ARCHIV Redivivus Evander et Artorius Avitus

  • Vom Ianitor wurde Evander ins geräumige Atrium geführt. Während er wartete, dass der Artorier erschien und sich Zeit für ihn nahm, sah er sich ein wenig um. Rege Betriebsamkeit herrschte nicht. Hier und da huschten ein paar Sklaven, aus der Küche hörte man leise eine Unterhaltung und der Duft gebratenen Fleisches stieg ihm in die Nase. Evander merkte, dass er ein wenig hungrig war. Oder zumindest hatte der Duft seinen Appetit geweckt. Er sah zwei Stühle um einen kleinen runden Tisch aufgestellt und setzte sich hin, während sein Blick weiter durch's Atrium glitt. Jemand, der so residierte, war schon zu beneiden. Während Evander in einer unbequemen kleinen Insula wohnte - im ersten Stock zwar und mit fließendem Wasser, aber dennoch Welten von dem hier entfernt - und jeden Tag fürchten musste, dass nachts keine Räuber einstiegen, genoß man hier die relative Abgeschiedenheit inmitten des Trubels der Stadt. Seltbst der Lärm war nicht da. Geräusche der Strasse hörte man zwar, aber so, als ob sie aus der Ferne kamen. Ein schönes Heim, das ihn an das Haus seines Vaters in Tarraco erinnerte.

  • Avitus war im Begriff, das Haus zu verlassen und war in seinem Cubiculum gewesen, wo ihm die Toga angelegt wurde, die er über den Waffen trug, so wie es Sitte war, dass die Praetorianer dies so tun. Er hatte seinen überschaubaren Kreis an Klienten bereits empfangen und entlassen, als ihm gemeldet wurde, dass im Atrium jemand wäre, der ihn zu sprechen wünscht. Eigentlich hätte er am liebsten gesagt, man solle den Mann auf morgen vertrösten, aber da es um 'private Angelegenheiten' ging - er sollte den Sklaven einpaucken, etwas präzisere Angaben den Gästen zu entlocken - wollte er sich ein paar Minuten Zeit nehmen und hören, was der Gast zu sagen hatte. So betrat er mit einem kleinen Gefolge aus Dienern das Atrium und sah, dass der Gast bereits saß.
    "Salve. Wie ich sehe, hat es sich unser Gast bereits bequem gemacht"
    begrüßte er Evander und deutete mit einer Geste an, er solle - falls er es nicht ohnehin getan hätte - sitzen bleiben.
    "Ich bin Artorius Avitus. Du willst mich also sprechen"
    Avitus nahm Platz auf dem gegenüberstehenden Stuhl, während sich die Sklaven dezent zurückhielten und auf Befehle warteten.
    "Nun denn, Redivivus Evander..."
    der Name war ihm vom Ianitor mitgeteilt worden
    "... was hast du mir zu sagen?"

  • Evander wollte aufstehen, als der Artorier den Raum betrat, um ihn zu begrüßen, blieb aber überrascht sitzen, als dieser ihm dies mit einer dezenten Geste andeutete. Er musterte ihn kurz und kam schnell zum Schluss, dass er sich den Praetorianeroffizier irgendwie anders vorgestellt hatte. Dünn, großgewachsen, mit spitzer Nase, grauen Haaren, einer ekligen, krächzenden Stimme und einem Blick, der einem den Appetit verdarb. Der Mann aber, der ihm nun gegenüber saß, machte solchen Eindruck nicht. Im Gegenteil.
    "Ich war so frei, Herr"
    sagte er, als Avitus darauf anspielte, dass er sich hingesetzt hatte. Warum auch nicht.
    "Zunächst erlaube, dass ich mich kurz vorstelle. Ich bin sicher, mehr als meinen Namen kennst du nicht und es ist doch immer besser, wenn man weiß, wen man in den eigenen vier Wänden empfängt, nehme ich an. Ich selbst komme aus Tarraco und bin derzeit der architectus Italiae. Ich kenne sowohl deinen..."
    wie bezeichnete man nun den Sohn eines Vettern?
    "... ähm, Neffen, Artorius Nero, als auch seinen Vater, Artorius Imperiosus. Nero sammelte seine ersten Erfahrungen in der Verwaltung, als ich duumvir in Tarraco war. Seinen Vater habe ich im Legionskastell bei Mantua getroffen, als ich dort in offiziellen Angelegenheiten unterwegs war"
    So viel dazu.
    "Ich richte dir von beiden Grüße aus"

  • Überrascht, jemanden im Hause begrüßen zu können, der Imperiosus Sohn Nero kannte - persönlich kannte, wohlbemerkt; etwas, was Avitus nicht von sich behaupten konnte - lehnte sich der Artorier zurück und hörte sich interessiert an, was der junge Rediviver zu berichten hatte.
    "So... ich verstehe"
    kommentierte er das Gesagte.
    "Nun, Redivivus Evander. Ich muss mich bei dir bedanken, dass du mir de Grüße von meinem Vetter überbringst. Und von seinem Sohn. Doch ich nehme an, dass das nicht der einzige..."
    oder besser gesagt, der eigentliche
    "... Grund war, warum du mich aufsuchtest"
    In diesem Moment wurde der kleine runde Tisch gedeckt mit mehreren Schalen. In der ersten waren in handliche kleine Stückchen geschnittene Äpfel, die andere enthielt kleine Häppchen, überwiegend mit Meeresfrüchten belegte, zurechtgeschnittene Brote. Dazu wurde Wasser und Wein serviert und die Becher von den Sklaven gefüllt, wobei sie darauf achteten, den Wein anständig mit Wasser zu vermischen. Nicht zu viel, damit der Geschmack nicht verloren ging, aber auch nicht zu wenig, damit der Alkohol nicht zu schnell einsetzte. Avitus nahm eins von den Apfelstücken und deutete mit einer einladenden Geste an, dass sein Gast sich bedienen konnte. Er kaute langsam, blickte Evander nachdenklich an.
    "Du bist also als architectus Italiae tätig. Ein Verwandter von mir, Artorius Corvinus, hatte das Amt ebenfalls inne. Vielleicht kennst du ihn?"

  • Die Direktheit, mit der Artorier den Grund seines Besuches ansprach, überraschte Evander zunächst. Natürlich war er nicht einzig deswegen hergekommen.
    "Das ist richtig"
    war daher seine Antwort und ehe er weiter sprach, wurden ihnen Kleinigkeiten serviert und mit Freude stellte Evander fest, dass es sich um Meeresfrüchte handelte. Evander liebte alles, was aus dem Meer kam und griff daher zu.


    Bei der Frage nach der Bekanntschaft mit Artorius Corvinus schüttelte er leicht den Kopf.
    "Nein, ich kenne ihn nicht. Es hat sich zwar so ergeben, dass ich architectus wurde, als er noch im Amte war, aber so weit ich weiß, nahm er kurz danach Abschied aus dem Amt. Ich selbst verließ Rom und war eine Zeit lang in der Provinz unterwegs, wo ich übrigens auch deinen Vetter Imperiosus traf"
    Er nahm sich ein Häppchen.
    "Aber um nochmal auf deine Vermutung von eben zurückzukommen, Herr. Natürlich hast du Recht und ich bin nicht einzig deswegen hier. Ich will auch gar nicht um den heißen Brei herum reden und frei mit der Sprache herauskommen. Ich bin seit einer geraumen Zeit auf mich selbst gestellt, sozusagen. Also ohne einen Patron. Mein Vater ist nicht mehr am Leben und selbst wenn, so war auch er, so seltsam das nun klingen mag, ohne einen Patron. Im Gegensatz zu heutigen Zeiten scheint er aber ganz gut damit gefahren zu sein. Doch selbst wenn er einen gehabt hätte, so wäre dies für mich nicht bindend, da ich seit dem siebzehnten Jahr nicht mehr unter seiner patria potestas stand und sein Patron nicht auch meiner gewesen wäre..."
    Evander hielt kurz inne, denn er hatte irgendwie den Faden verloren. Er überlegte kurz.
    "Ähm..."
    Dann fiel es ihm wieder ein und er fuhr fort.
    "Nun, und ich bin, wie gesagt, ohne jemanden, der mir seine Unterstützung angedeihen lässt und im Gegenzug mit meiner rechnen kann"
    Bisher verschwieg er allerdings, dass er bereits einmal Klient von jemand gewesen war.

  • Corvinus kannte er, obwohl beide desselben Amtes walteten, also nicht. Wohl aber Nero und Imperiosus. Schon verrückt irgendwie.
    "Nun, es hätte ja sein können, dass dem so wäre"
    warf Avitus dazwischen, als Evander ein kurze Pause einlegte und sich ein Häppchen schnappte. Dann hörte er weiter zu. Eigentlich hatte er nicht die Lebensgeschichte des Redivivers hören wollen, unterbrach ihn jedoch auch nicht. Wenn er schon so viele Informationen bekam, so wies er sie gewiss nicht ab, da sie bestimmt helfen würden, sich ein Bild von diesem Mann zu machen. Zumal jetzt endlich klar wurde, worauf er abzielte.
    "Eine wirklich interessante Geschichte, Redivivus Evander"
    Ob das sarkastisch klang?
    "Was ich mich jedoch frage, ist... eben hast du erwähnt, dass du duumvir der Stadt Tarraco warst. Das muss nun eine ganze Weile her sein, so wie ich dich verstanden habe. Und du bist ziemlich jung"
    Das sagte doch einiges. Auf kaum älter als zwei Dekaden schätzte Avitus den Rediviver... so alt wie Severus heute sein würde.
    "Du hast es also geschafft, es ziemlich schnell zum Obersten einer wichtigen Stadt, immerhin einer Provinzhauptstadt, so weit ich weiß, zu bringen. Und bist nun architectus Italiae. Wie es aussieht, bist du bisher doch auch nicht schlecht ohne einen Patron gefahren..."

  • "Das stimmt nicht ganz. Ich hatte einen Patron"
    entgegnete Evander.
    "Einen ziemlich bekannten und einflußreichen sogar. Vielleicht kennst du ihn gar oder hast zumindest seinen Namen schon mal gehör. Flavius Furianus, der proconsul von Hispania. Du siehst also, ich verdanke meinen Aufsteig durchaus der Gunst eines Patrons. Aber nun stehe ich ohne da. Und das liegt nicht etwa daran, dass Flavius gestorben wäre oder wahnsinnig"
    Obwohl beim letzten war sich Evander gar nicht mal so sicher. Zumindest größenwahnsinnig werden die ganz ranghohen Senatoren wohl alle. Wer würde das nicht, wenn ihm eine ganze Provinz zur Verfügung gestellt wurde, die er - so er es geschickt anstellte - auch in heutigen Zeiten nutzen konnte, um eigenen Reichtum und Macht ungemein zu mehren.
    "Aber, wie soll ich das sagen... es gab Meinungsverschiedenheiten"

  • Aha, ein Flavier als Patron. Der Name Furianus war dem Artorier auch nicht unbekannt. Immerhin gehörte Avitus früher der Purpurea an.
    "Du kannst dir sicher denken, dass mich das etwas näher interessiert. Was meinst du damit, Meinungsverschiedenheiten?"
    sagte Avitus.
    "Erzähle mir davon, Redivivus Evander. Und sei gewarnt. Verschweige besser nichts, dichte aber auch nichts hinzu. Die Klientel ist eine wichtige Angelegenheit und es wäre schade, wenn ich, so ich deinem Ersuchen zustimmen sollte, später Ungereimtheiten in deiner Geschichte entdecken sollte"
    Ein mahnendes Wort zur Wahrheit an den Rediviver.
    "Doch sei unbesorgt. Die Wahrheit soll sich hier nicht unbedingt zu deinem Nachteil auswirken. Ich höre..."

  • Evander holte tief Luft.
    "Ich stand damals vor der Wahl. Entweder Klient des Statthalters werden oder aber die eigene Karriere so lange begraben, bis ein neuer käme. Ich entschied mich für's erste. Meine Familie hat einen gewissen Ruf in Tarraco und mein Vater war duumvir der Stadt so dass ich das Amt ziemlich schnell erreichen wollte. Was mir auch gelang"
    er nahm einen Schluck Wasser.
    "Diese... Meinungsverschiedenheiten waren, unter anderem, durch die etwas zu großzügige und sehr unsinnige Auszeichnungspolitik bedingt. Auszeichnungen wurden entwertet, indem man sie für nichts und wieder nichts verlieh und die curia, völlig in der Hand des Statthalters, verkam zu einem orientalischen Basar, wo die diplomae und inscriptiones gehandelt wurden wie billige Ware. Ich wollte und konnte nicht einfach Stimmvieh sein, habe aber auch nicht offen gegen meinen Patron stimmen wollen. Also entschied ich mich, mich zu enthalten. Da dies aber einem Auflehnen gleichkäme, täuschte ich stets einen Anflug von... Unwohlsein vor und verließ die curia. Das hat natürlich nicht gerade dazu beigetragen, die Stimmung zwischen mir und Furianus zu bessern"
    Evander überlegte kurz, trank einen Schluck Wasser und fuhr dann fort.
    "Ich entschied, dass es besser wäre, Tarraco für eine Weile zu verlassen. Ich bewarb mich beim Flottenpraefekt in Misenum um das Amt des architectus. Nach einem heftigen Streit, weil ich dies ohne seinen Segen tat, warf mich mein ab da ehemaliger Patron aus seinem Haus. Plötzlich war ich in Tarraco nicht mehr sicher und musste die Stadt schnellstmöglichst verlassen. Und das wurde natürlich dazu benutzt, um meinen Ruf in Tarraco zu schädigen... das wäre eigentlich alles, was an der Geschichte dran ist, Herr"

  • Geduldig und aufmerksam hörte Avitus dem Rediviver zu.
    "Wenn ich ehrlich bin, Redivivus Evander, so muss ich dir sagen, dass ich den Unmut des Flaviers durchaus verstehen kann. Du hast deinen Patron damals ungewarnst vor vollendete Tatsachen gestellt und ihn gezwungen, seine Pläne für dich, so er welche hatte, über den Haufen zu werfen. Das war nicht gerade ein rühmliches Verhalten"
    sagte er.
    "Sag mir doch bitte, warum ich sicher sein soll, dass du nicht morgen schon dasselbe mit mir machst und mich informierst, dass du plötzlich irgendwohin aufbrichst, nur weil dich ein Amt lockt?"

  • Nachdem das letzte Gespräch nicht zu Ende geführt werden konnte, weil Avitus "etwas wichtiges dazwischengekommen" war und er Evander bis auf weiteres vertrösten musste, beabsichtigte er, es zu Ende zu führen. Drum lud er den Rediviver an diesem späten Nachmittag wieder in sein Haus ein, um ihm die Gelegenheit zu geben, das zu sagen, was er schon beim ersten Gespräch hatte sagen wollen.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!