Rhenus | Felicem fluvium Rhenique sacremus in undas

  • Nachdem die Reisegesellschaft den Vicus Salutaris erreicht hatte, bestiegen die drei Gefährten ein Prahmboot der Classis Germanica, welches in dienstlicher Mission ohnehin eine Frachtladung vom Castellum in Bonna zur Legio VIII Augusta in Argentoratum zu liefern hatte und auf dem Wege von Mogontiacum zu seiner Destination genügend Raum bot, um auch dem scheidenden Tribun, dem versetzten Centurio und ihrem noblen Gast als kommodes Gefährt auf ihrer Reise nach Roma zu dienen. Der flache Einstieg gestattete es gar, den Reisewagen des jungen Tiberius in lediglich rudimentär zerlegtem Zustand auf dem Deck zu transportieren, sodass seine Kabine den Passagieren als agreable Rückzugsort mochte dienen. Erst als somit sämtliches Gepäck verstaut war, ruderten die Nautae das Boot aus dem Portus Militaris und hissten die Segel, um der mächtigen Strömung des Rhenus zu widerstehen und gen Süden sich zu wenden.


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    Die folgenden Tage folgten dem immergleichen Rhythmus der Flussschifffahrt auf dem Rhenus: Des Tags segelten sie entgegen der Strömung oder quälten sich bei Flaute mit Muskelkraft allein in torquierlicher Langsamkeit voran, sofern sie nicht schlicht den Anker setzten, um zumindest der mühsam erkämpften Flussmeilen stromaufwärts nicht verlustig zu gehen. Des Nachts legten sie dagegen in einer der zahllosen Dörfer oder Städte entlang des Flusses an, um in Stationes oder privaten Gasthäusern das Nachtmahl einzunehmen, in der Sekurität fester Häuser zu nächtigen und am folgenden Tage wieder aufzubrechen. Insonderheit den Rossen mochte jene Form des Reisens nicht sonderlich behagen, sodass die Sklaven des Abends genötigt waren, den Tieren noch einigen Auslauf zu gewähren, doch zumindest kamen sie dank der flachen Kiele des Bootes mit beachtlicher Velozität voran, ohne sich der Insekurität der Heerstraßen auszusetzen.


    Manius Minor genoss die Ruhe des Flusses und nutzte den Tag, um sich von den Strapazen des vergangenen Jahres, welches kaum ihm die Muse anregender Lektüre oder kurzweiliger Konversation hatte geboten, zu relaxieren, sodass oftmals er lediglich auf dem Deck sich niederließ, die Szenerie am Ufer beobachtete und dabei den Rezitationen seines Dieners Patrokolos aus der Reisebibliothek zu lauschen.
    Dennoch erwies selbstredend er sich auch als manierlicher Reisegefährte und pflegte mit den Tiberii (obschon eher mit dem jüngeren der beiden) anregende Konversation, sofern die Brüder, welche augenscheinlich über diverse Jahre der Separation sich auszutauschen hatten, daran Interesse zeigten. Selbstredend disputierten sie so über die jüngsten Geschehnisse des Sklavenaufstandes in Roma, dessen Ursachen und Folgen, wobei der junge Flavius eine eher milde Position gegenüber den Unfreien einnahm, welche er sich aus der epikureischen Schule bewahrt hatte, obschon neben Mitleid mit den teils miserablen Umständen ihrer Haltung auch er die Obligation der Sklaven zu dienen für geboten erachtete. Daneben sprachen sie indessen auch über ihre eigenen Biographien und insonderheit jenen Bürgerkrieg, welcher ihre Generation wie ihren Stand in so fataler Weise hatte geprägt. Manius Minor berichtete über seine Flucht aus Roma im Knabenalter, nachdem sein Vater an der Verschwörung des Tiberius Durus und des Vinicius Lucianus hatte partizipiert (obschon er die horriblen Details und die traumatischen Remineszenzen daran selbstredend aussparte), seinen infantilen Wunsch, ins Kriegsgeschehen einzugreifen und als Offizier dem Usurpator die Stirne zu bieten, weshalb er heimlich sich dem Tross der Legio I Traiana hatte angeschlossen, um auf halbem Wege durch seinen Anverwandten Aurelius Ursus, den damaligen Legatus Legionis, aufgegriffen und in die Sekurität des Hauses eines Klienten, des guten Vindex in Cremona, verfrachtet zu werden und erst nach erfolgter Eroberung Romas durch die Truppen des Cornelius Palma nach Hause zurückzukehren. Während er dessenungeachtet auch erquicklichere Lebensphasen nicht aussparte und etwa berichtete, wie er als Knabe die Hochzeitsfackel des Manius Tiberius Durus, eines Freundes seines Vaters, getragen und jener Greis ihn stets mit überaus großer Freundlichkeit traktiert hatte, oder über die aufreibenden Verhandlungen mit den Chatten sinnierte (nicht ohne selbstredend den Verdienst des Tiberius Verus und die Ehrerbietung, mit welcher die Barbaren ihn traktiert hatten, hervorzuheben), wich er den Episoden rund um seine Bildungsreise nach Alexandria wie auch seinen Opium-Abusus und seine zeitweise mehr denn ruinierte Relation zu seinem Vater weitgehend aus. Doch erwiesen die erfreulicheren Partien der flavischen Biographie durchaus als hinreichend, um die ennuyanten Stunden an Bord des Schiffes zu füllen, während wie von selbst sie sich immer weiter den mächtigen Bergen des Montes Alpes approximierten, die zuletzt es noch zu überwinden galt, ehe der Weg final sie durch das fruchtbare Italia würde führen.


    Sim-Off:

    Bildquelle: David Fisher: The twisty Rhine river at Loreley rock

  • Wenn man durch ein Tal wanderte, hieß es nicht zu vergessen, dass man bald einen Berg besteigen musste. Verus erinnerte sich an die Weisheit, die ihm einst sein Ausbilder mitgegeben hatte. Es war dieses Gefühl, dass er immer weiter wanderte, auf und ab in seinem Leben, ohne wirklich zu verstehen, warum er es tat. Er wanderte auf dem Pfad des Rechtes, obwohl er sich selbst im Unrecht sah. Der Berg war bereits in Sicht. Ein Berg, der so hoch war, dass Verus seinen Anstieg fürchtete. Die Prätorianer waren nicht nur eine Bürde, eine Verpflichtung, sondern auch ein Fluch. Luna verstand es nicht. Wie sollte sie auch? Sie sah die Tätigkeiten als gleichwertig an. Verus suchte Feinde des Imperiums, fand sie und tötete sie. Doch es war ein ehrlicher Kampf. Mann gegen Mann. Linie gegen Linie und was blieb ihm bei den Prätorianern? Heimtücke und Meuchelmord. Es war ein Berg der Furcht, den er nicht erklimmen konnte. Es wäre einfach für den Mann, sich freistellen zu lassen, sich auf seine Taten zu berufen und zu gehen. Doch wohin sollte er gehen? Sollte er im Tal bleiben oder weitergehen? Immer weiter gehen. Bis kein Ort und keine Erfahrung ihm unbekannt war?


    Verus verbrachte viel Zeit an Deck, mied die Gespräche der Anwesenden soweit möglich und versuchte zu verstehen, was er geworden war. Diese grausigen Dämonen, die seinen Verstand überfluteten, wie die Gewässer des Rheins trennten sie Welten. Er konnte nicht mehr zwischen Vergangenheit und Gegenwart trennen. Die Zeit schien ineinander zu fließen. Seit diesem Tag, wo er das erste mal ein Schwert in den Leib eines unbeholfenen Gegners gestoßen hatte. Es war dieses Gefühl, dass Leben stets zerfloss und nicht einmal ein Wunsch dieses ändern konnte. Dieses Leben zerlief zwischen seinen Händen, wie Wüstensand. Seine Augen suchten oft die Fluten heim, wollten sich im Gewässer verlieren und fortschwimmen, an einen fernen Ort, damit diese Erinnerung verblasste. Diese gefühlte Schuld. Nicht nur am Tod, sondern an seiner Unfähigkeit, diese Gewalt zu ertragen. Er hatte Luna grausame Dinge antun müssen. Noch immer hörte er die Peitsche knallen. Immer wieder zog dieses Geräusch durch seinen Schädel, mit ihm die Asche der niedergebrannten Dörfer in Dakien oder die niedergemachten Bewohner des germanischen Dorfes. Immer-da war diese Präsenz, dass dieses Leben wertlos war, wie die Leben, die vergangen waren. Es gab keine Bedeutung, keinen Zweck und keine wahre Aufgabe, für einen Soldaten, dessen Hand mit meisterlicher Zauberei morden konnte. Er war zu gut darin, zu erfahren und zu vergeben an dieses eine Handwerk, so dass Verus sich vor sich selbst fürchtete. Die Legion hatte ihn in allen Belangen gut geformt, damit er Dakien, Germanien und verschiedene Brandherde des Reiches überstehen konnte. Verus war gut darin, ein Legionär zu sein. Er war gut darin, Befehle zu befolgen und der Zweifel wurde ertränkt, wie seine Sehnsucht in diesen Fluten, die das Schiff unweigerlich zum Ziel brachten. In der Nacht suchte er heimlich seine Luna auf, um ihre Hand zu halten, ihre Wangen und Lippen zu spüren, damit etwas Echtes existierte. Etwas, was sein Murren und leidvolles Dahinleben brechen konnte. Seine Sklavin, die niemals wirklich unfrei war, gab ihm alles in den Nächten, was er suchte und gab ihm Leben, wenn auch noch für einen Moment. Gelegentlich beteiligte sich Verus an den eloquenten Gesprächen seines Bruders mit dem Flavius. Beide schienen von einer Welt zu sein, konnten gemeinsam sprechen und teilten die eleganten Wörter, die Verus längst aufgegeben hatte. Sofern er konnte, gab er einen sachlichen Kommentar ab oder sprach offen über seine Gedanken, wurde dann aber wieder gemieden oder zog sich viel mehr aus Unfähigkeit eines normalen Gespräches zurück. Merula, sein Bruder, war begabter, geschickter und sicherlich begieriger als Verus, der keinerlei Ambition an irgendeinem ehrgeizigen Streben hatte. In seiner Welt war Streben stets mit einem Blutpreis verbunden. Seine Titel und Ehrungen hatte Verus stets mit Blut erworben und am Ende mit seiner Seele bezahlt.


    Ja, er war auf seinem Weg und sein verbohrter Selbsthass, ließ keinen Ausweg zu. Er hasste sich selbst für all das, was er nicht war. Es fiel ihm zu leicht, einen Gegner abzustechen und verzweifelte schlicht daran, dass es ihm leicht fiel. Töten verlangte nicht mehr viel von ihm. Es war eine Handlung. Befehl und Ausführung. Eine schlichte Handlung, wie eine Maschine, die über einen Hebel gesteuert wurde. Verus verließ Germanien mit wenig Träumen, überwiegend plagten ihn Albträume und verschlossene Panikgedanken. Seine Realität war nicht mehr kompatibel mit einem freundlichen Sujet, einem freudigen Tanz oder einem übermäßigem Lachen. Zwar bewegte seinen Geist bei Zeiten Kunst und Philosophie, doch verstarb im Angesicht der schlichten Grausamkeit seines Alltages. Wenn er nicht von Monotonie, ständiger Wiederholung, passiver Duldung und aktiver Gewalt geprägt war, so durchzug seine Tage ein Leben in geordneten Bahnen von Regularien und vorgegebenen Pfaden.


    Als Soldat fiel es ihm auch noch schwer, von diesen Pfaden zu lassen. Selbst auf dem Schiff, übte er sich in seinen Routinen. Zwar war an eine Kampfübung nicht zu denken, da es an Platz mangelte, aber seine Liegestützen, seine Gewichte und auch seine Sprungbewegungen, konnte er machen. Er überzog auch im Angesicht der Anwesenden, da er sich bis zum blutigen Schweiße trieb. Verus musste und wollte die Schmerzen seines Muskeln und Gelenke spüren, damit er nicht vergaß, dass er noch irgendwie lebte. Es half ihm, im Alltag zu bleiben. Ein Soldat war stets bereit, so auch Verus. In dieser ständigen Erwartung eines tödlichen Kampfes stand Verus in fester Absicht, sich selbst und seinen letzten Rest Idealismus zu schützen. Luna unterbrach seine Handlungen stets mit einer sehnsüchtigen Anwesendheit, mit geheimen Blicken sorgte sie sich aber konnte aus sichtbarer Position nicht handeln. Der Wolf, welchen sie anbinden mussten, befand sich auch an Deck und oft setzte sich Verus einfach neben Fenrir, welcher seinen großen Kopf auf seinen Schoß legte. Beide waren sie einsame Bestien, die auf einem Pfad wandelten, den sie eigentlich niemals wollten.


    Verus war nicht wirklich abwesend aber nicht wirklich beteiligt am Leben der anderen. Er war schlicht da. Sein Tal war längst noch nicht durchschritten. Interessanterweise konnte der Tiberius zwei intensive Gespräche mit dem Flavius führen. Eines über die Flucht des jungen Flavius im Knabenalter, im Zuge der vermeintlichen Verschwörung seines vergangen Verwandten Tiberius Durus und dies auch inkludiert mit den Gedanken zum Bürgerkrieg gegen den Usurpator. Verus hatte die Position der Tiberier dargelegt und schien doch sehr vom soldatischen Blickwinkel zu argumentieren. Er ließ wenig Platz für Emotionalität und versachlichte die Entwicklung stark, was ihn mitunter kaltherzig auch im Umgang mit seinem eigenen Hause erschienen ließ. Ein weiteres intensives Gespräch führten die Männer von Stand über die eigenen Werdegänge, wo sich Verus nicht bedeckt hielt. Harmlos begann er mit seiner eigenen Vorgeschichte in Achaia, bis er von seiner Vertreibung durch Salinators Schergen berichtete. Aus Belastung griff er zum Wein. Im Suff, den er sich leistete, um seine Grenzen zu brechen, offenbarte Verus, wie viele Feinde er getötet hatte. Wie viele Leben er grausam niedergemetzelt hatte und er ließ kein Detail aus, auch nicht wie seine Klinge den Unterleib und die Kehlen vieler durchtrennt hatte. Er beschrieb das Blut, welches warm über seine Hände gequollen war und berichtete auch über die eigenen Schlachtentode, denen er nur knapp entrungen war. Schließlich berichtete er auch über Luna, verschwieg aber die Zeit in der Hütte und berichtete nur von der öffentlichen Versklavung. Wo Flavius Gracchus Minor seine horriblen Details aussparte, war Verus sehr großzügig, sogar unhöflich deutlich in seinen Geschichten. Am Ende schloss Verus stets mit den zynischen Worten: Alles für Rom. Alles für die Ehre. Dieser Tiberius war mit Sicherheit kein illustrer Reisebegleiter auf dem sprichtwörtlichen Heimweg der Römer.

  • Während die anderen sich von der Ehrenformation verabschiedeten brachte Luna die Pferde, das Gepäckl und Fenrir an Bord. Die Pferde wurden unter Deck festgemacht. Fenrir wurde auch für eine kurze Zeit angebunden, aber nur so lange wie Runa brauchte um Verus und auch ihre Sachen an ihren Bestimmungsort zu bringen. Schnell war sie zurück bei den Tieren, versorgte sie mit allem nötigen. Etwas Stroh und Hafer für die Pferde. Dann striegelte sie diese und legte ihnen zusätzlich eine Decke über den Rücken. Fenrir bekam ein ordentlichen Stück rohes Fleisch. „Hier mein Großer, das hast du dir eindeutig verdient.“ sagte sie fröhlich. Nachdem alle Arbeit erledigt war trat Runa an Deck. Der Wind streichelte sanft ihr Gesicht. Fast schon wehmütig blickte sie auf die immer kleiner werdende Ablegestelle. Es war ein Abschied... wohl ein Abschied für immer.
    Die Tage plätscherten so dahin, wie das Wasser des Flusses auf dem sie reisten. Bald schon würde sie von Bord gehen und dann würde es nicht mehr lange dauern und sie wären in Rom.
    Runa war die meiste Zeit der Überfahrt damit beschäftigt sich um die Tiere zu kümmern. Die Pferde, die unter dem Bewegungsmangel und dem leichten Schwanken des Schiffes litten, schenkte sie ihre Aufmerksamkeit. Immer mal wieder führte sie die Pferde unter Deck herum, damit sie nicht gänzlich durchdrehten. Jeden Tag machte sie die behelfsmäßigen Stallungen unter Deck sauber. Wenn es ihre Zeit zuließ stand sie am Bug des Schiffes, dann immer weiter Stromaufwärts in Richtung Süden fuhr. Sie sah die Fischer, die ihrer Arbeit nachgingen. Dann und wann konnte sie Jäger erblicken, die Ufernah dem Wild nachstellten. Bei kleineren Ansiedlungen konnte man Frauen beobachten, die im Fluss ihre Wäsche wuschen und deren Kinder, die um sie herum tobten und in dem immer noch warmen Wasser herumtollten.
    Der Fluss zog gemächlich seine Bahn und floss zumeist ruhig und gemächlich dahin. Hier und da wenn sich das Flussbett verengte floss er schneller dahin,w as auch das Schiff dann schneller vorantrieb. All das sog Luna in sich auf. Für sie war diese Schiffsreise wie ein langer Abschied von ihrer Heimat.
    In einigen Nächten, fand Verus die Zeit und kam zu ihr, dann hielten sie isch. Sie gaben sich gegenseitig Halt. Auch wenn es Verus Heimat war in dies sie reisten, war es doch so, dass sie beide einer ungewissen Zukunft entgegen fuhren. Sie wusste beide nicht was kommen würde. So blieb nur die Hoffnung, dass sich alles fügte.
    In dieser Nacht aber schief sie nicht unter Deck. Es war ein klarer Vollmond, der sich am Himmel zeigte und sich auf dem Fluss widerspiegelte. Luna hatte es sich mit Fenrir an Deck gemütlich gemacht. Fenrir lag zusammengerollt da und Runa hatte ihre Kopf auf seinen warmem weichen Rücken gebettet. Ihr schwarzes Haar bildete einen Kontrast zu dem Weißen Fell des Wolfes. Sie sah in den Mond, des Namen sie ja nun trug. Er spiegelte sich nun auch in ihren Augen wieder. „Bald sind wir da mein alter Freund.“ sagte sie zu dem Wolf und kraulte das Tier liebevoll.

  • Der Hafen beeindruckte Merula. Mogontiacum schien ein Knotenpunkt der Handelswege auf See zu sein, jedenfalls sprach die Größe des Hafens für sich. Zwischen dem alltäglichen Treiben von Fischern, Händlern und sonstigen Hafenarbeitern, die ankommende und auslaufende Schiffe be- und entluden, erreichte nun auch die Reisegesellschaft den Steg, an dem das Prahmboot der Classis Germanica, welches sie ein Stück auf einer dienstlichen Mission gen Süden mitnehmen würde. Glücklicherweise passte der Reisewagen des jungen Tiberius in etwas kompakterem Zustand auf das Deck, sodass die Kabine eine Möglichkeit bot, sich für intensivere Gespräche zurückzuziehen.


    Die Annehmlichkeit, dass man die Nacht nicht auf bzw. unter Deck verbringen musste, sondern in am Rhein gelegenen Dörfern oder Städten ein warmes Bett für die nächtliche Ruhe Fand, beruhigte Merula. Seinem Bruder würde es sicherlich nichts ausmachen, einfach auf dem Schiff zu schlafen. Der Jüngere hingegen war ob seines Standesdünkel eben in gewissen Dingen ein Pinkel. Zu seinem Vorteil empfand der Flavius das sicherlich genauso, auch wenn er während seines Tribunats auf Außeneinsätzen auch andere Umstände mochte kennengelernt haben.


    Im Gegensatz zu den Reisewegen auf seiner Bildungsreise, welche er in Hispania gestartet war und in Belgica vorzeitig ihr Ende fand, um die Verwandten in Mogonitacum ob der jüngsten Geschehnisse in Rom aufzusuchen, schätzte er den Weg über das Wasser doch sehr. Es holperte nicht, es wehte stets eine kühle Brise und inmitten der Soldaten war man so beschützt wie unerreichbar für Gefahren – mit Ausnahme des Wasser, wobei Neptun sicher stets über die Reisegesellschaft wachen würde. Diogenes genoss den Ausblick und die Zeit für sich, in der er sich nicht um den dümmlichen Hünen kümmern oder seinem dominus beratend zur Seite stehen musste. Mit geschlossenen Augen ließ der unfreie griechische Gelehrte die Kulissen, die Luft die Geräusche auf sich wirken. Connell, sofern er nicht von Diogenes beaufsichtigt wurde, verhielt sich überraschend ruhig, war ihm doch dieses römische Boot nicht wirklich geheuer. Ab und zu suchte er den Blickkontakt mit Luna, welche ihm aber schon bei ihrer ersten Begegnung zu verstehen gegeben hatte, dass sie für ihn unerreichbar war – was ihn aber sicherlich nicht davon abhalten würde, sich bietende Gelegenheiten beim Schopfe zu packen!


    Merula fand derweil einen angenehmen Zeitvertreib über den Tag in den kultivierten Gesprächen mit dem jungen Flavius, der nicht wesentlich älter war, als er selbst. Dass der Sklavenaufstand in Rom ein sehr umfängliches Thema innerhalb dieser Konversationen bot, war selbstredend. Die Milde, welche Gracchus Minor gegenüber den Aufständischen walten ließ, konnten die Tiberier wahrlich nicht teilen. Der Jüngere war weit davon entfernt, Hasstiraden loszulassen, aber seine Position gegenüber Unfreien hatte sich dadurch noch weiter gefestigt. Dieser Standesunterschied war für ihn ebenso wenig unauflösbar, wie der pax deorum – dass dies aber viele Jahrhunderte später doch so kommen würde, konnte er ja nicht ansatzweise erahnen. Ebenso wie sein Bruder wollte er sich nicht den qualvollen Erinnerungen der Vergangenheit verschreiben – auch wenn sein Bruder das vornehmlich wegen seiner Sensibilität tat –, sondern als Pragmatiker zielgerichtet nach vorne schauen, Perspektiven entwickeln und die Tiberier nicht ihrem Schicksal überlassen, welches es in der Vergangenheit nicht nur einmal auf Messers Schneide gestanden hatte. In diesem Zusammenhang erzählte Merula dem Flavier natürlich, welche Pläne er gefasst hatte. Ebenso berichtete er von Senator Aurelius Lupus, in welchem er als langjähriger Freund der Familie einen Unterstützer für seine politische Karriere suchen wollte. Das aurelisch-tiberianische Band war immer noch fest und ebenso unauflöslich, wie der oben angesprochene Standesunterschied zwischen Freien und Unfreien.
    Interessiert vernahm er die biographischen Schilderungen des jungen Flavius über die Zeit des Bürgerkrieges, welchen Merula nur aus der Ferne in Achaia mitverfolgen konnte. Natürlich wusste das gesamte Reich um die Situation im Herz des Reiches, die Nachrichten waren ja bis an die Grenzen und über diese hinaus gedrungen, aber Achaia war zu weit entfernt, um diese Umstände mitzuerleben. Diogenes hatte schon früh mit dem damals noch jungen Knaben über den Bürgerkrieg und seine Folgen gesprochen, weshalb es Merula nicht schwer fiel, seinem Gesprächspartner zu folgen. Dennoch war er beeindruckt von dessen Flucht und Tatendrang. Auch wenn der Jüngere in Achaia den Bürgerkrieg nicht wirklich verfolgen konnte, war ihm als Tiberier der Auslöser natürlich tief ins Gedächtnis und Gemüt gebrannt. Tiberius Durus war eben neben Vinicius Lucianus und Flavius Gracchus – wodurch dieses Gespräch zwischen Gracchus Minor und Merula ob der Verwandtschaftsverhältnisse eine weitere Dimension der gemeinsamen Vergangenheit erreichte – als Teil der mehrköpfigen Schlange gewesen, die mit ihren Bissen den damaligen Kaiser weniger gestürzt als viel mehr ermordet hatte. Dass der junge Flavius an der Hochzeit des Tiberius Durus partizipierte, unterstrich noch einmal die Ironie des Lebens. Während die Schilderungen des Jüngeren eher sachlich und kultiviert blieben, steuerte der Ältere, der sich die meiste Zeit zurückgezogen hatte, viele Dinge deutlich brachialer, was Merula etwas aufstieß. Die Tatsache, dass der Flavius seinen Bruder bereits durch die gemeinsame Zeit bei der Legio kannte, beruhigte ihn dahingehend doch sehr. War das wirklich sein Bruder, der da neben ihm saß? War das der sensible Junge, den er aus den früheren Tagen der gemeinsamen Kindheit in Erinnerung hatte? Er erzählte kaltherzig von den Tiberiern, deren Ehrenrettung Merula im Sinn hatte, von Blut und Tod jenseits des Limes und seinen Lastern. Die Schilderungen hinsichtlich der Geschehnisse jenseits des Limes stießen seinem jüngeren Bruder etwas auf, was ihm sogleich aufzeigte, wie weit entfernt er davon war, jemals Soldat sein zu können. Gracchus Minor schien diese Details besser verkraften zu können, immerhin hatte er eine Zeit als Tribun bei der Legio hinter sich. Etwas widersprüchlich ob der Kaltherzlichkeit und der unhöflichen Worte des Älteren war dann doch sein Statement am Ende ihres Gespräches. In zynischem Tonfall sprach er von Rom und der Ehre. Merula wusste darauf nichts zu sagen, zu sehr wunderte er sich darüber, was für ein Mensch Verus geworden war. Immer mehr bekam er das für einen Bruder ungewöhnliche Gefühl, froh darüber zu sein, dass er in Rom mit Verus nicht unter einem Dach leben musste, da dieser sein Bette bei den Prätorianern haben würde.


    Beunruhigend empfand Merula allerdings auch die Verbundenheit, welche sein Bruder mit dem Tier zu haben schien, welches er nach Rom mitzunehmen gedacht hatte. Manchmal beobachtete er seinen Bruder und schüttelte dann verständnislos den Kopf. Sein Bruder schien ein gänzlich anderer Mensch gewesen zu sein. Sorgen machte er sich um ihn nicht wirklich, er würde schon als ehemaliger Centurio und in Zukunft als Prätorianer auf sich aufzupassen wissen.

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