• Die Sema ist der Friedhof der ptolemäischen Könige.


    In der Mitte des Friedhofs liegt das Mausoleum Alexanders des Großen, ein gigantes makedonisches Hügelgrab, das durch einen Eingang in Form eines Tempelfrieses betretbar ist.


    Im Mausoleum befindet sich immer noch der Sarkophag Alexanders, welcher in Tradition der ägyptischen Pharaonen bestattet und mumfiziert wurde. Die alte Pracht des Mausoleums hat allerdings im Laufe der Zeit sehr gelitten. Grabräuber und Könige in finanzieller Krise haben die kostbarsten Grabbeigaben mittlerweile vollständig verschwinden lassen und der noch existente Rest wurde nach und nach von den römischen Kaisern nach Rom gebracht, um ihre Schatzkammern mit weiteren Kostbarkeiten zu bereichern, so zum Beispiel die Rüstung das Makedonenkönigs, welche sich heute im Palatin befindet.


    Auch der ursprüngliche Sarkophag aus purem Gold wurde von Ptolemäus IX. Lathyros eingeschmolzen und durch einen durchsichtigen aus Glas und Alabaster ersetzt, welcher heute noch zu sehen ist. Augustus brach dem König aus Versehen die Nase ab, als er das Grab besuchte.


    Trotzdem ist das Grab heute noch ein großes und wichtiges Heiligtum und ein beliebtes Ziel für Touristen.

  • Es fällt Timokrates ganz einfach, zur Sema zu finden. Schließlich braucht er nur dem Weg entlang gehen, den die meisten nehmen, vor allem die, die nicht so ausschauen, als würden sie von hier her kommen.


    Vor der Sema trübt sich aber seine Laune ein bisschen: Eine riesige Schlange wartet vor dem Mausoleum. Genau genommen kann man dieses noch gar nicht sehen, so lang ist sie. Timokrates stellt sich brav hinten an und wartet...


    Und wartet...


    Und wartet...

  • Die Schlange geht nur langsam voran und Timokrates ist fast am Ausrasten, denn zusätzlich muss er ausgerechnet zwischen einer römischen und einer makedonischen Großfamilie auf "Sommerfrische" stehen: Schlecht gekleidete, fette, schweißtriefende und von der ungewöhnten Sonne krebsrote Gestalten, die die gesamte Umgebung in hochgestochenen Phrasen voll von vielerlei Halbwissen "unterhalten". Zu seiner Linken bieten verhinderte Künstler wirklich scheußliche, kitschige Portraitmalereien ("Ein Bild mit Alexander!") an. Ein etwa 6 Jähriger Bengel steht gerade mit Zahnlückenbewehrtem Grinsen Modell, seine stolze Familie um ihn herum. Dazwischen ein müder und gelangweilter Alexander- Imitator auf einem Stein der einen trockenen Mohnkringel isst und sich mit einem Betelnusskauendem Iulianus- Imitator über das Befinden seiner alten Mutter unterhält. Kleine Ägypter bieten Erfrischungen (Wasser, Limonaden, Honiggebäck) oder billige Souvenirs (Spielzeugstreitwagen, Soldatenstatuetten) feil. Alles vollkommen überteuert versteht sich aber verlockend genug, um einige der Touristensprösslinge dazu zu animieren, mit atemberaubendem Geplärre ihre Eltern davon zu überzeugen, etwas zu kaufen. Timokrates ist zwar viel herum gekommen, aber er kann sich nicht erinnern, jemals in seinem Leben so viel Elend gesehen zu haben.

  • Die Schlange will und will einfach kein Ende nehmen! Mittlerweile hat sich aber eine weitere Fraktion von Geldverdienern zum Heer der Künstler und Verkäufer gesellt: Unseriös wirkende ältere Leute, die auf schlechtem Latein exklusive Führungen für "nur" 20 Sesterzen anbieten. Sie fuchteln mit angeblichen Zertifikaten herum, die eine Erlaubnis zum priviligierten Betreten des Grabes darstellen sollen. Und es gibt tatsächlich Idioten, die darauf reinfallen. Timokrates zumindest freut sich, als die nervige Familie vor ihm endlich die Reihe verlässt, um sich ordentlich über den Tisch ziehen zu lassen.


    Endlich steht Timokrates vor der Eintrittskasse. Auf einem Schild stehen in Koiné, Aramäisch und Latein (letztere beiden Sprachen alles andere als grammatikalisch fehlerfrei) die (gesalzenen) Eintrittspreise sowie der Hinweis auf allerlei andere Freizeitangebote in Alexandria, Tipps für Touristenrestaurants, Pharosbesichtigungen, Hafenkreuzfahrten, vom Preisniveau her ähnlich angemessen wie der Besuch der Sema.

    "I Obolos!" schnauzt die Kassenfrau, eine ältere Griechin. Timokrates zahlt und wird hinter die Mauer um den Friedhof geleitet. Zuerst möchte er sich den Rest des Friedhofs ein wenig anschauen, aber ein grimmiger Illyrer mit der Statur eines Ochsen weist ihn in die Schlange zur Sema zurück. "Schön in der Reihe bleiben!"


    Die Besucher werden gruppenweise abgefertigt. Jede Gruppe hat ca. 5 Minuten Aufenthalt im Grab, dann heißt es gehen und die nächste kommt herein. Endlich ist Timokrates Gruppe dran. Entnervt, aber dennoch irgendwie gespannt, steigt Timokrates die Stufen in das Hügelgrab hinunter.

  • Im Inneren des Hügelgrabes ist es angenehm kühl - nur ein penetranter Gestank nach Fäulniss erfüllt die von den vielen Besuchern verbrauchte Luft. Die Besucher gehen das Grabinnere nach einen vorgegebenem Weg ab. Die alten Grabbeigaben fehlen fast gänzlich, dafür sind die zahlreichen Abbildungen an den Wänden gut erhalten. Fast könnte man den Eindruck haben, sie wären erst vor kurzer Zeit nachträglich aufgemalt worden, denn es ist kaum vorstellbar, dass Ptolemaios I. solchen Stümpern den Auftrag gegeben hätte, das Innere des Grabes auszuschmücken.


    Endlich erreicht Timokrates das Grab: Um das Grab herum stehen tausende von Blumensträußen und der Kasten wurde so drappiert, dass dem Besucher das kitschige Bild eines friedlich ruhendem Toten präsentiert wird. Im gläsernen Sarkophag liegt eine Alles in Allem vertrocknete, vollkommen unspektakuläre Mumie. Er stutzt. Dieser Mann soll der Große Alexander sein? An der Mumie ist nichts Großes, Erhabenes zu erkennen. Nur eine alte, vertrocknete Gestalt in fauligen Binden, lieblos in einen Glaskasten gelegt und an einigen Stellen notdürftig repariert. (Die Nase, die Augustus abbrach, wurde zum Beispiel durch eine Holznase ersetzt).


    Nicht wirklich enttäuscht, denn er hatte eigentlich nichts anderes erwartet, beugt sich Timokrates vor, um sich den Bezwinger der Welt genauer anzusehen. Dabei wird er jedoch von einem Mann, der der Zwillingsbruder des Illyrers am Eingang hätte sein können, abgehalten. "Deine Zeit ist um. Geh weiter. Es wollen noch andere den König sehen."


    Verärgert geht Timokrates wieder nach draußen...


    Sim-Off:

    story inspired by a visit at the Lenin-Mausoleum in Moscow ;)

  • Die bröckelnde Pracht des Mausoleums des Alexanders war in den vorangegangenen Tagen mithilfe von frischem Putz und frischer Farbe aufgehübscht worden, außerdem waren einige andere Grabmähler von längst zu Staub zerfallenen Königen (auch von jenen, die der Stadt mehr Unglück als alles andere gebracht hatten) geputzt und poliert worden. Der Friedhof als solcher war mit Blumen und Girlanden geschmückt, der Altar vor dem Alexander-Mausoleum glänzte nun wieder, als sei er gerade erst errichtet worden.


    Wie ein bunter Fluß ergoß sich die Prozession zwischen die Gruftgebäude und Gedenksteine, zwischen die Statuen und die Altäre der Stadt der toten Könige . Viel zu klein war der Friedhof eigentlich für die Menge an Menschen, die alle einen möglichst guten Platz auf das noch stattfindende Spektakel erheischen wollten. Einige - welche Respektlosigkeit!- steigen sogar auf Grabmähler, um von dort aus eine bessere Sicht auf den Platz vor dem alles überragenden Mausoleum zu erhalten. Dies bemerkte der Gymnasiarchos freilich nur aus den Augenwinkeln, denn er hatte in diesem Moment anderes zu tun. Zusammen mit dem Agoranomos, dessen Helfern und den Priestern und Opferhelfern der anderen städtischen Tempel schritt er an den Altar, nachdem seine Epheben und bezahlte Helfer die Menge vor ihnen entzwei geteilt und auseinander getrieben hatten.


    Der Singsang der Priester, in den Nikolaos nur ab und an eher murmelnd eingefallen war, schwoll nun an. Die Menge schien in eine fast hysterische Ausgelassenheit verfallen zu sein. Schmatzend (und Süßigkeiten kauend) standen einige dar und glotzen, andere riefen den göttlichen Alexander an und baten um seinen Segen für sich, ihre Familie und natürlich auch ihre Geschäfte.


    Als die Priester mit den Ehrengästen den Altar erreicht hatten, wurde es, zwar nicht schlagartig sondern eher zögerlich, doch immerhin ruhiger. Mit Spannung verfolgten die Bürger das beginnende Schauspiel. Ein Opferhelfer besprengte den Altar mit Wein, ein anderer ließ Kräuter und anderes Räucherwerk in einer Bronzelampe verbrennen und blies den dichten, stechenden Rauch über die Marmorplatte des Altars hinweg und den Priestern in die Augen. Nikolaos musste sich zusammennehmen, um nicht zu niesen.

  • Kaum das sie den Friedhof der Könige erreicht hatten schlug die Unordnung über ihnen zusammen, das konnte Cleonymus natürlich nicht dulden ...


    "Kleios .. zu mir! Holt mir diese verlausten von den Gedenksteinen runter werft sie zu Boden und schleift sie vor den Friedhof damit sie erkennen das sich ihre Sicht nicht auf Kosten der Ahnen verbessern lässt!
    Und ihr anderen erichtet einen Schutzkreis um den Altar!"


    Kaum das Cleonymus seine Befehle gebrüllt hatte wurden sie auch schon umgesetzt, Stadtwachen zogen Männer und Knaben von den Gedenksteinen und zerrten sie nach draussen, sofort waren andere Menschen auf die freien Plätze nachgerutscht und die "Übeltäter" mussten draussen warten. Der Schutzkreis dauerte einen Moment doch 16 bewaffnete Stadtwächter liessen nicht mit sich streiten und schon nach wenigen Minuten verfügten die Ehrengäste wieder über ausreichend Atemluft ...

  • Nachdem der Strategos mit seine Männern für eine würdevolle Umgebung gesorgt hatte, konnte das Opfer beginnen. Nach einem kurzen Schlag mit dem Opferhammer auf den Schädel des Tieres und einer pathetisch langen Untersuchung der Innereien, nach einer weiteren Ansprache des Gymnasiarchos und einigen Hoch-Rufen auf den Stadtheros, dann auf den Basileus in Rom und schließlich auf seinen Stellvertreter in Alexandria, nach einem etwas unweihevollen Gedränge am Ausgang der Basileia, zerstreute sich die Festgemeinde. Die Bürger gingen in ihre Häuser zurück, um sich von diesem langen, aufreibenden Festtag zu erholen, oder in die Häuser ihrer Freunde, um das Fest im Privaten fortzusetzen.
    Nikolaos ließ von seinem Epheben seine Parteigänger, denen die jungen Männer teilweise hinterherlaufen mussten, an das Gastmahlauf seinem Landgut zu erinnern und verließ dann, in einem leichten Reisewagen, die Stadt.

  • War Alexandreia eine Stadt, welche Besucher ohne Zahl schlichtweg absorbierte, so repräsentierte die Sema gleichsam einen Abfluss jener unbändigen Strudels: Beständig wartete eine lange Schlange von Touristen vor dem Portal in Form eines Tempelfries, um den findigen Kontrolleuren einige Drachmen zu reichen und endlich ins innere jenes gewaltigen Tumulus und zur Grabstätte des Heros des Polis zu gelangen. Selbst die jungen Myrmidonen, namentlich Manius Flavius, Anaximander, Patrokolos und Epimenides, vermochten weder durch Sporteln für die Kontrolleure, noch durch ennuyiertes Protestieren einen privilegierten Platz zu ergattern, sondern waren gezwungen, wie jeder andere geduldig das Voranschreiten jener Schlange zu erwarten.
    "Mir scheint er nicht größer denn das Mausoleum des Augustus."
    , kommentierte der junge Flavius den Blick auf das imposante Grabmal, welches in der Tat ihn an die römisch-etruskischen Totenstätten gewahrte. Erstmalig wurde er heute des Alexandergrabes ansichtig, obschon er bereits so lange in der Stadt jenes Feldherrn weilte und dieser Ort zweifelsohne zu den populärsten Monumenten zählte, denen selbst die Cäsaren, angefangen bei Divus Iulius bis hin zu Divus Traianus, stets ihre Aufwartung gemacht hatten. Doch wie gewöhnlich war jenes, was stets vor Augen stand, auch stets als prokrastinabel ästimiert worden, bis endlich im Hause des Dionysios bei Opium und Wein die Rede darauf war gekommen und man den Plan hatte gefasst, gemeinsam diese heilige Stätte zu visitieren. Indessen hatten Dionysios und manch andere, welche kurzweilige Geschichten der großen Historie vorzogen, zuletzt doch gekniffen und letztlich war jene überaus übersichtliche Gemeinschaft aufgebrochen, welche nunmehr in der sengenden ägyptischen Sonne zwischen parfümierten Hellenen und extravagant duftenden Babyloniern brieten und sich den Schweiß von der Stirne tupften.
    "Du wirst doch nicht Sebastos mit dem großen Alexander vergleichen wollen, Achilleus!"
    , erwiderte endlich Anaximander mit einem spöttischen Lächeln.
    "Dies ist der größte Feldherr aller Zeiten!"
    "Nun, genau genommen mag Sebastos der einzige sein, welcher Alexander in irgendeiner Weise gleichkam, würde ich sagen."
    , warf Epimenides ein und setzte eine gravitätische Miene auf, woraufhin Anaximander einen despektierlichen Gestus präsentierte und konfirmierte:
    "Wie auch immer, Alexander ist auf jeden Fall unvergleichlich."
    Um einem Zwist ob der Relation zwischen Divus Augustus und dem göttlichen Alexander hinsichtlich ihrer Heroizität zu umschiffen, beschied Manius Minor endlich, das Sujet zu ändern und fragte ob dessen:
    "Besuchtet ihr bereits häufiger dies Grabmahl?"
    "Ich war schon zweimal hier. Nach meiner Ankunft und mit meinem Onkel im letzten Jahr."
    , erwiderte Anaximander, während Epimenides hochmütig den Kopf in den Nacken warf und verkündete:
    "Ich bin ein Schüler des Epikur! Ich hatte bisher keinen Anlass, diesen Hort des Aberglaubens zu besuchen."
    "Und warum bist du dann jetzt hier?"
    , gab Anaximander zurück, was indessen lediglich ein Schulterzucken evozierte.
    "Neugier."
    Hierauf entstand neuerlich eine Pause, welche der junge Flavius nutzte, auf der altehrwürdigen Sema um sich zu blicken. Obschon er außerstande sich sah, die Ornamente am Gewande seines Vordermannes zu identifizieren, so erwiesen sich die Dimensionen jener Grabstatt doch als suffizient, um ihm von seiner Position die bescheideneren, doch nicht minder imposanten Ruhestätten der ptolemaiischen Pharaonen in formidabler Qualität zu inspizieren. Auch hier erkannte er rasch Similitäten zur Praxis der Cäsaren seiner Heimat, die Anschluss erstrebten an die Heroen ihrer Geschlechter, seien es Divus Augustus, Divus Traianus oder Iulianus, dessen Monument erst kürzlich war vollendet worden. Ehe er indessen zu einem Kommentar jener Beobachtungen gelangte, war er aufs Neue genötigt, sich den Schweiß, welcher nicht nur sein Antlitz überschwemmte, sondern ebenso die originell leichten Stoffbahnen, die seinen adipösen Leib umschmeichelten, nass und klebrig machte, von der Stirne zu wischen und sodann seine Tunica ein wenig aufzuschütteln.
    "Warm, was?"
    , konstatierte Anaximander das Augenscheinliche, um sodann in unverbindlichem Tonfall zu ergänzen:
    "Ein wenig mehr Gymnasion würde dir nicht zum Schaden gereichen, mein lieber Achilleus!"
    Mit diesem Kommentar hatte der junge Hellene zweifellos die Achillesferse des jungen Flavius punktiert, jedoch anstatt seinem populären Namensgeber gleich getroffen zu Boden zu sinken, errötete er, was den beiden Myrmidonen ob seiner ohnehin von der Sonne temperierten und in hitziges Rot gefärbten Antlitzes mochte entgehen, während indessen das beschämte Schweigen, verbunden mit einer Mimik zwischen von Degout und Desillusion keineswegs war zu übersehen. Manius Minor kniff die Augen zusammen und fixierte trutzig das Gesicht seines Mentoren, so als wolle er seine Fehlsicht überlisten, um zu belegen, dass die beiden signifikant wohlgestalteren Jünglinge in ebensolchem Maße unter Helios' Feuer laborierten wie er selbst, was ihm selbstredend misslang, zumal ihm ohnehin seine Divergenz zum strahlenden Achilleus, dessen Wohlgestalt ihn beinahe dem Adonis gleichkommen ließ, wohlbewusst war und er ohne den Gleichmut evozierenden Genuss von Opium oder Wein ein jedes Mal, wenn er sich seiner Hüllen entledigte, selbst in der Einsamkeit jene Befangenheit verspürte, welche das Bewusstsein der eigenen Missgestalt evozierte. Doch was mochte er auch tun, da doch jedwede sportliche Betätigung ihm inimaginables Mühsal bereitete, während der Genuss fetter Speisen über Jahre seine einzige Freude war gewesen? War dies nicht den misslichen Umstände anzulasten, in welche die grausamen Parzen ihn mit dem Bürgerkrieg, der paternalen Entfremdung, sodann dem Verlust der Mutter und endlich seiner Schwester hatten gestoßen? Wer vermochte in derart miserabler Lage ihm die Freiheit, sich angesichts jener familialen Defekte der Lust jener kulinarischen Pretiosen missgönnen?
    "Kein Grund zur Trauer, Achilleus. Sieh, dort drüben liegen die Überreste von Ptolemaios VIII., dem wohl fettesten König aller Zeiten! Die rhomäischen Gesandten waren dem Volksmund nach regelrecht verstört, als sie zur Audienz vor ihm standen! Gegen ihn bist du geradezu mager!"
    Das Lächeln Anaximanders entging dem flavischen Jüngling, doch selbst dies hätte ihn wohl kaum bewogen, die Konfrontation seiner mit jenem 'wohl fettesten König aller Zeiten' als kalmierend zu ästimieren. Mit einem Male erschien ihm jene vermeintliche Gleichmut gegen alles und jeden, welche im Hause des Dionysios ward gepflegt, als eine schändliche Fassade, hinter welcher nun Anaximanders wahre Fratze, die den gemeinen Spöttern, deren hinter seinem Rücken verbalisierte Verhöhnung seiner barocken Figur ihm dank seines geschärften Gehörs mitnichten entgingen, in nichts nachstand.
    "Nun, das Gymnasion bereitet mir keinerlei Lust, konträr zu exquisiten Speisen."
    , parierte er final mit einem Rekurs auf die Weisheit ihres vielgeschätzten Lehrmeisters.
    "Dies ist aber eine überaus kurzsichtige Interpretation, Achilleus: Es ist nicht möglich, lustvoll zu leben, ohne vernünftig, anständig und gerecht zu leben, und auch nicht vernünftig, anständig und gerecht, ohne lustvoll zu leben. Wem dies aber nicht möglich ist, der kann auch nicht lustvoll leben. Mir scheint es wenig vernünftig, den Sport zu meiden und übermäßig zu essen. Denk an das Leid, das dir dein Übergewicht auf lange Sicht bereiten wird!"
    , intervenierte nun auch Epimenides, deplorablerweise aufseiten des Kritikers. Doch Anaximander schien zur Einsicht der Müßigkeit jener Ratschläge gelangt zu sein, denn kapitulierend hob er die Hände und erklärte:
    "Es ist deine Entscheidung. Vergiss mein Geschwätz. Ich wollte dir nicht zu nahe treten."

  • Damit verharrten die Jünglinge in Schweigen, welches sich schier ins Infinite erstreckte, während sie dem Portal entgegenstrebten und schlussendlich in die stickige Gruft gelangten, in deren Mitte, erhellt vom Schein zahlloser Lampen, der gläserne Sarkophag des größten Heroen, welcher jemals das Licht der Welt hatte erblickt, massig dem Raum dominierte. Gierig drängten sich die Massen um die erhöht postierte Vitrine, sodass lediglich die Autorität mehrerer Tempeldiener garantierte, dass jeder einen Blick auf die Mumie konnte erhaschen, während selbige zugleich in singsanghafter Weise, doch angesichts des beständigen Schwatzens und erfurchtvoller Laute vergebens, zur Ruhe gemahnten. Überaus unerquicklich erwies sich jene Situation für den jungen Flavius, welchem es aus der Distanz ob der vor ihm sich tummelndenTouristen, die dank seiner bescheidenen Körpergröße zu überblicken er außerstande war, aus der Nähe hingegen ob seiner Fehlsicht verwehrt blieb, ein scharfes Bild von jenem Vorbild aller Caesaren zu erhaschen. Im bescheidenen Licht der Lappen vermochte er so lediglich einen bräunlichen Schemen auszumachen, welcher augenscheinlich mit einem güldenen Kopfputz war geschmückt und in edle Gewänder gehüllt.
    "Ich dachte, er sei noch so jung gewesen zu seinem Tod."
    , kommentierte indessen Anaximander von hinten, woraufhin sogleich die belehrende Stimme Epimenides' zu vernehmen war:
    "Er würde natürlich mumifiziert, sonst hätten wir heute zweifellos nur Knochen zu sehen."
    "Das scheint ihm ja nicht bekommen zu sein. Ganz verschrumpelt ist er."
    Vorwitz ergriff Manius Minor, der zu gerne selbst erfasst hätte, wovon die anderen lediglich sprachen. Zumindest fuhr Epimenides jedoch mit weiteren Details fort, welche ihm eine Imagination gestatteten, wie sich der Stadtheros erhalten hatte:
    "Und die Nase ist ebenfalls abgebrochen. Das Werk deines großen Divus Augustus, Achilleus!"
    Dies nun zu erdenken lag außerhalb der Kapazitäten des rhomäischen Jünglings, denn obschon er unter den Bettlern Roms auch solche hatte erblickt, denen diverse Gliedmaßen, darunter auch Nasen, abgingen, so ergab die Kombination einer fehlenden Nase mit einem verschrumpelten und vertrockneten Antlitz lediglich das obskure Bild eines Totenschädels, was indessen augenscheinlich mit der Narration kollidierte, welche ja eben eine Differenz zwischen Mumie und Schädel hatte postuliert.
    "Nun, wie Demokrit schon sagte: Alles zerfällt, selbst eine Mumie."
    "Der Tod hat keine Bedeutung für uns; denn was sich aufgelöst hat, empfindet nichts."
    , rezitierte Epimenides wie gewohnt eine Sentenz Epikurs zu jenem Sujet, als der Tempelwächter die drei Jünglinge auch bereits beiseite schob, um weiteren Pilgern einen Blick auf den Leichnam zu ermöglichen.


    "Wie schade. Zu gern hätte ich noch ein bisschen länger die Präsenz dieses Heroen genossen."
    , klagte Anaximander, was der junge Flavius im Geiste zu konfirmieren nicht umgehen konnte, denn obschon der visuelle Eindruck Klarität hatte missen lassen, so hatte der Blick selbst doch eine mystische Komponente, ja einen Spiritus Loci aufgewiesen, welchen kaum er zu deskribieren imstande war. Dieser Gedanke indessen erweckte in ihm ein Anliegen, das wiederum er sofortig verbalisierte:
    "Deplorablerweise vermochte ich nicht, ihn scharf zu erkennen. Wäre es possibel, ihn mir beschreiben?"
    "Selbstverständlich, Achilleus! Wir hatten ganz vergessen..."
    Selbstredend war es den Myrmidonen nicht entgangen, dass einer der ihren ein gewisses Defizit in der Sehkraft aufwies, was der Jüngling ihnen dessenungeachtet sofortig hatte offenbart, nachdem man die Mängel und Laster der einzelnen in jenem Kreise ohnehin mit heiterer Nachsicht betrachtete und dies somit keine allzu schmachvolle Konfession hatte repräsentiert.
    "Nun, er ist nicht größer als ich, würde ich sagen. Braune Haut, alles recht trocken. Verschlossene Augen. Auf dem Kopf ist ein Diadem. Sein Körper ist in ein purpurnes Gewand gehüllt mit einem goldenen Gürtel. Die Arme sind gekreuzt auf der Brust, am Finger trägt er einen goldene Ring. Sonst sieht er aus wie... nun, wie ein Toter eben."
    "Und die Nase ist abgebrochen, sodass er ein hässliches Loch in der Mitte des Gesichtes hat."
    , addierte Epimenides und hob altklug den Finger.
    "Und dies ist das Werk von Divus Augustus?"
    , fragte Manius Minor ungläubig nach, dem jene Episode mitnichten bekannt war.
    "Ja, als er hier war, wollte er natürlich Alexander sehen und hat den Sarkophag öffnen lassen. Dabei ist er ihm offenbar ein wenig zu nahe gekommen. Wie übrigens die meisten rhomäischen Basileu, die sich auch diverse Andenken aus Alexanders Grabkammer mit nach Rom genommen haben. Nero beispielsweise die Rüstung."
    Er ließ ein amüsiertes Kichern vernehmen.
    "Und wiederum zeigt sich, dass Prominenz selbst nach dem Tod noch zu Schmerz und Gefahr führen kann. Wenn auch die Sicherheit vor den Menschen bis zu einem gewissen Grad auf der Grundlage einer festgefügten Macht und auf der Grundlage guter wirtschaftlicher Verhältnisse gewährleistet ist, so erwächst doch die deutlichste Sicherheit aus der Ruhe und dem Rückzug vor den Leuten.
    Obwohl es Alexander natürlich herzlich egal sein kann, was mit seinem Leichnam passiert, da sein Geist ja ohnehin vor mehreren Jahrhunderten in seine Atome zerfallen ist."

    Jene überaus scharfsinnige Beobachtung stimmte Manius Minor besinnungsvoll, denn es war absolut wahr, dass der große Alexander ebenso war zu Tode gekommen wie die betrauernswerten Kreaturen der Subura. Obschon er Heldentaten hatte vollbracht, so war er doch weder mit hohem Alter, noch mit einem erquicklichen Sterben gesegnet worden, sondern womöglich ob jener Taten, welche zweifelsohne den Neid seiner Mitstreiter und Feinde hatte evoziert, vergiftet worden. Obschon er von besten Anlagen war gewesen und Aristoteles selbst als Lehrer hatte genossen, so war sein Leben voll Unrast und horribler Gefahren gewesen, anstatt sich der Jagd nach der Eudaimonie zu widmen. Obschon seine Leidenschaft die Kriegskunst war gewesen, so war er doch gleich einem Weibe im Bett verstorben. Obschon er mit herkulischer Mühe ein Imperium hatte errichtet, das in der Historie ohne Beispiel war, so war all das doch nach seinem Tode sogleich zu Asche zerfallen, wofür jener Leichnam, der eifersüchtig gehütet und doch entführt worden war, beredtes Zeugnis gab.
    Letztlich war zu konzedieren, dass Epikurs Worte selbst im Angesicht Alexanders, welchen jeder stets voll Ehrfurcht als "den Großen" titulierte, die Wahrheit mochten sein. Was nützten Ruhm, Macht und Einfluss, wenn man mehr Leid als Freud von ihnen derivierte?
    Mit größter Bestimmtheit deklarierte er jene Visite somit für beendet:
    "Am Ende doch ein Mensch wie wir. Lasst uns gehen."

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