Atrium | Nigrina auf Besuch

  • Das Atrium hatte sich wohl, seit Nigrina die Villa Flavia verlassen hatte, nicht recht verändert. Wieso sollte es das auch? Die Flavier liebten ihre opulente, eher dekadente Villa so, wie sie war. Sogar die Liegen standen noch immer dort, wo sie normalerweise standen.
    Phoebus geleitete Nigrina zu einer Liege und deutete auf sie, sich verbeugend. Was den Parther und das andere Gesinde anging, so wurde dies ignoriert, egal, ob sie draußen warten mussten, mit ins Atrium kamen oder aber zu den flavischen Sklaven in die Küche gegangen waren.
    Ein anderer Sklave, ein älterer Grieche mit Bart, brachte Nigrina einen Becher Wein. Der Alte wäre jedoch fast über seine eigenen Füße gestolpert, kurz bevor er Nigrina erreichte, und hätte somit den Wein über sie verschüttet. Doch den Göttern sei Dank gelang es ihm, die Balance zu halten und nichts überschwappen zu lassen. Es wäre verheerend gewesen, wäre ihm dies passiert.
    Mit der vorsichtigsten aller vorsichtigen Handbewegungen reichte der Sklave Nigrina den Wein und suchte sich zu verdrücken.
    In diesem Augenblick jedoch ging die Türe zum Atrium aus einem der Flure auf. Piso, die Arme ausgebreitet, in einer grünlichen Tunika und mit einem strahlenden, überschwänglichen Lächeln auf seinen Lippen, schritt in die Richtung, wo Nigrina auf ihrer Kline lag (sofern sie sich wirklich, wie von Phoebus offeriert, hingelegt hatte).
    “Nigrina!“, freute sich Piso wie ein Honigkuchenpferd. Schon oft genug hatten sich er und seine Schwester gezofft, hatten mitunter ganz Ekliges ausgetauscht. Aber sie waren Geschwister. Und Piso liebte seine Familie, waren es doch Leute, die sich so wohltuend von den grässlichen Banausen rund um sie herum abhoben. Eindeutig hatte er die Intention, sie zu umarmen, entweder sich nicht besinnend, dass Nigrina nicht der „Knuddeltyp“ war, oder aber sich nicht darum scherend.

  • Als Nigrina eintrat, verschmolzen die beiden Leibwächter nahezu mit der Umgebung, während die Amme zwar Abstand bewahrte zur Flavia, aber deutlich näher bei ihr blieb als die beiden Männer. Nigrina selbst überlegte kurz, entschied sich aber dann, sich tatsächlich auf eine der Klinen zu legen. Sie wurde immer noch deutlich schneller müde, als sie es gewohnt war, und sie befand sich in der Villa ihrer Familie. Da konnte sie es sich leisten, sich einen Dreck um Konventionen zu scheren, befand sie.
    Ein Sklave brachte ihr gleich darauf einen Wein, und für einen winzigen Moment sah es so aus, als würde der Tollpatsch den Wein über sie gießen anstatt ihn ihr zu geben, kratzte aber im letzten Augenblick noch die Kurve. Nigrina warf ihm einen scharfen Blick zu, sagte aber nichts dazu. Das hier waren nicht mehr ihre Sklaven, die sie zu erziehen hatte – aber vielleicht erwähnte sie es gegenüber ihrem Bruder, dass die flavischen Sklaven offenbar nachließen. Sie fragte sich nur, ob das damit zusammenhing, dass er Prisca geheiratet hatte und diese nun hier lebte... denn dass die meisten Aurelier einen anderen, deutlich laxeren Umgang mit ihren Sklaven pflegten als die Flavier, das hatte sie schon in ihren ersten Tagen ihrer Ehe gemerkt.


    Bevor sie allerdings noch einen Gedanken daran verschwenden konnte, betrat ihr Bruder das Atrium, mit ausgebreiteten Armen und einem Lächeln, das sie nur zu gut kannte. „Aulus!“ Nigrina lächelte ebenfalls, und das war einer der seltenen Momente, in denen sie es tatsächlich ehrlich meinte. Sie erhob sich und kam ihm entgegen, die unvermeidliche Umarmung über sich ergehen lassend – ihr Bruder hatte es bisher nicht begriffen, dass sie mit solcherlei Gefühlsbekundungen nicht viel anfangen konnte, da wagte sie es mittlerweile zu bezweifeln, dass er es je lernte –, und drückte ihn ebenfalls leicht. „Wie geht es dir?“

  • Piso genoss die Umarmung seiner Schwester—es fehlte nur noch, dass er zum Schnurren anfing wie eine Hauskatze. Ach, Nigrina. Seit dem Tod von Vera hatte er erst wirklich überrissen, was er an ihr hatte. Andererseits konnte man auch sagen, dass es vielleicht viel eher so war, dass er seine Gefühle für Vera auf Nigrina projizierte. Schließlich war es schwer, jemanden zu umarmen und zu umschmusen, der tot, kalt, in Asche umgewandelt, unter der Erde begraben lag.
    Nigrina jedoch war greifbar, und Piso fand das sehr, sehr schön—mit ihren Schwächen musste er halt einfach leben. Auch wenn er sich doch leicht ärgerte, dass er das Gefühl haben musste, dass der Umgang mit Nigrina manchmal wie ein Eiertanz war.
    Sich selber mental über sich komplett gleichenden Eiern gleitend sehen, ließ er wieder von ihr ab und unterdrückte den Zwang, ihr einen Kuss zu geben. Er hatte nun ja selber eine wilige Kussempfängerin, die auch dafür viel besser geeignet war als eine Schwester.
    Er deutete mit einer großzügigen, etwas außerhalb von allen Proportionen stehenden Geste auf die Liege, als ob sie als Geschenk intendiert wäre.
    “Legen wir uns doch mal drauf!“, machte er und schnippste mit den Fingern. “Mehr Wein!“ Der Sklave, der eben noch gerade Nigrina fast bewässert hätte mit dem edlen Nass, buckelte und zog sich zurück. Im selben Augenblick erspähte Piso zwar nicht die Leibwächter, aber die Amme. “Du da! Komm mal her!“ Piso hatte jetzt keine Ahnung, was Nigrina davon halten würde, wenn er die Amme herumkommandierte, aber er als Onkel hatte ja schließlich auch Anspruch darauf, seinen Neffen zu sehen.
    Mit einem Grinsen, welches schon halbe Ekstase wiederspiegelte vor Freude, endlich mal seinen Neffen zu sehen, wandte er sich an Nigrina. “Das ist ja dein Sohn, oder? Ich finde es so schön, dass du deinen kleinen Lucius mitgebracht hast. Hach, Kinder sind ja so süüüüüüß!“ In seinem letzten Satz schnellte seine Stimmlage empor, während er seine Augen nach oben verdrehte und seine Hände zusammenschlug zu einem Klatschen. Ähnliche Tonlagen gab er manchmal zum Besten, wenn er sang und sein Publikum mit besonders „ästhetischen“ Klängen zum Entzücken bringen wollte (wobei er viel eher verstand, Leute infolgedessen in die Flucht zu schlagen).

  • Nigrina ließ wieder auf die Kline sinken, als ihr Bruder darauf deutete – mit einer Geste, die sie eigentlich nicht überraschen dürfte, es aber irgendwie doch tat, verbrachte sie ihre Zeit mittlerweile doch nur noch selten in seiner Gesellschaft. Sie unterdrückte ein Grinsen, während sie kurz darüber nachsinnierte, ob Aulus sich wohl je ändern würde – weder der Senatorenstand noch die Ehe schien da irgendeinen Einfluss auf ihn zu haben –, reagierte aber sonst nicht weiter darauf. Stattdessen wollte sie auf den Grund ihres Besuches zu sprechen kommen – nämlich die Vorstellung ihres Sohnes –, als Aulus diesen mitsamt der Amme auch schon entdeckt hatte. Und nicht lange fackelte. Diesmal verdrehte Nigrina ganz kurz die Augen, als ihr Bruder die Frau einfach zu sich zitieren wollte, ohne vorher die Flavia zu fragen, aber nun, die Amme hatte recht schnell gelernt, dass es Nigrinas Wort war, das zählte – und dass sie besser daran tat, der Flavia auch zu gehorchen. Und so blieb sie zunächst, wo sie war, sah nur zu Nigrina, und erst als diese – recht schnell, hatte sie in ihrer Ehe mittlerweile doch gelernt, dass es manchmal besser war, manche Dinge nicht allzu offensichtlich zu zeigen oder idealerweise ganz zu verbergen – mit einem angedeuteten Nicken zu verstehen gab, dass sie einverstanden war, kam die Amme vor und zeigte den Jungen seinem Onkel.
    Und Nigrina verzog erneut, diesmal ein wenig deutlicher, das Gesicht, als Aulus’ Stimme plötzlich um ein paar Stufen hochschnellte. So etwas in der Art hatte sie fast befürchtet, aber das änderte nichts daran, dass sie es grausam fand, wie ihr Bruder von einem Moment zum anderen plötzlich… solche seltsamen Anwandlungen hatte. Kinder und süß? Sie verstand nicht, wo die Leute das hernahmen. Sollte Aulus sich doch von dem Wurm ansabbern, anpinkeln oder ankotzen lassen – sie wäre durchaus gespannt darauf, ob er den Kleinen dann immer noch so süß finden würde. Aber sie verkniff es sich, darauf hinzuweisen, sondern bestätigte nur mit einem Lächeln und durchaus einem gewissen Stolz – dass sie das Kind momentan weder sonderlich süß noch interessant fand, hieß ja nicht, dass sie nicht trotzdem stolz darauf sein konnte, einen Sohn geboren zu haben – das Offensichtliche: „Ja, das ist Lucius. Natürlich habe ich ihn mitgebracht, ich wollte ihn dir endlich vorstellen.“ Sie ließ unerwähnt, warum sie erst jetzt mit dem Kleinen kam, wo er schon einige Wochen alt war. Es musste nicht unbedingt die Runde machen, wie sehr die Geburt sie mitgenommen hatte, dass sie tagelang nicht hatte aufstehen dürfen. Es reichte schon, dass Sextus das wusste – aber der hatte, zumindest hoffte Nigrina das, ein gewisses Interesse daran, dass nicht bekannt wurde, dass seine Frau eine schwere Geburt hinter sich hatte. Wer wusste schon, was die Leute daraus konstruieren würden: dass der Junge dann nur eine schwächliche Konstitution haben konnte; oder dass sie bei der nächsten dann tatsächlich draufgehen würde. Solches Gerede über sie konnte Nigrina nicht gebrauchen, schon allein weil man nie wissen konnte, wie sich politische Allianzen veränderten und wann sie möglicherweise einen neuen Ehemann brauchen würde, der Kinder von ihr erwartete. Und was nun ihre eigene Familie anging: sie glaubte zwar nicht, dass Aulus das herum erzählen würde. Aber sie war sich nicht so sicher, ob er nicht zumindest mit Prisca darüber reden würde, verliebt wie er war, und der Aurelia traute sie nur bedingt über den Weg. Mehr noch als das allerdings galt: Nigrina wollte kein Mitleid, wollte nicht auf diese Art angesehen werden, die letztlich nichts anderes hieß als dass sie für schwach gehalten wurde. Was allerdings gerne die Runde machen konnte und Nigrina mit einem entsprechend auch weiterhin stolzen Lächeln dann noch anfügte, war folgendes: „Er entwickelt sich wirklich prächtig, der Kleine.“

  • Die Amme kam nicht sofort, und Piso wollte sich schon daran machen, etwas sauer deswegen zu sein, als Nigrina dann doch Einsehen zeigte und zur Amme hinnickte. Diese kam artig zu ihnen gezuckelt und senkte ihre Arme, um den kleinen Lucius auf Augenhöhe mit Piso zu bringen. Dieser war begeistert.
    “Oh, ohhhh! Wie goldig! Wie putzig! Wie hinreißend!“, süßelte er, als ginge es darum, alle Tenorrekorde zu sprengen. Selbstverständlich konnte man ihm bei seiner Stimmverstellung anhören, dass er ein miserbaler Tenor war, und wohl besser daran tun würde, sich beim Singen auf den Bariton zu verlegen, oder am Besten gar nicht erst damit anzufangen. Pisos auf hoch getrimmte Stimme steigerte sich in eine spitze Schrilligkeit, welche in der Mitte des Satzes jäh absackte, wobei sich die Stimmlage anhorchte wie eine alte, rostige Trompete.
    “Eigutzigutzigutz! Butzbutzbutz! Ist das der tleine Lupfius? Hmm? Ist das der tleine Lupfius?“ Er streckte seine Hand hin aus zu ihm und suchte ihn zu kitzeln. “Killekillekille!“ Er beugte sich vor. “Ich bin dein Onkel Aulus! Du süßer kleiner Wicht!“ Es war hier, da das Absacken begann. “Bist du nicht herzig, bist du nicht ein herziger kleiner Wicht!“
    Er drehte sich wieder zu Nigrina, mit einem bescheuerten Grinsen, welches Männer von seinem Schlage wohl nur haben konnten, wenn sie entweder verliebt waren, über etwas unbeschreiblich Ästhetisches gestolpert waren und sich an dessen Anblick ergötzten, oder ein kleines Kind sahen.
    “Du musst so vernarrt in ihn sein, Nigrina, so vernarrt!“, deklarierte er, obwohl er eigentlich im Wissen über seine emotional ein wenig... spröde Schwester das besser wissen sollte. “Er schaut dir echt ähnlich... er hat wirklich deine Nase! Eigutzigutzi...“ Letzteres war nicht mehr an Nigrina gerichtet, sondern an den Kleinen, welcher wieder eine Befingerungseinheit von Piso bekam. Dann endlich ließ er wirklich von ihm ab. Im Moment war eher aus seinem Gedächtnis gefegt, wer der Vater war. Nein, Piso dachte nur daran, dass er jetzt Onkel war, und zwar nicht nur zweiten Grades, sondern wirklicher, direkter Onkel. Nun fein, Nigrina war seine Halbschwester. Nicht seine Vollschwester, wie die arme, arme, arme Vera, an welche Piso sich regelmäßig mit Wehmut zurückerinnerte, mit dem dumpfen Gefühl, dass mit ihrem Tod in ihm ganz tief drinnen was zerbrochen war.
    Den Gedanken an Vera suchte er aus seinem Hirn zu streichen, als er zu Nigrina hinrückte. “Ach, Nigrina. Ich bin wirklich stolz auf dich.“ Er sprach jetzt endlich wieder in seiner normalen Stimme und blickte Nigrina direkt in die Augen, hoffend, aus ihnen irgendwas herauslesen zu können. Piso hatte zwar noch nie ein Kind auf die Welt gebracht, aber komplett deppert war er nicht: er wusste, dass so eine Kindergeburt eine ziemlich schmerzhafte Sache war für die Mutter. Es gingen ja regelmäßig die Frauen daran zugrunde. Dass bei Nigrina das nicht der Fall war, stimmte ihn froh. Trotz all ihrer Differenzen hätte ihm ihr Tod das Herz gebrochen, vielleicht nicht mal sonderlich weniger, als dies bei Vera der Fall gewesen war. Doch den Gedanken ließ er unausgesprochen.
    “Wie geht es dir jetzt?“ Nein, Nigrina hatte ihn wahrlich nicht besucht direkt nach der Geburt ihres Sohnes, aber fein, Piso hatte zu der Zeit auch eine Grippe gehabt, deshalb verschwendete er keinen weiteren Gedanken darüber, musste er doch annehmen, dass Nigrina das auch mitbekommen hatte.
    “Dein Ehemann behandelt dich wohl gut?“ Bitte, sag nein! Dann hätte Piso eine gültige Ausrede, einen Schlägertrupp auf ihn zu hetzen. Natürlich wäre das keine Lösung für irgendetwas, aber bei Piso trieb das Gefühl bei ihm, schlecht behandelt zu sein, seltsame Blüten. Irgendwie hatte er aber das Gefühl, Nigrina würde ja sagen und seine heroisch-stupiden Pläne damit zunichte machen.

  • Wenn man Aulus so zuhörte, konnte man fast glauben, als ob er irgendetwas furchtbar Flauschiges sehen würde. Nigrina warf sicherheitshalber einen prüfenden Blick auf das Kind, nur um zu sehen, ob die Amme da auch tatsächlich ihren Sohn auf dem Arm hatte und vorzeigte, aber tatsächlich, da war nichts… nichts… Nigrina fiel nichts ein, was auch nur ansatzweise so süß sein konnte, dass es Reaktionen wie die ihres Bruders hervorrief. Jedenfalls bei ihr. „Eh… Aulus?“ versuchte sie seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, denn irgendwie musste sie ihren Sohn ja schützen, sonst dachte der am Ende noch, das wäre normal. Oder, noch schlimmer, wurde genauso. Aber bevor sie weiter reden konnte, wandte der sich ihr zu. „Vernarrt? Jaaa, sicher. Furchtbar vernarrt“, versicherte sie ihm im Brustton der ironischen Überzeugung und fragte sich gleichzeitig zum wiederholten Mal, was manche Leute nur mit Kleinkindern hatten. Das war ein Balg. Ein häufig schreiendes, entweder schlafendes oder hungriges, zwischendurch mal eklige Körperflüssigkeiten von sich absonderndes Balg. Und bis dieses Balg alt genug war, dass man etwas Vernünftiges damit anstellen konnte – wie beispielsweise eine einigermaßen geistreiche Unterhaltung führen –, würde noch viel Wasser den Tiber hinunter fließen.


    Als Aulus dann auch noch davon anfing, dass er stolz auf sie sei, begann Nigrina sich dann richtig unwohl zu fühlen. Stolz. Worauf? Sie hatte ja nichts geleistet. Sie hatte ein Kind auf die Welt gebracht, das war alles. Das war etwas, was tagtäglich irgendwelche Frauen machten, und dabei gab es nun herzlich wenig, was eine Frau tatsächlich aktiv tun musste – ebenso wenig konnte sie eine Geburt hinauszögern oder verhindern, weil sie von der Natur getrieben wurde. Es gab also nicht wirklich etwas, worauf man hätte stolz sein können. Mehr noch, da sie, das war Nigrina klar, die Geburt mehr schlecht als recht hinter sich gebracht hatte.
    Die Flavia hatte in der Regel kein Problem damit, es anzunehmen, wenn ihr jemand sagte er sei stolz auf sie – auch dann nicht, wenn sie gar nichts geleistet hatte, eigentlich. Nur in diesem Fall zielte es für sie darauf ab, dass eine Geburt anstrengend war. Und sie schwach, so schwach, dass sie das nicht einfach so wegstecken konnte. Und das war und blieb ein wunder Punkt für sie.
    Nein, anders als wohl von Aulus intendiert baute Nigrina sein Kommentar nicht wirklich auf, sondern führte eher dazu, dass sie innerlich mauerte. Dennoch reagierte sie, wie sie bei Sextus kurz nach der Geburt reagiert hatte, wenn auch jetzt in voller Kontrolle über sich selbst. „Danke“, lächelte sie nur, und hoffte dass das Thema damit gegessen war. „Mir geht es gut. Die Geburt war normal, hat die Hebamme gesagt“, log sie dann, ohne mit einer Wimper zu zucken. Selbst eine normale Geburt war immer noch anstrengend genug, aber Nigrina wagte nicht zu behaupten, die Geburt sei leicht gewesen. Zu viele hatten in der Villa Aurelia mitbekommen, wie lange sie gedauert hatte, und wie lange Nigrina danach ihre Gemächer kaum verlassen hatte. „Und ich hatte ja Zeit genug, mich zu erholen. Aber wie geht es dir? Du warst krank, habe ich gehört.“
    Die nächste Frage dann lockerte die Stimmung merklich auf. Nigrinas Stimmung, hieß das. Sie konnte sich ein ehrlich amüsiertes Schmunzeln nicht verkneifen – denn dass sich ihr Bruder und ihr Mann nicht wirklich grün waren, war ihr mehr als bekannt. Den Vorfall im Theater damals, oder das bei ihrer Sponsalia, hatte sie zwar ganz und gar nicht amüsant gefunden, aber im Moment herrschte angenehme Ruhe, was wohl auch daran lag, dass die beiden Männer sich offenbar aus dem Weg gingen. Und so fand Nigrina die Frage jetzt – von der sie nicht glaubte, dass sie rein aus Sorge um ihr Wohlbefinden gestellt worden war – durchaus erheiternd finden, und als willkommene Gelegenheit sehen, ihren Bruder ein wenig zu ärgern. Sie setzte ein liebliches Lächeln auf. „Oh, ich habe keinen Grund zur Klage, Aulus. Sextus“ trägt mich auf Händen, lag ihr auf den Lippen, aber die Lüge war selbst ihr zu dreist, nicht weil sie Skrupel hätte, ihren Bruder so anzulügen, sondern weil sie fand, dass Sextus nicht verdient hatte, dass sie ihn dermaßen positiv darstellte – auch wenn sie tatsächlich keinen Grund zur Klage hatte, war er doch weit davon entfernt, ihr jeden Wunsch von den Lippen abzulesen –, „ist wunderbar. Ich könnte mir keinen besseren Ehemann wünschen.“

  • Sim-Off:

    Das hat jetzt länger als veranschlagt gedauert, tut mir Leid.


    Aulus? Der Angesprochene hörte seine Schwester nicht, viel zu sehr war er damit beschäftigt, seinen Neffen mit seinem Zeigefinger anzupieksen. Als er sich dann zu seiner Schwester wandte und diese ihm versicherte, sie wäre sehr vernarrt in ihn, merkte Piso die Ironie nicht in ihren Worten. Er nahm sie nicht wahr. “Das stelle ich mir ja vor! Was anderes kann ich mir nicht vorstellen! Ach, Nigrina, ich bin sooooooooo glücklich für dich!“ Er ließ seine Arme figurativ in der Luft umherschweifen, um ihr zu zeigen, wie groß seine Glücklichkeit denn beschaffen war.
    Piso lächelte, als Nigrina ihm für seine Bemerkung dankte. Und bekam dann seine Gelegenheit, zu scheinen, als Nigrina, die Unglückselige, seine Krankheit erwähnte.
    Tief, tief holte Piso Luft.
    “Ach, ja, das stimmt, das stimmt! Krank war ich sehr wohl! Schlecht war mir und gar übel! Tagelang, wochenlang ins Bett gefesselt! Kannst du dir vorstellen, wie schrecklich das war?“
    Ein kuerzer Schlenker seines Kopfes zum Kind hin. Ein vorgestreckter Zeigefinger, ein hoher Tonfall.
    “Gutzgutzgutz.“
    Dann wandte er sich wieder zu Nigrina hin, riss seine Augen weit auf und ließ seine Hände herumkreisen.
    “Es war schlimm! Nie konnte ich nach draußen gehen, nie in den Senat oder zu anderen Arbeitsstellen, fristete meine Existenz bar jeglicher Ästhetik in den Daunen meiner Schlafstatt!“ Er verwendete gerne „große“ Wörter, wenn es daran ging, theatralisch zu werden.
    “Nur meine Frau war mir ein Trost in jener Zeit.“
    Traurig blickte er zu Boden und schüttelte langsam den Kopf.
    Dann kam das Thema auf Lupus, und Piso bemerkte das verhaltene Schmunzeln auf Nigrinas Lippen. Argwöhnisch wurde sein Blick, nicht absolut offensichtlich und provozierend misstrauisch, aber ein wenig argwöhnisch sehr wohl. Und als dann Nigrina verkündete, dass Lupus ihr ein hervorragender Mann war, hatte Piso enorme Mühe darin, seine Enttäuschung zu verbergen. Arg. Das Schicksal meinte es wohl nicht gut mit ihm, wenn er sich damit konfrontiert sah, keine Angriffsstelle bezüglich Lupus zu finden.
    Wenn der Kerl schon so war wie eine schlüpfrige Qualle, dann lohnte es sich vielleicht, ein anderes Angriffsziel zu suchen.
    Nur welches? Piso konnte an keines denken. Kurz überlegte er. Vielleicht würde Nigrina ihn in Sachen Feindschaften beraten? Er verwarf den stupiden Gedanken, und wandte sich wieder dem Kind zu. Sein Neffe war ein eindeutig schöneres und ihm lieberes Gesprächsthema als diese angeheiratete Verwandtschaft.
    “Lucius kommt wirklich in sehr vielem nach dir, das sieht man ihm an. Ich nehme mal an, ihr werdet ihn dann auch die senatorische Laufbahn beschreiten lassen. Wird er dann auch ein Mützenheini... äh, ich meine, ein Haruspex?“
    Treuherzog blickte er seine Schwester an.

  • Sim-Off:

    Kein Thema :)


    Nigrina wusste nicht so recht, ob sie heulen oder lachen sollte, als Aulus die Ironie in ihren Worten nicht einmal ansatzweise bemerkte. Vermutlich sollte sie erleichtert sein, denn so wie sie ihren Bruder kannte, würde der kaum Verständnis dafür haben, dass ihre mütterlichen Gefühle... nun, nur geringfügig ausgeprägt waren. Natürlich mochte sie den Kleinen irgendwie. Natürlich würde sie ihn beschützen, oder besser: beschützen lassen. Er war ihr Sohn, und sie hatte ihn monatelang in ihrem Bauch gehabt, hatte ihn dort gespürt, hatte ihn dann auf die Welt gebracht. Und er war ein weiterer Baustein, sowohl für die Haltbarkeit ihrer Ehe als auch für ihr ganz persönliches Ansehen – wenn er denn am Leben blieb, und das sah momentan ganz gut aus. Natürlich bedeutete er ihr was. Nur: im Augenblick konnte man mit ihm halt noch nicht viel anfangen. Er war ganz putzig, wenn er gerade schlief oder zumindest ruhig war, und Nigrina hatte die Amme auch sehr schnell dazu gebracht penibel darauf zu achten, dass sie den Jungen nur dann zu seiner Mutter brachte, wenn dem so war – aber dennoch ließ sich freilich nicht vermeiden, dass Nigrina auch die schlechten Seiten abbekam, und das war... nichts für sie. Ganz und gar nichts. Dann lieber die Amme machen lassen und einfach abwarten, bis man mit dem Jungen was anfangen konnte.


    Sie nippte an ihrem Getränk und schenkte Aulus ein Lächeln, nur um dann einem angemessen ernsten Gesichtsausdruck zu weichen, als er begann von seiner Krankheit zu sprechen. Hervorragend. Da hatte sie nun ein Thema getroffen, wie es augenscheinlich nicht besser hätte sein können – Aulus ließ von ihrem Sohn ab und fragte auch nicht weiter nach der Geburt oder wie es ihr ging, sondern begann von seinem eigenen Leiden zu sprechen. Kleine Korrektur: von dem Kleinen ließ er trotzdem nicht ab, wie Nigrina mit einem leichten Zucken ihrer Augenbraue feststellte. Aber es war wohl besser, darauf gar nicht einzugehen, jedenfalls so lang es sich in diesen Grenzen hielt. Nigrina kannte ihren Bruder – wenn sie da jetzt etwas sagte, machte er mit Fleiß weiter. Und dann sah sie nur zwei Lösungen: entweder sie motzte so lange herum, bis sie beide wütend waren und Nigrina verschwand, oder sie piekste den Kleinen unauffällig, bis er anfing zu schreien – dann konnte sie die Amme mit ihm wegschicken, und Aulus und sie konnten sich in Ruhe weiter unterhalten.
    „Nein, vorstellen kann ich mir das nicht“, log sie erneut, und schob jeden Gedanken an die Zeit nach der Geburt weg, „das muss wirklich furchtbar gewesen sein. Aber wie gut, dass Prisca dir so geholfen hat.“ Nigrina lächelte, obwohl sie es nicht verstand. Wenn Sextus krank werden würde, würde sie einen Dreck tun und sich um ihn kümmern. Sollten das doch Sklaven übernehmen, dafür waren sie ja schließlich da, und davon abgesehen wollte sie ja auch niemanden – niemanden, der zählte – um sich haben, wenn es ihr schlecht ging.


    Das Thema war an und für sich ein einfaches, weil sie nicht mehr machen musste als zu nicken und sich entsprechend mitfühlend zu geben, was zwar nicht in ihrer Natur lag, aber machbar war, da sie Aulus ja nicht so oft sah. Dennoch war ihr der Themenwechsel nur allzu recht. Auch wenn es nun mal wieder um etwas ging, was sie nicht so ganz nachvollziehen konnte. Wie konnte man dem Wurm jetzt schon irgendetwas ansehen? „Nun, wie ein Patrizier sich zu verhalten hat, das werde ich ihm in jedem Fall beibringen. Und natürlich werden wir das“, antwortete sie gleich noch auf die Frage nach der senatorischen Laufbahn. Was sollte der Kleine auch sonst machen? Bei der Stichelei gegen Sextus allerdings sah sie Aulus scharf an. Als ob die Haruspices die einzigen wären, die bei offiziellen Anlässen eine Amtstracht zu tragen hatten. „Nun, es bietet sich natürlich an, dass Lucius seinem Vater folgt.“ Sie lächelte süß. Die Stichelei konnte sie freilich nicht ohne Retourkutsche lassen. „Wie gut, dass die Position eines Flamen ohnehin nichts für dich ist. So kannst du auf derlei Kopfbedeckungen verzichten.“

  • Ernst, unbelastet von Hellseherei und gewiss auch von überwältigender Menschenkenntnis, strahlte Nigrina an, als sie ihn so nett anlächelte, und dachte sich wieder einmal, dass seine Schwester gar nicht so schlecht war, wie er es sich immer gedacht hatte. Sie war keine Vera, klar. Aber Piso hing dennoch an Nigrina, nach dem Tod seiner einzigen Vollschwester nun mehr denn je. Was für eine Verschwendung, wenn man bedachte, an wen sie gekommen war. Andere Leute hätten sich nun dazu ermahnt, an was anderes zu denken, um sich nicht irre zu machen, aber Piso machte nicht einmal den Versuch, sich was anderes vorzustellen, als dass Nigrina allabendlich von Lupus ordentlich durchgepudert wurde. Igitt. Kurz musste Nigrina ein Blick treffen, der erschien, als ob der Flavier in eine saure Zitrone gebissen hätte, doch dann glätteten sich seine Gesichtszüge wieder binnen Bruchteilen von Sekunden.
    Nigrina ließ Pisos Beteuerungen, dass er so enorm glücklich war für sie und stolz unkommentiert. Nun ja, so war sie halt. Immer stoisch, immer unnahbar, immer die Contenance bewahrend. Eine wahre Patrizierin, musste er innerlich anerkennen. Bei Celerina hatte ihm das auch gefallen, diese fürstliche und hoheitliche Art. Nigrina konnte wirklich kaum was aus der Ruhe bringen, und so sah sie auch aus. Nun, meistens. Wenn Piso sie nicht total auf die Palme brachte. Wozu er durchaus ein Talent hatte, welches sich auch manifestierte, wenn er mit größtem Bemühen versuchte, nett und liebevoll zu seiner kleinen Schwester zu sein.
    Endlich kam die Rede auf die Krankheit, und Piso war so glücklich über Nigrinas Mitgefühl, dass er erstens strahlte wie ein Honigkuchenpferd und zweitens nicht auch nur eine Sekunde lang annahm, dass Nigrina ihn anflunkerte. “Oh ja, oh ja! Halluzinationen hatte ich schon! Und zeitweise war ich halb blind!“ Was eher daran lag, dass er sehr oft die Decke über den Kopf geschlagen hatte. “Aber nun bin ich wieder heil.“ Mit einer ein wenig plötzlichen unverwüstlich scheinenden Fröhlichkeit grinste er seine Schwester an. “Und Prisca ist ein Schatz, ein richtiger Schatz. Ich kann dir nicht sagen, wie sehr ich sie liebe!“ Tatsächlich war Piso noch immer total vernarrt in sie, obwohl sie nun auch nicht mehr eben seit gestern verheiratet waren. Piso, seines Zeichens Romantiker, konnte man wenigstens nicht bescheinigen, dass er seine Liebe, wenn sie erst einmal in ihm ausbrannte, schnell versiegen ließ.
    Das Thema kam auf Lucius, und der stolze Onkel Piso hörte aufmerksam zu. Sein Neffe würde wohl auch die senatorische Laufbahn einschlagen... nun ja. Das war klar. Man würde ihn kaum ins Militär stecken. Oder ihn auf einem Landgut in Griechenland versauern lassen.
    “Wenn er all deine Vorzüge erbt, Nigrinchen, wird er unschlagbar im Senat“, war er sich sicher. Explizit erwähnte er nicht die Vorzüge ihres Mannes, welche er nun einfach nicht sah, und zwar mit einer Überzeugung, die an Verbohrtheit grenzte.
    “Haruspex ist sicher nicht übel. Aber nicht so hoch ist jene Kunst wie die der Septemviri“, gab Piso, ehemaliger Septemvir, unüberraschend zu verstehen. Den Epulonen fühlte er sich noch immer zugehörig. Manchmal wünschte er sich, er hätte sie nicht verlassen. Es war eine lustigere Gesellschaft gewesen als die Pontifices.
    “Oh, Flamen?“ Er blickte seine Schwester zuerst konfus an, als ob er nciht wüsste, was sie nun meinte. Dann entschloss er sich, zu lachen. “Flamen? Ach ja, sicher was Nettes. Aber ich meine, schon alleine wegen der Hüte wäre das eine Undenkbarkeit. Vollkommen unmodisch.“ Er räusperte sich, offen lassend, ob er seinen vorigen Kommentar sarkastisch oder bierernst gemeint hatte. “Nun ja. Bei den Flamines gibt es sehr viele Einschränkungen. Du weißt, was sie tun müssen, was sie unlassen müssen... das ist doch kein Leben.“

  • Für einen winzigen Moment sah Aulus sie auf eine ganz komische Art an. Als sei ihm irgendeine Laus über die Leber gelaufen. Und für diesen Augenblick befürchtete sie fast, er würde sich gleich übergeben, und sie fragte sich, ob er vielleicht zu früh von seinem Krankenbett wieder aufgestanden war. Aber der Moment verging so rasch wie er gekommen war, und ihr Bruder widmete sich dem begonnenen Krankheitsthema – ganz im Gegensatz zu ihr schien er kein Problem damit zu haben, ausführlich über seine Schwäche zu sprechen. „Halluzinationen? … Hast du das nicht öfter?“ Nigrina grinste ihn für einen Moment offen an. Diesen Kommentar geschwisterlicher Zuneigung hatte sie sich nicht verbeißen können. „Muss schlimm sein... Gewesen sein“, korrigierte sie sich schnell, als sie ihren Versprecher bemerkte – Aulus hatte gerade von Prisca gesprochen und wie sehr er sie doch liebte, und irgendwie hatte sie da etwas durcheinander gebracht bei dem, was sie noch als Kommentar zu seiner Krankheit hatte sagen wollen. „Wenn sie dir eine gute Ehefrau ist, bin ich zufrieden“, lenkte sie mit einem Lächeln ab und strich dann sachte über den Kopf ihres Sohns, der immer noch, von der Amme gehalten, neben ihnen war. „Er hat meine Vorzüge geerbt. Und er wird unschlagbar, erst recht mit Sextus' Vorzügen.“ Das war keine Hoffnung, die da aus ihren Worten sprach, keine Wünsche, keine Träume – das war eine Tatsache. Der Kleine ihren Ansprüchen zu genügen, so einfach war das. Was sie dazu beitragen konnte, dass es so kam, würde sie freilich tun, der Wurm würde alles an Förderung bekommen, was man sich nur wünschen konnte, aber den Rest musste er dann wohl oder übel selbst beisteuern, ob er wollte oder nicht. „Nun, welchen Weg er im Cursus deorum einschlägt, wird man sehen. Aber seine Abstammung zeichnet seinen Weg auch hier vor“, antwortete sie, ohne auf Aulus' Schwärmerei über die Septemviri einzugehen. Wenn ihr Sohn Haruspex wurde, dann waren die Haruspices die besseren. Punkt. Aber da sie das jetzt noch nicht wusste, was der Kleine werden würde, schwieg sie darüber lieber. Und das nächste Thema bot sich sowieso viel besser an um zu frotzeln. Aulus wollte also gar nicht Flamen werden? Ja sicher. Nigrina lächelte ihr typisches, feines Lächeln. „Völlig unmodisch, das ist nichts für einen Mann wie dich“, stimmte sie zu. „Und auch die Einschränkungen... Aber du weißt ja, was die Leute erwarten, gerade von uns Flaviern. Da ist es doch gut, wenn sich die Frage bei dir gar nicht stellt und du dich nicht rechtfertigen musst für diese Entscheidung.“

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