[Übungen] L'Artorius Avitus

  • Der Tag war recht fortgeschritten. Kalt war es. Nachdem er seine Einheit den lieben langen Tag auf dem Campus gescheucht und gefordert hatte, nachdem er sie anschließend in die Castra zurückgeschickt hatte, widmete sich Avitus seinem eigenen Training. Es war eine Sache, stets nur Befehle zu erteilen. Eine andere, selbst zu handeln. Und der Artorier war kein Mann, der von seinen Soldaten etwas zu fordern gedachte, was er nicht auch er selbst würde auf sich nehmen können.


    Avitus pflegte stets in voller Rüstung auf dem Campus zu erscheinen. Sonst war dies ein eher ungewöhnliches Bild eines Centurio auf dem Campus, nahmen doch viele von ihnen ihre Rüstung und Helm ab. Bequemlichkeit. Als derzeit ranghöchster Offizier seiner Kohorte hatte er den anderen drei Centurionen einfach verboten, ohne die volle Rüstung auf dem Exerzierplatz zu erscheinen. Wenn seine Legionäre es Tag für Tag aushielten, in voller Montur zu trainieren, forderte er nicht weniger von sich und den anderen Centurionen. Zumindest von denen, denen er wenigstens etwas zu sagen hatte.


    So kam es, dass er nun auf dem Platz stand, ein Scutum und ein Pilum haltend, angezogen in volle Uniform, samt Helm, den Beinschienen und dem Umhang. Hinter ihm stand der Sklave Commodus mit sieben weiteren Pila. Allesamt echte, scharfe und tödliche Waffen, denn die Zeit, in der Asvitus mit den stumpfen Holzstöcken, die nach Schwert und Pilum aussahen, trainierte, lagen länsgt hinter ihm.
    Ursprünglich hatte Avitus den Sklaven erneut nach Germania schicken wollen, entschied dann aber, dass es im Winter einfach zu gefährlich wäre, den Mann alleine nur wegen eines Schreibens gen Norden zu schicken. Er war viel nützlicher, wenn er hier blieb und ihm Dienste leistete. Mittlerweile konnte Commodus sogar ein recht ordentliches Essen zubereiten, was ihn immer unentbehrlicher machte.


    In einiger Entfernung, Avitus schätzte sie auf 18 passus - und lag damit nicht falsch - stand sein Gegner, sein Ziel in Form eines dicken und mannhohen Holzpfahles. Avitus Gesichtsausdruck blieb unverändert, als der kalte Wind von nun auf jetzt auffrischte, ihm den Umhang zu entreißen suchte, daran mit seiner mächtigen Kraft zerrte und diesen wild flattern ließ. Er spürte den Wind, wie er gegen die crista transversa drückte, gegen seinen Scutum, wie er sich ihm frontal entgegenzustellen suchte. Es würde mehr Kraft erfordern, gegen den Wind zu werfen.


    Wie gewohnt, rief er die passenden Befehle. Einerseits war es so leichter, sich vorzustellen, er sei an der Spitze seiner Centurie, der er den Befehl zu einer Pilasalve gab. Andererseits, damit sich Commodus die Befehle einprägte. Seine tiefe, rauhe Stimme kämpfte gegen den Wind an.
    "Pila sursum... tollite pila... mittite"
    Er warf. Mit einer langsamen Drehung um die eigene Längsachse bohrte sich das Pilum in den Wind, der sich ihm entgegenstellte, es von seiner Bahn abzulenken suchte. Und Avitus beobachtete den Flug des Speers. Und als dieses den Zenit seiner Flugbahn erreich hatte, wusste er, dass der Wurf ein unglücklicher sein würde. Er hatte das Pilum in seinem Soldatenleben oft genug geworfen, um sofort zu erkennen, ob es sein Ziel treffen würde oder nicht. Zwar kam es bei einer Salve, die von einer ganzen Centurie oder Kohorte abgegeben würde, nicht auf Genauigkeit eines einzelnen Wurfs an, aber darum ging es dem Artorier auch gar nicht. Ganz egal, ob es drauf ankam oder nicht, er wollte sein Pilum zielgenau werfen.


    Denn immer wieder hatte Avitus Träume wie damals jenen in Germania. Träume, in denen er sah, wie er durch das Schwert, geführt von des Feindes Hand, starb. Alleine starb, zurückgelassen in den dunklen Wäldern Germanias, aufgefressen von den Wölfen und anderen Aasfressern. Avitus wusste, dass diese Träume Ausdruck seiner unterdrückten Angst waren. Jener Angst, die er hatte, aber nicht wahr haben wollte, als er nach Germania ging. Jene Angst, die in diesen Alpträumen, die er zuweilen hatte, zu Tage kam und ihm klar vor Augen führte, dass er sterblich war. Jene Angst, die ihn sogar bis heute noch verfolgte... Doch wenn er hier stand, auf dem Campus, mit dem Scutum in der einen und einem Pilum in der anderen Hand, dann stellte er sich dieser Angst. Und er wusste, er war kein Held und würde wahrscheinlich nie einer sein können. Helden haben nuneinmal keine Angst vor dem Tod. Aber er wusste auch, er war Mann genug, Soldat genug, Römer genug, Artorier genug... um sich seiner Anngst zu stellen. Um ihr gegenüberzutreten und ihr ein Pilum entgegenzuschleudern, auf dem er vorher ein "roma victrix" eingeritzt hatte. Wenn er auf dem Schlachtfeld stehen würde, den Feind in Wurfreichweite, dann wollte Avitus sicher gehen, dass derjenige, den er sich ausgesucht hatte, derjenige, der das Pech haben sollte, ihm warum auch immer aufzufallen, durch das kalte Metall der Klinge seines Pilums durchbohrt sein würde. Dann, wenn der andere tot sein würde, der andere und nicht er, Avitus, würde er diese Angst wohl endgültig besiegt haben. Aber bis dahin - und nur die Götter wussten, ob es überhaupt je dazu kam - musste er trainieren.


    Noch ehe das Pilum, welches er eben geworfen hatte, aufschlug, streckte er den Arm aus, um nachdem nächsten zu verlangen.
    "Pilum"
    Im nächsten Augenblick Augenblick schlug das Pilum in den Holzpfahl ein. Die Spitze bohrte sich in das alte, kaltgewordene Holz mit einem dumpfen Geräusch. Sie traf hart, so dass Splitter flogen und die Klinge des Pilum verbog sich. Doch sie traf zu tief, kaum einen Fuß über dem Boden.


    Avitus warf erneut, nachdem er das Speer in seiner Hand spürte. Diesmal fester, mit zusammengebissenen Zähnen, jedoch nach wie vor stillschweigend. Ohne das Gestöhne, dass so mancher Mann vo sich gibt, wenn er Anstrengung zu erdulden hat. Und auch dieses Mal sauste das Pilum dahin, schnitt die Luft und... flog an dem Pfahl vorbei. Doch der Artorier ließ sich nicht entmutigen. Längst hielt er das dritte Pilum in der Hand, das er sogleich auf den Weg schickte. Und noch ehe es in den Pfahl aufschlug, warf er erneut...


    Am Ende der Salve steckten sechs der acht Pila im Pfahl. Eines flog gänzlich daneben, das andere hatte ihn nur gestreift und bohrte sich in die kalte Erde des Exerzierplatzes. Avitus atmete tief durch.
    "Commodus, hol die Pila"
    sagte er leise.
    "Und befestige irgendetwas auf der Höhe, wo das Gesicht eines Mannes sein sollte"

  • So hatte er seinen Herrn noch nicht erlebt. Commodus musste sich - wenn auch mit einem gewissen Maß an Widerwillen - eingestehen, dass er überrascht war, als er sah, wie präzise Artorius die Speere warf. Zwar gingen zwei daneben und er konnte am Gesichtsausdruck erkennen, wie sehr das an seinem Herrn nagte. Aber die anderen trafen ihre Ziele. Commodus malte sich aus, was wohl mit einem Mann geschehen würde, den das Schicksal in die Flugbahn eines von einem Römer geworfenen Pilum gelenkt haben würde. Kaum auszumalen, welch grausige Verletzungen derjenige davontragen würde.


    Commodus hatte ihm die Pila gereicht. Schnell und wortlos, um seinen Herrn nicht bei der Konzentration zu stören. Andererseits - schoss ihm dann der Gedanke durch den Kopf - würde er in einem Gefecht kaum die Ruhe finden, die er hier hatte. Commodus fragte sich, wie sich der Artorier dann wohl schlagen würde und wie viele seiner Pila daneben gehen würden. Seine anfängliche Überraschung schwand mit diesem Gedanken dahin und beeidruckt war er nun nicht mehr so ganz. Wenn er hier schon zwei daneben warf, würde er im Gefecht wohl noch mehr falsch werfen...


    Er lief zum Pfahl und holte die Pila aus ihm raus, die sich tief in ihn hineingebohrt hatten. Mit seinem Werkzeug, das er den ganzen weg bis hierhin geschleppt hatte, machte er sich daran, sie wieder gerade zu biegen. Obwohl die Klingen der Pila nicht gehärtet waren, war dies dennoch eine recht anstrengende und schweißtreibende Angelegenheit.


    Als er fertig war - Artorius schien bereits die Geduld zu verlieren, wenn er seinen Gesichtsausdruck richtig deutete - suchte er etwas, um es auf der Höhe des Kopfes zu befestigen. Da ihm nichts zur Hand stand, blieb ihm nichts anderes übrig, als einen Stück Stoff aus seiner langen Tunika abzureißen und es am Pfahl zu befestigen. Es flatterte zunächst im Wind - man hat aber auch nie einen Nagel, wenn man einen braucht - so dass er ein paar Löcher mit einem Pilum in den Pfahl bohrte, den Stoff reinstopfte und mit Sand, den er mit seinem Speichel befeuchtete, zustopfte damit es hielt. Nicht sehr fest, aber es würde reichen müssen. Beim nächsten Mal musste er halt unbedingt daran denken, sein Werkzeug zu vervollständigen.


    "Bin so weit, Herr"
    sagte er letztendlich, nachdem er fertig war und stellte sich mitsamt den Pila hinter dem Artorierauf, bereit, sie ihm wieder zu reichen.

  • "Gut, Commodus"
    sagte Avitus leise, ohne sich umzudrehen. Er sah, dass der Stoff nur notdürftig am Pfahl befestigt wurde, da sein Sklave offenbar nicht daran gedacht hatte, Nägel mitzubringen. Nun, dies ihm vorzuwerfen konnte er nicht, die Idee mit dem Stoff auf Höhe des Kopfes war spontan entstanden. Avitus winkte einen Milites, der zusammen mit einer kleinen Gruppe am Rande des Campus unter der Aufsicht eines Optio offenbar straftrainierten. Er schickte ihn in die Castra mit dem Auftrag, ihnen Werkzeug, Pinsel und Farbe mitzubringen. Der Mann war gar nicht so unglücklich über diesen Auftrag, entging er doch so dem Straftrainig und seinem Optio für ein paar Minuten, auch wenn Avitus ihm angedroht hatte, sich ja nicht zu viel Zeit damit zu lassen.


    "Lass uns eine kleine Wette abschließen. Ich wette mit dir, dass dieses Mal kein einziges Pilum daneben geht. Und dass ich auserdem drei Mal in den Stoff treffe"
    sagte Avitus und drehte sich zu Commodus um, gespannt, ob der Sklave darauf eingehen würde.

  • Commodus sah dem Legionär kurz nach, den Artorius in die Castra zurückgeschickt hatte. Er war froh, dass sein Herr ihn nicht gerügt hatte. Aber schließlich konnte er nicht wissen, dass sie mal Werkzeug hier auf den Weiten des Campus brauchen würden. Eins musste man ihm lassen, seinem Herrn. Das eben war ihm gegenüber ziemlich fair gewesen und Commodus schätzte sich glücklich, so gut behandelt zu werden, auch wenn es manchmal nur Kleinigkeiten waren, die es deutlich werden ließen.


    "Eine Wette, Herr?"
    entfuhr es ihm. Drei mal ins "Gesicht" zu treffen war schiwerig, da hatte sich Artorius aber einiges vorgenommen.
    "Worum wollen wir denn wetten?"
    Dass er um die Wette nicht würde herum kommen können, stand bereits so fest, wie dass morgen wieder die Sonne aufgehen würde. Also hieß es, die bestmöglichen Bedingungen auszuhandeln. Man konnte ja nie wissen, vielleicht würde es ja sein Glückstag werden. So wie Artorius eben geworfen hatte, hatte Commodus eigentlich ganz gute Chancen, zu gewinnen.
    "Wie wärs, wenn du mir die Freiheit schenkst, wenn ich gewinne?" 'Ja klar, und dann gibt er dir auch noch all sein Geld und am nächsten Tag macht dich der Kaiser zumRitter'
    fügte er dann in Gedanken hinzu. Die Freiheit lag, wenn er sie überhaupt je würde erlangen, noch in weiter, weiter Ferne. Aber es war immer das Beste, mit einer Maximalforderung in anstehende Verhandlungen zu gehen.

  • Avitus lachte laut auf. Commodus hatte scheinbar vor, hoch zu setzen.
    "Und was, wenn du verlierst? Was kannst du mir im Gegenzug bieten, dass so wertvoll wäre, wie die angebliche Freiheit, nach der du lächzt, mein Sklave?"
    fragte Avitus zurück. Noch ehe Commodus darauf antwortete - Avitus rechnete eh nicht mit einer akzeptablen Antwort - fuhr er fort.
    "Aber es soll niemand behaupten, Lucius Artorius Avitus würde seinen Fähigkeiten derart mißtrauen, dass er auf so eine Wette nicht eingehen würde" 'da hast du aber was losgetreten, Lucius'
    fügte Avitus gedanklich hinzu.
    "Also gut. Wenn ich die Wette verliere, erlangst du von mir deine Freiheit. Wenn ich gewinne..."
    eine kleine Pause schlich sich ein
    "... nun, dass sehen wir, wenn es so weit ist"


    Avitus drehte sich zum Pfahl um und streckte den Arm aus.
    "Pilum"

  • Und tatsächlich... Commodus blieb für einen Moment mit offenem Mund stehen. Der Artorier ging doch allen Ernstes auf diese verrückte, unwirkliche Wette ein. Und plötzlich schien sie zum Greifen nahe, die Freiheit. Commodus wurde plötzlich gleichzeitig kalt und heiß. Er hielt in der Hand das erste Pilum, das erste dieser acht Pila, die in der nächsten halben Minute über seine weitere Zukunft würden entscheiden. Wenner alle in den Holzpfahl traf und mindestens drei in den Stofffetzen, hatte Commodus verloren... wenn jedoch auch nur eines - nur eines bloß, bei allen Göttern, so viel war damit doch gar nicht verlangt - daneben ging, würde er freigelassen. Vorausgesetzt, der Artorier würde dann die Niederlage gegen einen Sklaven wegstecken können und ihm sein Versprechen erfüllen. Schweißtropfen traten Commodus an die Stirn und die Schläfen, obwohl es kalt und sehr windig war, und er reichte dem Legionär die Waffe... Die Welt um ihn herum wurde auf die Entfernung zwischen ihnen und dem Holzpfahl reduziert, die Zeit auf diese halbe Minute, in der alle Pila geworfen sein würden... seine Zukunft, sein Schicksal, sein Leben... all das entschied sich nun... es schien unwirklich

  • Er warf... Das Pilum durchschnitt die Luft auf dem Weg zu seinem Ziel. Es zog einen leichten Bogen, sich um seine eigene Achsedrehend und bohrte sich mit einem Knall in den Holzpfahl. Knapp unterhalb des Stofffetzens. Im Ernstfall würde das Pilum nun im Halse eines Mannes stecken, ihn durchbohrt und sein erbärmliches, unrömisches Leben aus ihm harausgerissen haben, während das Kadaver in einer Blutlache zurückbleiben würde, dem Verfall preisgegeben.
    Doch Avitus dachte über derlei Sachen nicht nach, es ging, eine Wette zu gewinnen. Gegen seinen Sklaven hatte er nicht vor zu verlieren. Seine Ehre als freier Mann und als Legionär Roms stand hier auf dem Spiel und das erste Pilum traf zwar den Holzpfah, aber nicht den Stofffetzen. Gar nicht gut, aber sieben weitere Würfe standen noch aus.


    Er warf erneut. Wieder sauste der Wurfspeer in einem Bogen durch die Luft dahin, bis er mit einem lauten Knall in den Holzpfahl traf. Diesmal wurde das Stoffstück getroffen. Das Pilum traf es ziemlich in der Mitte, verbog sich leicht zur Rechten und blieb im Pfahl stecken. Avitus warf mit all seiner Kraft, so dass sich sie scharfkantige Spitze tief in das Holz hineinbohren konnte.


    Wieder warf er und wiedr traf der Centurio. Nach aussen hin blieb er gelassen und kühl, innerlich stieg jedoch die Zuversicht. Avitus war sicher, zu gewinnen. Das Pilum traf sogar erneut den Stoffetzen. Damit hatte er schon zwei von den notwendigen drei Treffern gelandet. Noch einer, dann war die Hälfte geschafft ab da würde er nichts weiter tun müssen, als bloß den Pfahl zu treffen. Und dennoch... wie dünn dieser verdammte Holzpfahl doch wirkte, wenn er zum Ziel wurde.


    Erneut schickte Avitus ein Pilum, das vierte an der Zahl, gegen den Pfahl. Erneut folgte der Knall, erneut verbog es sich, bohrte sich aber mit mörderischer Wucht in das Holz des Pfahls. Avitus spürte den noch leichten, aber stetig und schnell ansteigenden Schmerz in seiner rechten Schulter. Er nahm das nächste Pilum in die Hand, wog es ab. Irgendwie schien es schwerer zu sein, als die anderen, aber er wusste, dass ihn seine Sinne zu trügen suchten. Er ignorierte alles. Den Schmerz in der Schulter, die Angst, doch nicht zu treffen und die Wette zu verlieren. Es gab nur eins... den nächsten Wurf, den nächsten Treffer.


    Doch immer noch, nach sechs Würfen, ließ der dritte Treffer im Stofffetzen auf sich warten. Avitus blieb gelassen. Zwei Würfe hatte er noch und er streckte den Arm aus, um das nächste Pilum von Commodus entgegenzunehmen. Dann warf er mit aller Kraft. Das Pilum traf erneut. Avitus lächelte kaum merklich und fluchte innerlich. Es hatte den Stoff nur im Fingersbreite verfehlt. Fast so, als würden die Götter, sollten sie hier mit im Spiel sein, alles auf den letzten Wurf setzen wollten und sie arme Sterbliche mit Anspannung quälten.


    Das letzte Pilum. Die Schulter schmerzte leicht. Erträglich. Avitus ignorierte den Schmerz. Es war nicht so, dass er Commodus seine Freiheit nicht gönnte. Aber hier ging es um sein Ansehen als Soldat. Commodus würde wohl jeden Respekt vor ihm verlieren, wenn er hier und heute gewinnen würde. Und das konnte er nicht zulassen. Er warf...


    "Commodus... hol die Pila"

  • Als hätten sich das Schicksal und die Götter gegen ihn verschworen, kam es Commodus vor, als er sah, wie der Artorier Speer um Speer ins Ziel warf. Nicht eines verfehlte den Holzpfahl. Er warf mit einer Wucht und Kraft, dass die Pila sich tief ins kalte Holz hineinbohrten und drin stecken blieben. Doch immer noch, auch nachdem er alles Pila bis auf eines geworfen hatte, hatte Commodus eine Chance auf die Freiheit, denn immer noch konnte sein Herr das letzte Pilum verfehlen... doch tat er es nicht. Der Speer steckte mit zwei anderen im Stofffetzen und Commodus Hoffnungen schwanden dahin. So nahe war er an der Freiheit und doch lag sie fern. Fast war es so, als hätte der Artorier ein böses Spiel mit ihm getrieben, als hätte er beim ersten Male bewusst nicht zum Besten geworfen, damit in Commodus die Hoffnung auf die Freiheit nach Abschluss der Wette reifen konnte.


    Die Pila holen... natürlich. Er blieb ein Sklave. Langsam schritt er zum Pfahl, mitsamt dem Werkzeug und machte sich niedergeschlagen ans Werk, die Pila aus dem Holz herauszuholen und diejenigen, welche verbogen waren, wieder geradezubiegen, auf dass der Centurio sie ein weiteres Mal werfen konnte.

  • Avitus lachte.
    "Du hast doch nicht wirklich gedacht, dass ich daneben werfen würde?"
    sagte er, wohl wissend, dass viel nicht gefehlt hat, um diesen Stoffetzen, der da am Pfahl steckte, zu verfehlen und damit die Wette zu verlieren.
    "Kopf hoch, Commodus"
    sagte er, um den Sklaven etwas aufzumuntern, als er sah, wie niedergeschlagen dieser war. Avitus hatte ihn nicht derart quälen wollen, hatte ihm Commodus doch nun seit langem gute treu und tapfer Dienste geleistet, Strapazen langer Reisen auf sich genommen, ohne einen schändlichen Fluchtversuch zu unternehmen oder sich auf den Reisen sonst etwas zu Schulden kommen zu lassen.
    "Kopf hoch"
    wiederholte er nochmal, während der Sklave sich um die Pila kümmerte und diese wieder geradebog. Avitus nahm ebenfalls einen Hammer und ein Pilum und begann, es wieder geradezubiegen, um die schneller wieder werfen zu können.


    Nach einer Weile, alle Pila waren wieder wurfbereit, tauchte der Miles auf, den er vorhin in die Fabricae geschickt hatte, um Werkzeug und Farbe zu holen. Avitus nahm das Zeug entgegen und entließ den Legionär zurück zu dessen optio, der immer noch das Straftraining leitete und dessen grollende Stimme aus der Entfernung bis an sie herantrat. Er deutete Commodus an, die Pila aufzunehmen und sich wieder bereit zu machen, während er selbst den Stofffetzen entfernte und auf den Holzpfahl, dort, wo der Stoff vorher hing, so etwas wie einen Kopf mit Augen und Mund zeichnete. Es sah seltsam und geradezu hässlich aus, aber dafür, dass sich Avitus zum Ersten Mal in seinem Leben an der Kunst versuchte, auch wieder gar nicht übel . Zumindest verbot er sich einen Kommentar seines Sklaven, ahnend, dass diesem irgendetwas einfallen würde, um jeden Makel dieses 'Werks' mit nur wenigen Worten zu umschreiben.


    Er ging in Position. Der Wind frischte wieder auf, so als ob er spürte, dass es Zeit war, wieder zu werfen.
    "Pilum"
    Er warf...

    ENDE
    dieser Zeitebene

  • Diesmal hatte er Commodus in der Unterkunft zurückgelassen. Beim letzten Mal hatten sie unbedacht eine total verrückte Wette abgeschlossen, bei der es - zumindest für Commodus - um alles oder nichts ging. Seine Freiheit. Avitus musste immer noch jedesmal mit dem Kopf schütteln, wenn er daran dachte. Dieser Narr. Glaubte dieser verfluchte Sklave denn wirklich, dass sich auch nur etwas für ihn ändern würde, nur weil ein Dokument ihn als 'frei' auswies...


    Stattdessen hatte er lieber alleine den Campus aufgesucht. Avitus verbrachte die wenige freie Zeit lieber einmal mehr hier, statt mal wieder in der Stadt oder, noch schlimmer, alleine in seiner Unterkunft, wo er sich nur sinnlos besaufen würde, was in letzter Zeit bedenklich oft vorgekommen war. Er mied daher die Tabernen und schränkte auch seine Besuche bei den Lupae etwas ein. Wenigstens für eine Weile nahm er sich vor, spartanischer zu leben und dem eigenen Training etwas mehr Zeit und Fleiß zu widmen.


    Avitus stellte den Scutum und das Pilum ab, lehnte dabei den großen, wuchtigen Schild gegen den Speer, so dass sie sich gegenseitig stützten. In einiger Entfernung sah er wieder den Optio, der offensichtlich wieder Straftraining leitete. Diesmal waren weniger Männer dabei, knapp ein Dutzend, eher etwas weniger. Die Schreie eines besonders eifrigen Centurionen, der seine ganze Einheit immer noch nicht entlassen hatte und Formalausbildung betrieb, drangen vom anderen Ende des Campus bis hierher. Wortfetzen, kaum verständlich, aber deutlich genug, um einige Flüche des Centurionen zu entziffern, der sich fürchterlich über den fehlenden Gleichschritt seiner Männer aufregte und die Vitis auf den Beinen und Rücken der Legionäre tanzen ließ.


    Plötzlich musste Avitus an den Miles zurück denken, den er vor einer Weile bestraft hatte. So hart bestraft, dass der Mann im Lazarett landete. Mittlerweile war der Arm geschient und der Mann entlassen, wobei er kaum mehr tun konnte, als leichte Aufgaben im Innendienst zu erledigen. Avitus grübelte. Er fragte sich, ob er zu hart gehandelt hatte. Ob er aus der augenblicklichen Stimmung heraus gehandelt hatte. Andererseits hatte dieser freche Hund doch tatsächlich gelacht, während er gesprochen hatte.


    Wie auch immer, dem Artorier fehlte die nötige Geduld und das notwendige Gewissen, um noch weiter darüber nachzudenken, geschweige denn, sich weiter irgendwelche Vorwürfe zu machen. Die Maßnahme war gewiss hart, härter als sonst üblich oder von ihm gewohnt. Aber sie hatte ihre Wirkung nicht verfehlt, zumindest für eine Weile. Besonders beliebt hatte sich Avitus damit sicher nicht gemacht, aber darum ging es ihm im Endeffekt auch gar nicht. Weder ging er zum Militär, um sich beliebt zu machen, noch wurde er Centurio, um beliebt zu werden. Wenn es ihm darum ginge, wäre er Miles geblieben oder maximal Signifer geworden, irgendwann Aquilifer vielleicht. Dann wäre er unter den Männern beliebt.


    Aber Avitus wollte nur eines. Dass diese Männer, dass diese Legionäre diszipliniert und hart blieben. Man konnte nie wissen. Schon im nächsten Frühling könnte die Prima an einem neuen Feldzug teilnehmen. Da war es seine Aufgabe, für zwei Dinge zu sorgen. Dass jeder Auftrag erledigt würde und seine Männer dabei heil blieben. Darum ging es hier. Darum ging es ihm. Und erreichen konnte - zumindest ging der Artorier davon aus - er es nur durch absolute Härte und eiserne, rücksichtslose Disziplin.


    Er riss sich aus seinen Gedanken. Ob richtig oder falsch gehandelt, was spielte es schon für eine Rolle. Er würde wieder so handeln. Heute war er aber nicht hier raus gekommen, um über sich selbst und eigenes Handeln zu reflektieren. Heute war er hier, um zu trainieren. Ab nun gab es nichts anderes mehr. Keine Mantua, kein Rom, keine Castra, gar nichts. Nur ihn, seine Waffen und...

  • "Herr?"
    sagte Commodus. Artorius hatte so da gestanden, als wäre er in Gedanken vertieft gewesen und so hoffte er, ihn nicht bei Wichtigem gestört zu haben. Zwar hatte er ihn diesmal nicht mitgenommen, aber den Ausgang hatte ihm der Herr dennoch nicht verboten. Commodus war ihm gefolgt. Er hatte beim letzten Mal gesehen, wie präzise dieser Römer die Pila geschleudert hatte, er hatte sich ausgemalt, wie tödlich diese Werkzeuge sein mussten und nach dem Training musste er sich immer wieder sagen, wie gerne er doch den Umgang mit ihnen beherrschen würde. Dieser Mann hatte ihm das Lesen und das Schreiben beigebracht, ihm, einem einfachen Sklaven. Er hatte ihn stets gut behandelt, abgesehen vielleicht von der Qual, die durch die letzte Wette verursacht wurde, als er der Freiheit so nahe war und sie doch misste. Vielleicht würde er eines Tages einen guten Leibwächter brauchen, und ihm daher jetzt schon mal den Umgang im Schwertkampf beibringen...

  • Nur ihn, seine Waffen und...
    "Was bei allen drei...?"
    Avitus zuckte sogar leicht zusammen. So leise hatte sich Commodus an ihn herangepirscht, dass er dessen Anwesenheit gar nicht wahrgenommen hatte.
    "Was suchst du denn hier, beim Mars?"
    fragte er, aber dann fiel ihm ein, dass er Commodus nicht ausdrücklich verboten hatte, die Unterkunft zu verlassen.
    "Was ist? Sprich?"

  • "Verzeih, Herr, falls ich dich erschrocken habe. Ich dachte du brauchst vielleicht meine Hilfe?"
    sagte Commodus. Natürlich war diese Lüge zu durchschauen. So nützlich er dem Artorier auch war, konnte Commodus nicht gerade von sich behaupten, je nach Aufgaben und Arbeiten verlangt zu haben.
    "Und ausserdem..."
    Er zögerte, sich fragend, wie wohl sein Herr darauf reagieren würde.
    "Ausserdem wollte ich dich fragen, ob du mich nicht in den Umgang mit dem Schwert einweihen kannst. Dann könnte ich dir auch als Leibwächter dienen, wenn wir irgendwann nach Rom zurückgehen"

  • Avitus sagte lange Zeit nichts, nachdem Commodus ihn gefragt hatte, ihm den Umgang mit dem Gladius beizubringen. Er sah den Sklaven mit einer hochgezogener Augenbraue an, was seinem Gesicht einen leicht finsteren Ausdruck verlieh, und überlegte. Er reichte das Pilum Commodus, um eine Hand frei zu haben und griff nach dem Schwert, zog es raus aus der Scheide und betrachtete die scharfe Klinge. Wenn die Römer je etwas schönes erschufen, dann wohl dieses Schwert und es war schon seltsam, wie etwas so schönes in der Hand eines geübten Legionärs zu etwas so tödlichem werden konnte.
    "Wähle deine Worte mit Bedacht, Commodus. Als mein 'Leibwächter' müsstest du dich vor mich stellen, mutig und tapfer einem oder gar mehreren Bewaffneten gegenüber stehen und bereit sein, dein Leben zu geben, um das Meine zu schützen. Glaubst du, dass du zu einer solchen Tat in der Lage wärst? Wie ich schon sagte... wähle deine Worte mit Bedacht. Sag nicht etwas aus dem Augenblick heraus, wie ein Kind, dessen Verstand unausgereift ist und dessen Worte kaum Gewicht haben, sondern bedenke deine Worte, denn an ihnen werde ich dein Verhalten messen"
    Avitus musterte den Sklaven, gespannt, welche Antwort dem Gesagten folgen mochte.

  • Commodus streckte sich, hob den Kopf. Seine Haltung und sein Gesichtsausdruck verrieten Entschlossenheit. Wenn er das Schwert beherrschen wollte, konnte er jetzt keinen Rückzieher machen, auch wenn der Artorier ihm Zweifel einzuflößen versuchte, indem er ihn zur Vernunft mahnte. Ja, er Commodus, ein einfacher Sklave, würde sich tapfer und mutig verhalten, sich einem Angreifer oder - wenn es sein musste - auch mehrerenentgegenstellen und kämpfen.
    "Ja, Herr, das werde ich"
    Seine Stimme war fest, verriet ebenfalls Entschlossenheit.
    "Wenn du mich lehrst, wie ich das Schwert führe, wie ich kämpfe und am Leben bleibe, dann werde ich mich vor dich stellen und nicht weichen"

  • Avitus schüttelte den Kopf. Wahrlich, der Sklave hatte gut gesprochen. Er wählte 'werde' statt 'würde'.
    "Schöne Worte, doch bleiben es bisweilen nur Worte, Commodus"
    Er trat näher an ihn heran, behielt den Sklaven dabei fest im Blick.
    "Wie kann ich, ein Bürger Roms, einen einfachen Sklaven im Umgang mit Waffen unterrichten?"
    Avitus drehte sich um.
    "Gar nicht... es sei denn ich schicke dich in eine Gladiatorenschule, damit du dort zu einem Kämpfer ausgebildet wirst. Nur fürchte ich, wirst du dort nicht allzu lange überleben"
    Avitus machte eine kurze Pause.
    "Ich weigere mich, einen Sklaven den Kampf zu lehren. Und verflucht sollst du und deine Nachkommen bis zum Ende der Zeit sein, wenn du mich je hintergehen solltest oder deinen Schwur brichst... aber fortan sollst du kein Sklave mehr sein, Commodus. Ich gebe dir deine Freiheit, nach der du dich so sehr sehnst, doch nicht umsonst sollst du dieses kostbare Geschenk von mir erhalten. Als Gegenleistung verlange ich Loyalität und Mut. Lasse es nie soweit kommen, Commodus, dass ich dich an deinen Schwur erinnern muss, denn bereits das ist als Verrat zu werten. Denn wenn du deinen Schwur vergessen solltest oder schlimmer noch, ihm zuwider handelst und mich zwingst, dich an deine Worte zu erinnern, bringst du Schande über dich. Denk dran"

  • Frei... Commodus erstarrte. Er war frei... Wie ein Echo, unwirklich und wie aus weiter Ferne hörten sich diese Worte, die sein Herr sprach, an. Er holte tief Luft.
    "Herr ich... ich..."
    irgendwie verschlug es ihm für einen Moment die Sprache und er vermochte kein weiteres Wort auszusprechen. Er schüttelte mit dem Kopf, nach Worten ringend.
    "Meine Loyalität und meinen Mut sollst du haben, Herr. Ich kann dir gar nicht genug danken..."

  • Avitus lachte auf. Der Noch-Sklave wirkte irgendwie fast schon geschockt. Als hätte ihn der Blitz getroffen.
    "Nun, heute brauche ich noch mein Training und ausserdem müssen wir noch die Formalia hinter uns bringen, ehe du dich einen freien Mann schimpfen darfst. Für heute kannst du mir deinen Dank beweisen, in dem du zurück in die Castra gehst und mir schon mal ein gutes Essen zubereitest"
    sagte er.
    "Mit deinem Training werden wir noch früh genug beginnen. Glaub mir, wenn ich dir sage, dass du dir noch wünschen wirst, nie einen solchen Entschluss gefasst zu haben. Spätestens dann, wenn du die Anstrengung eines fordernden Trainings erdulden musst, ungeübt und ungewohnt, wirst du mich, diese Idee, deine Freiheit und alles andere auf dieser Welt verfluchen... So, nun ab, ich muss trainieren"

  • Commodus sagte nichts. Mehr gab es auch nicht zu sagen. Doch wohl zum ersten Male in seinem Leben verspürte er echte Ungeduld. Ungeduld wegen der Formalia, von denen Artorius sprach und die notwendig waren, um aus einem Sklaven einen freien Mann zu machen und damit wie eine unsichtbare Brücke zwischen hier und der Freiheit lagen, die zu überqueren es galt. Ihm fiel sein Gespräch mit Olympia ein, mit dieser blonden Sklavin im Hause der Artorier, welches er geführt hatte, als er das letzte Mal in Rom war. Damals hatte sie ihn gefragt, was er wohl mit seiner freiheit anfangen würde. Wohin er gehen würde, was er tun würde. Damals hatte Commodus nicht wirklich ernsthaft darüber nachgedacht, so unwahrscheinlich erschien ihm dieser Tag. Selbst heute Morgen noch, als er aufwachte, wusste er nicht, was ihn erwartete und er fragte sich zum ersten Mal, was er wohl anstellen würde mit seiner Freiheit. Er ließ Avitus allein, überließ ihn seinem harten Training und machte sich zurück zur Castra auf. Bald, schon bald würde er frei sein...

  • Avitus sah dem Sklaven nicht länger nach, sondern widmete sich vielmehr seinem Training. Einen Moment lang überlegte er, wo er stehen geblieben war, dann fiel es ihm wieder ein. Er war hier, um zu trainieren. Ab nun gab es nichts anderes mehr. Kein Mantua, kein Rom, keine Castra, gar nichts. Nur ihn, seine Waffen und...


    ENDE
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