Captio Extraordinaria Tiberiae Caerelliae

  • Der Tempel war auf Befehl des Delegaten des Pontifex pro Magistro, also quasi des Stellvertreterstellvertreters Flavius Piso, bereit gemacht worden für die anstehende Captio. Sklaven hatten den Marmorboden blitzblank gescheuert, die Aeditui waren angetreten, und hoffentlich traf der Kaiser auch bald ein.
    Streng und mahnend blickten die Trias, Iuppiter, Iuno und Minerva, hinab auf die kläglichen Sterblichen, und Piso dachte sich, als er in die strengen Gesichter sah, dass diese wohl sicher von der Tatsache rührten, dass der Kaiser es nicht geschafft hatte, sich von Rom aus nach Misenum aufzumachen.
    Er stellte sich neben die Priester des Tempels hin. Dieses Mal war keine Vestalin hier, anders als bei anderen Okkassionen, wo eine Vestalin hier “ gefangen genommen“ wurde durch den Pontifex Maximus. Piso agierte hier quasi als Ersatzobervestalin. Den leicht effeminierten Pontifex machte es nichts aus, in den Schuhen einer Frau zu stecken, hatte er doch gerne in seiner Kindheit die Kleider seiner Stiefmütter angezogen (vordergründig, weil er sie ärgern wollte).
    So galt es nun, gemeinsam mit der kleinen Tiberia auf den Kaiser zu warten.

  • Von Pisos Geschichte über seine Vergangenheit ahnte Caerellia freilich nichts - sonst wäre sie auch nicht so angespannt. Dies war der erste Tag der Prozedur, an dem sie das Gefühl hatte, gleich sterben zu müssen. Ihr Herz schlug beinahe schmerzhaft gegen die Rippen, ab und zu lief ihr ein Schauder über den Rücken. Sie würde heute den Kaiser kennenlernen. Und Vestalin werden. Mittlerweile hatte sie begriffen, dass Zweiteres vermutlich noch ehrenvoller war, als der Kaiser selbst - zumindest für sie. Irgendwann in ihrem Leben hätte sie den Kaiser sicherlich auch so einmal kennengelernt, aber Vestalin wurde man nicht so schnell. Und, was sie gut fand, sie würde nicht heiraten müssen! Sie fand den Gedanken ans Hausfrauendasein doof. Da freute sie sich doch deutlich mehr auf ihre Zukunft als Vestalin.
    Sie stand noch an der Seite von Piso, weil sie nicht wusste, wohin sie sich in ihrer Verlegenheit sonst flüchten sollte. Leichte Ringe lagen unter ihren Augen, sie hatte nicht sehr gut geschlafen und äußerst chaotisches Zeug geträumt. Aber von Müdigkeit spürte sie nichts, dafür schoss ihr zuviel Adrenalin durch die Adern. Sie hatte die traditionelle Kleidung einer Vestalin am Leib und harrte ihres Schicksals. Zu reden wagte sie nicht, aus Angst, irgendetwas zu vertreiben, das anwesend zu sein schien. Irgendetwas, das sie nicht so recht greifen konnte, aber das verflucht nochmal da war!

  • Auf den Straßen war das Geräusch von Füßen und Hufen zu hören. Dem Klang nach waren es nicht wenige, die dort unterwegs waren. Allzu schnell bewegten sie sich nicht und ihr Weg führte zum Tempel der Trias. Auf dem Vorplatz angekommen, verstummte das Geräusch der Schritte für eine Weile, dann setzte es sich wesentlich leiser noch einmal fort. Es erschien: Valerianus, der Kaiser!


    Bekleidet im Gewand des Pontifex Maximus und gestützt auf einen Stock schob er sich langsam die Stufen hinauf, bis er die Cella erreichte. Er blieb einen Augenblick stehen, dann ging er weiter. Kaum gebeugt, nicht zitternd, aber langsam. Das Licht gab nicht zu erkennen, ob er blass war und die Kleidung verbarg die Konturen seines Körpers. Schließlich erreichte er die anwesenden Wartenden.


    "Seid gegrüßt, im Angesicht der göttlichen Trias!"

  • Caerellia trat sich selbst immer wieder nervös auf die Füße - was bei den Sandalen nicht sonderlich angenehm war. Aber sie wusste nicht mehr wohin mit ihren Gefühlen, sie war unglaublich nervös. Aber wer konnte es ihr schon verdenken? Vermutlich waren nicht alle nachsichtig, aber mindestens die Hälfte würde Verständnis für ihre Nervosität haben.
    Da kamen endlich Geräusche und Bewegung in die schöne Kulisse - atemberaubend wäre vermutlich nur die Kulisse in Rom gewesen. Als sie den Kaiser erblickte, stockte ihr für einen Moment der Atem. Sie wusste nicht, wie alt er war und nicht einmal, wie krank tatsächlich. Seine Erscheinung machte trotzdem einen ordentlichen Eindruck auf die kleine Tiberia. Die Sonne ließ ihn regelrecht erstrahlen, sie erkannte anfangs lediglich seine Silhouette. Wie ein Gott. Nach einigen Momenten, nämlich genau als der große Staatsmann seine Stimme erhob - fasste sie sich endlich und ließ eine tiefe Verbeugung sehen. Ob sie sprechen durfte? Sie tat es einfach.
    Ihre Stimme war nahe am Rande zu brüchig. "Guten Tag, ehrwürdiger Pontifex Maximus et Augustus." Sie wagte kaum aufzusehen, linste aber einmal doch nach oben, um nach Valerianus zu sehen.

  • Valerianus bedachte das Mädchen mit einem gütigem Lächeln oder zumindest dem, was er dafür hielt. Er konnte sich denken, dass sie wohl diejenige war, die heute für den Dienst bei den Sacerdotes Vestales gewonnen werden sollte. Aber er wartete lieber die Erklärung und Vorstellung durch den Pontifex ab.


    "Dies ist die zukünftige vestalische Jungfrau, Pontifex?"

  • Piso widerstand der Versuchung, sich zu verbeugen wie vor einem orientalischen Despoten. Stattdessen stand er nur gerade da, und entgegnete auf die Begrüßung des Imperatoren:
    “Salve, Imperator Caesar Augustus. Ich bin Flavius Piso, aber ich denke, du kennst mich schon; wir sind uns schon hier in Misenum begegnet, als ich Quaestor war. Du hast Recht, dies hier ist Tiberia Caerellia, die Jungfrau, welche wir, das Collegium Pontificium, auserkoren haben.“
    Er lächelte kurz zum Mädchen hin, man spürte aber seine, Pisos, Nervösität. Schließlich stand er vorm Imperator, vor niemandem Geringerem! Auch wenn der Kaiser schäbig aussah. Eine wahre Farce. Eine Karikatur seiner Selbst. Kein Kaiser, dem man sich anvertrauen konnte. Kein Kaiser, dem er, Piso, sein Leben anvertrauen würde, wäre er Legionär.
    Er deutete auf die Tiberia. “Ich bitte dich, Imperator, die Captio an ihr auszuführen“, machte er mit servilem Tonfall, hoffend, dass der Kaiser nicht nein sagte und somit die ganzen Planungen des Collegiums zum Orcus jagte. Beziehungsweise zum Teufel, wäre Piso ein Christ, aber von diesen Narreteien blieb er Gott sei Dank verschont.

  • Die kleine Caerellia stand weiterhin staunend und artig neben den ganzen Geschehnissen. Sie fühlte, dass jetzt einfach nicht die Zeit war, munter zu plaudern. Sie hatte selten Hemmungen, dazwischen zu reden, wenn Erwachsene sich unterhielten. Aber hier unterhielt sich der Pontifex Maximus, der Impeartor mit einem Pontifex - da war es schon schwer für Caerellia, überhaupt den Mund aufzumachen.
    Jungfrau! Wie stark dieses Wort immer betont wurde. Erstaunlich, dass man in ihrem Zusammenhang überhaupt schon 'Frau' sagte. Klar war sie jung, aber wäre Jungmädchen nicht viel zutreffender, als das Wort Jungfrau? Na, ihre Meinung hatte hier nichts zu suchen und die Hintergründe des Wortes Jungfrau war ihr näher schlicht und ergreifend nicht bewusst. Wie entscheidend die Bedeutung dieses Wortes für ihre Zukunft tatsächlich war, war ihr ebenso nicht bewusst. Aber einem Kind konnte das auch völlig gleich sein. Solche umtriebigen Gedanken kämen ihr nicht einmal im Traum. Viel eher gedachte sie ihrer beiden Freunde Aretas und seiner Freundin. Wie es ihnen wohl ging? Sie konnte nicht erahnen, dass diese eine Flucht planten und sie sie wohl niemals mehr wiedersehen würde.
    So war sie einfach nur um ein wackeres Lächeln bemüht und himmelte den großen Staatsmann an.

  • Den Blick auf das Kultbild gerichtet, folgte Valerianus den Ausführungen des Pontifex. Dann ging sein Blick erst zu diesem zurück, dann zu der zukünftigen Vestalischen Jungfrau, dann wieder zurück zum Pontifex.


    "Ich danke dir und dem Collegium für die Bemühungen."


    Eine Weile ging sein Blick danach ins Leere und seinen Augen schienen sich fast zu schließen, als müsse er noch einmal memorieren, was man ihm zweifellos kurz zuvor als notwendige Schritte für die Captio vorgegeben hatte. Schließlich legte er seine Hand auf der Schulter der jungen Tiberia.


    "Tiberia Caerellia, vom Collegium Pontificium auserwählte Jungfau aus dem Geschlecht der Tiberia. Ich nehme dich hiermit auf in den heiligen Dienst der Göttin Vesta, der Hüterin des ewigen Herdfeuers. Ich unterstelle dich meiner Patria potestas und verpflichte dich zu Keuschheit für die Dauer deines Dienstes. Du wirst im Atrium Vestae wohnen und auf allen deinen Wegen von einem Liktor begleitet werden. Du darfst mich Vater nennen und die Gemeinschaft der Vestalinnen wird dir wie eine Familie sein. Dies ist der Wille Vestas."

  • Engelsgleich fing sie den Blick des großen Staatsmannes auf und lächelte. Oh, sie war so stolz, hier stehen zu können. Allmählich verstand sie die Aufregung der anderen Mädchen, als es um die Auswahl gegangen war. Sein kurzes Abdriften bemerkte sie zwar, maß dem aber keinerlei Bedeutung bei. Sie hatte sich bereits zu einer völligen Vergötterung des Mannes entschlossen.
    Ehrfürchtig lauschte sie den Worten, die sie niemals mehr in ihrem Leben vergessen würde. Ihn Vater nennen! Aber was bedeutete Keuschheit? Soetwas wie Zurückhaltung? Das musste sie den schrulligen Flavier nachher auf jeden Fall noch einmal fragen, sie wollte auf gar keinen Fall etwas falsch machen. Ihr Bestreben alles richtig zu machen, wurde immer größer. Den Kaiser 'Vater' zu nennen - wer konnte das schon? Adoptierte er sie etwa sogar? So ganz ging ihr das alles noch nicht in den Kopf.
    Aber sie wagte nicht, zu sprechen. Noch immer nicht. Erst wenn sie dazu aufgefordert würde, sie wollte diese heilige Aura nicht unterbrechen. Sie fühlte richtig die Präsenz der Göttin - oder?

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