Die Gemächer der Matinia Marcella | Ein neuer Tag bricht an

  • Ein goldener Sonnenstrahl kitzelte Marcellas Näschen. Sie blinzelte, schlug die Augen auf, und räkelte sich genüsslich noch ein wenig in den wolkenweichen Daunenkissen. Auch ihr kleines Hündchen, eine schneeweiße Pudeldame namens Flöckchen, die neben ihr zusammengerollt geschlafen hatte, begann sich zu regen, gähnte, wobei sie ihre rosa Zunge zeigte, und hüpfte schließlich von dem breiten Himmelbett, hoppelte durch das Gemach den eintretenden Sklavinnen entgegen. Als die erste Dienerin die schweren Vorhänge zur Seite zog, flutete hell das Morgenlicht herein, brachte die bunten Farben der Wandgemälde und Teppiche zum leuchten, umstrahlte die Blumen auf dem Fensterbord mit einer goldenen Aureole, und ließ das rubinbesetzte Halsband des Hündchens lustig funkeln.
    "Was für ein herrlicher Tag!" jauzte Marcella. "Es wird schon wieder Frühling! ~ trallala lala~ Und das allerbeste: heute ist endlich die Trauerzeit vorüber."
    Pflichtbewußt hatte Marcella ihren früh verschiedenen Ehegatten so lange betrauert wie die Sitte es vorschrieb, doch genug war genug. Sie war noch blutjung und eine echte Matinia, kein Kind von Traurigkeit, und sie hatte auch nicht vor eines zu werden.


    Marcella ließ sich das Frühstück im Bett servieren, steckte Flöckchen dabei allerlei Leckerbissen zu. Danach nahm eine der vertrauten Leibdienerinnen das Hündchen an die Leine um es auszuführen. Marcella erhob sich, schlüpfte in weiche Haussandalen und tappte aus dem Schlafzimmer, besuchte das ganz aus blitzblankem Mamor gefertigte komfortable Wasserklosett, es folgte eine Katzenwäsche und das Bürsten und Polieren der Zähne, sodann ließ sie sich ihn ihrem Ankleidezimmer vor einem monumentalen Silberspiegel nieder.
    Noch im seidenen Schlafkleidchen ließ sie sich dort von ihren Ornatrices zurechtmachen – eine legte ihr eine Gesichtsmaske auf, eine ondulierte ihr das Haar und steckte es auf, eine massierte ihr Hände und Füße mit wohlduftendem Öl, währenddessen schwatzten die Mädchen wie ein Schwarm Singvögel fröhlich durcheinander und erzählten Marcella von den Neuigkeiten, die den Haushalt der Matinier heute Morgen bereits erreicht hatten.


    "Herennius soll vorhin schlafend auf der Schwelle von Agathocleas Haus gelegen haben." - "Agathoclea aber soll ein Auge auf Aurunculeius geworfen haben, doch der wiederum will von ihr nichts wissen." - "Und auf dem Forum Boarium gib es heute Hinrichtungen mit dem Schwert. Dürfen wir hingehen, Domina, bitte bitte, dürfen wir?" - "Calpurnius soll bei der Cena gestern gesagt haben, dass er sich diesmal aber wirklich von Sepullia scheiden lässt..." - "Die Tore sind noch immer geschlossen, und die Preise für Lebensmittel steigen weiter... Frischer Fisch ist gar nicht mehr zu bekommen!"


    "Das ist so furchtbar..." seufzte Marcella. (Im Bezug auf die geschlossenen Tore, sie machte sich nichts aus Fisch.) Doch sie sehnte sich nach ihrem lauschigen Landhaus. Es war ihre Mitgift gewesen, die nun ihr allein gehörte, ein ganz reizendes Anwesen, und sie betrieb dort eine erfolgreiche Pudelzucht. Zwar hatte sie einen fähigen Verwalter, der sicher auch einige Zeit ohne sie auskommen würde, doch..
    "Ich muß endlich wieder nach meinen Lieblingen sehen. Ich vermisse sie... - Und meine liebe Schwester, die ich ungeduldig erwarte, sie müßte doch jeden Tag zurück kommen."
    Doch wie sollte sie in die Stadt kommen? Marcella sah ihr liebe Musa nach der langen Reise schon vor verschlossenen Toren stehen.


    Es folgte das Auflegen leichter Kosmetik, dann kam die Prozedur des Ankleidens. Marcella ließ sich in ein seidenes Unterkleid mit raffiniert gerafften Ärmeln kleiden, dann sortierte sie schwungvoll einen Haufen schwarzer Gewänder aus, warf sie lachend in die Ecke, schwelgte genüsslich in der bunten Pracht ihrer unzähligen Kleidertruhen. Zuletzt entschied sie sich für eine über und über mit orangeroten Blumenranken bestickte Stola.


    Das Trappeln kleiner Füße kündigte ihr Töchterchen Serena an, das Kleinkind stürmte mit wippenden Löckchen herein, war auch schon gewaschen und geschniegelt, gefolgt von ihrer Kinderfrau und von der Amme, die Marcellas zweites (überlebendes) Kind auf dem Arm trug, den kleinen Carus, der noch ein Baby war. Die stolze Mutter küsste ihre Kinder, knuddelte sie, wuschelte ihnen liebevoll durch Haar - und überließ sie wieder der Dienerschaft.


    Eine Sklavin, deren alleinige Aufgabe es war, den Schmuck der Matinia zu hüten, zu bewahren und zu pflegen, brachte ihr das passende Juwelen-Set für den heutigen Tag, Collier und Haarnadeln, klimpernde Ohrringe, Armspangen und Ringe aus Gold und Feueropal. Liebevoll lächelte Marcella sich im Spiegel zu, drehte ihre geschmückten Hände, ließ die Steine im Sonnenlicht funkeln. Sie liebte Edelsteine über alles (noch mehr sogar als Pudel), sie liebte die Farbenpracht, diesen geheimnisvollen im Mineral schlummernden und durch das Licht zu erweckenden Glanz, das Schimmern und Flirren, sie konnte nie genug davon bekommen.


    Währenddessen verlas ihre Sekretärin die Termine des heutigen Tages: einige Klienten der Familie waren zu empfangen, dann war ein Opfer für den verstorbenen Gatten geplant, welches aufgrund der verschlossenen Tore nun leider nicht am Grabe sondern nur am Hausaltar stattfinden würde können, dann Opfer an Venus und Iuno, dann war Marcella zum Mittagessen bei ihrer lieben Freundin Casperia verabredet, im Anschluß ging es in die Thermen zum Baden und Ballspielen, und am Abend gab die (vielleicht bald geschiedene) Freundin Sepullia eine Cena, zu der sie einen berühmten Sterndeuter eingeladen hatte, der den Damen Horoskope erstellen würde.
    "Himmlisch," frohlockte Marcella bei diesem Programm, "Rom hat mich wieder!"
    Sie warf sich einen hauchzarten Schleier über die Frisur und schwebte in den Tag...

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