Blut für Blut - Ein zorniger junger Mann

  • Hier war Arwid nun, an dem Ort, an dem sein Schicksal vor über zehn Jahren eine dramatische Wendung genommen hatte. Nicht mehr viel erinnerte daran, dass hier einst Menschen gelebt hatten. Die Natur hatte sich längst das wieder zurückgeholt, was man ihr einst abgerungen hatte. Lediglich einige wenige Grundmauern, versteckt zwischen Efeu und Gebüsch, ließ darauf schließen, dass es hier einst geschäftig zugegangen war. Männer, Frauen, Kinder, Familien – Leben. Doch dieses Leben war gewaltsam ausgelöscht worden. Die Häuser hatte man niedergebrannt und diejenigen, die nicht Gefallen oder hingerichtet worden waren, hatte man in Ketten gelegt und verschleppt.
    Arwid war noch ein Junge gewesen. Sein Vater und die beiden älteren Brüder waren im Kampf gefallen. Seine Schwester Alsuna hatte lieber den Tod gewählt, statt in die Sklaverei geführt zu werden. Hilflos hatte er mitansehen müssen, wie man seine Mutter geschändet und dann gemeuchelt hatte. Arwid hatte, bis man ihn entdeckt hatte, in seinem Versteck ausgeharrt. Unfähig sich zu rühren. Starr vor Entsetzen. Er hatte das Blut seiner Sippe in der Erde versickern sehen. Dies war ein heiliger Ort.


    Arwid stieg von seinem Pferd, welches er sich links des Limes gestohlen hatte. Anschließend hievte er eine verschnürte Gestalt vom Rücken seines Pferdes. Mit einem schmerzerfüllten Seufzer fiel der Gefesselte auf den weichen Moosboden. Zunächst ließ er den sich windenden Körper dort liegen, band sein Pferd an einem Baum fest und entledigte sich seiner Tunika. Ein muskulöser Körper, der mit etlichen vernarbten Wunden und Striemen versehen war, kam zum Vorschein.
    Der Germane packte seinen Gefangenen und stellte ihn auf die Füße. Dann zog er seinen Dolch. Der Gefesselte, ein junger Mann kaum älter als sein Entführer selbst, erzitterte, versuchte trotz des Knebels in seinem Mund ein paar bittende Worte zu formen, was ihm allerdings nicht gelang. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn in der Gewissheit gleich sterben zu müssen. Der Dolch jedoch drang nicht in das Fleisch des Gefangenen ein – noch nicht. Er befreite ihn lediglich von dem Strick, der ihn gebunden hatte. Er entfernte auch den Knebel aus dem Mund seines Gefangenen, was unweigerlich dazu führte, dass der Gefangene sofort damit begann, um sein Leben zu winseln. „Bitte Herr, lass mich gehen. Ich werde dich auch nicht verraten. Wenn du mich laufen lässt, dann wartet eine große Belohnung auf dich, ich…“ - „SCHWEIG!“, unterbrach der Germane ihn mit seiner donnernden Stimme. „Herr, nennst du mich also. Jetzt also bin ich dein Herr??“, schrie er und setzte ihm den Dolch an seine Kehle. „Bitte Herr,“ wimmerte der Gefangene, der nur noch der Schatten seiner selbst war. Die Augen des Germanen sprühten vor Hass und Verachtung. Er packte seinen Gefangenen im Nacken und schob ihn vor sich her, bis er an einem großen Baum, einer alten Eiche zum Stehen kam. „Knie nieder!“, befahl der Germane und schubste ihn nach vorne. Der Gefangene sank auf die Knie und hob noch einmal bittend sein Antlitz seinem Mörder entgegen.„Bitte Herr, mein Vater wird dich reich belohnen, wenn du mich nicht tötest!“ Arwid jedoch blieb hart. Nichts, rein gar nichts hätte ihn erweichen können. Er hatte alles ganz genau geplant, all die Jahre über und in seinem Plan hatte das Wörtchen ‚Gnade‘ keinen Platz gefunden. „Das Geld deines Vaters interessiert mich nicht, Römer!“, antwortete Arwid kalt. „Dein Blut für das meiner Sippe!“ Arwid hatte ihn beim Schopf gepackt und seinen Kopf nach hinten gezogen. Die Augen des jungen Mannes waren vor Schrecken geweitet. Noch ehe der junge Römer hätte ‚Nein‘ schreien können, schlitzte Arwids Dolch seine Kehle auf. Das warme Blut des jungen Mannes quoll aus der klaffenden Wunde. Ein letzter Atemzug entwich hörbar der Kehle, dann schwand zusehends das Leben aus dem Körper des Römers.„Sein Blut für euer Blut! Großer Tyr, nimm mein bescheidenes Opfer an und sei mir immer wohlgesonnen, bei dem, was kommen wird!“ Der junge Germane tunkte zwei Finger in das noch warme Blut und strich es in sein Gesicht und an seinen nackten Körper.
    Nachdem er den toten Körper seines Gefangenen entkleidet hatte, band er den Strick um seine Füße und hängte ihn kopfüber an einen festen Ast der Eiche. Dort ließ er ihn hängen. Dann zog er seine Tunika wieder über, band sein Pferd los und verließ diesen Ort für immer.
    Sein Hass und sein Verlangen nach Rache trieb Arwid weiter. Sie alle, die sich jenseits der Limes in Sicherheit wähnten, sollten dafür bezahlen, was man ihm, seiner Familie und seinem Volk angetan hatte! Er war auf dem Weg. Er würde bald bei ihnen sein!

  • Arwid, dessen Sippe ausgelöscht war und der sich keinem Stamm mehr zugehörig fühlte, weil man ihn aus seinem einstigen Leben gewaltsam herausgerissen hatte, ritt rastlos getrieben und scheinbar ziellos weiter. Unterwegs lebte er von dem, was er sich erjagen konnte. Wie gut, dass sein Vater damals noch die Möglichkeit gehabt hatte, ihn darin zu unterweisen. Die Abende und Nächte verbrachte er am Lagerfeuer, stets auf der Hut vor Wölfen und Bären, aber auch vor denen, die ihm nicht wohlgesonnen waren. Die Schatten seines vergangenen Lebens als Sklave und Gladiator suchten ihn des Nachts in seinen Träumen heim. Jede Nacht kämpfte er denselben Kampf, immer und immer wieder!


    Wenn er in ein Dorf kam, das ihn willkommen hieß, blieb er meist ein zwei Tage, bevor er weiterzog. So auch drei Tage später, nachdem er Tyr geopfert und für immer dem Platz seiner Geburt den Rücken gekehrt hatte. Am Abend genoss er dort die Gesellschaft der Männer, mit denen er zusammensaß und Met trank, so konnte er der Stille der Wildnis für kurze Zeit entkommen. Genauso hatte es auch sein Vater und die beiden älteren Brüder gemacht, die damals beide schon zu Männern herangereift gewesen waren. Immer wenn er für einen kurzen Augenblick in Gedanken versank, glaubte er, sie für einen haudünnen Moment in der Runde sitzen zu sehen. Ob der Honigwein ihn bereits berauschte? Nein, Arwid ließ sich nicht täuschen. Er wusste, dass er sie in dieser Welt nicht mehr sehen würde. Sie warteten in Walhalla auf ihn. Dort würden sie eines Tages wieder vereint sein. Dies milderte ein wenig seine Melancholie, so dass er sich wieder auf das Gespräch der Männer konzentrieren konnte. Die Alten sprachen gerade davon, wie gut es ihnen doch ging, seitdem sie Frieden mit Rom geschlossen hatten. Arwid beobachtete die Runde. Sein Blick wanderte über jedes einzelne Gesicht der anwesenden Männer. In vielen spiegelte sich Zustimmung darüber, doch nicht in allen. Einige der Jüngeren schienen eine ganz andere Meinung zu haben. Doch offensichtlich hatte niemand von ihnen den Mut, dagegenzusprechen. Vielleicht war das nun seine Chance, Gleichgesinnte zu finden, die mit ihm gemeinsam für die gleiche Sache kämpfen wollten: Für die Freiheit aller Germanenstämme und für die Genugtuung aller, die mit Rom noch eine Rechnung offen hatten und auf Rache sannen.
    „Ihr wähnt euch also in Sicherheit, während ihr euch von dem Tand und den Almosen Roms, blenden lasst? Ihr habt noch nicht Roms wahres Gesicht gesehen!“ Der junge Germane hatte sich erhoben, als er zu sprechen begonnen hatte, streifte seine Tunika über den Kopf und bot den anwesenden Männern seinen nackten Rücken dar. „Seht her! Das ist das wahre Gesicht Roms! Seht, was sie aus euch und euren Frauen und Kindern machen, falls es euch einmal nach Freiheit dürsten sollte!“ Ein unterschwelliges Murmeln unter den Männern machte sich breit. Teils skeptische, teils erschütternde aber auch teils erboste Blicke trafen den jungen Germanen, der sie mit einem herausfordernden Blick taxierte.
    „Du bis Gast in dieser Halle, Fremder. Sag uns deinen Namen und was dir widerfahren ist, dass du so sprechen kannst!“ Einer der Alten war ebenfalls aufgestanden und hatte sich an Arwid gewandt.
    Arwids Blick bewegte sich zu dem Alten hin. „Mein Name ist Arwid, Hathumars Sohn. Einst gehörte ich zum Stamm der Tenkterer. Vor über zehn Jahren, ich selbst war damals noch ein Knabe, begehrten die Meinen auf gegen Rom, denn es hatte sie nach Freiheit gedürstet. Die Soldaten kamen in unser Dorf, unsere besten Männer fielen im Kampf oder wurden ans Kreuz genagelt, sie brannten alles nieder, vergewaltigten unsere Frauen und legten all die, derer sie habhaft werden konnten, in Ketten, um sie in ihr verdammtes Reich zu verschleppen, um sie dort als Sklaven zu verkaufen. Auch mich hatten sie zum Sklaven gemacht. Doch sie begangen den Fehler, mich in der Kriegskunst zu unterweisen, allein ihres Vergnügens wegen. Ich konnte fliehen. Nun stehe ich hier, um euch zu warnen und auf!“ Das Murmeln der Männer wurde lauter, sie begannen untereinander zu diskutieren bis sich der Alte mit einem lauten „RUHE!“ wieder Gehör verschaffte. „Wir haben mit den Deinen nichts zu schaffen! Uns geht es gut, wir profitieren vom Handel mit Rom. Es wäre besser, wenn du unser Dorf nun verlässt. Heute Nacht noch. SOFORT!“ Die Stimme des Alten war schärfer geworden und seine Gesten waren unmissverständlich, dass Arwid nun gehen sollte.
    „Ich beuge mich deinem Willen, alter Mann. Doch ihr anderen seid euch gewiss, ihr werdet den Tag erleben, an dem Rom euch sein wahres Gesicht offenbaren wird. Doch dann wird es zu spät sein!“ Mit diesen Worten wandte sich Arwid zum Ausgang und verließ die Halle. Hinter sich konnte er noch erahnen, wie seine Worte nun für laute Diskussionen zu sorgen begannen. Er begab sich direkt zu seinem Pferd, band es los und ritt davon. Was der junge Germane jedoch noch nicht wusste, war dass sich kurze Zeit später einige der jüngeren Männer es ihm gleichtaten, ebenfalls das Dorf verließen und ihn verfolgten.

  • Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, ritt der junge Germane aus dem Dorf hinaus in die Nacht. Im Licht des Vollmonds suchte er sich seinen Weg. Dies würde eine lange unbequeme Nacht werden. Doch noch war er wach und aufmerksam. Die kalte Luft tat ihr Übriges. Für eine gewisse Zeit würde sie ihn davor bewahren, müde zu werden und einfach einzuschlafen.


    Wenigstens aber die Götter schienen ihm wohlgesonnen zu sein, denn nach einiger Zeit erreichte er eine kleine Lichtung, die wie für ein Nachtlager gemacht war. Er zog die Zügel seines Pferdes an und stieg ab. Notdürftig sammelte er etwas Holz und Reisig, um ein kleines Feuer machen zu können.
    Zusammengekauert saß er schließlich an seinem Feuer und wärmte sich. Dabei reflektierte er noch einmal die Geschehnisse der letzten Tage. Die Entspannung nach dem nächtlichen Ritt sorgte dafür, dass sich die Müdigkeit wie ein feindlicher Krieger an ihn heranschlich und sich seiner habhaft wurde, seine Augen wurden schwer und fielen ihm schließlich zu. Jedoch war sein Schlaf nicht richtig tief. Das hatte er in all den Jahren gelernt. Ständig auf der Hut zu sein. Niemandem zu vertrauen.
    Ein Knacken ließ ihn sofort wieder hell wach werden, er verharrte aber weiter in seiner zusammengesunkenen Haltung. Von weitem drang das Schnauben eines Pferdes heran und ein leises Nähern von Schritten, welches von weiterem Knacken des Unterholzes begleitet wurde. Arwid griff suchend nach seinem Dolch, um bereit zu sein, wenn dieser ungebetene Gast sich noch näher an ihn heranwagen sollte. Inzwischen konnte er den Kerl ausmachen. Es war einer vom Dorf. Er hatte den Mann mit dem markanten Bart in der Halle gesehen. Arwid fragte sich, was er hier wollte. Hatte man ihn geschickt, um ihn unschädlich zu machen? Jedoch wollte er nicht so lange warten, bis er es selbst herausfand. Als nur noch wenige Schritte die beiden Männer voneinander trennte, sprang er mit einem Satz auf, bereit seinem Dolch in Richtung des Fremden zu werfen.


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    Der Fremde blieb abrupt stehen. „Halt, nicht! Ich will dir nichts Böses! Ich bin hier um mich dir anzuschließen“
    Arwid verharrte zunächst in seiner Haltung, um bereit zu sein. „Ach ja? Und warum hast du dich dann nicht in der Halle zu Wort gemeldet? Warst du etwa zu feige dazu?“ Der Fremde trat noch etwas näher, hielt aber seine Hände vom Körper weg, damit er Arwid nicht weiter provozierte.
    „Weil ich mit meiner Meinung leider ziemlich alleine stehe in unserem Dorf. Es gibt vielleicht noch zwei oder drei Männer die diesem aufgezwungen Frieden nichts abgewinnen können. Als du heute deine Stimme erhoben und uns deine Narben gezeigt hast, wusste ich sofort, dass ich mich dir anschließen muss!“
    Arwid ließ langsam seinen Dolch sinken und bedeutete dem Fremden mit einer Geste sich zu setzen. „Wie ist eigentlich dein Name? Und was erwartest du dir von mir?“
    „Ich heiße Thorbrand. Was ich mir von dir erwarte? Nun, wie ich schon sagte, ich halte nicht viel von dem Frieden mit Rom. Meine Schwester, sie wurde entführt und wahrscheinlich hat man sie versklavt.“ Thorbrand hatte Mühe die Fassung zu wahren. „Ich weiß, dass die Chancen mehr als gering sind, sie wieder zu finden, doch…“ Ein Knacken im Unterholz ließ Thorbrand stocken. Auch Arwid hatte das Geräusch gehört und war aufgespritzt. War ihm etwa noch jemand gefolgt?

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    Einar


    „Wenn du gehst, dann geh ich auch! Einar! Verdammte Axt, bleib stehn!“ Die kleine rothaarige Wildkatze rannte ihrem Bruder hinterher, der gerade dabei war, sein Pferd bereit zu machen. Einar hatte das Nötigste zusammengepackt: Vaters Schwert, etwas Proviant und einige römische Münzen, die er von einem Händler erhalten hatte, dem er ein paar Kaninchenfelle verkauft hatte. „Du kannst nicht mitkommen, Ygrid!“ antwortete er genervt. Seine kleine Schwester konnte manchmal eine richtige Nervensäge sein! Was sollte ein kleines Mädchen wie sie dort draußen? Wenn es stimmte, was der Fremde heute Abend gesagt hatte, dann konnte es richtig gefährlich werden.
    „Ach ja? Und was soll ich hier? Alleine, ohne dich?“ Ygrid und Einars Eltern waren beide schon vor einigen Jahren gestorben. Die Mutter starb im Kindbett und nach dem Tod des Vaters hatte Einar sich um seine Schwester gekümmert. Eigentlich hätte er sie gerne noch verheiratet. Schließlich war sie mit 17 Sommern im besten Alter dafür. Er hatte auch schon einen geeigneten Kandidaten für sie ausgesucht. Natürlich hatte er Ygrid von seinen Plänen nichts erzählt, denn dann wäre sie Sturm gelaufen. Er kannte ja seine Schwester besser als jeder andere.
    „Hör mal, Liebes. Versteh doch, du kannst nicht mit! Ich könnte mir nie verzeihen, wenn dir etwas zustößt. Du kannst solange bei Ylva und Ansgar bleiben, bis ich wieder zurück bin.“ Er hatte sein Gepäck abgelegt, war auf sie zugegangen und hielt sie im Arm, so wie er es schon tausendmal gemacht hatte, wenn er wollte, dass Ygrid vernünftig sein sollte. Ylva, die ältere Schwester der beiden, war mit dem Schmied des Dorfes verheiratet. Die beiden waren eine gute Adresse, um ihnen Ygrid anzuvertrauen.
    „Bei Ylva und Ansgar bleiben?“ fragte sie skeptisch. „Bist du dir da ganz sicher?“ Einar nickte und küsste sie auf die Stirn. Dann schwang er sich auf sein Pferd und ritt hinaus in die dunkle Nacht.


    Ygrid sah ihm noch nach. Als die Dunkelheit ihn verschluckt hatte, ging sie zurück ins Haus, suchte sich warme und zweckmäßige Kleidung zusammen. Sie tauschte ihr Kleid gegen ein paar lederne Hosen ihres Bruders. In denen würde sie besser reiten können. Dann kürzte sie ihr langes rotes Haar mit einem Messer. Man sollte nicht auf den ersten Blick erkennen können, dass sie eine junge Frau war. Schließlich suchte sie das Haus noch nach möglichen Waffen ab. Alles was sie fand und einigermaßen tauglich war, war ein scharfes Messer aus der Küche und die Axt, mit der sie am Nachmittag Holz gespalten hatte. Dann nahm sie sich eines von Ansagars Pferden und ritt ihrem Bruder hinterher, jedoch mit einem größeren Abstand zu ihm- Zum einen damit er sie nicht entdeckte zum andern war es dunkel. Nur der Schein des Vollmondes halfen ihr, sich einigermaßen zurecht zu finden, um nicht vom Weg abzukommen.


    ***~~~***


    Einar war schon einige Zeit unterwegs gewesen. In der Dunkelheit war es gar nicht so leicht jemandem zu folgen, Er befürchtete schon, vom Weg abgekommen zu sein. Langsam kamen ihm Zweifel, ob es nicht besser gewesen wäre, erst am Morgen loszureiten. Er dachte schon daran, wieder umzukehren. Doch dann sah er in einiger Entfernung ein kleines Feuer brennen. Er stieg von seinem Pferd und lief das letzte Stück und führte sein Pferd am Zügel. Als er näherkam, sah er zwei Männer, die ihn offenbar bereits ins Visier genommen hatten. Die beiden kannte er. Es waren der Fremde und – Thorbrand?!
    „Thorbrand? Was machst du denn hier?“ Einar war sehr überrascht, ihn hier zu sehen. Dann musterte er den Fremden, der ihm am Abend so sehr imponiert hatte.
    „Heilsa, mein Name ist Einar. Ich weiß zwar nicht, was du genau vorhast aber vielleicht kannst du noch etwas Hilfe dabei gebrauchen? Eins ist sicher, wir müssen unsere Leute zum Umdenken bringen!“


    Einar hatte bereits am Feuer Platz genommen und seine klammen Finger gewärmt, als ein weiteres Mal das Unterholz knackte. Eine schmale Gestalt, vielleicht von einem Jungen, kam direkt auf sie zu.
    „Heilsa, alle miteinander!“, rief da plötzlich eine Stimme, die ihm sehr gut bekannt vorkam. Dann erkannte er auch das rote Haar seiner Schwester, das jetzt deutlich kürzer war. Sie trug eine von seinen Hosen und dieser freche Ausdruck in ihrem Gesicht hätte ihn rasend machen können! „Ygrid! Wie kommst du hier her! Du wirst sofort wieder nach Hause reiten!“
    Das war mal wieder typisch ihr Bruder! Natürlich würde sie nicht wieder zurück ins Dorf reiten. Einar musste endlich begreifen, dass sie kein Kind mehr war!
    „Nein! Das werde ich ganz bestimmt nicht!“

  • Für einen Moment hatte Arwid den Atem angehalten. Wieder war da dieses Geräusch gewesen. Sofort griff er wieder nach seinem Doch. Als dann ein weiterer Mann zu ihnen ans Feuer trat, den Thorbrand kannte und der auch ihm bekannt vorkam, ließ er seine Waffe wieder sinken. Dieser Mann war auch in der Halle gewesen. Aber auch er hatte geschwiegen. Er nickte ihm zu, noch immer konnte er seine Spannung in seinem Körper wahrnehmen. „Du bist also Einar. Setzt dich zu uns, Einar!“ Mit einer einladenden Geste bedeutete er ihm, sich zu setzen.
    „Nun, ich denke, man kann immer eine helfende Hand gebrauchen. Ich habe vor, noch weitere Dörfer zu besuchen. Vielleicht sind sie anderswo einsichtiger, als in eurem Dorf.“
    Kaum hatte Arwid zu Ende gesprochen, da knackte es schon wieder. Diesmal stand er sofort auf und schritt in die Richtung aus der das Geräusch kam. Plötzlich stand dann dieses Mädchen vor ihm, das scheinbar völlig beschwingt die kleine Männerrunde begrüßte. Zuerst Thorbrand dann dieser Einar und kurze Zeit später dann noch dieses Mädchen auf - hier musste irgendwo ein Nest sein! Arwid hatte sich die Frage nach ihrem Namen sparen können, denn ganz offensichtlich gehörte sie zu Einar. Der war gar nicht erpicht darauf, sie hier zu sehen.
    Der junge Germane hörte den Schlagabtausch der beiden eine Weile zu. Schließlich wurde es ihm zu bunt! „Hört auf zu streiten!“Er besaß sich das Mädchen, das offenbar mutig genug gewesen war, um mitten in der Nacht ihrem Bruder zu folgen.
    „Wenn sie schon mal hier ist, könnte sie doch auch mir uns kommen. Kannst du kämpfen, Mädchen?“ Er wollte Einar nicht vorgreifen, schließlich war Ygrid seine Schwester.

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    Einar


    Genau das hatte Einar hören wollen. Er hatte sich Arwid anschließen wollen, weil er etwas bewegen wollte. In ihm erkannte er den richtigen Mann dafür. Die Stämme im Grenzgebiet, die bereits unter der Fuchtel Roms standen, mussten endlich aufwachen! Sie mussten endlich erkennen, wie hoch der Preis war, für die Blendungen Roms. Doch dann wurden die Männer plötzlich unterbrochen und die kleine Nervensäge - seine Schwester – stand vor ihnen. Einer war jetzt richtig wütend. Dass sie nie das tun konnte, was man ihr sagte! Es war ihm peinlich, vor Arwid und Thorbrand mit ihr zu streiten. Doch es ging nicht anders. Am liebsten hätte er sie an ihren Haaren gepackt und sie bis nach Hause geschleift. Doch das ging ja nicht mehr. Schwesterchen hatte sich ja die Haare abgeschnitten, um den Aufstand zu proben.
    Arwids Aufruf, ließ Einar verstummen. Er sah zu seiner Schwester, die urplötzlich einen mächtigen Verbündeten an ihre Seite gestellt bekam und ihm nun dreckig zu grinste und Arwids Frage mit „Klar doch!“ beantwortete. Einer brachte einige Sekunden, um seinen Zorn runterzuschlucken, ehe er etwas sagen konnte. „Ja, sie hat eine wenig Erfahrung. Ich habe ihr einiges beigebracht, damit sie sich im Notfall selbst verteidigen kann. Und wie du siehst, ist sie auch reichlich übermütig. Aber vielleicht hast du ja recht. Irgendjemand muss ja auch für uns sorgen, das Essen zubereiten und gelegentlich unsere Kleidung waschen.“ Mit einem hämischen Lächeln schaute er zu seiner Schwester, deren Grinsen geradewegs aus dem Gesicht zu fallen schien.
    Andererseits hatte Ygrid das erreicht, was sie erreichen wollte. Arwid würde sicher auch noch ein Wörtchen mitzureden haben, ob sie nur fürs Kochen und Waschen zuständig war!

  • Endlich kamen die beiden zur Besinnung. Arwid bot schließlich auch Ygrid einen Platz an seinem Feuer an. Bis in die tiefe Nacht hinein saßen die vier dort noch und sprachen miteinander, so dass sie sich näherkennenlernen konnten. Dabei erklärte Arwid den dreien seinen Plan und sie überlegten, was sie nun als nächstes tun wollten.


    ***


    Am nächsten Tag zogen die vier weiter, von einem Dorf zum nächsten Dorf und von Gehöft zu Gehöft. Überall wo sie ankamen, versuchte Arwid die Dorfbewohner zu überzeugen. Nicht überall war er willkommen, doch mit der Zeit wuchs die Zahl seiner Gefährten an. Mit dem Ruf„Tot allen Römern!“ oder „Befreit die germanischen Sklaven aus der römischen Tyrannei!“, konnte er immer wieder neue Männer und auch einige Frauen für sich gewinnen. Schließlich hatte er nach einigen Wochen knapp 30 Gefährten um sich gesammelt - Arwids Horde.



    Wie jeden Abend saßen sie alle beisammen an einem großen Feuer. Die Jagd am Tag war erfolgreich gewesen und so gab es für jeden reichlich zu Essen. Wildschweinbraten stand heute auf der Speisekarte. Dazu tranken sie Met und Bier, welches sie einem beleibten römischen Händler abgenommen hatten, der Tauschgeschäfte mit den germanischen Stämmen jenseits der Grenze trieb. Den Händler selbst hatten sie am Leben gelassen. Ihn hatte man geknebelt an den Stamm eines Baumes gebunden. Seinen von zwei Ochsen gezogenen Wagen hatten sie gut gebrauchen können. Neben dem Bier und dem Met hatte er noch einige anderen Waren geladen. Zum Beispiel einige Frauentuniken für aus feinen römischen Stoffen und einige Tiegel mit wohlriechendem Balsam darin.


    „Wir sollten endlich rüber auf die andere Seite! Ich habe es langsam satt, ständig nur hin und her zu reiten. Ich hätte jetzt richtig Lust, endlich ein Paar verdammte Römer aufzuknüpfen und ihnen den Schädel einzuschlagen!“, brummte Gunnar, ein Mann mittleren Alters, der sich Arwid einige Wochen zuvor angeschlossen hatte. Einige der anderen Männer dachten ähnlich, wie Gunnar. Sie alle hatten ihre persönlichen Gründe, warum sie hier waren.
    „Dann kannst du ja gleich mit dem fetten Schwein dahinten anfangen!“, lachte Thorbrand und wies zu dem gefesselten Händler. Das wollte sich Gunnar nicht zweimal sagen lassen und wollte bereits aufstehen. Jedoch hielt er inne, als sich Arwid zu Wort meldete. „Nichts überstürzen, Freunde! Wir sollten unsere nächsten Schritte gut überlegen und nicht kopflos handeln! Sonst haben wir nämlich gleich ihre verdammte Legion am Hals! Wenn wir den Limes überqueren, dann muss das unauffällig geschehen, erst wenn wir dann im Hinterland angekommen sind, können wir zuschlagen.“ Arwids Einwand fand unter seinen Männern Zustimmung, schließlich kannte er sich auf der anderen Seite aus.

  • Für Einar jedoch war ein ganz anderes Problem offensichtlich, nämlich das der Bewaffnung. Dabei sprach er den Männern gar nicht einmal die Fähigkeit ab, kämpfen zu können. Ihre Mittel aber waren mehr als bedenklich. „Außerdem brauchen wir dringend noch mehr Waffen! Ich habe die Römer kämpfen gesehen! So wie wir im Moment ausgerüstet sind, halten wir nicht einmal ihren Hilfstruppen stand!“, warf Einar ein, was wiederum unter den Männern für Diskussionsstoff sorgte. Manche der Männer, die sich ihnen angeschlossen hatten, waren nicht einmal mit dem Nötigsten ausgerüstet. Es gab einige Schwerter, er selbst hatte eines davon, mehrere Äxte, wobei die meisten nicht wirklich zum Kampf taugten, sowie Speere. Manche hatten sogar nur einen Jagddolch mit sich. Bedächtiges Murmeln breitete sich am Lagerfeuer aus, bis eine keck klingende Stimme aus dem Hintergrund, die Aufmerksamkeit auf sich zog.„Die Römer haben doch Waffen. Also müssen wir sie uns nur besorgen!“ Ygrid bahnte sich ihren Weg zum Feuer und trieb dabei den gefangenen Händler, den sie vom Baumstamm befreit hatte, vor sich her. Der Mann hatte immer noch den Knebel im Mund und die Hände auf den Rücken gefesselt. Alles sah sich etwas verwundert nach ihr um und beäugte dabei auch den schwitzenden Händler, der scheinbar Todesängste aushalten musste. „Aber vorher sollten wir den Göttern noch ein Opfer darbringen, ein besonders fettes Opfer“, meinte sie süffisant, so dass der Römer zu winseln begann. „Sei endlich still! Du solltest doch froh sein, denn dir wird gleich die große Ehre zuteil, für Wodan, Thor und Tyr geopfert zu werden.“
    Als plötzlich aber Gunnar vor ihr auftauchte, um sie wegzudrängen und sich selbst des Gefangenen anzunehmen, fand Ygrid das nicht wirklich lustig.„Hey, verdammte Axt, das ist meiner! Ich habe mich seinem Karren heute Morgen in den Weg gestellt, nicht du! Also gehört er mir!“ Gunnar musterte sie abschätzig. „Was willst du denn, Mädchen? Du hast doch gar keine Ahnung, wie man so etwas macht! Geh zurück zu den anderen Weibern, und sieh zu, dass wir noch etwas mehr Met zum trinken haben!“, meinte er belustigt.
    „Ach, meinst du DAS!“, rief sie und rammte dem Gefangenen ihr Messer in den Rücken, so dass er vor Schmerz aufschrie, seine Beine einknickten und er nach vorne fiel. Schließlich mischte sich auch noch Einar ein. „Schluss jetzt! Wieso streitet ihr euch? Meint ihr, das gefällt den Göttern, wenn wir schon jetzt uneins sind! Lasst uns jetzt endlich mit dem Opfer beginnen!“ Mit einem Ruck zog er den Römer wieder nach oben und durchtrennte dem Mann mit einem sauberen Schnitt die Kehle, so dass sie sein Blut ihren Göttern opfern konnten…

  • Nachdenklich saß er am Feuer bei seinen Gefährten und hörte ihnen weiter zu, worüber sie sprachen. Arwid selbst hielt sich weitgehendst zurück, bis… ja bis Ygrid mit dem Gefangenen auf der Bildfläche auftauchte. Seit dem ersten Abend, als sie und ihr Bruder an sein Feuer gekommen waren, hatte er für das Mädchen etwas empfunden. Und auch jetzt fand er sie mehr als beeindruckend. Denn eines musste man der Kleinen lassen, sie hatte ordentlich Schneid! Das gefiel Arwid! Ihr Einwand brachte ihn auf eine Idee, die er bisher so noch gar nicht bedacht hatte. Doch zunächst schwieg er. Er beobachtete sie weiter, wie sie sich mit Gunnar stritt und wie sich schließlich Einar einmischte und den Römer opferte. „Mögen die Götter uns beistehen, bei allem, was wir tun werden!“, murmelte er zu sich selbst, als das Blut des sterbenden Römers auf die Erde tropfte. Er verweilte noch etwas am Feuer, dann zog er sich zurück, jedoch nicht ohne Ygrid ein Zeichen zu geben, auf dass sie ihm folgen sollten. Sie hatte ihn so beeindruckt, so dass er sie direkt in seine Pläne mit aufgenommen hatte. Sie besaß die nötige Kaltblütigkeit und Mut.


    ***


    Am nächsten Tag verließ die Horde ihren Lagerplatz. Zurück blieb der tote Römer, dessen ausgebluteter Leichnam sie nackt an einen Baum gehängt hatten. Sie ritten dem Limes entgegen. An einer der Grenzübergänge wollten sie hinüber ins besetzte Gebiet. Doch als der Grenzwall bereits fast in Sichtweite war, stoppte Arwid plötzlich. Seine Gefährten wunderten sich, doch er beschwichtigte sie und mahnte sie zur Geduld. Stundenlang rasteten sie, bis bereits die Dunkelheit einbrach. Dann stürmten sie los. Ihr Ziel war der Grenzposten, den sie überrannten und alle Soldaten, die sich dort aufhielten massakrierten, bevor einer von ihnen Alarm schlagen konnte. Die Toten entledigte man ihrer Waffen und nagelte ihre Körper an die Außenwände ihres Wachturms, dann passierten sie die Grenze.
    Nahezu lautlos du unauffällig schlichen sie sich an dem Kastell vorbei, welches sich hinter dem Grenzwall befand. Dann trennte sich die Horde. Ein Teil ritt weiter nach Süden in Richtung Moenus. Ein anderer Teil Ritt in Richtung Mogontiacum. Arwid und Yirid hatten den Wagen des römischen Händlers bestiegen und machten sich ebenso nach Mogontiacum auf. Spätestens in drei Wochen wollten sie sich südlich von Mogontiacum wieder treffen, um ihr gemeinsames Werk fortzusetzen...

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