Das Wandern ist des Procurators Lust

  • Nachdem Sermo in seiner Funktion als Procurator Civitatium in Confluentes für Ordnung gesorgt hatte, hatte er sich mitsamt Gefolge auf den Weg nach Süden gemacht. Confluentes markierte den nördlichsten Punkt der Provinz Germania Superior, verlief doch die Grenze zu Germania Inferior entlang der Mosella. Sermos Plan war also, dem Rhenus stromaufwärts bis Bingium zu folgen und von dort aus den direkten Weg gen Borbetomagus einzuschlagen. Warum er die Strecke nicht auf einem Flussschiff zurücklegte? Ganz einfach: Er wollte sich persönlich ansehen, wo damals dieser Bauernaufstand niedergeschlagen wurde und wie sich die Gegend seitdem verändert hatte. Von Borbetomagus aus würde die Reisegesellschaft dann auf ein Schiff wechseln und nur die größeren Civitates am Rhenusufer direkt besuchen. So würden sie Augusta Raurica erreichen, von wo aus es nach Vesontio gehen würde.
    Aber bis dahin war es noch ein weiter Weg. Über die Militärstraße kroch der kleine Zug dahin, der aus maximal zwanzig Personen bestand. Sermo selbst hatte eine kleine Kutsche aus dem Bestand der Regia gestellt bekommen, in der er und sein Leibsklave Issa Platz fanden. Der Rest, einige Schreiber, Schleppsklaven und Liktoren gingen zu Fuß.


    Sie erreichten Bingium innerhalb zweier Tagesmärsche. Sermo war stinkwütend, dass die Schreiber und Sklaven so schleppend voran kamen und war bereits kurz davor gewesen sie allesamt zu entlassen. Ein knapper Einwurf seines Leibsklaven hielt ihn letztlich davon ab, als ihm klar wurde, dass er dann selbst die Schreibarbeit würde tun müssen. Gut, dass er Issa hatte.
    Bingium war ein ebenso unbedeutendes Nest wie Confluentes. Als Straßenknotenpunkt war die Gemeinde zu einem gewissen Wohlstand gekommen, der hauptsächlich von heimischen Kaufleuten gehalten wurde, die sich zu nahezu hundert Prozent als Germanen mit größtenteils erkauftem Bürgerrecht - wenn überhaupt - entpuppten. So funktionierte Romanisierung. Gib ihnen Fortschritt, gib ihnen Gesetze, gib ihnen Wohlstand, und sie werden römische Namen annehmen und dem Kaiser huldigen und ordentlich ihre Steuern entrichten. Aus der Gemeinde gab es schließlich nicht viel zu berichten. Abgesehen von den alltäglichen Jammereien und Problemen liefen die Geschäfte rund. Für Sermo bedeutete dies einen leicht gemachten Haken auf seiner Wachstafel und ein zügiger Aufbruch nach einer erholsamen Nacht im Gästezimmer des Duumvirs.


    Am nächsten Tag rumpelte die Reisekutsche wieder behäbig über die Militärstraße gen Süden. Sermo kaute genüsslich auf einem Stück Honigkuchen, das der Duumvir, dessen Name Sermo bereits entfallen war, ihm so großzügig mit auf den Weg gegeben hatte. Issa saß ihm gegenüber, die Beine im Schneidersitz gekreuzt, den Blick nachdenklich auf eine Wachstafel gerichtet.


    "Und?"


    [Blockierte Grafik: http://img130.imageshack.us/img130/7191/cleonjung.jpgIssa


    "Naja..." gab der Sklave zurück, der sich seit seinem Kauf durch den Quintilius recht schnell im römischen Verwaltungswesen und seinen vielfältigen Eigenheiten hatte zurecht finden müssen. "Dieser Bericht erwähnt keinen Nandrad." Achselzuckend legte er die Akte beiseite und nahm sich selbst etwas Kuchen. Sermo behandelte ihn überaus gönnerhaft, so dass er sich manchmal mehr wie ein Angestellter denn wie ein Sklave vorkam. Außer an Sermos schlechten Tagen, an denen er seine ganze Laune an seinen Sklaven ausließ. Oder an billigen Huren. Oder erst an den Sklaven und dann an einer Hure. War ja auch egal.


    "Nandrad..." wiederholte Sermo langsam. "Welch barbarischer Klang diesem Namen innewohnt, findest du nicht?" Er hatte sich noch immer nicht an diese harte Sprache gewöhnt, die in Germania gesprochen wurde. Besonders die Landbevölkerung sprach quasi überhaupt kein Latein, sondern ließen sich in ihren Angelegenheiten vor Römern von gebildeten Stammesangehörigen vertreten, die des Lateinischen mächtig waren. Issa runzelte über Sermos Aussage nur die Stirn, blieb aber still. Manchmal war es besser in die Monologe seines Herrn nicht einzugreifen. Meistens interessierte es den Dominus ja eigentlich gar nicht, was sein Sklave dachte.


    "Dieser...Nandrad...muss also erst vor wenigen Jahren an Macht gewonnen haben. Die...Vangionen heißen sie? Ahja. Nun, bei denen mussten offenbar Lücken gestopft werden nach den ganzen Kreuzigungen damals. Tja, da hatte der Kerl wohl Glück." Sermos Blick fing für einen Augenblick den Eindruck der vorbeiziehenden Landschaft ein, den Issa nutzte. "Er ist jedenfalls nicht in die Gemeindelaufbahn eingestiegen. In Borbetomagus sind ein gewisser Quintus Haterius Antonius und ein Numerius Fabius Buteo Duumvirn. Vom Vicus Altiaiensium brauche ich wohl gar nicht erst anzufangen."


    "Selbst schuld," kommentierte Sermo diese Information höhnisch, den Honigkuchen mit Met herunterspülend. "Vorsicht mit dem Zeug, Dominus. Das haut dich um, wenn du es wie Wasser säufst." Natürlich hatte der Duumvir von Bingium es sich nicht nehmen lassen dem Procurator Civitatium einen Trinkschlauch voll seines besten selbst hergestellten Mets mitzugeben. Der Kerl war ein totaler Metnarr gewesen, was auch seine rote Knollnase verriet. Sermo nickte nur und legte den Schlauch dann beiseite. "Würfel," befahl er knapp, woraufhin Issa die Becher mit den beinernen Würfeln zückte und vor ihnen ausbreitete. Das Würfelspiel war mittlerweile zu einem täglichen Zeitvertreib zwischen Sermo und seinem Sklaven geworden. Allmählich gewann Issa den Eindruck, dass er für seinen Herrn eine Art Ersatz für die weggestorbene Schwester geworden war, mit der Sermo bisher immer ruhige Abende oder gesellschaftliche Aktivitäten verbracht hatte. Wer weiß, womöglich fühlte der Quintilius sich ja auch zu Knaben hingezogen?


    Der Aufenthalt im Vicus Altiaiensium war ebenso kurz wie uninteressant. Was hatte Sermo auch erwartet? Der Magister Vici heulte ihm einen vor über die missliche Lage des Ortes und der umliegenden Höfe, die teilweise immer noch unter den Folgen der einstigen Verwüstungen zu leiden hatten. Manche Höfe waren gar völlig entvölkert worden, wo ganze Familien verhungert, erschlagen oder versklavt worden waren. Darauf hatte der Quintilius nun wirklich keine Lust und so fand er sich wenig später in Borbetomagus wieder, wo ihn eine ähnliche Situation erwartete. Ein Gähnen unterdrückend entschuldigte er sich schließlich aus der Runde der Honoratioren und Magistrate, die ihn zu einem mehr oder minder angemessen prächtigen Willkommensbankett geladen hatten und war froh, als er am nächsten Tag das Flussschiff auf dem Rhenus betreten konnte, das ihm Fluchtmöglichkeit aus dieser Gegend bot. Bona dea, hoffentlich wurde die Reise nicht noch anstrengender!

  • Die weitere Reise war zunächst ziemlich unspektakulär. Das Flussschiff wurde Rhenusaufwärts gerudert und machte gelegentlich in einem Vicus halt, wo Sermo für ein oder zwei Stunden verweilte und sich einen Lagebericht vom Magister Vici anhörte, den er daraufhin sogleich wieder vergaß. Ein Glück, dass dieser ganze Krempel ohnehin schriftlich an das Archiv in Mogontiacum gesandt und dort von tüchtigen Scribae zusammengefasst wurde. Die Zeit auf dem Schiff vertrieben Sermo und Issa sich weiterhin mit ihren Würfeln, wobei mit der Zeit auch der Rest der Reisegesellschaft in die Runde mit einbezogen wurde. So wurde es nie langweilig und die Männer lernten Sermo auch von seiner geselligen Seite kennen.


    Dann endlich erreichten sie Argentoratum. Die Duumvirn Gaius Claudius Centho und Quintus Lutatius Cerco bereiteten ihm im Kreise der Magistrate und Decuriones einen würdigen Empfang und richteten ihm zu Ehren erst einmal ein Bankett aus, das für Sermo in einer abenteuerlichen Nacht mit einem Nemetischen Sklavenmädchen gipfelte. Über Politik wurde bei dem Bankett selbstverständlich nicht gesprochen. Das gehörte sich einfach nicht. Vielmehr traf man sich am nächsten Morgen in kleinerer Runde und so ließ Sermo sich von den Duumvirn die Lage schildern.
    "Der Civitas geht es den Umständen entsprechend gut," wurde ihm dargelegt. "Wir haben Schwierigkeiten die personellen Umstrukturierungen zeitnah zu verarbeiten, da insbesondere der Beamtenstab aus der regionalen Wasserversorgung und Landvermessung jetzt zügig auf die Gemeindebeamten umgesattelt werden muss. Aber in spätestens einem, vielleicht zwei Jahren haben wir genügend junge Leute zur Ausbildung herangezogen, um in diesen Bereichen reibungslose Arbeitsabläufe vorweisen zu können."
    Sermo gefiel was er da hörte. Somit hatte die Umverteilung der Agrimensores und Aquarii aus dem Dienst der Regionalverwaltung in die Stadtverwaltungen besser funktioniert als befürchtet. Sermo sprach den Duumvirn seine Zuversicht aus und machte sich dann wieder auf den Weg. Es gab noch mehr Civitates zu besuchen von denen Augusta Raurica das nächste Ziel war. Das Schiff wurde wieder bestiegen und die Reise ging weiter, immer fort flussaufwärts.


    Ein weiterer Tag war vergangen, als etwas merkwürdiges geschah. Sermo saß in Gedanken versunken am Bug des Flussschiffes, als vor seinem inneren Auge Caelyn auftauchte. Er hatte sie nicht mit auf die Reise genommen, da sie sowieso nur Ballast gewesen wäre. Außerdem konnte er sich noch sehr gut an ihre Kotzeritis auf der Überfahrt von Ostia nach Massilia erinnern. So etwas konnte er hier wahrlich nicht gebrauchen. Als er an Caelyn dachte, wurde ihm jedoch unweigerlich merkwürdig schwindlig und auf seinem Schädel schien urplötzlich ein horrender Druck zu liegen. Und dann kamen die Schmerzen. Grässliche Kopfschmerzen, die auf ihm lasteten und seine Stimmung in sekundenschnelle in den Keller fallen ließen. Und seine Füße erst! Er fühlte sich, als wäre er tagelang marschiert. Unfassbar, dabei hatte er doch die Reise nur im Wagen oder auf dem Schiff verbracht! Sermo fand keine Erklärung dafür, so sehr er auch danach suchte. Noch immer schwirrte Caelyn dabei in seinem Geist herum. Er erinnerte sich an ihre gemeinsame Reise nach Mogontiacum, an die Nacht in der er sich ihren Körper genommen hatte, sie sich ihm endlich unterworfen hatte. Und er erinnerte sich an die Bestrafung, die Schläge auf die Fußsohlen, die sie im Zuge dieses lächerlichen Briefes ihres Liebhabers eingehandelt hatte. Und die Kopfschmerzen wollten nicht verschwinden! Bald fand Sermo sich auf Decken gebettet liegend wieder, über den Riesenschädel stöhnend. Irgendwann schweiften seine Gedanken dann ab, kamen von Caelyn weg zu Decima Seiana, der Frau die er zu ehelichen gedachte. Und seltsamerweise vergingen die Kopf- und Fußschmerzen augenblicklich. Ein Zusammenhang erschloss sich dem Quintilius natürlich nicht. Er war lediglich erleichtert, dass die Tortur vorüber war und vertiefte sich statt dessen in seine Pläne zur Rückkehr nach Italia, der Heimat, die er so schmerzlich vermisste.

  • Es ging weiter, immer flussaufwärts. Die Tage wurden etwas wärmer, so dass man auf Deck gut auch mit freiem Oberkörper umherspazieren konnte. Sofern man die Art, wie man zwischen den Ruderbänken und der Ladung herumkraxeln musste, als Spazieren bezeichnen konnte. Immerhin war das Schiff, das Sermo und sein Gefolge nutzten, kein Personentransportmittel. Von denen gab es am Rhenus nur sehr wenige, wenn man von den Militärtransportern einmal absah. So legte das Schiff bei Einbruch der Dunkelheit an Land an, sofern kein Anlegesteg in Siedlungsnähe vorhanden war, und ein Nachtlager wurde aufgeschlagen. Zum Glück kam es nicht selten vor, dass ein Vicus am Fluss gelegen war, den der Kapitän kannte und den man als Nachtstatt ansteuern konnte, um wenigstens ein Dach über dem Kopf zu haben.
    In den wenigen Tagen, die die Fahrt nach Augusta Raurica in Anspruch nahm, wurde der Procurator seine Kopf- und Fußschmerzen jedoch nicht los. Jedes Mal, so schien es ihm, wenn er einen Gedanken an Caelyn verschwendete, kehrte die Pein zurück. Ein Glück, dass beim Anblick der nächsten Reisestation die verdammte Keltin vergessen war und sich Sermos Zustand wesentlich besserte.


    Augusta Raurica war nicht vergleichbar mit den Civitates, die der Quintilius bisher auf seiner Reise gesehen hatte. Die Stadt war einfach riesig! Kein Vergleich zu Rom, selbstredend. Aber neben Augusta Raurica wirkten Mogontiacum, Confluentes und erst recht die ganzen anderen Vici unglaublich mickrig. Ja, was er hier sah, war eine Großstadt nach antiken Maßstäben. Hier gab es alles, was das Herz eines römischen Bürgers begehrte und was der einheimischen Bevölkerung die Vorzüge der römischen Kultur verdeutlichte. Ein Theater, ein Amphitheater, ein Hauptforum, verschiedene kleinere Foren, ein Aquädukt, diverse Tempel sowie öffentliche Bäder boten sämtliche Unterhaltungs- und Entspannungsmöglichkeiten und deckten auch den kultischen Bedarf. Wie in einer ordentlichen römischen Kolonie üblich war die gesamte Stadt in quadratischem Raster angelegt, dessen Straßen an diesem Tag vor Menschen - wie ebenfalls in einer ordentlichen römischen Kolonie üblich - nur so überquoll. Zehntausend Menschen mussten hier leben, wenn nicht mehr! Römer, Peregrine, Sklaven, sie alle tummelten sich auf den Foren, in den Garküchen, in den Thermen und in den großen Hallen, die als Markthallen, Gerichtshallen, oder Verwaltungstrakte dienten. Sermo war begeistert. Auf seiner Reise von Massilia nach Mogontiacum bei seiner Ankunft in den nördlichen Provinzen hatte Sermo in Augusta Raurica nur kurz Halt eingelegt, so die Eile es erfordert hatte. Anders als in diesen Tagen, da er doch gedachte hier mindestens eine volle Woche zu verbringen.


    Und so kam es dann auch. Kaeso Pedanius Luscus und Iullus Helvidius Agrippinus, die Duumvirn dieser Stadt, nahmen den Procurator Civitatium freudenstrahlend auf und stritten sich sogar fast lauthals darum, wer von ihnen dem Quintilius ein wundervolles Gästezimmer in seinem Heim anbieten durfte. Sermo entschied sich schlichtenderweise dafür, die eine Wochenhälfte beim Pedanius zu verbringen, während er dann zum Helvidius umziehen würde, womit beide mehr als einverstanden waren. Und so begann eine arbeitsreiche Woche in Augusta Raurica...

  • Selbstverständlich ließ Duumvir Pedanius am Abend von Sermos Ankunft ein Bankett zu dessen Ehren ab. Als Gäste waren neben einigen Decuriones der Stadt auch der Duumvir Helvidius und seine fette Frau eingeladen worden. Wie es sich gehörte, wurde beim Bankett nicht über Politik gesprochen. Vielmehr ging es um die üblichen Erkundigungen: Was macht der Hund? Wie war die letzte Ernte auf den Landgütern? Wie laufen die Geschäfte? Sind die Kinder wohlauf? Wie geht's der Frau? Ist die Sklavenschaft gefügig? Ein Glück, dass man nach dem verhältnismäßig üppigen Essen endlich zu den obligatorischen Trinkspielen überging. Otacilius liebte es offensichtlich, für jeden Buchstaben des Namens des Ehrengastes ein volles Gemäß Wein zu leeren. Iullus Quintilius Sermo. Einundzwanzig mal Ex oder Arschloch. Na dann Prost!


    Der nächste Tag begann mit einem ordentlichen Kater. Sermo bekämpfte ihn mit ausgiebigem Frühstück, frischer Luft und minimaler Hirnaktivität zur Verringerung der Kopfschmerzen. Zum Glück konnte er sich noch an den Großteil des Abends erinnern. Sempronius hatte sich mit seiner Frau zuerst verabschieden müssen, nachdem die gute ihren Mageninhalt auf halbem Weg zur Latrine im Atrium verteilt hatte. Für den Rest der Runde wurde es noch spät. Die volle Namenslänge schafften sie nicht zu trinken, da irgendwann vergessen wurde, dass man ein Trinkspiel spielte. Viel besser war dagegen, dass - nachdem die anderen Gäste sich für den Heimweg schwankend in ihre Sänften gehieft hatten - der Pedanius Sermo noch eine Haussklavin zur Verfügung stellte. Klar, dass Sermo sich diese Gelegenheit nicht entgehen ließ. Mit einem breiten Grinsen erinnerte er sich wieder an die kleine Gestalt mit den dunkelbraunen Locken, die so witzig gequietscht hatte, als er auf ihr lag. Das Grinsen schwand allerdings wieder beträchtlich, als Sermo sich schließlich zur Arbeit schleppte...


    Die ersten beiden Tage in Augusta Raurica waren bestimmt von Gesprächen mit den Duumvirn und dem versammelten Ordo Decurionum. Augusta Raurica ging es offensichtlich sehr gut. Die Stadt blühte und gedeihte weiterhin und der augenscheinliche Wohlstand zog einen dauerhaften Strom von Menschen an, die aus der Umgebung herziehen wollten. Zwischenzeitlich hatte es bereits Restriktionen gegeben, weil die Decuriones eine derartige Bevölkerungsdichte befürchtet hatten, dass in den Wintermonaten Hungersnöte in jedem Falle einzurechnen sein mussten. Denn allseits war bekannt, dass die umliegenden Landgüter zwar fruchtbar waren und für die an Zahl geringe Landbevölkerung immer genügend Nahrungsmittel hergaben. Jedoch kam es in den großen Civitates häufig zu Nahrungsknappheiten, wenn die Ernte einmal nicht ganz so hervorragend ausgefallen war.
    Und genau das war in diesem Jahr zu befürchten. Die Frühlingsmonate waren überraschend trocken gewesen und man befürchtete, dass das Getreide auf den Feldern einfach vertrocknen würde. Das wäre eine Katastrophe, die besonders in einer Civitas mit guten Zehntausend Einwohnern wie Augusta Raurica fatale Folgen haben musste. Aber dagegen konnte Sermo in diesem Moment auch nichts tun, denn er war nicht hier als Helfer der Bedürftigen. Sermo war hier, um die Arbeit der Stadtverwaltungen zu kontrollieren. Und das tat er auch, indem er sich die Berichte der Duumvirn anhörte, sich sonst aber zunächst einmal aus den Angelegenheiten heraushielt.


    Am Tag darauf erschienen die geladenen Duumvirn oder deren Vertreter aus den in der Nähe gelegenen Civitates. Auch ihre Berichte, die manchmal eher wie Klageschriften klangen, hörte Sermo sich an.
    "Du hast gewiss von der Pestis in Mantua gelesen?" begann der Duumvir von Vindonissa, Marcus Livius Salinator. "Nun, Vindonissa hat es im vergangenen Winter ähnlich hart getroffen. Wir haben hunderte Tote zu beklagen, nur wurde nicht darüber berichtet. Jetzt geht es langsam wieder bergauf, aber die Stadt hat natürlich immer noch unter den Auswirkungen zu leiden."


    "In der Umgegend von Vesontio treibt eine fiese Bande ihr Unwesen, der wir nicht Herr zu werden imstande sind," jammerte der Duumvir von Vesontio, Aulus Postumius Albinus. "Die Ala I Scubulorum hat versprochen eine Abteilung zu schicken, die sich darum kümmern sollte, aber bisher ist nichts dergleichen geschehen!" Ein böser Blick zum Livius begleitete diese Klage, als wäre der Duumvir von Vindonissa daran schuld.


    Auch der Vertreter aus Aventicum hatte einiges auf dem Herzen. "Ach, Quintilius. Es hat schreckliche Unglücke gegeben, als das Dach der Thermen einstürzte. Es war schlecht konstruiert worden und nun suchen wir immer noch nach Verschütteten unter den Trümmern. Es ist wahrlich ein Jammer!"


    Sermo hörte an diesem Tag viel Blablabla. Was er verstand, war jedoch nur Mimimimimi...


    Einzig der Bericht aus Geneva ließ ihn aufhorchen. "Wir hatten kürzlich leider einen Fall von Veruntreuung von Steuergeldern und Unterschlagung zu bewältigen. Die Schuldigen wurden zur Verantwortung gezogen und die Stadtkasse bereinigt, aber es wird wohl noch etwas dauern, bis eine gewisse Grundskepsis gegenüber den kommenden Quaestoren abgelegt werden kann."
    Auf diese Stadt würde Sermo also ein Auge haben. Oder lieber gleich zwei. Wer wusste schon, ob sich da nicht andere korrupte Magistrate hatten aus der Schlinge ziehen können, die bald wieder ihren krummen Geschäften nachgingen?

  • Die letzten Tage in Augusta Raurica verbrachte Sermo wie vereinbart beim Helvidius und seiner fetten Frau. Auch hier stand er ein Bankett durch, auf welches wiederum eine Nacht mit einem Sklavenmädchen folgte. Die Arbeit in diesen Tagen bestand weiterhin hauptsächlich im Auswerten von Berichten, dem Anhören von Forderungen oder Klagen und dem Gewinnen eines Überblicks über die Auswirkungen der Provinzreform auf die Gegend. Insgesamt war Sermo sehr zufrieden. Die Verwaltungen hatten meist blitzschnell auf die Reform reagiert und sich Stadtverfassungen gegeben, die Sermo jetzt ebenfalls zu kontrollieren hatte. Besonders die Gegend um Augusta Raurica befand sich auch weiterhin im starken Aufschwung, da die Großstadt weiterhin Menschen anzog wie Honigkuchen die Fliegen und sich immer mehr Handwerker, Kaufleute, aber auch reiche Gutsbesitzer hier ansiedelten.


    In all der Zeit hatte Sermo keine Gedanken mehr an Caelyn verschwendet. Er hatte sie wirklich komplett vergessen, war er doch viel zu sehr beschäftigt mit der Arbeit oder mit anderen Frauen, die einem betuchten Verwaltungsbeamten gern zur Verfügung standen oder sich ihm als Sklavin schlichtweg nicht widersetzen konnten. Am Tag der Abreise jedoch saß Sermo schließlich nach einem knappen aber freundlichen Abschied von den Duumvirn in seiner Reisekutsche und bedachte Issa mit einem schmerzverzerrten Blick.
    "Alles in Ordnung, Dominus?"


    "Wonach sieht's denn aus?" gab Sermo nur stöhnend zurück, sich rücklings gegen die Kutschwand fläzend. "Woher kommt das nur?" jammerte er, während die Gedanken zu seiner blonden Keltin abgeschweift waren. Wo sie nur stecken mochte? Dreckige kleine Sklavin. Wieso nur ging es ihm immer so schlecht, wenn er an sie dachte?


    "Ich werde den Medicus kommen lassen, wenn wir wieder in Mogontiacum sind," befand Issa, dessen Bemerkung von Sermo einfach abgenickt wurde. Er war zu beschäftigt mit seinen Fuß- und Kopfschmerzen, die erst im Laufe der Reise wieder halbwegs abklingen wollten, als er mit anderen Dingen als seiner Lieblingssklavin befasst war.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!