Assur - Der Gefangene

  • Völlige Stille erfüllte den Raum. Dunkel und stickig war es zudem. Nur der eigene Atem verursachte hier eine Störung der Grabesstille. Es war kein großer Raum, gerade so, dass ein erwachsener Mann darin liegen konnte ohne sich den Kopf zu stoßen. Hätte man etwas Licht gehabt so hätte man die Spuren der anderen Gefangenen erkennen können, die diese in den Wänden hinterlassen hatten. In der Zelle stank es unangenehm nach den Hinterlassenschaften der vorherigen Bewohner. Die trockene Luft hatte sich die Nacht über etwas abgekühlt, doch bald würde die Sonne wieder genau auf dem Gefängnis stehen und es heiß werden lassen. Mit Bedacht hatte man es damals so angelegt, dass es Wind, Sandstürmen und der unbarmherzigen Sonne ausgeliefert war.


    Vor der Zelle hielt ein Soldat Wache. Gemütlich hockte er auf einem kleinen verdreckten Schemel und zeichnete mit einem kleinen Stab Figuren in den Dreck. Ein leises Geräusch kam näher und schnell konnte man es als Schritte identifizieren. Ein Schlüssel wurde in sein Schloß gesteckt, herumgedreht, die Tür geöffnet und wieder verschlossen nachdem ein anderer Soldat hindurch getreten war. Jemand anderes konnte es nicht sein. Nur diese kamen hierher.


    „Hier das Wasser. Frisch aus dem Brunnen. Trink es so lange es noch kühl ist. Es wird wieder ein heißer Tag."


    Er warf dem sitzenden Kollegen den Schlauch zu und schlug einmal gegen die Tür in der schon seit geraumer Zeit keine Geräusche des Gefangenen zu hören war. Die andere Wache grinste breit, öffnete den Schlauch und trank schließlich einen Schluck ehe er zusammenzuckte und wütend gegen seine Wade schlug.


    "Verdammte Viecher. Dass es hier immer nur so vor Flöhen wimmeln muss. Wenn ich mit meinem Dienst hier fertig bin, brauche ich wieder eine ganze Woche ehe ich sie los bin. Verdammte Blutsauger."
    „Nun hab dich doch nicht so und denke dran. Der da drinnen hat wesentlich mehr von ihnen als du. Geschieht ihm ganz recht."
    „Was meinst du? Ob er sich schon auf morgen freut? Das Volk wird sich freuen einen von ihnen so sehen zu können und der Sháh auch. Es wird ein Fest werden."
    „Oh ja...dann ist dieser Mann sogar noch zu etwas Nutze. Er wird morgen die Attraktion sein."
    „DU römisches Schwein! Hast du das gehört? Du wirst morgen eine Sehenswürdigkeit sein!"


    Schallend lachten die beiden nachdem sie es dem Gefangenen zu gerufen hatten.


    „Schließlich bekommt man ja nicht jeden Tag so einen zu sehen. Er soll ja ein ganz wichtiger Mann sein. Fast so wichtig wie der Kaiser. Wusstest du das?"
    „So wichtig sieht das Elend da drinnen aber nicht aus. Aber er hat sich allen Verhören bis jetzt widersetzt und angeblich sogar seinen Stolz noch behalten. Aber das wird morgen vorbei sein."


    Wieder lachten die beiden. Sie fanden es etwas ungerecht, dass sie bei den anderen Befragungen nicht dabei gewesen waren. Allerdings hatten sie sein verbeultes Gesicht gesehen als er hierher zurückgebracht wurde und auch einige Schnittwunden trug. Die Wunden waren inzwischen verschorft und durch die mangelnde Sauberkeit auch etwas entzündet. Es würden Narben zurückbleiben, aber das war ganz egal. Nur sterben durfte er nicht, noch nicht, dank der Anweisung des Sháhs, der ihn vorerst noch am Leben wissen wollte. Als Geisel, denn als Sklave war er wohl kaum zu gebrauchen.

  • Aus dem Inneren der Zelle war nichts zu hören. Kein Wort, kein Laut, nicht einmal das leise und widerlich anzuhörende Röcheln, das man sonst hin und wieder vernahm. Der Körper, der regungslos in einer Ecke der dunklen und feuchten Zelle lag, zuckte lediglich erschrocken zusammen, als die Faust des Wächters auf der Türe einschlug und einen lauten und dumpfen Klang in diesem Loch verbreitete. Bei der kurzen ruckartigen Bewegung die durch den Gefangenen fuhr waren sie wieder zu spüren, die unbeschreiblichen Schmerzen, die sich durch den ganzen von Wunden und blauen Flecken übersäten Körper zogen. Doch verzog sich dabei lediglich das zur Unkenntlichkeit verbeulte und verdreckte Gesicht zu einer schmerzverzerrten Fratze, aber ließ keinen Ton der Wehklage oder des Leids hören. Der Leib war geschunden, doch der Geist war noch stark.


    Wie lange diese letzte Barriere vor der totalen Selbstaufgabe jedoch noch standhalten würde, war nicht mehr zu sagen. Zuviel Leid und Schmerz mussten bereits ertragen und zuviel Spott und Hohn erduldet werden. Die Zeit schien zum Stillstand gekommen zu sein. Welcher Tag war heute? Welche Stunde? War es Tag oder Nacht? Hier schien jeder Tag gleich zu sein wie der davor und der davor und die vielen anderen die davor kamen. Was sagten die Stimmen auf der anderen Seite der Türe? Sie sprachen nicht Latein und daher waren sie nicht verstehen. Letztendlich war es egal, denn was auch kommen mochte, es konnte nicht schlimmer werden als es bereits war. Die Götter waren an diesem Ort nicht zu finden und auch das stolze und glanzvolle Rom war entfernt wie nie zuvor. Es gab hier nichts, außer die Leere und die Dunkelheit. Die völlige Vereinsamung wurde lediglich von den Stimmen vor der Zelle unterbrochen, denen man zwar lauschen, aber sie nicht verstehen konnte. Jedoch war es eine Abwechslung die das Empfinden vermittelte, nicht vollkommen allein und vergessen zu sein. Es wurde wieder still und die Schmerzen ließen langsam nach. Nur keine weitere Bewegung. Ausharren und warten. Doch worauf warten? Auf die Erlösung? Auf das Ende?

  • Große Geschäftigkeit war am gestrigen Tag an den Tag gelegt worden. Es galt eine Tribüne zu bauen, eine Empore um seine Vorhaben dort für alle sichtbar ausführen zu können. Jetzt am frühen Morgen war die Stadt schon unterwegs gewesen. Letzte Handgriffe wurden an den Baumaßnahmen angelegt, die diesen Ort für nur kurze Zeit zieren sollten. Noch ehe die Sonne den Horizont verlassen hatte, war die Stadt wach. Es sollte ein besonderer Tag werden und ein jeder wollte Zeuge dessen sein.


    Ein von Ochsen gezogener Wagen holperte vom Gefängnis zum großen Marktplatz. Der Weg war uneben und durch das nicht ganz gleichmäßige ziehen der Ochsen verschlimmerte sich das alles etwas. Auf dem Karren befand sich ein kleiner Käfig in dem ein Mann eingepfercht worden war. Er passte gerade so irgendwie dort hinein. Aber das war ganz egal. Hauptsache die Flucht war ausgeschlossen. Flankiert wurde die Straße von den Bewohnern der Stadt. Sie waren alle gekommen um zu sehen wer heute ihrer Unterhaltung dienen sollte. Nachdem der Wagen an ihnen vorüber war, schlossen sie sich dem Zug der Wächter und des Gefährtes an. Immer mehr wurden es und ein fing an den Gefangenen zu beschimpfen. Andere stimmten mit ein.


    Der Himmel hatte sich schon hellblau gefärbt und das Dunkel der Nacht abgelegt als man mit dem langen Zug schließlich ankam. Der Gefangene wurde aus dem Käfig gerissen und auf die Empore hinauf geschubst. Hier wurde er gezwungen sich hinzuknien und erst einmal abzuwarten.


    Das Volk wartete nun gespannt auf Osroes, den Herrscher über Land, Stadt und Menschen. Er hatte ihnen ein großes Schauspiel versprochen.

  • Mit seinem Wachen und seinem Hofstaat erschien Osroes, der Sháh-in-Sháh aller Parther, wenig später auf der Tribüne und stellte sich den Jubelrufen seiner Untergebenen. Eine gewissen Zeit ließ er sich feiern ehe er seine Hände hob und damit Ruhe gebot. Seine Stimme war laut und kräftig, dennoch würden ihn die hintersten Reihen nicht verstehen, aber das war gleich, die Essenz seiner Rede würde sich ohne Zweifel bald verbreiten.


    „Die Invasoren wurden erfolgreich zurückgedrängt! Rom hat unsere Macht und unsere Kraft zu spüren bekommen! Wie Feiglinge haben sie sich zurückgezogen als man der Schlange den Kopf abgeschlagen hatte. Ihr Kaiser ist gestorben, wir haben sie besiegt!"


    Wieder waren Jubelrufe zu hören, die bald wieder verebbten als man sah, dass Osroes weiter sprechen wollte.


    „Ich habe euch etwas versprochen und heute sollte ihr sehen wie ich das erfülle was ich gesagt hatte. Seht ihn euch an."


    Er deutete mit dem Finger auf den Gefangenen, der trotz der kleinen Schönheitspflege ein ziemlich erbärmliches Bild abgab. Man hatte ihn notdürftig gesäubert damit das Volk nicht eventuell noch Mitleid ob seines Aussehens mit ihm bekam. Dreck und verkrustete Wunden waren abgewischt und relativ gut in Ordnung gebracht worden.


    „Er war einst die rechte Hand des Kaisers und jetzt? Seht was er für ein erbärmlicher Haufen ist. Das große Rom ist nur ein Haufen erbärmlicher Feiglinge und großer Jammerlappen."


    Auf einen Wink des Osroes hin traten Männer hervor, die einen schweren Ledergurt trugen an dem Gewichte befestigt waren. Diesen legten sie ihrem Gefangenen um den Hals um. Für einen gesunden Mann war er schon eine Last gewesen, für den Gefangenen würde es damit unmöglich werden aufrecht zu stehen. Wieder warfen die Menschen mit üblen Beleidigungen und Beschimpfungen um sich, während die Männer nach Anlegen der schweren Krause ein Seil an die Arme des Mannes banden und ihn daraufhin brutal an einem Pfahl hinaufzogen. Sein Blick ging nun in Richtung Osroes, seine Rückseite war den Menschen zugewandt.


    Der Sháh seinerseits musterte den Mann eine Weile mit einem verächtlichen Blick, ehe er wiederum nur mit einem einfachen Handzeichen die Ausführung der Bestrafung für nicht hervorgebrachte Informationen ausführen ließ. Ein Soldat, grimmig aussehend, ein Hüne von einem Mann trat hinter den Gefangenen, ließ kurz seine Peitsche schnalzen ehe er damit begann diese auf den Rücken des Römers nieder gehen zu lassen.

  • Der Weg vom Gefängnis zum großen Marktplatz kam Livianus wie ein Traum vor – ein schrecklicher Traum. Er konnte Anfangs nicht abwiegen, ob all das hier wirklich Real war, oder nur seinem teilweise verwirrten und angeschlagenen Geist entstammte. Es wäre nicht das erste Mal, dass er Bilder von Menschen und Orten sah, die sich letzten Endes nur als Trugbilder herausstellten. Da sie das helle Licht nach der langen Dunkelheit in seiner Zelle nicht mehr gewohnt waren, hielt er seine Augen die meisten Zeit über geschlossen und hörte nur die Rufe und Beschimpfungen der Menschen, die an ihm Schemenhaft vorbeizogen. Erst als der Karren auf dem er transportiert wurde zum Stillstand kam und der römische Senator von einigen Wachen gepackt und aus dem Käfig gezerrt wurde, klarte sein Blick und sein Verstand etwas auf. Er versuchte langsam die Augen zu öffnen, kniff sie jedoch sofort wieder schmerzverzerrt zusammen, als ihm eine der Wachen ziemlich unsanft in sein Kniegelenk stieg und ihm damit zu Boden brachte. Langsam rappelte er sich wieder hoch und blieb auf seinen Knien.


    Direkt vor ihm baute sich im nächsten Moment der Körper einen stattlichen und großgewachsenen Mannes auf. Langsam öffnete Livianus seine verschwollenen Augen und ließ seinen Blick nach oben wandern. Dies musste Osroes sein, der König der Parther. Die bisher gehörten Beschreibungen, die Kleidung, das Auftreten – all das deutete darauf hin. Die schallenden Jubelrufe des Volkes bestätigten die Vermutungen. Der Decima versuchte sich aufzurichten und dabei so gut es ging das Gleichgewicht zu halten. Er war der Sprache der Parther nicht Mächtig, doch als der Mann zu sprechen begann konnte er einige Wortfetzen verstehen, deren Bedeutung ihm seit seinem Aufenthalt in diesem Teil der Welt bereits untergekommen waren.... Zurückgezogen, Kaiser und Tod. Im ersten Moment dachte Livianus an einen weiteren Versuch der Parther seinen Willen zu brechen. Doch ein derartiger Aufwand für einige Informationen eines römischen Kommandeurs? Nein. Es musste die Wahrheit sein. Rom hatte sich zurückgezogen, der Kaiser war Tod und der Legat war allein. Er sank für einen kurzen Moment zusammen und stützte sich mit beiden Händen am Boden ab. Als er jedoch sah, dass Osroes auf ihn zeigte, rappelte er sich wieder auf musterte den Partherkönig. Er verstand nicht, was Osroes sagte, doch dem Gesichtsausdruck nach waren es keine Worte großer Freundlichkeit.


    Als Livianus gleich darauf wieder von Soldaten gepackt wurde, rechnete er bereits mit dem Schlimmsten. Vielleicht hatte der Sháh gerade das Todesurteil über den Römer ausgesprochen. Er verzog Schmerzverzerrt sein Gesicht, als man ihm auf den Pfahl zog, presste jedoch seine Zähne zusammen, um keinen Laut dabei von sich zu geben. Als er hinter sich ein lautes Schnalzen hörte, wusste er was nun folgen würde. Sein Blick, der bisher zu Boden gewandt war, richtete sich nun wieder auf und sah zu Osroes. Im nächsten Moment traf die Peitsche mit großer wucht auf seinen Rücken. Der Decima spürte regelrecht, wie sie seine Haut teilte und die Peitsche tief ins Fleisch eintrat. Wieder biss er seine Zähne fest zusammen und verzog sein Gesicht zu einer schmerzverzerrten Fratze. Immer wieder und wieder traf die Peitsche seinen Rücken, doch der Römer gab keinen Laut von sich.

  • [Blockierte Grafik: http://img401.imageshack.us/img401/4120/prinzessin2ep2.jpg| Prinzessin Shirin Abgar, Rose von Edessa


    Wie ein Garten, erfüllt von den schönsten Blumen, von exotischen Orchideen, verwöhnten und umsorgten Luxusgewächsen, stellte sich die Zuschauertribüne dar, auf der die Damen des Hofes unter Baldachinen Platz genommen hatten, um dem Schauspiel beizuwohnen. Es war eine Pracht wie die Farben ihrer Gewänder leuchteten, wie reich der Schmuck an zarten Hälsen und schlanken Handgelenken in der Sonne blitzte und blinkte, wie hauchzarte Schleier vor lieblichen Gesichtern wogten.
    Unter ihnen, ganz vorne in der ersten Reihe, befand sich die Prinzessin Shirin, die Enkelin des Satrapen von Edessa, des alten Narseh Abgar, der nach der verlorenen Schlacht den Nacken vor den Römern hatte beugen müssen. Eine Schmach, die die junge Prinzessin mit loderndem Zorn erfüllte! Sie war nun hier auf die ebenso höfliche wie energische Einladung des Königs der Könige Osroes hin - eine Einladung, der man besser sogleich Folge leistete, und die ihr ohnehin sehr recht war, bot doch der flamboyante Hof des Sháh-in-Sháh in den herrlichen Palästen von Assur wesentlich mehr Zerstreuung als die Gesellschaft ihres verbitterten alten Grossvaters im eroberten Edessa.
    Rosenrote Seide raschelte, und die feinen blattförmigen Goldplättchen ihres hohen Diadems gaben ein leises Klingen von sich, als die junge Edelfrau sich ein wenig vorbeugte, begierig die Demütigung des Gefangene in aller Vollständigkeit zu goutieren. Das satte Klatschen, als die Peitsche auf den Rücken des niederträchtigen Römers traf war Musik in ihren Ohren, und in ihre kohlschwarzen Mandelaugen trat ein hasserfülltes Funkeln.
    Dass der Mann die Peitsche tapfer und stumm ertrug, liess Shirin jedoch unwillig die Lippen schürzen. Sie wollte ihn schreien und wehklagen hören, er sollte leiden wie ihr Volk gelitten hatte, all die guten Leute von Osroene, die gestorben waren als sie ihr Land gegen die abscheulichen Invasoren zu verteidigen suchten!
    Aber das Schauspiel hatte ja gerade erst angefangen. Die Prinzessin liess sich ein paar kandierte Rosenblätter reichen, und ein schneegekühltes Getränk. An diesem nippend lehnte sie sich zurück, und verfolgte weiter das Geschehen.



    In der Menschenmenge, die sich um die Plattform drängte, und wo man sich weit weniger herrschaftliche Zurückhaltung auferlegte, wurden Rufe laut, die den Auspeitscher anfeuerten und den Römer verfluchten:
    "Mehr!"
    "Fester!"
    "Die Daevas sollen Dich zerfetzen mit ihren Krallen du römischer Hund! Mörder! Schlächter! Leiden sollst Du, siebentausend Jahre lang!"
    "Kopf ab! Kopf ab!"
    "Reiss ihm das Fleisch von den Knochen!"
    "Werft ihn zwischen die Mahlsteine, zermalmt ihn wie eine Natter!"
    "Kopf ab! Kopf ab!"
    "Sperrt ihn in den Ofen, und röstet ihn bis er schwarz ist!"

    Immer lauter skandierten die Zuschauer, ein geifernder Chor der nach Rache und mannigfaltigen Qualen für den Gefangenen verlangte. Geballte Fäuste wurden gegen den Römer gereckt. Unrat, gammliges Gemüse und Steine flogen durch die Luft zu der Plattform hin.

  • Was in diesem Moment um ihn herum geschah, konnte Livianus nicht mehr wahrnehmen. Lediglich die lauten Rufe und das Gegröle der Menschenmenge vor dem Podium drangen noch bis an sein Ohr, gefolgt vom lauten Knall der Peitsche, die wieder und wieder auf seinen Rücken niedersauste. Die Peitschenhiebe brannten wie Feuer auf seiner Haut und verbunden mit den stärker aufkommenden Gefühlen der Machtlosigkeit und Hilflosigkeit lies ihn diese Situation fast verrückt werden. Über seinen Rücken zog sich ein beißender Schmerz und er spürte das Blut, das sich langsam seinen Weg von den offenen Wunden hinunter zu seinen Beinen bahnte. Erneut presste er seine Zähne zusammen und versuchte krampfhaft seine Schmerzensschreie zu unterdrücken. Wie gerne hätte er aufgeschrieen und all seinen Schmerz und seine unbändige Wut auf die Peiniger hinausgelassen und diesen Menschen gezeigt. Doch sie Stolz ließ dies nicht zu. Noch war er nicht gebrochen.


    Der römische Legat musste die Schmerzen der Peitschenhiebe nicht lange ertragen. Nach jedem einzelnen Schlag merkte er, wie seine Wahrnehmung und sein Sehvermögen mehr und mehr nachließen. Seine Sinne schwanden bis nur verschwommene Umrisse erkennen konnte und schließlich vollkommene Dunkelheit um ihn herum herrschte. Auch die Geräuschkulisse im Hintergrund wurde dumpfer bis nur noch ein durchgehend pfeifender Ton zu Hören war. Livianus hatte das Gefühl, dass ihn all seine Lebensgeister nun verließen und er hoffte in seinem letzten halbwachen Moment, das damit auch diese Tortur ihr Ende fand. Dann wurde er Bewusstlos.

  • Beobachtete man den Sháh genau, konnte man in seinem Gesicht einen durchaus zufriedenen Ausdruck erkennen als die Peitsche den Rücken des Römers traf und dieser offensichtlich durch den erlittenen Schmerz das seinige verzog. Allerdings wich der kurzen Freude auch gleich der Unmut. '
    'Verdammter Römer. Sein kümmerlicher Stolz wird ihm auch nichts helfen"' ging es ihm durch den Kopf und das leichte Lächeln wich. Desinteressiert verfolgte er die weiteren Schläge bis der Römer schließlich aufgab und ohnmächtig wurde. Noch nicht einmal das hielten sie aus und so waren sie soweit vorgedrungen. Das musste ein Zufall gewesen sein oder großes Glück. Andere Gefangene hatten bisher wenigstens den Anstand gehabt ordentlich zu schreien und bis zum Ende durchzuhalten. Dieser hier tat weder das eine noch das andere. Später mochte man ihn wohl Spielverderber nennen. Der Römer wurde noch sehen was er davon hatte. Seine Aufmerksamkeit galt nun erst einmal jemanden anderem.


    “Prinzessin Shirin, hier gibt es nichts weiter Interessantes zu sehen. Überlassen wir ihm den Volk. Möchtest du mich vielleicht hinein begleiten? “


    Er lächelte und blickte mit gefälligem Auge zu ihr herab. Die Anwesenheit der Prinzessin aus Edessa vermochte es wirklich seine Laune zu bessern und ihre schien auch etwas Aufmunterung zu benötigen. Er reichte ihr zum Geleit sogar die Hand.


    Der Römer wurde so ohnmächtig noch eine ganze Weile hängen gelassen und dem wütenden Volk zur Verfügung gestellt welches noch eine Weile weiter seinen Unmut in wüsten Beschimpfungen und dem werfen von faulem Obst und Gemüse Luft machte. Ein paar Wachen waren zurückgeblieben um zu überwachen, dass der ehemalige Legat noch am Leben gelassen wurde und nachdem sich auch der letzte Bewohner der Stadt zurückgezogen hatte, band man ihn los, um ihn dann zurück in den Kerker zu bringen.

  • [Blockierte Grafik: http://img401.imageshack.us/img401/4120/prinzessin2ep2.jpg| Prinzessin Shirin Abgar, Rose von Edessa


    Was für eine Enttäuschung! Viel zu schnell wurde der abscheuliche Römer bewusstlos. Und geschrien hatte er auch nicht. Verärgert schürzten sich die Lippen der holden Prinzessin. Hätte sie hier das Sagen, würde sie den Auspeitscher, diesen Stümper der die Schmerzen so schlecht dosiert hatte, gleich köpfen lassen! Aber leider hatte sie hier natürlich nicht das Sagen - und wieder einmal verspürte Prinzessin Shirin, nagend, wie eine Leere, hungrig, danach gierend gefüllt zu werden, den Mangel an Macht, der ihrem Geschlecht geschuldet war. Adrett zog ihre Hand den Schleier vors Gesicht, so dass niemand sah, wie sich ihre lieblichen Züge einen Moment lang zu einer garstigen Fratze des Zorns verzogen. Diese Römer hatten ihre Heimat verwüstet! Und der da hatte noch nicht ansatzweise genug gelitten!
    Doch sogleich glättete sich ihre Miene, legte sich eine höfische Maske lächelnder Contenance über ihren erbitterten Furor, als der Shah-in-Shah höchstselbst ihr die Gunst erwies das Wort an sie zu richten. Vor dem versammelten Hofe - welch eine Auszeichnung!


    Graziös erhob sich die junge Frau von ihrem Platz, die feinen Seidenschleier umflossen sie, umspielten ihre Gestalt, die schlank und biegsam war wie ein Bambusreis im Wind - jedenfalls war das ein beliebter Vergleich in den Gedichten, die so manch ein Bewunderer ihr zukommen liess. Wobei Shirin im heimischen Edessa mehr von diesen Oden und Lobpreisungen erhalten hatte, als hier in Assur. Dort war sie natürlich die unangefochtene Schönste gewesen, hier am Hofe des Grosskönigs war die Konkurrenz dagegen gewaltig. Und bösartig! Vor drei Tagen erst hatte man versucht ihr vergiftete Kosmetika unterzuschieben, aber sie war ja nicht von gestern und liess alles vor Gebrauch von einer treuen Dienerin testen (die seitdem von einem einem scheusslichen Ekzem entstellt wurde). Ja, so war eben Assur.
    Die vergoldeten, perfekt manikürten Fingernägel Shirins schimmerten leicht, als sie ihre schmale Hand sanft in die dargebotene des Grosskönigs legte. Eine Hand, die die Geschicke des gesamten parthischen Reiches lenkte.
    "Es ist mir eine Ehre und eine Freude, erhabener König der Könige", sprach sie würdevoll, und schritt sodann anmutig neben ihm einher. Ein Grossaufgebot von Palastwachen säumte ihren Weg, Teppiche bedeckten hier den Boden, auf dass der göttliche Fuss des Grosskönigs nicht mit dem profanen Pflaster der Strasse in Berührung kommen musste. Streng nach Rang- und Gunst-Stufe geordnet strömte eine Unmenge von Gefolge hinterdrein.


    "Erhabener König der Könige", liess sich Shirin schliesslich wieder vernehmen, "soeben, bei der Züchtigung dieses von Ahura Mazda verdammten römischen Schurken, kam mir eine Idee, schon beinahe eine Eingebung. Erlaubst Du mir, Vater des Volkes dessen Güte in ihrer Wärme und Fülle dem Strahlen der Sonne gleichkommt, Dir diese zu unterbreiten?"
    Shirin begnügte sich heute mit der kurzen Anredeform, da sie begierig war ihren Einfall mitzuteilen. Auf ein huldvolles Nicken des Herrschers hin fuhr sie fort:
    "Dieser... Mann - ich sollte wohl besser sagen dieses Geschmeiß - ist noch immer von unmässigem, geradezu lachhaftem Stolz erfüllt. Um diesen zu brechen, und um ihn vor den Augen Deinen treuen Volkes in all seiner Niedrigkeit zu entblössen, möchte ich Dir, wenn ich so vermessen sein darf," - ein Augenaufschlag, der einen Granitblock zum Schmelzen gebracht hätte begleitete diese Worte - "vorschlagen, den Gefangenen nackt und rückwärts auf einen räudigen Esel gebunden durch die Stadt führen zu lassen, und zwar von den niedersten Kurtisanen Assurs, und all dem Abschaum der Gosse obendrein, während sie ihn verlachen und verhöhnen."
    Ein liebliches Lächeln kräuselte die blutroten Lippen der belesenen Prinzessin, in ihren Augen blitzte es rachsüchtig.
    "Die Römer feiern doch sogenannte 'Triumphzüge' habe ich mir sagen lassen. Erhabener Osroes, König aller Könige - wäre das nicht ein schöner 'Triumphzug' für dieses verabscheuungswürdige... Geschmeiß?"

  • Man hatte für eine kleine Nachfeier, wenn man es so nennen wollte, im Palast einen Raum dekoriert und hergerichtet. Hierhin begaben sich der Shah in Shah sowie die Prinzessin und einige wenige geladene Gäste, allesamt einflussreiche Männer in Assur und der näheren Umgebung. Doch bis diese besonderen Gäste vorgelassen würden, sollte noch einige Zeit vergehen und so hatte die Prinzessin Zeit dem Großkönig ihren Vorschlag zu unterbreiten welchem er auch gedachte seine Aufmerksamkeit zu widmen. Nachdem sie darum gebeten hatte, diesen zu äußern, hatte er sie aufgefordert den Plan zu unterbreiten. Während ihrer Ausführungen wanderte seine rechte Augenbraue immer weiter in die Höhe und er musste, als sie am Ende angelangt war, etwas schlucken. Es war zweifelsohne eine schreckliche Strafe und sicher würde es auch den Stolz des Römers brechen, aber ob alle so kalten Herzens waren und nicht vielleicht gar Mitleid mit ihm denn mit dem armen Esel bekamen, das vermochte er nicht zu sagen und der Zweifel an der Wirkung dieser Vorgehensweise stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er musste jedoch seine Worte nun so wählen, dass sie den Stolz der Prinzessin nicht kränkten. Ein schweres Unterfangen, wie er nur zu gut wusste. Frauen waren da sehr empflindlich, sehr zu seinem Leidwesen. Auch machte es ihr Blick nicht wirklich leichter ihren Wunsch abzuschlagen. Nun war guter Rat wirklich teuer. Doch er wäre kein guter Shah in Shah wenn er nicht fast sofort einen eigenen Gegenvorschlag unterbreiten konnte, den sie einfach annehmen musste, konnte sie doch so ihren nur all zu deutlich spürbaren Hass ausleben.


    "Du bist richtig informiert. Die Römer feiern erfolgreich abgeschlossene Kämpfe mit einem solchen Triumphzug, wie sie ihn nennen. Dein Vorschlag ist zweifelsohne eine wirklich harte Strafe und würde sicher meinen Zuspruch finden, doch habe ich Bedenken, dass das Volk nach der Zurschaustellung heute, Mitleid mit dem Gefangenen bekäme und nicht nur mit dem armen Esel, der ihn durch die Straßen zu tragen hätte. Wir müssen etwas subtiler vorgehen, das Volk nur noch mäßig über die Vorgänge informieren. Er könnte durch seine Tapferkeit Sympathien geweckt haben."


    Diese Worte auszusprechen fielen ihm außergewöhnlich schwer, aber er hatte es schon ein ums andere Mal erlebt und wollte sich nicht um einen Aufstand oder gar Befreiungsaktionen kümmern müssen. Um ihren Unmut nicht zu erregen, hatte er in weiser Voraussicht sie mit in die Entscheidungsfindung für weitere Zusammenkünfte mit dem Römer gebeten. Sicher würde sie an kleinen Racheakten auch ihren Gefallen finden und seine Bedenken konnte man nur verstehen. Zumindest dachte er das.

  • Endlich wieder im Kerker angekommen dauerte es noch eine ganze Weile ehe Livianus wieder zu sich kam und langsam seine Augen öffnete. Er brauchte einige Zeit um sich zu orientieren und bewusst zu machen, wo er sich befand – zurück in seiner dunklen, feuchten und modrig riechenden Zelle. Man hatte ihn einfach gleich direkt nach der Türe auf den Boden geworfen und dort liegen gelassen. Den ersten gerüchlichen Eindrücken nach hatte man seinen Zwangsausflug auch gleich dazu genutzt um gerade einmal das notwendigste in dieser Zelle zu säubern und vor allem die Exkremente zu entfernen, die sich in den letzten Wochen in einer der Ecken angesammelt hatten.


    Zuerst war es Livianus noch nicht ganz bewusst was heute mit ihm geschehen war und erst als er versuchte sich zu erheben und plötzlich fürchterliche Schmerzen spürte die seine gesamten Körper durchzuckten, lösten sich die Nebelschwaden vor seinem geistigen Auge und er erinnerte sich an die entwürdigende und schmerzvolle Folter, die er heute über sich ergehen lassen musste. Doch was von seinen Erinnerungen war wirklich Real? Er hatte Bilder eines Platzes vor sich, einer tobenden und schreienden Menge, die in einer ihm kaum verständlichen Sprache ihre Flüche und Beschimpfungen entgegenbrüllten. Und dann dieses Gesicht. Dieser Mann, dessen ehrfurchtsvolle Gestallt sich plötzlich vor Livianus aufbaute und die Menge allein durch sein Erscheinen zum verstummen brachte. Dieser Mann musste der Shah in Shah oder zumindest ein großer Statthalter oder Anführer der Parther gewesen sein. Was hatte er gesagt? Livianus brauchte eine Weile um sich ungefähr an die Wortfetzen erinnern zu können, die er glaubte verstanden zu haben. Rom hatte sich zurückgezogen kam ihn als erster in den Sinn. An alles weitere konnte er sich im Moment noch nicht erinnern. Die Erinnerungen rissen abrupt ab und ließen den Decimer wieder in die dunkle und schreckliche Realität zurückfallen.


    Sein Rücken brannte noch immer wie Feuer und sein ganzer Körper war verklebt von seinem eigenen getrockneten Blut. Langsam und behutsam versuchte er sich aufzurappeln, stützte sich mit der einen Hand am Boden ab und versuchte mit der anderen sein Gleichgewicht zu halten. Jede noch so kleinste Bewegung ließ den einst so stolzen Legaten aufstöhnen. Er hatte oft Mühe seine Schmerzenschreie zu unterdrücken, die er am liebsten lauthals ausstoßen wollte und es kostete ihn das letzte seiner noch verbliebenen Kraft, bis er endlich in der Mitte der Zelle saß und sich langsam umsah. Er war wieder allein, wie auch schon zuvor und war aus tiefstem Herzen froh darüber, keinen seiner Feinde sehen oder weitere Qualen erleiden zu müssen. Vorsichtig und so langsam wie sich ein Mensch nur bewegen konnte, kroch er auf allen Vieren zu seiner mit Stroh bedeckten Schlafstelle und ließ sich dort langsam auf seinen Bauch sinken. Dieser Vorgang war derart Kräfteraubend für seinen Körper, dass er trotz der anhaltenden und furchtbaren Schmerzen nach kürzester Zeit ermattet einschlief.

  • Der Shah in Shah hatte die kurze Zeit, die ihnen allein geblieben war genossen. Es war ein Plan zu Stande gekommen, der die Gelüste der Prinzessin bediente und das Volk nicht auf die Seite des Gefangenen ziehen würde. Zufrieden mit sich lehnte er sich etwas zurück und trank auf das gute Gelingen mit Shirin. Ein wirklich sehr schön anzusehendes Mädchen, das er da beherbergen durfte.



    Leider schritt die Zeit zu rasch voran und ein Diener Osroes meldete die Ankunft der geladenen und wichtigen Gäste. Eine Runde, die kaum von den vielen voran gegangenen abwich. Es gab kaum neue wichtige Händler, junge aufstrebende Burschen in dieser Stadt. Zumindest nicht im Moment und so war die Zusammenkunft schon fast etwas familiär. Die Gäste wurden mit den erlesensten Speisen bedient. Obst in getrockneter, gebratener, kandierter oder eingelegter Form. Das Fleisch ebenso vielseitig zubereitet, Gemüse aus fernen Ländern importiert und das viel gerühmte Brot, das sein Koch zubereiten konnte, wurde auch gereicht. Dazu spielte Musik, tanzten Frauen und trugen so zur Unterhaltung der Gäste bei. Es wurde über dieses und jenes gesprochen und dieser und jener Vertrag geschlossen. Osroes konnte zufrieden sein, der Abend war wirklich gelungen in vielerlei Sicht.

  • In diesem dunklen und kalten Loch hatte Livianus jegliches Gefühl für Zeit verloren. Wie viel Zeit war seit seiner Gefangennahme vergangen? Wochen? Monate? Er wusste es nicht. Wie ein verwundetes und verängstigtes Tier kauerte auf dem Strohhaufen in der dunkelsten Ecke seiner Zelle, der ihm auch als Schlafplatz diente. Nur selten entfernte er sich von dieser Stelle und starrte die meiste Zeit, in der er nicht schlief, auf den hellen schmalen Lichtkegel in der Mitte des Raumes, der durch eine kleine Öffnung knapp unter der Decke herein viel und die einzige Lichtquelle in seiner Zelle war. Langsam strich seine Hand über die nur notdürftig verarzteten und teilweise bereits vernarbten Wunden, die sich überall auf seinem Körper abzeichneten. Zu den alten Kriegsnarben, waren viele neue und teilweise noch nicht verheilte Wunden hinzugekommen. Er hatte unendlich viel Qualen und Leid ertragen müssen, seit er in dieses Gefängnis gebracht worden war. Und diese trügerische Stille hier. Sie brachte ihm um den Verstand! Oft drang tagelang kein menschliches Wort an sein Ohr und er hörte lediglich hin und wieder leise Schritte am Gang. Ein Zeichen dafür, dass sein Essen gebracht wurde oder eine der Wachen ihren Rundgang absolvierte. An manchen Tagen waren die Schritte lauter, es öffnete sich plötzlich und ohne Vorwarnung die Türe zu seiner Zelle und mehrere Männer drängten in den kleinen Raum. Livianus wusste nur zu gut was es damit auf sich hatte und was dann passierte. Anfangs erschrak er noch wenn die massive Holztüre aufsprang und mit einem lauten Knall an die Wand krachte, er versuchte sich bei den ersten zwei, drei Malen sogar zu wehren, doch das alles hatte keinen Zweck. Irgendwann ergab er sich seinen Peinigern und ließ das Martyrium einfach über sich ergehen. Es waren seine Gefängniswärter, die mit Fäusten, Fußtritten und Stöcken auf ihn einprügelten. Sie fügten dem römischen Senator und Feldherren mit großer Freude Verletzungen zu, prügelten bis zur Bewusstlosigkeit auf ihn ein und ließen ihm danach von einem Arzt, dessen Methoden eher einem Fleischer ähnelten, wieder notdürftig zusammenflicken, um ihn Tage später erneut zu ihrer allgemeinen Belustigung zu schlagen und zu demütigen.


    Er hörte Schritte am Gang und merkte wie sein hungriger Magen knurrte. Das musste das Essen sein. Diese Schritte waren leise, ohne militärischen Takt und ohne Klimpern diverser Rüstungsteile. Er hoffte zumindest das er Recht hatte. Die Mahlzeiten kamen zweimal am Tag und waren irgendwo zwischen undefinierbar und ungenießbar. Doch der Hunger und sein Selbsterhaltungstrieb waren noch stärker und ließen Livianus jede Schüssel bis auf den letzten Tropfen ausschlecken. Manchmal gab es auch den ganzen Tag überhaupt nichts. Er wusste nicht, ob die Wachen absichtlich auf ihn vergaßen, oder ob es ihnen einfach nur schlichtweg egal war das er hungerte. An den Hunger hatte er sich mittlerweile gewöhnt. Doch heute kam er ihm das unangenehme Gefühl stärker vor als sonst. Bei der Türe rührte sich etwas und er sah verschrocken auf. Eine kleine, mit einer Holzplatte verschlossene Öffnung am unteren Ende der Türe öffnete sich und eine Schüssel wurde schwungvoll durchgeschoben. Dabei schwappte gut die Hälfte des Inhalts auf den dreckigen und verstaubten Zellenboden. Danach schloss sich die Klappe wieder und die Schritte entfernten sich. Livianus rappelte sich auf und kroch auf allen Vieren zu der Schüssel. Eine undefinierbare Brühe mit einigen Stücken Fleisch war zu erkennen. Der Decimer überlegte nicht lange sondern schnappte die Schüssel und schlang seine Mahlzeit so schnell er konnte hinunter. Seine Finger fuhren immer wieder in die Holzschüssel und schoben den Inhalt gierig in seinem Mund. Auch den letzte Rest kratzte sich Livianus zusammen und zwang ihn sich hinunter. Danach versuchte er auch das Verschüttete mit den Fingern so gut es ging aufzuheben und zu verzehren. Das ganze dauerte nur wenige Momente so gierig verschlang er seine Mahlzeit. Er stellte die Schüssel direkt an die verschlossene Türöffnung zurück und kroch wieder an seinen Schlafplatz. Sein Blick senkte sich und seine Augen starrten erneut auf den hellen Punkt, der sich am unteren Ende des Lichtkegels direkt auf den Zellenboden abzeichnete.


    Wie lange würde er diese Qualen noch über sich ergehen lassen müssen? Wo war sein Kaiser? Wo waren seine Legionen? Warum hatte der Feldzug dieses Gefängnis noch nicht erreicht? Warum hatten seine Männer ihn noch nicht befreit oder der Kaiser von den besiegten Parthern seine Freilassung erzwungen? Er erinnerte sich die Begegnung mit dem Shah in Shah, konnte aber nicht sagen, wie lange sie bereits zurück lag. Hatte er dabei nicht einige Wörter aufgeschnappt, die aussagten, dass sich die Legionen zurückgezogen hatten? Nein! Das konnte unmöglich sein! Sie waren bei seiner Gefangenname noch im Vorteil gewesen. Der Feldzug lief wie geplant und Iulianus würde sich keinesfalls zurückziehen oder von einem Rückschlag abhalten lassen, seine sich gesteckten Ziele auch weiterhin zu verfolgen. Und diese waren klar und deutlich gewesen – die Eroberung Parthias. Kein Zurück ehe der Sieg über diesen unterlegenen Gegner nicht bedingungslos errungen war. Doch plötzlich kam Angst in Livianus auf. Was wenn es wirklich der Wahrheit entsprach, was er gehört hatte? Was wenn sich der Kaiser und die Legionen zurückgezogen und ihn hier in der Hand des Feindes zurückgelassen hatten? Konnte es denn sein? Nein! Undenkbar! Seine Legionen, seine Offiziere, seine getreuen Soldaten, sein Kaiser, dem er jahrelang Treu und mit unbändiger Hingabe gedient hatte – sie würden ihren Feldherren nicht aufgeben oder gar im Feindesland zurücklassen. Das sah einem stolzen Soldaten nicht ähnlich. Das sah einem Römer nicht ähnlich! Sie würden bestimmt bereits einen Angriff zu seiner Rettung planen und vorbereiten. Es konnte sich nur noch um Tage handeln, dann war er frei. Sie würden ihm bestimmt nicht aufgeben – so wie er sich selbst nicht aufgab.

  • Hatra war eine von vielen Nachbarstädten, aber näher als andere. Osroes unterhielt mit ihr einige Handelsbeziehungen und nachdem die römischen Legionen nun das Land in Ruhe ließen, restlos abgezogen waren und die Schäden repariert waren, konnte er sich wieder seiner anderen Beschäftigungen als Herrscher widmen.
    Hatra verdiente hier seine besondere Aufmerksamkeit und insbesondere, Worod, der König dieser Stadt, bedurfte einer sehr umsorgenden Zuwendung.


    Er hatte den halben Hofstaat in Trab gebracht und fleißig packten nun die Diener und Sklaven alles für die Reise notwendige zusammen. Auf Wagen wurden Kleidung, Geschenke, Mitbringsel aus der Schlacht mit den Römern geladen und sollten mit Osroes den Weg nach Hatra finden.


    Auch im Gefängnisbereich herrschte auf einmal eine etwas andere Geschäftigkeit als sonst. Ein Wagen wurde vorgefahren. Hierin sollte der Römer mitgenommen werden. Ein Geschenk für Worod. Dieser würde sicher seinen Gefallen an ihm finden. Nachdem das Poltern des nahenden Wagens verstummt war, öffneten sich die Türen und seit langer Zeit auch die Zellentür Livianus. Nicht gerade sanft wurde er hinausgezerrt und in den Wagen befördert. Standen zäumten alle vier Seiten und ein flaches Dach verhinderte einen Ausbruch nach oben hinaus. Der Zug Osroes und der bewachte Wagen würden sich vor Assur treffen und dann gemeinsam weiter ziehen.


    Um die 50 km war als Entfernung zwischen Hatra und Assur zu überwinden. Ein Weg durch die Steppe, welcher über eine unbefestigte Strecke führte und aufgrund der Länge des Zuges mindestens 2 Tage in anspruch nehmen würde, wohl eher drei.

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