Officium | Die neuen Leiden des jungen Flavius

  • Überaus umfänglich nahmen sich die Reinigungszeremonien aus, welchen Manius Minor sich nach seiner Ankunft unterzog, was augenscheinlich von Manius Maior respektiert wurde, denn mitnichten wurde er durch eine plötzliche parentale Intervention dabei disturbiert. Dessenungeachtet war er trotz aller wohltuenden Düfte, aller pflegenden Salben und geschmeiden Öle in nicht geringem Maße enerviert, hatte beständig schweigend zu den milchigen Fenstern gesehen und spintisiert, auf welche Weise es geboten war seinem Erzeuger gegenüberzutreten, welchem er zu Liebe verpflichtet war und welchen er zugleich zu verachten neigte.
    Mitnichten war das Ende der Waschung indessen auf Ewigkeit zu prokrastinieren, sodass er schließlich frisch gebadet und gesalbt, gehüllt in die vertrauten flavischen Parfüms und sein präferiertes seidenes Gewand vor dem Officium stand, hinter welchem jener Feigling lauerte, gegen den der Knabe seit inzwischen vielen Monaten eine heftige Antipathie hegte, der gleichwohl noch immer sein Vater war und dem er Respekt schuldete.


    Lange zögerte er, ehe Patrokolos, welcher trotz der relativ kurzen Zeit, die er an der Seite seines neuen Herrn weilte, dessen Ungeneigtheit und Insekurität allzu leicht zu dechiffrieren in der Lage war, ihn an die Schulter tippte und mahnte:
    "Domine, vergiss nicht: Er ist Dein Vater!"
    Sogleich brach er die physische Verbindung, ließ seine Hand nach vorn schnellen und klopfte flink an die Pforte, ehe er die vorherige Position einnahm, als habe er sich zu keinem Zeitpunkt geregt. Der Zwang zum nächsten Zuge lag somit bei dem jungen Flavius, welcher zögerlich die Tür öffnete und mit zaghaftem Schritte eintrat, uneins mit sich, ob er den Winkelzug seines Dieners als deplorabel oder befreiend einzuordnen hatte.

  • Stille beherrschte das Officium, das Flüstern der Leere, das Säuseln der Absenz und ein leiser Hauch von Schweigen. Jene Euphorie, welche Gracchus hatte erfasst als einer der Sklaven die Ankunft seines Sohnes hatte gemeldet, war längst verflogen, war bereits im gleichen Augenblicke ihres Entstehens wieder vergangen. Einen Herzschlag lang hatte es den Vater danach verlangt, seinen Sohn augenblicklich in die Arme zu schließen, ihn niemals mehr wieder loszulassen, nie wieder ihn alleine, nie wieder ihn zurück oder ziehen zu lassen, ihn zu überschütten mit Worten der Abbitte, der Erklärung, der Liebkosung und Erleichterung, ihn zu umarmen und ein Gefühl der Heimat ihm zu vermitteln, welches zweifelsohne auch Minor musste während all der Wirren seit ihrer Flucht aus Rom verlustig gegangen sein. Ein Herzschlag lang wallte all dies in ihm empor, ehedem es schlagartig wieder versiegte, ehedem das Wissen um das gesamte Ausmaß ihrer Misere alles in sich verschlang, ein schweres Dunkel aus Bedauern und Schuld sich über Gracchus legte, denn wie konnte er seinem Sohne noch gegenüber treten, wie ihm in die Augen blicken ohne all das Scheitern zu entdecken, all den Verrat, welcher sie beinahe ihre Zukunft hatte gekostet, all die Apathie, welche des Pflichtbewusstseins ihn hatte beraubt? Es konnte kein Vertrauen mehr geben in das Imperium Romanum, kein Vertrauen mehr in die Wahrheit und nicht in Freundschaft, so dass nurmehr die Familie blieb. Doch Gracchus wusste, dass durch die Ereignisse das Vertrauen seiner Familie war ebenfalls zerstört, dass er das Vertrauen seiner Familie hatte zerstört. Seit jenem Augenblicke, da dies schmerzlich ihm war bewusst geworden, saß er in seinem Officium, untätig, verloren in beständig kreisenden Gedanken, bis dass die Türe sich öffnete, derart zögerlich, dass eben dies auffällig war. Ein wenig unsicher hob Gracchus den Blick, und wahrhaftig stand dort sein Sohn Minor, ein wenig älter, ein wenig rundlicher als er ihn zuletzt hatte erblickt, doch augenscheinlich unversehrt, bei bester Gesundheit. Langsam erhob sich Gracchus, trat jedoch nicht um den Schreibtisch herum, welcher einem Bollwerke gleich schützend zwischen ihnen stand.
    "Minimus"
    , stellte er nüchtern fest, obgleich zum Ende des Namens hin ein wenig die Stimme ihm versagte.
    "Wie ich sehe, bist du wohlauf."
    Da Gracchus suchte, jegliche Couleur aus seiner Stimme zu bannen, klang dies ein wenig beiläufig, unbeteiligt gar, als spreche er über das Wetter oder sonstig unspektakuläre Nebensächlichkeiten.

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  • Ob der Größe des Officiums und der Verbesserung seines optischen Leidens war der Knabe in der Lage, die parentale Mimik zweifelsfrei zu identifizieren, was ihm indes neuerlich einen Stich ins Herz versetzte, da er dadurch gewahr wurde, dass Manius Maior augenscheinlich in keinster Weise Freude verspürte seiner wieder ansichtig zu werden. Selbstredend hegte er Wut und Verachtung gegen diesen Mann, welcher regungslos hinter seinem Schreibtisch verweilte, durchaus hatte er sich ausgemalt, wie er dessen Liebe zurückweisen und ihn darauf ebenso zurücklassen würde, wie dieser ihn abandoniert hatte. Doch mitnichten bot sich nun diese Opportunität, vielmehr erweckte die Salutation den gänzlich irrigen Eindruck, der junge Flavius habe den älteren vergrämt! Keinerlei Motiv war hierfür vorhanden, stets hatte der Knabe sich den parentalen Weisungen gefügt und seinem Erzeuger den eingeforderten Respekt und die Liebe erwiesen. Wie war jenes Verhalten also zu dechiffrieren?
    "Salve... Vater."
    grüßte der Knabe tonlos zurück, unschlüssig, welche Verhaltensweise nun geboten war. Vorsichtigen Schrittes bewegte er sich endlich in das Officium hinein und kam vor dem Schreibtisch zum Stehen, sodass der Anblick des älteren Gracchus zu einem Schemen verkam, womit sich die reservierte Mimik zwar nicht mehr zweifelsfrei konstatieren ließ, aber dennoch die Tension im Raume sich um kein Iota minderte. In seiner Konfusion verblieb lediglich der Rekurs auf jene Attitüde, welche er in dreizehn Jahren patrizischer Edukation vortrefflich habitualisiert hatte und zu welcher zählte, in Deplorabilitäten jedweder Art unbeirrt Konversation zu betreiben und den Fokus damit von den Aporitäten zu nehmen:
    "Ich... komme aus Cremona. Dorthin sandte mich Aurelius Ursus, zu einem Freund seiner Familie. Man hat dort gut auf mich Acht gegeben."
    Gänzlich sinnentleert erschienen Manius Minor seine Worte, welche wie von selbst ihm entfleuchten, in ihrem Timbre aber dennoch seine zur Melancholie sich approximierende Kleinmütigkeit kündeten.

  • "Cremona"
    , repetierte der ältere Gracchus ein wenig nachdenklich, doch mit einem leichten Nicken. Unweit von Mantua und inmitten des italischen Nordens mochte dies tatsächlich ein halbwegs sicherer Ort während des Bürgerkrieges gewesen sein, wiewohl es unbezweifelt sicherere hätte gegeben.
    "Ich werde einen Dankesgruß an Aurelius senden, wiewohl auch an jenen Mann, welcher dich aufge..nommen hat."
    Im Grunde hätte dieses Kapitel ihrer Geschichte damit beendet sein können, doch gab es ein Anliegen, welches Gracchus seit langer Zeit bereits mit sich trug. Er erhob sich und trat um den Schreibtisch herum bis er vor Minor stand. Jene Aufgabe, welche vor ihm lag, bereitete ihm großes Unbehagen, denn letztlich hatte er seit der Geburt seines Sohnes sich imaginiert, wie diese Zeremonie in großen Rahmen während der Agonalia im Martius würde begangen werden, wie die gesamte Familie dem würde beiwohnen, Verwandte und Freunde mit Stolz und allfällig ein wenig Neid würden erblicken, welch perfekter Nachkomme - eine Eigenschaft, welche der Sohn gänzlich seiner Mutter hatte zu verdanken - dazu war auserkoren, das flavische Erbe anzutreten. Allzu gerne hätte er als Ausrede angeführt, dass die Zeit, die Ereignisse dies hatten verhindert, dass der Bürgerkrieg Opfer auf allen Seiten hatte gefordert - doch Gracchus wusste nur allzu genau, wer diese Ereignisse mit hatte initiiert, wer letztlich seinen Sohn hatte um diesen Moment betrogen. Er räusperte sich, legte sodann seine Hände an Minors Hals.
    "Sobald die Ämter wieder besetzt sind, werden wir dies offiziell eintragen lassen."
    Vorsichtig nahm er die Kette, an welcher Minors bulla hing, und hob sie über dessen Kopf.
    "Doch du bist längst kein Kind mehr, Minimus, seit jener Na'ht, da wir Rom per pedes verließen."
    Es war dies keine Frage des Alters - Gracchus war davon überzeugt, dass kein Kind Dinge solcher Art sollte sehen und erleben, wie Minor es hatte getan, darob war es unausweichlich, dass jener zu diesem Zeitpunkt bereits ein Mann gewesen war. Ein wenig zögerlich, doch letztlich bestimmt ergriff der Vater die Rechte seines Sohnes und legte die bulla dort hinein.
    "Bewahre sie gut, eines Tages mag sie dich an vieles er..innern."

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  • Die Replik des Manius Maior erweckte bei Minor mitnichten die Impression, als hege jener ein großes Interesse für den Verbleib seines Sohnes in den vergangenen Monaten, in welchen jener sich verborgen gehalten und seinerseits keinerlei Kontakt zu diesem gesucht hatte. Auch jener Dankesgruß war zweifelsohne nicht mehr als eine Floskel, welche die Adressaten wohl in nicht höherem Maße tangierte als den Absender.
    Dass die parentalen Anteilnahme sich indessen deshalb in Grenzen hielt, da den Vater andere Gedanken okkupierten, dass er gar einen Plan von höchster Tragweite hegte, welchen er nun in die Tat umzusetzen gedachte, blieb dem jungen Flavius verborgen, weshalb er still erhoffte, die Approximation würde ihren Abschluss in einer herzlichen Umarmung finden, in warmen Worten, die eine schlussendlich befriedigte Impatienz des Wiedersehens verbalisierten, denn obschon der Knabe seinen Vater vordergründig verachtete, so war doch eine Sehnsucht nach Liebe verblieben, wie er sie in seinem cremonesischen Exil von anderer Seite erfahren hatte.


    Mitnichten geschah jedoch das Erhoffte, vielmehr wurde der junge Flavius nun auch noch seiner Bulla beraubt. Jenes goldene Medaillon, welches er seit frühester Kindheit trug, welches ihn gar auf seiner Flucht akkompagniert hatte (wenn auch eingenäht in einem einfachen ledernen Etui, auf welchem plumpe Zaubersprüche angebracht waren, wie der gemeine Pöbel sie zu tragen pflegte), welches primär in ihm Remineszenzen an eine heile Welt voller Glück und Spiel barg, welches seine Mutter ihm so oft zurechtgerückt und es berührt hatte mit dem Zuspruch, er wandle unter dem Segen der Götter, wurde nun unvermittelt von ihm genommen, sodass er sich im ersten Moment entblößt fühlte. Disturbiert blickte er zu seinem Vater hoch, ehe die Worte langsam in seinen Geist drangen. Er war kein Kind mehr, dies war offenbar, doch wollte er dies seinerseits? Stets hatte er erwachsen gelten wollen, hatte einen Degout bezüglich seines Kosenamens "Minimus" generiert und auch in Cremona jene Kriegskunst studiert, welche er mit Adoleszenz assoziierte und welcher sich erwachsene Helden des Krieges bedienten. Doch nun kam alles unvermittelt. Hatte er sich nicht stets zurückgesehnt nach jener Geborgenheit, welche seine Mutter ihm schenkte, hatte er nicht zurückkehren wollen nach Rom, um hier an jenes Leben anzuknüpfen, welchem er seinerzeit per pedes den Rücken gekehrt hatte, nach der Unbeschwertheit in Impubertät, dem Studium und Spiel, welches doch nur ein Propädeutikum des Fernliegenden war?
    All dies strömte auf ihn ein, während er sprachlos seine Bulla entgegennahm und sie anblickte. Selbstredend erschien sie optisch nicht anders als ein Aureus an einer Schnur, doch wusste er sehr genau um die fein ziselierten Linien und Buchstaben, welche er allzu oft ertastet hatte und deren Gesamtzusammenhang ihm unzählige Male beschrieben worden war. Durchaus erinnerte sie ihn an vieles bereits jetzt, wo diese Zeit nur so knapp hinter ihm lag. Doch wollte er nicht, dass sie Realität blieben und nicht zur Erinnerung verschwammen wie die Konturen seines Vater, als er den Tisch umrundet hatte?


    "Heißt das, ich bin nun... ein Mann?"
    , rang er sich mit eher banger denn hoffnungsvoller Stimme ab und blickte von seinem Medaillon zum Antlitz Manius Maiors hinauf. Während er die Worte aussprach, deren Replik er erwartete und befürchtete, gewann ein neuer, überaus deplorabler Gedanke Raum: Versuchte sein Vater, die Verantwortung für seinen Sohn und seine Pflicht zur Liebe und Sorge abzuwälzen, indem er diesen seiner Kindheit beraubte? Wollte er weitere Bindungen kappen, um sich jenes lästigen Anhängsels zu entledigen, das ständig Aufmerksamkeit(en) einforderte und ihn von seinen Neigungen abhielt? Hatte die Zeit ohne die Familia in ihm den Wunsch reifen lassen, sie für immer hinter sich zu lassen?

  • Das zögerliche Bangen in Minors Frage verwunderte den Vater ein wenig, denn letztendlich schien dieser Schritt ihm derart kohärent, gar obligat, dass etwaiges Unverständnis ihm gänzlich unverständlich war.
    "So ist es!"
    affirmierte er darob beinah ein wenig feierlich und wohl auch ein wenig stolz, denn obgleich ihm schien, dass er wenig dazu hatte beigetragen, so hatte er doch augenscheinlich seine väterlichen Obliegenheiten erfüllt und dafür Sorge getragen, dass sein Sohn zu einem Manne war herangereift - oder zumindest dafür Sorge getragen, dass jemand - Antonia offenkundig - dafür Sorge hatte getragen.
    "Es muss dies nicht alles am mor..gigen Tage sich zutragen, doch allfällig sollten wir auch alsbald über dein Zukunft reflektieren. Sofern er wieder in Rom weilt, werde ich mit Cornelius Scapula in Hinblick auf deine Vereheli'hung beratschlagen, allerdings glaube ich mich zu entsinnen, dass deine Verlobte um einige Jahre jünger ist als du selbst, so dass du bis zur Eheschließung allfällig noch ein wirst aus..harren müssen."
    Um nicht sich mit seinem eigenen Leben befassen zu müssen, fiel Gracchus nun in eine rechte Betriebsamkeit bezüglich der Zukunft seines Sohnes. Die Eheschließung war darin ein essentielles Element, für deren unumstößliche Existenz er bereits vor einigen Jahren hatte Sorge getragen.

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  • Der Stolz Manius' Maiors, welcher sich in jenen knappen Worten zu manifestieren geneigt war, verfiel in den Ohren Manius Minors einer überaus deplorablen Missinterpretation, deutete dieser sie doch als Konfirmation seiner Befürchtungen, als Expression jener Freude, der Bürde parentaler Verantwortung für einen Familiaren schlussendlich ledig zu sein. Mitnichten förderte dies entsprechend jene überaus angebrachten Regungen bei dem Knaben zutage, welche man sich erwarten mochte, denn statt Stolz reflektierte die Sprache seines untersetzten Körpers lediglich Depression, statt Tatendrang sein Blick Lethargie und statt Freude seine Mimik Kleinmut. Zu jener Desillusion trat indessen noch die Perspektive einer Ehe, welcher der junge Flavius sich noch in weitaus geringerem Maße gewachsen fühlte als der übrigen Adoleszenz, zumal sein Interesse für das andere Geschlecht sich auf seine Mutter reduzieren ließ und selbstredend rein platonischer Natur war. Selbst mit Flamma, seiner Schwester, mochte er vielmehr eine lange Reihe von Konfrontationen im Ringen um die parentale Aufmerksamkeit und Liebe zu replizieren denn Gefühle von Wärme und Zuneigung (obschon auch diese nicht selten zum Vorschein gekommen waren, zumal in den jüngeren Jahren, als Manius Minor ob seines Entwicklungsvorsprung zweifelsohne den Anführer und Sprecher der flavischen Kinderschar gegeben hatte und in jovialer Manier auch seine Schwester mit reicher Gunst bedacht hatte). Jener Nichte des Cornelius Scapula war er seines Wissens nach niemals ansichtig geworden und sofern ihre Art der ihres Onkels glich, glaubte der Knabe zudem kaum, dass er jemals geneigt sein mochte, größere Zuneigung zu ihr zu entwickeln. Den Platz, welchen seine Mutter in seinem Herzen einnahm, mochte sie ohnehin nimmermehr einnehmen und wenn er nun daran dachte, jene Dinge mit diesem unbekannten Wesen zu vollziehen, von welchen ihm ein feixender Sklavenjunge ausführlichst Rapport gegeben hatte, nicht ohne zu verschweigen, dass dies der Weg sei, eine Ehe zu besiegeln und Kinder zu gebären, so rief dies mehr Übelkeit denn Begierde in ihm hervor.


    Eine Weile verharrte er schweigend, unwissend, was er auf jene Zusagen zu replizieren hatte. Nach all der Hoffnung, nun endlich das traute Heim und die Geborgenheit der Familie zu verspüren, fühlte er sich erneut auf einen kalten, einsamen und sturmumtosten Felsen verfrachtet, welcher nun nicht mehr der des Exils, sondern jener der Maturität, verbunden mit all jenen unerquicklichen Institutionen wie jenen der Ehe sein mochte, der indessen nicht minder dem inadäquat war, was der junge Flavius sich in schillernden Farben imaginiert hatte.
    "Muss ich nicht... zuvor meinen Militärdienst absolvieren?"
    , brachte er schlussendlich hervor. In den Krieg zu ziehen, wie es die Mannen der Legio Prima getan hatten, wie es jeder aufrechte Römer in jenem unsäglichen Kriege getan hatte, wi er den Wert eines Flavius für die Res Publica unter Beweis zu stellen und die Ehre seines Hauses, welche sein Vater durch seine Feigheit beschmutzt hatte, reinzuwaschen in der Lage, erfüllte ihn durchaus mit Enthusiasmus, doch war jene Frage doch primär auf eine Prokrastination des Ehebundes gemünzt denn eine Herbeiführung eines Tribunats, welches für einen Knaben seines Alters ohnehin unabhängig davon, ob er die Bulla tragen mochte oder nicht, zumindest einige Jahre des Studiums und der ersten staatsdienstlichen Bewährung entfernt lag.


    Verschämt senkte er das Haupt, um das verschwommene Muster des Mosaikbodens unter sich zu fixieren, während er sich unter größten Mühen eine jener seltenen Äußerungen eines eigenen, von dem der Eltern devianten Willens abrang:
    "Ich... will... diese Cornelia nicht heiraten!"
    Als dies gesagt war, fühlte der Knabe sich gleichermaßen erleichtert wie furchtsam, wie jene minimale und lediglich verbale Revolution aufgenommen werden mochte. Zeit seines Lebens konnte er kein Widerwort gegen die gravitätischen Anweisungen seines Vaters zu memorieren, stets hatte die Erziehung durch den gestrengen Artaxias, die liebende Claudia Antonia und das Vorbild der flavischen Sklavenschaft seine Wirkung entfaltet und jenen servilen Habitus geformt, welcher ihm nun trotz der Winzigkeit seines Einwandes Qualen bereitete.

  • "Aber nein"
    , negierte der Vater die Frage des Sohnes.
    "Als Römer von patrizischem Stande ist es keine Obliegenheit, den Militärdienst vor Beschreiten des Cursus Honorum zu ab..solvieren, und selbst so dies dein Wunsch ist, steht einem Tribunat das Vigintivirat zuvor."
    Gracchus selbst hatte nie einen Zugang zum Militär gefunden, hatte spätestens seit den Kampfunterweisungen im Knabenalter keinerlei Motivation mehr verspürt, eine solche Karriere - selbst für ein kurzes Stück des Weges - einzuschlagen, mochte er doch weder Hiebe austeilen, noch einstecken, wiewohl seine Unpässlichkeit im Angesichte menschlichen Blutes, wiewohl Ohnmacht im Angesichte des eigenen Lebenssaftes in großem Widerspruch zu übermäßiger Präsenz in militärischen Stellungen stand - denn selbst auf solch vermeintlich ruhigen Positionen wie jenen bei den Cohortes Urbanae war der Kontakt mit dererlei kaum vermeidbar. Zuguterletzt musste ebenso das Faktum bedacht werden, dass niemand konnte vorhersehen, wann ein Krieg sich ereignete - es reichte für solcherlei schlussendlich bereits eine kleine Konspiration aus. Abrupt wandte Gracchus sich von seinem Sohn wieder ab, brachte das schützende Gewicht des Schreibtisches zwischen ihre Leiber, denn zu groß schien die Gefahr, dass Minor allein durch seine Anwesenheit neuerlich in eine solch abominable Szenerie wie jene des zurückliegenden Bürgerkrieges könnte gerissen werden.
    "Weshalb möchtest du die Cornelia nicht eheli'hen?"
    , suchte er sich stattdessen in die Zukunft zu flüchten, welche weitaus angenehmere Aussichten bot, nahm Platz und wies Minor mit einem Wink an dies ebenso zu tun.
    "Die Cornelia ist eine ehrbare Gens, in entfernter Weise ist Scapula gar mit dem Kaiser verwandt."
    Es war dies zugegebenermaßen eine überaus weitläufige Verwandtschaft, welche in Hinblick auf den Kaiser wohl kaum zum Vorteile würde gereichen, doch letztlich zählte bei solcherlei ehelichem Bündngis durchaus auch das daraus gewonnene Prestige.
    "Die Cornelia ist Scapulas Nichte, so dass dir sowohl im Senat, wie auch im Collegium Pontificium stets Wohl..wollen wird entgegen gebracht werden, zudem ist sie nicht unvermögend. Was also sollte gegen sie sprechen?"

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  • Jene Belehrung konsternierte den Knaben nicht wenig, denn selbstredend war ihm der Ablauf des Cursus Honorum seit frühester Jugend bestens bekannt und er bedurfte diesbezüglich keinerlei Unterweisung mehr. Dessenungeachtet traf dies kaum eine Aussage bezüglich des adäquaten Zeitpunktes der ausstehenden Eheschließung, woraufhin seine Frage abgezielt hatte. Indessen interpretierte er die Replik dahingehend, dass eine mögliche Ehe potentiell durchaus in greifbarer Nähe liegen mochte.


    In ebenso großem Maße überraschte auch die Nachfrage bezüglich seiner Unwillensbekundung den jungen Flavius. Ermahnungen oder wegwischenden Beschwichtigungen hatte er durchaus erwartet, doch für einen argumentative Schlagabtausch war er mitnichten gewappnet. So nahm er die Einwände erstlich schweigend hin, wobei sein Antlitz jene Irritation widerspiegelte, welche ihn bewegte. In der Tat wusste er, welchen Status die Cornelii dank ihrer stolzen Tradition genossen, denn auch aristokratische Genealogie hatte seit früher Kindheit zu seinem Edukationsprogramm gezählt, welches ihn für ein sicheres Wandeln in der höchsten Gesellschaft der Urbs Aeterna präparieren sollte, und Cornelius Scapula als Freund seines Vaters hatte mehrfach Gesprächsstoff bei diversen Cenae im Kreise der Familie geliefert. Dennoch verfehlte jene Argumente den Kern seines Widerspruches, welcher mitnichten den traditionellen Kriterien der Heiratswahl entsprach, sondern kindlich-naiver und damit gänzlich divergierender Natur war:
    "Ich kenne sie gar nicht. Und außerdem... mag ich keine Mädchen!"
    , warf er seinem Vater voller Trotz entgegen und verschränkte seine Arme in abwehrendem Gestus.

  • Mit Disputationen auf kindlichem Niveau hatte Gracchus seit jeher seine Schwierigkeiten und selbst im Laufe des Lebens seines Ältesten hatte er weder gelernt, noch verstanden, weshalb er die Art und Weise seiner Gesprächsführung gegenüber Kindern musste ändern, wiewohl weshalb deren Replik von anderer Güte mochte sein als jene eines Erwachsenen. Darob erwartete der Vater auch bei diesem Gespräch nur ernsthafte Nachfragen und Kommentare, konnte ob dessen den kindlichen Trotz des Sohnes nicht nachvollziehen und deutete die Gefühlsregungen auf dem Antlitz Minors, wiewohl dessen Einspruch und schlussendlich körperliche Abwehrhaltung in gänzlich falsche, durch seine eigenen Erfahrungen geprägte Richtung.
    "Eine Ehe folgt nicht unseren Präferenzen, Minimus, es ist dies eine rein politische Abwägung. Sie basiert auf gegen..seitigem Respekt, wiewohl du dich deiner Pflichten gegenüber deiner Gemahlin stets musst bewusst sein, doch die Befriedigung deiner Bedürfnisse ist nicht Teil einer Ehe."
    Womit die grundsätzlichen Rahmenbedingungen geklärt sein sollten. Gracchus seufzte tief, hatte er doch stets gehofft, der weitere Teil dieses Gespräches würde ihm, wiewohl die Konsequenz für dessen Zukunft Minor erspart bleiben, denn obgleich sie nicht per se als Unzulänglichkeit mochte gelten, so verkomplizierte diese Neigung das Leben doch in mancher Lage.
    "Weiters ist es keinerlei Schwäche, so du dich zu Mädchen und jungen Frauen nicht hin..gezogen fühlst, deine Neigungen sich indes anderen Knaben, oder später einmal Männern zuwenden, doch deine Neigungen sind ein Aspekt deiner Bedürfnisse, somit gänzlich irrelevant für die Eheschließung. Es mag nicht immer einfach sein und es mag dies nichts sein, was du öffentlich solltest aus..leben, doch letztlich steht es einem Manne unseres Standes ohnehin nicht gut zu Gesicht, die Befriedigung seiner Bedürfnisse außerhalb einer Ehe in der Öffentli'hkeit zu offenbaren, dabei gänzlich ohne Belang auf welche Weise dies geschehen mag."
    In diesem Augenblick kam Gracchus eine väterliche Pflicht zu Sinnen, welche er mit der Mannwerdung seines Sohnes ebenfalls nicht mehr länger würde hinauszögern können, respektive für deren Vollzug er würde Sorge tragen müssen. Allfällig würde er Scato darum bitten können, diese Aufgabe zu übernehmen.

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  • Wie nicht selten erlag die Disputation zwischen Manius Maior und Minor auch in diesem Falle einer Miskonzeption, welche den jüngeren der beiden überaus konfundierte. Mitnichten hatte er durch seine Aussage seiner sexuellen Präferenz Ausdruck verleihen wollen, vielmehr lag sein Problem wohl vielmehr in der Tatsache begründet, dass er eben noch jedweder sexuellen Präferenz entbehrte. Bedürfnisse waren somit in seinen Augen lediglich biologischer Natur und somit entweder allein oder mit Hilfe von Sklaven zu befriedigen, worunter das Speisen, das tägliche Geschäft auf der Latrine oder das Ankleiden zählte, oder aber sozialer Natur, wobei er diese in der Tat vielmehr bei maskulinen denn feminen Partnern befriedigt fand, weshalb augenscheinlich das Bedürfnis nach Kontakt, Zuneigung, gemeinsamem Spiel und Freundschaft gemeint sein musste. Dies indessen ließ sich kaum mit den parentalen Mahnungen in Kongruenz bringen, denn der Knabe besaß durchaus Kenntnis von Freundschaften seines Vaters, von alltäglichen Ausflügen gemeinsam mit Dritten in Thermen, zu Spielen, Gastmählern und allerlei Lustbarkeiten.
    "Aber du hast doch auch nicht nur Mama!"
    , replizierte er daher klagend. Überhaupt mochte es ihm nicht einleuchten, wozu eine Ehe überhaupt begründet werden mochte, wenn sie gänzlich independent von jedweden Bedürfnissen seinerseits war, was er sofort verbalisierte:
    "Warum muss ich dann überhaupt heiraten, wenn ich nicht davon prophitiere?"

  • Obgleich er noch im Augenblicke zuvor über die theoretische Natur der Bedürfnisbefriedigung - im Generellen, wiewohl insbesondere seines Sohnes - hatte referiert, so verstörte Manius Maior im nächsten Moment doch überaus, dass Manius Minor tatsächlich über seine außer-eheliche, amouröse Liaison schien informiert zu sein, deren reale Existenz er doch seit jeher hatte versucht nicht nur vor der Öffentlichkeit, sondern insbesondere auch vor der Familie verborgen zu halten.
    "Nun … ich …"
    , rang er sich ab, ohne ein Ende des begonnenen Anfangs zu wissen.
    "Ich... es … es ist doch eben dies, was ich … was ich ver..suche, dir ... begreiflich zu machen."
    Wäre dies eine Anhörung vor dem Senat gewesen, vermutlich wäre Gracchus es einfacher gefallen, dort an der Wahrheit vorbei zu sprechen, doch vor seinem Sohn blieb nichts andres, als die Thematik ein wenig zu verschieben.
    "Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun! Die Ehe ist ein Grundpfeiler unserer Gesellschaft, sie ist Voraussetzung für einen der wi'htigsten Werte unseres Lebens - der Familie. Du entsinnst dich doch zweifelsohne jener drei Werte, deren Bestehen unsere unabdingbare Pflichterfüllung muss gelten - die Familie, Rom und die Wahr..heit."
    Früher einmal war die Reihenfolge dieser Aufzählung eine andere gewesen, die Wahrheit hatte alle Werte angeführt, gefolgt von Rom und der Familie, doch nach den Ereignissen der Konspiration, des Verrates, des Bürgerkrieges und ihren Folgen konnte Gracchus dies so nicht mehr vertreten, hätte gar die Wahrheit nicht einmal mehr erwähnt, hätte dies nicht Fragen aufwerfen müssen. Doch auch dies suchte er zu verdrängen, suchte sich auf seinen Sohn zu konzentrieren.
    "Was wäre diese Familie ohne deine Mutter? Du, deine Geschwister wären nicht einmal geboren. Zudem … nun, eine Ehefrau erfüllt darüber hinaus viele weitere essentielle Aufgaben innerhalb einer Familie, so dass du auch hierbei profitieren wirst, abgesehen von jenen bereits erwähnten Vorteilen, welche dir die Ver..bindung zu einer adäquaten Gens wird bieten."
    Ein wenig ungehalten waren die letzten Worte bereits, sah sich Gracchus mit diesem Abschluss doch wieder am Beginn seiner Ausführung.
    "Darob wirst du die Cornelia ehelichen."

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  • Jene Schlüsse, welche Manius Maior der Kognition Manius Minors zu approximieren gedachte, mochte dieser mitnichten schließen, denn jenseits der Belehrungen seines Vaters hatten Artaxias wie auch seine späteren Lehrer niemals jene Differenz von eigenen und familiaren oder gar staatlichen Bedürfnissen betont, sondern vielmehr dahin versucht ihn zu lenken, dass er eine gewisse Identität seiner persönlichen Normen mit jenen der Familie wie der Res Publica herstelle und somit er zu keinerlei Gewissensnöten getrieben sei. Selbstredend war es auch einem Knaben von dreizehn Lenzen überaus bewusst, dass das eigene Streben bisweilen von jenem der Res Publica divergieren mochte, wie zuletzt die grausame Tyrannis jenes Vescularius schmerzlich offenbart hatte, als die Familia Flavia zur schmächlichen und entbehrungsreichen Flucht genötigt worden war, welche den jungen Flavius noch immer, wenn auch mit sinkender Frequenz, in seinen Träumen verfolgte. Indessen war sein Optimismus bezüglich der Identität familiärer und privater Ambitionen trotz der bisweilen Meinungsdifferenzen mit seinen Eltern und Geschwistern in diversen Petitessen noch ungebrochen und gerade das herbe Versagen seines Vaters hatte ihn angeregt, sein eigenes Leben gänzlich in den Dienst jener großartigen Gens Flavia Felix zu investieren, um die Schmach seines feigen Hervorbringers auszulöschen.
    So war der Knabe beinahe geneigt, seinem Vater jene Interessendifferenz als Hinweis seiner Unzulänglichkeit vorzuwerfen, ehe er sich gewahr wurde, dass eben jene Interessenidentität bei ihm selbst jedweden Widerspruch ausräumen mochte, denn obschon sein Vater ein feiger Versager war, so war seine Argumentation doch überaus einleuchtend, wenn er die Unersetzlichkeit seiner geliebten Mutter für die Familie bedachte, die dessenungeachtet aber wohl auch durch die große Unzulänglichkeit des Vaters gemehrt worden sein mochte.
    "Aber-"
    , schoss es aus ihm hervor, um Alternativen einer Eheschließung zu unterbreiten, welche der Familie ebenso zu Nutzen gereichten, eventuell aber auch lediglich als Zeichen seines Protestes, welcher gar die Inkommodiertheit seines Vaters ignorierte, doch kam er rasch ins Stocken, als ihm gewahr wurde, dass ihm in der Tat keine intakte Familie bekannt war, welche ohne die lenkende Hand eines weiblichen Wesens existieren mochte. Und dass dies auch seine Schwester Flamma nicht sein konnte, da sie eben vorherbestimmt war, im Tempel der Vesta zu dienen, vermochte er in der Tat keinerlei stichhaltige Widerworte zu formulieren.
    "Nun gut."
    , finalisierte er darob seinen Satz und neigte das Haupt im Eingeständnis seiner Niederlage. Obschon es ihm überaus degoutierte, den Bund der Ehe einzugehen und dies gar mit jener gänzlich unbekannten Person, so hatte jener Rekurs auf die Ehre der Familie als wichtigsten Wert eines Aristokraten, verbunden mit dem jämmerlichen Abbild, welches sein Vater ihm bot, sein Pflichtgefühl aktiviert, welches ihm gebot, von seinen Befindlichkeiten abzusehen im Dienste des Ganzen, um seine Ahnen und insbesondere seine Mutter mit Stolz zu erfüllen. So war erneut bereits der Ansatz einer jugendlichen Revolte des jungen Flavius im Keime erstickt.


    "Wann muss dies geschehen?"
    , fügte er endlich an in der Hoffnung, das Unausweichliche mochte sich zumindest für eine gewisse Zeitspanne prokrastinieren, um ihm die Option zu bieten, möglicherweise doch Alternativen zu entwickeln, welche den Interessen der Familie in ebensolchem Maße entsprach.

  • Letztlich war Gracchus selbstredend überzeugt davon, dass Minor die Argumentation zur Notwendigkeit einer adäquaten Ehe würde begreifen, so dass dessen Eingeständnis ihn nicht weiter verwunderte, einzig die Notwendigkeit der Iteration seiner eigenen Worte echauffierte ihn ein wenig, da ihm Repetitionen stets überaus lästig waren.
    "Wie ich dir bereits er..läutert habe, wird dies auch von Cornelius Scapula abhängen, und mag nach Erkiesen eines passablen Termines noch einige Zeit in der Zukunft liegen."
    Kurz sann Gracchus über weitere notwendige Schritte nach, welche nun für Minor zu gehen waren - Beginn der ersten politischen Aktivitäten, Eintritt in eine Kultgemeinschaft, weiterführende Studien -, doch er mochte dies nur allzu gerne selbst noch ein wenig hinauszögern.
    "Über alles weitere werden wir nach deiner Liberalia spre'hen - denn wenn auch nicht zum intendierten Augenblicke, so wollen wir der Tradition dennoch genüge tun."
    Er versuchte sich in einem Lächeln, welches ihm doch nicht wollte gelingen.
    "Schlussendlich wären wir keine Römer, würden wir einem Usurpatoren ge..statten, uns von unseren Traditionen abzuhalten."
    Ebenso wie sie keine Römer wären, würden sie ihrem Kaiser gestatten, ihre Traditionen zu ignorieren oder gar mit Füßen treten zu lassen. Ebenso wie sie keine Römer wären, würden sie einen Bürgerkrieg initiieren. Ebenso wie sie keine Römer waren, würden sie ihren Kindern die Sicherheit des Imperiums rauben. Ein Schaudern kroch über Gracchus' Nacken, ein eisiger Hauch, welcher bis in seinen Kopf hinauf zog.

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  • Eine Konkretion jenes Zeitpunkts hätte durchaus im Interesse des jungen Flavius gelegen, doch augenscheinlich war sein Vater nicht geneigt, jenen Termin weiter zu explizieren, sodass er sein Ansinnen aufgab und sich bis auf Weiteres damit beschied, dass die ungeliebte Eheschließung zumindest in gewisser Ferne lag.


    Indessen brannte dem Knaben noch immer ein Interesse unter den Nägeln, welches durch jenen parentalen Versuch, ihn ein wenig zu kalmieren und nach den Strapazen der vergangenen Tage Frieden zu suggerieren, was er mehr am Timbre in der Stimme denn an der Andeutung eines Lächeln im Angesicht des Vaters identifizierte, neuerlich in seinen Sinn gelangte und nun, da das eine Sujet augenscheinlich zum Ende gelangt war, auf das Tableau zu bringen war:
    "Ich hätte noch eine Frage, wenn du gestattest-"
    , begann er mit gewissem Unbehagen, denn obschon er die Replik herbeisehnte, fürchtete er zugleich nicht nur ihren Inhalt, sondern auch die Gefahr, seinen Vater durch die Frage selbst zu offendieren. Er neigte neuerlich das Haupt, besann sich dann aber und brachte sein Ansinnen eiligst hervor:
    "Warum hast du mich in Mantua zurückgelassen?"
    Tagelang hatte Manius Minor über jene Frage spintisiert, hatte den Brief Manius Maiors rezitiert und den Wahrheitsgehalt jener Zeilen angezweifelt, hatte sich zu trösten versucht, dass der Vater, obschon er nicht geneigt war für Rom und seine Familie in die Schlacht zu ziehen, in der Tat einer mysteriösen und zugleich kriegswichtigen Obliegenheit nachzugehen hatte und damit auf seine Weise seinen Verpflichtungen nachkam, doch letztlich hatte er in Analogie zu jenen legitimationsheischenden Ankündigungen der Nacht, in der sie Rom den Rücken gekehrt hatten, die sich recht bald als Trugbilder zur Bemäntelung einer feigen Flucht erwiesen hatten, sich derjenigen Hypothese, welche er bei der ersten Lektüre gezogen hatte, angeschlossen. Somit war wohl keine andere Hoffnung zu hegen als neuerliche Ausflüchte, dennoch wollte der Knabe nicht kapitulieren, denn eventuell mochte ja auch eine schlichte Konfession bereits ihm Ruhe verschaffen.

  • Obgleich die vielen Fragen ihn allmählich ein wenig ermüdeten - beständige, beharrliche Neugierde, gepaart mit der Fähigkeit eine schier infinite Anzahl an Fragen daraus zu formulieren war einer der Gründe, weshalb Gracchus mit Kindern seine Schwierigkeiten hatte, neigte er doch dazu, ihnen all ihre Fragen vollumfänglich beantworten zu wollen, was ihn bisweilen ob der Kindlichkeit der Fragen wiederum in arge Bedrängnis brachte - so bedeutete er Minor mit einer Bewegung aus dem Handgelenk heraus, seine Frage zu stellen - eine Tat, welche er zweifelsohne alsbald im nächsten Augenblicke wieder bereute. Nervös zuckte sein linker Mundwinkel, er fixierte seinen Sohn auf eine Weise, als würde er dessen angesichtig werden wie aus Minors Haut sich ein anderer Mensch schälte, um sodann abrupt aufzustehen, sich dem Fenster zuzuwenden, welches zum hortus hinaus ging. Niemand hatte das Recht, eine Erklärung von ihm zu verlangen, niemandem gegenüber würde er je sich verargumentieren für das, was er hatte getan, niemandem war er eine Erklärung schuldig - bis auf seine Kinder. Ihnen hatte er geglaubt, eine Zukunft schaffen zu müssen, ihretwegen war er bereit gewesen, seine eigene Zukunft zu opfern, ihnen hatte er ein Rom bieten wollen, in welchem die Traditionen und Tugenden wieder gewahrt wurden, in welchem sie sich auf das Imperium Romanum konnten verlassen, welches ihnen die Zukunft offerierte, für welche sie geschaffen waren. Zu seinem eigenen Missfallen hatte Minor alles Recht dazu, Fragen zu stellen, und es lag in seiner Obliegenheit, ihm eine Antwort zu entbieten.
    "Was sonst hätte ich tun können - dich mit nach Rom, zurück in die Höhle des Löwen nehmen?"
    begann er leise, betrachtete die lorbeerähnlichen Blätter eines Rhododendronbusches vor dem Fenster, beiläufig darüber sinnierend, ob es dem römischen Volk würde auffallen, wenn ihr Kaiser statt eines Lorbeerkranzes einen Rhododendronkranz würde tragen?
    "Es war bereits mehr als diffizil, un..bemerkt von hier nach Mantua zu gelangen, ich wollte nicht …"
    Er zögerte kurz. Dem Volk würde es zweifellos nicht auffallen, doch würde der Senat einen Unterschied von Lorbeer zu Rhododendron bemerken?
    "Ich wollte nicht, dass du dies alles noch einmal erdulden musst. Zudem … die Pro..skription war ausgesprochen und ich war mir selbst meines Ansinnens nicht gänzli'h sicher, der Misserfolg hätte ebenso gut den Tod oder Schlimmeres bedeuten können."
    Er drehte sich um und fixierte Minor.
    "Du bist der Erbe der Flavia Graccha, du wirst unseren Familienzweig kontinuieren - und obgleich ich bisweilen nicht hö'hlichst arriviert darin mag anmuten, so ist doch seit deiner Geburt eine meiner gravierendsten Obliegenheiten, dein Wohl und deine Zukunft zu gewährleisten."
    Zweifelsohne war dies generell gesehen eine eher schwache Bekundung väterlichen Zuneigung und Liebe, doch es war wohl mehr als Gracchus seinem Sohn je gegenüber hatte zum Ausdruck gebracht, und wahrlich kostete es ihn einige Mühe, jene Worte über seine Lippen dringen zu lassen, ob dessen er sogleich in einen Versuch der Erklärung auswich.
    "Ich bin kein Feldherr, nicht einmal ein sonderlich viabler Taktiker. Ich werde kaum je der Kriegsführung inne werden, ganz abgesehen von der Dislozierung ver..schiedener Einheiten, davon Schlachten zu schlagen oder Belagerungen zu koordinieren."
    Er vermied zu erwähnen, dass allein der Gedanke an die Anwesenheit in einem Lager der Legion Beklemmungen in ihm assoziierte, welche wohl nur deswegen in Mantua nicht zu seinem Unwohlsein hatten beigetragen, da es ob der vorangegangenen Ereignisse wohl kaum noch eine Steigerung seiner seelischen Indisposition hatte geben können.
    "Die einzige Option, das Geschehen zu beeinflussen, lag für mich in Rom."
    Die einzige Möglichkeit, jene Misere auszugleichen, welche er dort hatte verursacht - doch dies war etwas, was er nicht einmal seinen Kindern würde preisgeben.
    "Ich hatte mich der Hoffnung hingegeben, was einst Caligulas Verderben war, würde auch uns von Vescularius befreien können, und würde ich nur den richtigen Mann an der ri'htigen Position persuadieren, so würde ich weitere Kalamitäten annihilieren können."
    Er seufzte, kehrte zurück an den Schreibtisch und nahm wieder dahinter Platz. Würde er noch einmal an diesem Punkt stehen, würde er noch immer glauben, Faustus überzeugen zu können? Allfällig nicht, doch was wäre die Alternative dazu es zu versuchen, wenn nur die geringste Chance würde bestehen, all den darauffolgenden Schrecken verhindern zu können?
    "Deplorablerweise habe ich die Loyalität und Vortreffli'hkeit römischer Soldaten verkannt, ebenso wie die Klein..mütigkeit des Senates."
    Womit sich durchaus die berechtigte Frage stellen ließ, was somit als Ressort noch übrig blieb, da er auch in dieser Hinsicht kaum mehr Talent besaß als für den Kriegszug.

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  • In der Tat hatte der junge Flavius die ersten Worte bereits antizipiert, doch selbst wenn seine Worte in anderem Kontext überaus rührend gewesen sein mochten, so brannte ihm doch vielmehr unter den Nägeln, welcher mysteriösen Obliegenheit sein Vater nachgegangen war, die dieser indessen augenscheinlich hartnäckig zu verschweigen gedachte. Als er endlich seine mangelhaften Qualitäten im militärischen Sektor zu beschwören begann, war der Knabe bereits äußerst geneigt, seine kindliche Faust mit einem Schlag auf dem parentalen Schreibtisch zu platzieren und seinen Erzeuger mit dem Vorwurf der Feigheit zu konfrontieren, was allerdings vereitelt wurde, da dieser, ehe jener sich zu solcher heftigen Reaktion durchzuringen imstande war, endlich in medias res ging und offenbarte, dass er geruht hatte, dem Vescularius denselben Tod angedeihen zu lassen, welcher auch Gaius Caesar ereilt hatte. Uneinsichtig erschien es dem Knaben freilich, inwiefern sein Vater auch nur den Hauch einer Aussicht für ein derartiges Unterfangen hatte hegen können, denn wie er vernommen hatte, hatte Decimus Serapio, der gefänglich gesetzte Praefectus Praetorio, sich bis heute nicht von jenem unsäglichen Tyrannen absolvieren wollen. Durchaus mochte ihm bekannt sein, dass Manius Flavius Gracchus, gewesener Praetor und Pontifex, in der Lage war die Entscheidungen mancher Personen in seinem Sinne zu influenzieren, doch war ihm ebenso bewusst, dass ein Praefectus Praetorio in seinem Rang und Ansehen eher einem Consular gleichkam und entsprechend kaum durch einige Worte eines im Range ihm Unterlegenen sich zu einer Revolte wenden lassen mochte. Dass sein Vater engere, ja geradezu intime Bindungen zu jenem Decimus hegte, entging seiner Kenntnis, weswegen er nach kurzem Spintisieren seinen Gram freihinaus verbalisierte:
    "Ich glaube dir nicht!"
    Selbst wenn er die Possibilität jener adventurösen Narration ästimieren mochte, so schätzte er seinen Vater zwar als furchtsam, dennoch nicht als so dumm ein, dass er einen derartig riskanten Plan in die Tat umsetzte, denn obschon Manius Minor ein Knabe von dreizehn Lenzen war, so war ihm doch bekannt, dass einem Mitglied der Cohortes Praetoriae höchste Vorsicht entgegenzubringen war und Verrat zweifelsohne nicht zu den geeigneten Sujets in ihrer Präsenz zählte. Dessenungeachtet entdeckte Manius Minor schlagartig, dass die Logik jene parentalen Behauptungen ohnehin aufs schmächlichste Lügen straften, welche er seinen Gegenüber schonungslos unterbreitete:
    "Wenn dir dein Unterfangen gelungen wäre, hätte Flaminius Cilo Rom nicht erobern müssen. Und wenn du gescheitert wärst, hätte man dich zweifelsohne inhaftieren müssen!"
    Nicht geringer Zorn regte sich hinter den rundlichen Antlitz des jungen Flavius ob einer derartig dreisten Lüge, welche ausgerechnet aus dem Munde des einstmals so hochgeschätzten Vaters stammte, der ihm noch vor wenigen Augenblicken die Wahrheit als dritte Prämisse der Lebensführung eingeschärft hatte.
    "Soeben noch hast du postuliert, ich sei ein nun ein Mann und doch verschweigst du mir die Wahrheit?"
    Überschäumende Rage war ein Gemütszustand, welcher für den Knaben als völlige Novität sich präsentierte, zumal er die Ansätze jener Regungen in parentaler Präsenz stets zu zügeln vermocht hatte, doch nach all jenen Strapazen, den zahllosen Nächten der Einsamkeit und jenen ungnädigen Projektionen bahnte sich sein Ingrimm gnadenlos seinen Weg aus dem Leib des Knaben, welcher seinen Verdruss zusätzlich auch gestisch zum Ausdruck brachte, indem er die Arme vor der Brust verschränkte und seinen Vater mit den, bedingt durch seine Hypermetropie in überaus geringem, dennoch nun wohl intellegiblen Maße fehlgestellten Augen fixierte.

  • Seit Beginn der Konspiration hatte das Wohl seiner Familie Gracchus dazu gezwungen, ein feines Konstrukt aus Lügen zu weben, die fragilen Fäden Stück um Stück zu verstärken, zu einem tragfähigen Rahmenwerk auszubauen, alsbald dies mit Mauerwerk zu füllen, mit einem Dach zu bedecken und es zu möblieren. Da sein Gedankengebäude ohnehin devastiert war, seine Vorstellungen eine neue Behausung benötigten, schien es nur folgerichtig, dies neue Bauwerk zu beziehen - und bisweilen genoss er es gar, durch die (T)Räume aus falscher Erinnerung, Illusion und Schwindel zu wandeln, in welchen all die Pein seiner Vergangenheit verborgen war im Hintergrund der Dinge, in welchen aus einem faden Feiertage seiner Kindheit ein rauschendes Fest wurde, in welchem sein Bruder kein Freibeuter, sondern ein Freigeist geworden war, welcher mit seiner geliebten Base Leontia war hinfortgesegelt, um die Schönheit der Welt zu entdecken, noch immer mit ihr die Wunder an fernen Küsten des endlosen Oceanus bestaunte, in welchen Antonia ihm nicht fremd und unheimlich war, sondern eine liebevolle, verständige Gemahlin mit welcher er eine Ehe der seiner Eltern similär führte, in welchen auch Aton noch immer gemeinsam mit Hephaistion auf der Sonnenbarke über das Meer glühender Leidenschaft dahinglitt. Er hatte jeglichen Boden unter seinen Füßen verloren, und deplorablerweise war er sich dessen nur allzu bewusst, ob dessen er sich nicht gänzlich sicher war, ob Minor allfällig recht hatte. Was, wenn sein kläglicher Versuch, Rom zu retten, nur eine Ausbund seiner Imagination gewesen war? Wäre dieses Unterfangen gelungen, hätte Flaminius Cilo Rom nicht erobern müssen, und wäre er gescheitert, hätte man ihn zweifelsohne inhaftieren müssen. War er niemals zu Faustus aufgebrochen, da Hephaistion nur ein Hirngespinst war? Nein, Faustus war real! Ihre Liebe, ihre Leidenschaft füreinander war real. War. Er hatte die Briefe, die Faustus ihm gesandt hatte. Hatte. Nicht mehr. Was blieb waren nur Erinnerungen, Gedanken - Träume allfällig, Trug einer Sehnsucht. Suchend blickte er in Minors Augen, welche so seltsam fremd ihn anblickten als würden sie ihn nicht erkennen, als würde sein eigener Sohn seinen Vater nicht mehr erkennen, da dieser längst ein anderer war. Dem nicht länger stand halten könnend senkte er seinen eigenen Blick, welcher auf eine Tabula am Rande der Schreibfläche fiel, auf welcher er in krakeligen Buchstagen "DECIMA" notiert hatte, so als könnte er sonstig auf sie vergessen. Zwei Sklaven der Decima Seiana weilten in der Villa Flavia - ein jeder würde sich von deren Existenz überzeugen können -, sie hatten ihn aus der Casa Decima begleitet, sie waren der Beweis, dass er dort gewesen war, dass Faustus' Liebe keine Einbildung gewesen war, dass all sein Sentiment real war. Und mit der Erkenntnis dieser Tatsache, dass Minor ihn der Lüge bezichtigte, obgleich er die Wahrheit sprach, wallte auch in Gracchus der flavische Ingrimm empor, welcher keine Unterstellungen konnte dulden. Ein wenig verengte sich Gracchus' Blick und ein Knurren stieg seine Kehle empor, welches zweifelsohne seinem Bruder Quintus Tullius zur Ehre hätte gereicht.
    "Du solltest Vorsi'ht walten lassen bezüglich deiner Worte."
    Die Couleur seiner Stimme war trocken, ein sublimes Drohen allfällig als feine Nuance dem beigemengt.
    "Denn obgleich du nun ein Mann sein magst, so bin ich noch immer dein Vater."
    Der Tradition seines Familienzweiges folgend, würde Minor kaum wohl eher der patria potestas entkommen können als bis dass Gracchus den Tod fand.
    "Wiewohl dieser Schritt nichts aussagt über das Ausmaß deiner Er..fahrung. Es gibt mehr Dinge zwischen Tartaros und Elysium als du dir vorstellen magst, mehr als nur Schwarz oder Weiß. Faustus ... Decimus Serapio und mich verbindet eine Freundschaft, welche genügend tragfähig war, das Wagnis einzugehen, und wenn ich auch nicht ihn davon konnte überzeugen, gegen den durch den Senat legitimierten Kaiser vorzugehen, so fehlte diesem Kaiser doch ebenso jegliche Grundlage für die ausgespro'hene Proskription, was wohl kaum jemand besser konnte beurteilen als der Praefectus Praetorio."
    Zu einer anderen Zeit hätte Gracchus womöglich seinem Sohn über Freundschaft referiert, doch seit Tiberius Durus' Verrat glaubte er nicht mehr an dieses Konzept, war nicht einmal mehr bereit, jener Handvoll Männer, welche er überhaupt jemals als Freund hatte titulieren mögen, sein Vertrauen zu gewähren. Über die Liebe indes, welche Konventionen, Politik und gar Bürgerkriegsgrenzen überwand, konnte er nicht mit seinem Sohn sprechen.

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  • Bereits jener Augenblick, den Manius Maior mit seinen Gedanken verfüllte, ließ den Mut Manius Minors, geboren aus der Empörung ob all jener Trugspiele, ins Wanken geraten, sodass die schlussendliche Ermahnung ihr übriges tat, um den Kleinmut des Knaben neuerlich hervorzukehren, was das Bollwerk aus defensivem Gestus und offensivem Blick zerschellen ließ. Obschon ihm alle Tage seines Lebens die große Bedeutung von Subordination gelehrt worden war, sowohl gegen den Staat, als auch gegen die Familie und allen voran gegen den Pater Familias, so vermochte jene Explikation ihn doch nicht vollends zu überzeugen, denn durchaus waren ihm die Freunde des Hauses bekannt, war er doch jahraus jahrein zu diversen Gastmählern transportiert worden, um vor den Cornelii, Tiberii und allen übrigen den gehorsamen Sohn zu mimen, wobei er keinerlei Remineszenzen bezüglich eines Besuches bei einem Decimus Serapio hegte. Ferner mochte ein derartiges Unterfangen nicht Monate in Anspruch nehmen, sodass sich weiters die Frage darbot, was sein Vater die übrige Zeit getan hatte. Und schlussendlich hatte der junge Flavius durchaus einen gewissen Anteil an den Geschehnissen des Krieges genommen, hatte mit seinem Gastgeber zu Cremona diverse Aspekte disputiert und war dabei durchaus auch auf jene Proskriptionen gestoßen, welche der falsche Kaiser in Rom proklamiert hatte und zu welchen sein Vater recht bald gezählt hatte, was somit dessen aktuelle Worte neuerlich Lügen strafte.


    Indessen gebrach es dem Knaben an Mut, jene Zweifel neuerlich aufs Tableau zu bringen, sodass er schlicht das Haupt senkte und seine Zunge hütete, um nach einer kurzen Zeitspanne des sprachlosen Verweilens zu entscheiden, dass jene Konversation keinerlei Prophite mehr ihm darbieten mochte, sodass er devot doch das Wort an Manius Maior richtete:
    "Ich würde mich gern zurückziehen. Bitte."

  • "Du kannst dich absentieren"
    , gewährte er die Bitte seines Sohnes, wartete stumm darauf, dass jener sich erhob, blickte ihm nachdenklich hernach wie er den Raum verließ, ehedem seine Aufmerksamkeit abgelenkt wurde zur Wand neben der nun geschlossenen Türe, vor welcher stumm ein Schatten verharrte, ein trauriges Lächeln um seine blassen Lippen.
    Eines Tages wirst du erwachen und nicht nur feststellen, dass du tot bist, sondern dass dein eigener Sohn dich um das Leben gebracht hat. Alles wiederholt sich, Manius, du und ich, er und du.
    Müde schüttelte Gracchus den Kopf, suchte das Trugbild seines Vaters aus seinen Gedanken zu verscheuchen, doch blieb es hartnäckig bestehen.
    "Das ist nicht gerecht … ich ... ich habe doch nur versucht …"
    Ganz recht
    , field die Larve des Vespasianus ihm ins Wort.
    Du hast immer nur versucht. Du hast es nie geschafft, Manius, nie. Und so wird es immer sein, du wirst immer eine Stufe vor dem Ziel scheitern. Du wirst deinen Sohn niemals zu Größe führen, du wirst niemals Consul werden, du wirst niemals Flamen werden, du wirst niemals selbst in irgendetwas Größe erlangen. Beinahe ist Teil deines Fluches - beinahe hättest du dem Imperium eine goldene Zukunft verschafft, doch sieh nur, was du angerichtet hast!
    "Hätte nicht Tiberius ..."
    Hätte! Wäre! Könnte! Soll dies deine Apologie sein? Eine Ansammlung von Konjunktiven? Du bist noch tiefer gesunken, Manius, als ich es je hätte für möglich gehalten. Wäre ich nicht schon tot, ich würde mich an deiner statt vom tarpeischen Felsen stürzen!
    "Das ist nicht gerecht!"
    suchte Gracchus ein wenig rabiater sich zu verteidigen, doch sein Vater lachte nur - ein wenig klang dies nun mehr nach Quintus. Erbost nahm Gracchus die Tabula, auf welcher der Name der Decima stand, und schleuderte diese quer durch den Raum zur gegenüberliegenden Wand hin, wo sie krachend auf den bemalten Putz traf, klappernd zu Boden fliel. Es war niemand da, den er hätte treffen können, niemand, der hätte verstummen können. Vereinzelte Tränen rannen über seine Wangen - der Wut, doch viel mehr noch der Desperation, wusste er doch, dass sein Vater, dass er selbst, Recht hatte - das Scheitern war in seinem Charakter inbegriffen. Er wünschte sich, dies alles wäre nur ein Traum, ein Traum in einem Traum allfällig, so dass er nur würde erwachen müssen, oder nur eine schlechte Geschichte, geschrieben von einem mittelmäßigen Autor, welcher die letzten Kapitel seines Lebens einfach würde entsorgen können, noch einmal neu schreiben, umschreiben zu einem besseren Ende, oder allfällig seinen Charakter revidieren, einen anderen, einen besseren Manius Flavius Gracchus erschaffen. Doch die Götter hatte augenscheinlich kein Mitleid mit ihm - sein Leben blieb die Realität, und in dieser hatte er seinen Sohn verloren.

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