliege klebte.

  • Terpander ließ zu, dass Tiberios sein Gesicht anfasste und seinen Kopf so drehte, dass sie einander ansahen.


    "Alle Götter kenne ich nicht und Thanatos ist keiner der meinen gewesen", sagte er. "Aber ich habe ohnehin jede göttliche Gunst verwirkt. Darum ist es wichtig, dass wir zeitnah das Ritual durchführen. Auf der anderen Seite warten viele", sagte er, ohne den Blick zu senken oder zur Seite zu blicken. "Es ist ein gefährliches Leben als Spartiate, wir sind für den Kampf geboren und die meisten sterben für ihn. Kehre mit deinem Schild heim oder auf ihm, so lautet ein berühmter Abschiedsgruß unserer Mütter, wenn wir in den Krieg ziehen. Auf dem Schild, das heißt tot. Ohne Schild, das hieße Schande, denn wer flieht, wirft das schwere Ding weg. Ein Spartiate flieht niemals oder sollte es zumindest nicht tun. So zieht sich das Gedankengut des Krieges durch unser ganzes Leben, von der Geburt bis zum Tod."


    Noch immer war Terpanders Gesicht neutral.


    "Du weißt, was mit unseren Neugeborenen geschieht?"

  • Für den Alexandriner Tiberios waren Terpanders Worte Zeugnisse einer längst vergangenen Welt, wie Troia oder die Fahrten des Odysseus oder wie die Schlacht bei den Thermopylen. Groß gewiss, doch schon längst Geschichte.


    Nun aber sprach ein Mann zu ihm, der noch im Geiste der glorreichen spartiatischen Vergangenheit gelebt und gestritten hatte.
    Tiberios hielt dem Blick des alten Kriegers nicht stand, verlegen senkte er die Lider, und seine Hand, die an der Wange Terpanders ruhte, zitterte leicht.


    Du weißt, was mit unseren Neugeborenen geschieht?"
    Was war fama, Gerücht? Was war Vergangenheit? Was Wirklichkeit?


    Tiberios schüttelte den Kopf:
    „Genaues weiß ich nicht, sag du mir es.“, bat er.

  • Da die Hand von Tiberios zitterte, legte Terpander seine eigene darauf, damit der andere spürte, dass er ganz ruhig war, als er folgende Worte sprach:


    "Die gerousía entspricht einem Ältestenrat, du kannst sie mit dem römischen Senat vergleichen, mit dem Unterschied, dass Alter die einzige Qualifikation ist, die man braucht. Sie hat auf die Politik heute kaum noch Einfluss, aber für das Tagesgeschehen der Spartiaten. So begutachten die Ältesten die Neugeborenen und entscheiden, ob das Kind die Qualitäten eines künftigen Vollbürgers besitzt. Trifft dies zu, darf das Kind leben. Wenn nicht, ist sein Leben verwirkt. Der Tagyetos, ein Gebirgszug bei Sparta, dient als Hinrichtungsstätte für jene, die schwach geboren werden. Der Vater selbst trägt hernach sein Kind hinauf bis zu der Schlucht, der niemand einen Namen gibt. Wer Anstand hat, verhindert weiteres Elend durch einen Sturz, anstatt der Natur ihren Lauf zu lassen. Nur Feiglinge legen ihr Kind hilflos ab und fliehen vor der Verantwortung."

  • „Es ist bestimmt weniger grausam, ein Kind sofort zu töten als es verhungern oder durch wilde Tiere umkommen zu lassen.“, stimmte der furische Sklave zu:
    „Dass freilich ein Senat über Leben und Tod eines Neugeborenen entscheidet, selbst gegen den Willen des Vaters, das klingt sehr altertümlich.“


    Natürlich setzte man Säuglinge aus, wenn sie unehelich waren oder die Eltern sie nicht ernähren konnten oder wenn sie, das kam aber selten vor, so schwere Deformationen aufwiesen, dass die Götter selbst sie verflucht hatten, aber man warf sie nicht in irgendeine Schlucht, sondern ließ sie an einem Platz zurück, an dem jemand anderes sie finden und aufziehen konnte. In Roma war einer dieser Plätze die Columna Lactaria, und wie im Fall der kleinen Ancilla wurden diese Kinder meistens Sklaven .
    In den wohlhabenden Familien jedoch behielt man seit langem auch die schwächlichen Kinder, sonst wäre ein Claudius niemals Caesar Augustus geworden.


    Es war nun sehr still im Haus, vermutlich waren seine Herren aus der Mittagspause zum Dienst aufgebrochen und dominus Sati beschäftigte sich andersweitig.
    Nur einmal gab es ein knarzendes Geräusch, dann aber erklang das Flattern von Flügel. Eine Taube schien sich vor das Fenster verirrt zu haben und flog kurz darauf davon.


    Tiberios spürte Terpanders ruhige Hand über der seinen, die Berührung nahm ihm etwas seiner Nervosität.
    Er war sich sicher, dass Terpander nicht über alte spartiatische Bräuche aufklären wollte, sondern dass seine Worte hier und jetzt ihre Gegenwart betrafen, und so sah er den älteren Griechen konzentriert an.

  • "Altertümlich." Terpander wiederholte das Wort langsam. "Altertümlich." Eine merkwürdige Forumulierung für einen Haufen von unbestatteten Säuglingsskeletten. "Hältst du mich für einen Feigling?", hakte er nach. In der Frage lag diesmal keine verborgene Drohung oder Ironie. Terpander wollte die Antwort hören.

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