[Ein Park] Musik nach variablem Niveau

  • Durch die Straßen Roms zog der Pöbel. Peregrini, Plebeier, Sklaven, alle waren dabei. Jeder versuchte, so zielstrebig wie nur möglich auszuschauen. Am Himmel waren ein paar sehr unsommerliche Wolken aufgezogen, doch es schien nicht so zu sein, als ob es regnen würde. Vielmehr herrschte eine bedrückende Hitze, welche den armen Sklaven, die diverse Pakete, schwer an Gewicht, herumtragen mussten, zu schaffen machte. Doch auch anderen rann der Schweiß hinunter.


    In Kürze, hier offenbarte sich ein Fiasko, was Gerüche angelangte. Für Patriziernasen war in solchen Tagen nur die Abgeschiedenheit von Parks erträglich. Dieser eine Park war derjenige, an dem sich vor einiger Zeit Romana und Lepidus zu einem gemeinsamen Spaziergang getroffen hatten. Es war immer wieder ein schöner Park, klein aber fein. Aus genau diesem Grund hatte es Romana hierher verschlagen.


    Sie war nicht alleine gekommen, eine Sklavin bezeichnete sie. Sie hieß Olga und entstammte dem Stamm der venetischen Skythen, ein sehr obskurer kleiner Stamm, der sich selbst die „Slawen“ nannte und es wohl nie zu Berühmtheit bringen würde. Ein lächerlicher Gedanke, zu denken, dieses Volk könnte die nächsten Hundert Jahre überleben oder soagr eine große Landmasse, wie, zum Beispiel, fast ganz Ost- und Ostmitteleuropa, erobern. Romana musste kurz insgeheim lachen über solch abstruse Gedanken und blickte auf Olga.


    Ihrem Gesicht mangelte es nicht an einer gewissen Delikatesse. Vermutlich wäre sie eine strahlende Schönheit, wenn sie nur nicht so dick wäre und nicht ein paar sehr unvorteilhafte Warzen ihr Gesicht schmücken würden. Außerdem war sie außergewöhlich klein. Und so bildete die kleine, pummelige Barbarin und die große, schlanke Römerin durchaus einen interessanten Kontrast.


    Romana hatte sich, um dem Gestank der Straßen entgegenzuwirken, mit einer Art von Wasser überspritzt, wie sie es in Ägypten machen, sodass sie nun duftete wie eine Schiffsladung von durcheinandergewürfelten Blumen. Gut, dass sie keine Allergien hatte, sonst wären ihre Augen schon lange rot und sie hätte geniest und gehustet, dass es niemals ein Ende gefunden hätte.


    „Olga? Geh schon mal. Ich bleibe noch ein bisschen hier. Geh am besten gleich zur Villa zurück.“, wies die junge Claudierin die Sklavin an, welche nickte. „Da, da.“, nuschelte sie und machte sich eilig davon.


    Romana blickte ihr nach, dann richtete sie ihre Augen gen Himmel. Anschließend blickte sie verstohlen herum. Hier war doch niemand? Nein. Gut.


    Sie sog Luft ein, welche vor seltsamen Duft ganz schwer war, und begann dann, zu singen. Ganz leise, sachte und weich, mit ihrer tiefen und doch unverkennbar weiblichen Gesangsstimme, stimmte sie ein etruskisches Lied an, welches ihr ihre Großmutter beigebracht hatte, damals in Clusium.


    “Ita tmia icac he ramasva vatieche unial astres.
    Themia sa mech thuta thefa.
    Riei velianas sal…
    Cluvenias turu.”


    Nein, das klang doch schlimm. Wie ihr eigenes Rülpsen, dachte sie, ein kleines bisschen amüsiert, aber vor allem entsetzt. Das war das, was sie dachte. In Wirklichkeit hatte sie eine sehr schöne Stimme. Ihr war das schon viele Male bestätigt worden, doch hatte sie es nie jemanden abkaufen können. Sie selber war der Meinung, alle wollte nur freundlich zu ihr sein, wenn sie das sagten, oder bittere Strafen vermeiden wollen, im Falle der Sklaven. Als ob sie jemals einen Sklaven für die Wahrheit auspeitschen lassen würde.


    Sie lehnte sich an einen Baumesstamm, um etwas über die Welt zu sinnieren, da kam es ihr plötzlich so vor, als ob da jemand plötzlich wäre.


    Sim-Off:

    Reserviert...

  • Nicht nur der Pöbel zog durch die Straßen, nein, auch einen einschlägig bekannten Patrizier ließen die Füße keine Ruhe. Hinter sich her sah sich ein kleiner, mickriger Sklave gezogen, den man als Cassivellaunus ohne große Schwierigkeiten wiedererkennt, sofern man vertraut ist mit dem Gefolge des Flavius Piso. Cassivellaunus hatte nicht viel Widerstand geleistet, als er von seinem Herrn verschleppt wurde, wozu auch?
    Zu einem Park wollte Piso, soviel hatte Cassivellaunus gehört. Er schaffte es, zu Atem zu kommen, nachdem er Piso, so schnell wie ihn seine Füße trugen, aus dem Haus gefolgt war. Schnaufend, sich abmühend, jappelte er seinem Herrn hinterher, ihn nicht aus den Augen lassend. Wer wusste, was er für Dummheiten machen würde, wenn er erst einmal aus seinem Gesichtsfeld entschwunden wäre! Durchkämmte er doch bloß nur die Stände des Marktes wie gehabt, hätte Cassivellaunus weniger Sorgen, denn durchs Feilschen war sein Herr immer davon abgehalten, auf absolut wahnwitzige Vorhaben einzugehen.
    Doch nun, auf der Straße, war alles möglich. Irgendwohin ins Freie wollte der impulsive Kindskopf, konnte sich Cassivellaunus erinnern und verzog sein Gesicht leicht. Doch es half nichts, er musste Piso nach!
    Immer vorwärts, immer weiter, ging es. Da blieb Piso plötzlich stehen und deutete auf eine Kreuzung vor ihnen. „Siehst du diese Mauer?“, fragte er Cassivellaunus, welcher fast mit ihm zusammengestoßen wäre, war er doch dicht hinter ihm und hatte er nicht aufgepasst. Seinem Herrn hinten hinein zu rennen wäre dumm gewesen für ihn.
    „Was ist mit der Mauer, Heeeerr?“, kam die verschneuzte Antwort des Britanniers. „Hinter dieser Mauer liegt ein park. Sehr ruhig. Dort sind immer wieder Patrizier. Sicherlich treffen wir dort auf adequate Gesellschaft.“ „Wenn du meinst, Herr.“, kam die unglückliche Antwort von jemanden, der wieder weitergeschleift wurde.
    Durchs Gewühl hindurch marschierte Piso ohne Rücksichtsnahme, Cassivellaunus mit entschuldigendem Gesichtsausdruck hinterher, und ein Eingang zum Park tat sich ihnen auf. „Wundervoll.“, meinte der Patrizier und lanzierte sich mit Elan in den Park hinein.
    Hinter den Mauern des parkes war es verhältnismäßig ruhig. Dem übermutigen Flavier hinterhereilend, befand sich Cassivellaunus schon bald in einem abgeschiedenen Teil des Parkes... und musste niesen.
    Der Grund daür war in einem überwältigenden Geruch zu finden, welcher aus der Richtung eines Baumes vor ihm kam. Piso blickte in diese Richtung... und vernahm Gesang.
    Er erkannte diese Sprache ohne Fehl wieder, hatte er sich doch schon damit beschäftigt, auf Antreiben seines früheren Lehrers hin. Er wartete, bis sich verklang, dann zischte er Cassivellaunus hinüber: „Nicht bewegen!“ und trat dann an den Baum hin.
    Cassivellaunus hätte sich ja am liebsten bewegt, weg von diesem umhauenden Geruch, doch er folgte dem Befehl seines Herren und blieb stehen, selbst wenn es ihm Qualen bereitete.
    Sein Gehör hatte sich nicht getäuscht, die Stimme gehörte einer Frau – und zwar einer gestandenen, wenn Piso eine solche jemals gesehen hatte.
    „Salve.“, begrüßte er die Dame, welche eindeutig als Patrizierin zu erkennen war. „Störe ich? Der bezaubernde Duft hat mich angezogen wie eine Biene.“, lächelte er sie an. „Und die Sprache, irre ich mich, oder war das Etruskisch?“, fragte er ein bisschen neugierig.

  • Ihr Gefühl hatte sie nicht getäuscht. Da war jemand. Direkt hinter dem Stamm des Baumes. Sie war gehört worden. Wieso tat sich unter ihren Füßen nicht ein Loch auf, in dem sie verschwinden konnte? Am liebsten wäre ihr gewesen, so etwas würde nun geschehen. Doch dies war nur Wunschdenken. Realität war, dass sie nicht mehr alleine war.


    Sie drehte sich kurz zur Seite und blickte einem Mann in die Augen. Er war vielleicht gleich groß wie sie, vielleicht ein bisschen kleiner, obwohl noch immer groß gewachsen für einen Mann. Die Sandalen verrieten patrizische Herkunft. Das Alter war schwer einzuschätzen, sicher war er älter als sie. Er fragte, ob er störe. Viel hätte nicht gefehlt, dass Romana ihm ins Gesicht gesagt hätte, dass er recht hatte, dass er störe, dass er niemals hier hätte sein sollen, dass sie peinlich berührt war, dass er sich über die Dächer hauen sollte.


    Doch eine solche Reaktion wäre einigermaßen harsch gewesen, musste sie sich selber eingestehen und ihr tat es schon Leid, dass sie solch unfreundliche Ansagen schon im Kopf gehabt hatte. Der Kerl sah eigentlich ganz in Ordnung aus, auch wenn er ihr irgendwie leicht eigenartig vorkam.


    Sie lächelte zurück, höflich wie immer, als der junge Mann auf ihr Parfüm zu sprechen kam. „Danke...“, meinte sie nur und legte den Kopf leicht schief. Das Parfüm selbst hatte er ja nicht komplimentiert. Sie selber fühlte sich ja ziemlich unbehaglich mit dem Duft, der sie umschwirrte. Die Sklavin hätte beileibe nicht soviel auftragen sollen, sie fand den Geruch unbehaglich. Solchen Firlefanz hatte sie in Clusium nie gebraucht, und sie würde ihn sicher auch nicht in Rom brauchen. Sie persönlich hielt nicht viel von ihrem neuen Geruch, und wünschte sich innerlich ihren eigenen zurück, selbst wenn dieser hie und da vielleicht ein bisschen schmüselig war, nach langen Märschen oder Arbeit im Garten. Vielleicht machte er sich ja nur lustig. Obwohl, in seinen Augen fand sie keine Anzeichen der Lüge oder der Ironie. Sie sollte sich einfach nicht zuviele Gedanken machen.


    Was der Mann nun sagte, fiel ihr positiv auf. Er erkannte die Sprache! Dies zauberte sofort ein echtes Lächeln auf Romanas Lippen. „Das ist etruskisch, genau! Es ist die Sprache meiner Großmutter!“, verriet sie und nickte begeistert. „Ich habe lange in Etrurien gelebt... na ja, egal. Auf jeden Fall, ich muss mich entschuldigen, dass ich deine Ohren mit meinem schlimmen Gesang belästigt habe. Ich habe nicht gedacht, dass sonst noch jemand hier wäre.“ Sie blickte entschuldigend drein. Sie meinte es echt, obwohl der Gesang wirklich eine sehr angenehme Wiedergabe eines alten etruskischen Gesanges* gewesen war.


    Sim-Off:

    *Vielmehr ein paar Zeilen auf einem religiösen Text. Ich habe den als Lied präsentiert, obwohl der Text dies natürlich nicht war. :D

  • Die Fremde war offenbar von ihm überrascht worden. Schnell musterte er sie. Sie war nicht nur schier unglaublich groß, sondern auch durchaus schön. Wie die überdimensionale Statue einer Göttin, dachte er kurz bewundernd.Schön war sie nicht auf eine Weise, in der irgendwelche Sklavinnen oder Freudenmädchen hübsch waren, sondern dergestalt, dass man sofort die adelige Abstammung der jungen Frau... oder besser gesagt, Mädchens, erahnen konnte. Ihre majestätische Erscheinung manifestierte sich nicht nur in ihrer gewaltigen Größe – ja, sie überragte sogar den hoch gewachsenen Piso – aber in ihrem Gesicht konnte man, so meinte er, eindeutig eine uralte, edle Abstammung ablesen... und eine skurrille Abart der Durchgeistigtkeit im fortgeschrittenem Stadium. Hmm, kurios. Ihr Haar war ein bisschen verworren, sie war offenbar eine der Personen, die am Morgen ihr Haar kämmten, wobei dieses Vorhaben schon am Vormittag wieder von der Natur vereitelt werden würde. Insgesamt machte sie einen ehrlichen Eindruck. Vielleicht ein bisschen zu anständige-Tochter-mäßig für Piso, aber wer wusste, ob diese Frau nicht auch was drauf hatte?
    Auf jeden Fall, der Geruch war umhauend. Ob im negativen oder im positiven Sinn, wusste Piso selber nicht. Es war klar, dass die Extraportion draufgehaut worden war, weil Rom zur Sommerzeit nicht allzu berauschend roch. Hier im Park jedoch spürte man kaum etwas von den Gerüchen der Außenwelt, die Bäume destillierten alles.
    „Ich meine, dein Parfüm ist wirklich... extraordinär.“, bemühte sich Piso, etwas Nettes zu sagen. „Die Meinungen darüber, ob diese Extravaganz gut ist, ist ja gespalten. Sieh meinen unglückseligen Sklaven da drüben.“ Er deutete mit der Hand zu Cassivellaunus, der tapfer ausharrend vor sich hin schniefte. „Doch er ist ein Kulturbanause. Ich sage dir, ich finde, es passt ganz ausgezeichnet!“ Vater Iupiter, danke, dass du mich nicht mit Allergien ausgestattet hast, sonst hätte ich mich hier lächerlich gemacht, dachte sich Piso und grinste in sich hinein. Doch ehrlich gesagt, so etwas wäre nicht außergewöhnlich für den jungen Flavier. Darin, sich der Lächerlichkeit preis zu geben, war er sehr gut und erfahren.
    Er behielt sein Grinsen bei, als die junge Patrizierin vor ihm weiter sprach. „Habe ich es doch gewusst!“, jubilierte er und bastelte schnell einen Satz zusammen. „Ich bin eine Frau und ich glaube an Geschirr.“, gab er in der uralten Sprache von sich und grinste stolz. „Das heißt ja: Ich bin aus Ravenna und ich grüße dich. Oder?“, fragte er und blickte sie dabei neugierig an. Er war ziemlich sicher, dass er das richtig gemacht hatte.
    Was sie nun sagte, veranlasste ihn, die Stirn zu runzeln. Die Patrizierin zog sich vor ihm herunter, wie es ihrem Stande überhaupt nicht angemessen war. „Woher das niedrige Selbstbewusstsein?“, fragte er und lächelte. „Ich finde, jeder Stimme in diesem Universum gebührt ein Platz. Ich meine, es war ganz in Ordnung. Es war schon recht.“ Den großen Massen der Menschen würde diese Stimme vielleicht gefallen, dachte er und verzog kurz die Lippen. Damals, am Mercatus Urbis... lange schien es her zu sein, doch in sein Gedächtnis war es eigeprägt. Vielleicht sollte er tatsächlich nicht selber singen, wie es ihm Decimus Verus ans Herz gelegt hatte. Vielleicht sollte er sich daruaf verlegen, nur Lieder zu schreiben und sich Sänger dafür zu suchen, und Sängerinnen.
    Er blickte kurz auf die Frau vor ihm und runzelte erneuerterweise die Stirn.
    Dann grinste er sie breit an. „Vielleicht kannst du mir ja einen Gefallen tun?“, fragte er und blickte die Fremde forschend an. „Ach ja, mein Name ist übrigens Piso. Aulus Flavius Piso. Mit wem habe ich die Ehre, Holdeste?“, hörte er sich selber sagen, während er sich lässig am Baum neben ihm aufstützte. „Du musst es nicht tun, wenn du nicht willst, aber fragen kostet nichts, sagt mein Vater immer.“ Der alte Geizkragen, der das Geld nur für sich selber und seine vielen Liebhaberinnen aufwendete.

  • Nicht nur Piso beäugelte Romana, Romana blickte auch auf Piso. Er war groß, selbst für einen Mann. Doch an ihre Höhe reichte er nicht ganz heran, dazu müsste er sich schon auf die Zehenspitzen stellen. Allerdings schien der Mann seinen Stolz diesbezüglich zurückzustecken und bestaunte lieber Romana. Sie konnte sehen, wie seine Augäpfel auf und ab gingen, als er abschätzte, wie groß sie sein möge. Ihre Größe sagte sie ihm nicht, da sie Momente wie diese ganz und gar nicht schätzte. Es war ein bisschen, als ob sie beim Sklavenhändler angeboten wurde. Sie entschloss sich dazu, dass Starren des Mannes zu unterbrechen.


    „Ist was mit mir?“, fragte sie und blickte ihn scharf an. Sie war nicht sehr darüber erbaut, dass man ihr was wegschaute, oder sie angaffte, als wäre sie in einer Freakshow oder einer Ausstellung. Mit deisem seltsamen Blick, mit dem er sie anschaute, hatte sie es sich ebenfalls verdient, ihn näher unter die Lupe zu nehmen. Ein schneller, hastiger Blick bestätigte ihren ersten Eindruck. Ein Mann von edlem, gutem Hause. Möglicherweise ein Aemilier, oder ein Cornelier, oder vielleicht ein Flavier. Nichts an ihm erweckte den Eindruck, dass er einer niedrigen Schicht entstamme. Selbst seine Manieren, so seltsam sie anmuteten, passten durchaus ins Bild eines eher exzentrischen Patriziers. Lachfalten zeugten von einem gewissen Humor, was Romana schätzte, aber insgesam hatte sie eher den Eindruck, sie stünde einem allzu selbstbewussten Mann gegenüber. Bescheidenheit, fand sie, war eine Zier, und dem Mann fehlte sie.


    Er gab einen Kommentar wegen ihres Parfüms zum Besten, den sie höchst verwunderlich fand. Extraordinär? Der Kerl musste tatsächlich einen an der Macke haben. „Ich finde es höchst schmeichelnd, dass du sagst, mir gefalle mein Parfüm, aber ich vertraue da eher dem Sklaven.“ Ihre Stimme klang herb und ihr Gesicht strahlte, trotz aller Höflichkeit und Freundlichkeit, eine gewisse Reserviertheit aus. Mitleidig blickte sie kurz zum Sklaven hinüber. Der Arme verging vor lauter Pein. Zwar fühlte sie sich tief in ihr drinnen ein bisschen schuldig, doch kanzelte sie, um ihrer Selbstbeherrschung Willen, das Gehabe des kleinen Mannes als Selbstmitleid ab.


    Was der Mann nun sagte, veranlasste sie dazu, komplett erstaunt und leicht verstört dreinzuschauen. Sie beherrschte Etruskisch sehr gut, und konnte die Worte selbst aus dem starken Akzent des Patriziers herausfiltern. Wie, was? Das konnte er doch nicht ernst meinen. Ehrlich verblüfft sah sie ihn an und schüttelte dann sachte den Kopf. „Nein, das heißt es nicht. Du hast gerade gesagt, du wärst eine Frau und glaubst daran, dass Geschirr existiert. Dein Lehrer war entweder miserabel oder hat sich einen Scherz erlaubt. Oder du hast dir die Worte nicht behalten können.“ Sie lächelte ihn an, böse gemeint hatte sie keines ihrer Wortes. "Was du meinst, das heißt: Ich bin aus Ravenna und grüße dich.“, gab sie eine kleine Lehrstunde. „Aber ich sehe deine Begeisterung über die etruskische Kultur in deinen Augen. Ich teile sie, ich bin selber zu einem Viertel eine echte Rasna , eine echte Etruskerin.“, sagte sie, während sie stolz daherschaute.


    Nun kam der Mann mit etwas daher, was sie kategorisch verneinte. Dies manifestierte sich in einem energischen Kopfschütteln. „Nein, kein niedriges Selbstbewusstsein, das habe ich nicht und werde ich auch nie haben. Ich bin aber Realistin. Und ich weiß, dass meine Stimme nicht gut ist.“ Traurig ließ sie den Kopf kurz hängen, bevor sie wieder aufblickte. „Ich finde es nett von dir, dass du mich ermutigst. Doch ich sehe keinen Grund, mich selbst zu überbewerten.“ Sie war Pragmatikerin, und wusste, dass es im Leben wichtigere Dinge gab, als den eigenen Gelüsten hinterherzuhetzen.


    Das Stirnrunzeln wollte ihr nicht recht gefallen, doch sie wartete ab, was er nun sagen würde. Hmm, ein Gefallen? Was? Das konnte doch nicht wahr sein! Sie kannte ihn doch gar nicht. Doch da kam schon sein Name. Flavius Piso. Sie hatte diesen Namen doch schon irgendwo gehört. Sie dachte nach. Romana war eine fanatische Acta-Leserin, und so fand sie recht schnell in ihrem Gehirn den passenden Artikel zum Namen. „Der Künstler.“, meinte sie. „Der mit den faulen Eiern. Ich habe von dir gelesen, in der Acta.“ Ihre Aussage war kurz und herb, genauso wie der Blick, dem sie ihm zuwarf. „Was für ein Gefallen sollte denn das sein?“ Sie musterte den Mann nochmals schnell. Wollte er sie ins Bett abschleppen? Nein, der Gedanke war doch etwas zu weit hergeholt. Sie sollte noch etwas machen. Genau, sich vorstellen. „Ich bin Claudia Romana.“, meinte sie. „Ich freue mich, jemanden aus dem ehrenwerten Haus der Flavier kennen zu lernen.“ Begrüßungsfloskeln, wie sehr sie sie verachtete...

  • „Nein, nein, wirklich nicht!“, rief Piso ein bisschen sich schuldig fühlend aus, als Romana ihn so anfuhr. Womit hatte er das bloß verdient, war er denn nicht ein Mann, der immer wieder im Sturm die Herzen einnahm? Seltsam, die Claudierin schien nicht darauf anzusprechen. „Wie kommst du nur drauf?“, fügte er hinzu, mit zwei abwehrend erhobenen Händen und leicht konfusem Gesichtsausdruck. Obwohl er wusste, was sie meinte. Es musste für eine Frau schwierig sein, eine solch enorme Größe zu haben. Sicherlich gab es einige Aspekte daran, die nicht schön waren für die Claudierin.
    Ihre nächsten Worte verwunderten ihn. „Du vertraust eher einem dumpfen, miesen Sklaven als mir?“, grinste er. „Du musst eines Wissen. Der Name Flavius Piso steht für einen Einblick in die Taxonomie der Ästhetik und der Schönheit, die nur wenigen Leuten je vorbehalten ist. Jenseits der ausgetretenen Pfade schweift mein Blick, uninteressiert bin ich an den Geschmäckern des Fußvolkes und des öden, wüsten Geistes der Normalität. Nein, ich bin es mir schuldig, dass ich mich gebührlich darüber hinwegsetze und mein Auge auf jenes richte, was sich dem ungeübten Auge verschließt!“, schwafelte er. „Die olfaktorischen Sinne sind bei mir überdurchschnittlich ausgeprägt, das sage ich dir, doch niemand übertrifft meinen Geschmack für... außergewöhnliche Musik.“ Er lächelte schwach. „Sicherlich kann dir das mein Sklave, auf dessen Urteil du so viel Wert legst...“, ein Schatten von Verwunderung huschte über sein Gesicht, gepaart mit einem gewissen Grad an Angefressenheit, „...dies bestätigen.“Er blickte streng zu seinem Britannier hin, der die Achseln zuckte und mit nasaler Stimme „Stimmt.“ Von sich gab. Stolz blickte Piso wieder auf die Patrizierin vor ihm. „Siehst du?“, veranlasste ihn sein überdehntes Ego zu sagen.
    Was sie nun sagte, veranlasste ihn dazu, zu lachen. „Oje, da habe ich wohl einen Schmarren dahergeredet!“, grinste er kopfschüttelnd. „Meinen Lehrer will ich nicht beschuldigen, es muss doch eher an dem Vakuum in meinem Schädel liegen, hahaha!“, lachte er. An seiner Stimme konnte man erkennen, dass er dies ironisch gemeint hatte, er selber war – wie die meisten Menschen, um ehrlich zu sein - sicher, dass sein Gehirn absolut verblüffende Kapazitäten hatte, welche nur nicht ausgeschöpft werden.
    „Isch bing oos Ravänna unn isch grussä disch.“, wiederholte er stolz ihren Satz und hob leicht die rechte Augenbraue, als sie von ihrer Abstammung zu sprechen kam. „Interessante Familiengeschichte.“, meinte er. Die Claudier schienen eine Schwäche fürs Etruskische zu haben, war doch Kaiser Claudius fließend in jener Sprache, da seine Frau eine etruskische Muttersprachlerin war.
    Er musste wiederum lachen, als er die pessimistische Ansage bezüglich der Stimme der Patrizierin hörte. „Realistisch gesehen, ist deine Stimme gut, da lässt sich drauf aufbauen. Sicherlich findet sie die Zustimmung des Pöb... äh, des normalen Menschen.“ Er war sich ziemlich sicher, dass dies stimmte. Sie hatte eine gute Stimme, vielleicht nicht so gut wie die der „Muse“ Aoide (welche traumhaft sang, wie er im Nachhinein zugeben musste), aber eine echte Alternative. Vielleicht, wenn er es geschickt anstellte, würde er die Frau vor ihm dazu bringen, Texte von ihm zu singen? Wer konnte das wissen?
    „Genau, ich bin der Künstler!“, antwortete er pompös und wollte sich schon in Pose werfen, da fiel das Wort „Eier“. Die Pose misslang, Piso starrte sie an und verzog die Lippen. Na prima, das hatte die Acta natürlich hervorstreichen müssen. Hoffentlich hatten den Artikel nicht zuviele Leute gelesen, dachte er sich zum ersten Mal. Der Gedanke ließ sein Gesicht zusammensacken wie überhitzte Salzburger Nockerl. Dazu noch ihr Tonfall, nein, das wollte ihm nicht gefallen. Ob er jetzt wirklich noch mit ihr zusammenarbeiten wollte? Sie schien schon eine vorgefertigte Meinung zu haben. „Der bin ich.“, bestätigte er ihr also knapp.
    „Mich freut es auch, Bekanntschaft zu machen mit einer ehrwürdigen Claudia wie dir.“, handelte er die Begrüßungsfloskel ab, bevor er aufs Geschäft zu sprechen kam. „Also, Claudia Romana, ich habe hier einen Zettel. Kannst du Noten lesen?“, fragte er, als er sein pergamentstück hervorholte und es ihr unter die Nase hielt. Auf dem Pergament war ein Text niedergeschrieben, gesäumt von einer Reihe von griechischen Buchstaben, welche die Notenfolge herausdeutete. „Habe ich selber geschrieben.“, meinte er stolz. Was er nicht wusste, er hatte mit seinem Text einen späteren Lied vorweggegriffen. Und zwar keinem geringerem Lied als „Ich steh im Regen“. ;)

  • Romana blickt ihn leicht schief an und musste in sich hineingrinsen. Mit dieser Ansage konnte man Männer immer wieder außer Gefecht setzen. Zumindest, wenn sie einen Funken Anstand besaßen. „Dann ist es ja gut.“, schnaubte sie ein wenig belustigt aus. Irgendwie amüsierte sie der Kerl. War es seine, wie sollte sie das ausdrücken, Albernheit? Seine absolute Unfähigkeit, so zu agieren, wie es seinem Stande angemessen wäre? Irgendetwas an ihm zog sie an, und stieß sie zur selben Zeit wieder ab. Sie hatte keine Ahnung, ob sie ihn mögen sollte, oder gut beraten wäre, sich von ihm abzuwenden? Im Moment sprach nichts dafür, solch eine drastische Aktion zu unternehmen. Also blieb sie bei ihm und horchte interessiert seine Schwafelei an.


    Als er seinen Wortschwall beendete, lachte sie auf. Der Typ war echt lustig, den sollte man vielleicht an einen Zirkus übergeben. Woher er nur diese ganzen großen Worte hatte? Sie hatte eine gute Ausbildung genossen, doch sie würde niemals im normalen Sprachgebrauch so geschwollen reden. Es musste wohl ein flavisches Syndrom sein, sich so auszudrücken. "Das kann gut und gerne sein, Flavius Piso.“, lächelte sie. „Wer mit dem Strom schwimmt, ist ein toter Fisch.“ Es war eines ihrer Lieblingssprichwörter. Und sie konnte sich vorstellen, dass auch Piso sicherlich mit diesem Sprichwort etwas anfangen könnte. „Ich habe niemals deinen Geschmack über den deines Sklaven gestellt.“, lachte sie abermals, als er seinen Sklaven anherrschte.


    Auf seine Worte bezüglich sein Vakuum im Kopf und seine Lernkapazitäten gab sie nur ein warmes, unverbindliches Lächeln, welches alles bedeuten konnte, von „Ja, natürlich bist du ein Vollidiot“bis zu „Nein, was bist du doch für ein Witzbold und ein gescheiter Mensch“. Sie kicherte, als er ihre Worte wiederholte. „Genau so.“, meinte sie und lächelte ihm aufmunternd zu, sie wollte ihre Zeit nicht mit Lehrstunden verschwenden und zudem dem Flavier das Gefühl geben, etwas richtig gemacht zu haben.


    Als er sagte, sie habe eine interessante Familiengeschichte, wusste sie nicht recht, ob sie lachen solle oder verwundert dreinschauen. Sie entschloss sich, unverfänglich zu reagieren und verhalten zu lächeln. „Ich weiß.“, meinte sie nur


    Seinen Kommentar, was ihre Stimme anging, hörte sie mit Erstaunen. „Das heißt also, meine Stimme ist gut für den Pöbel, die normalen Menschen?“ Sie runzelte ihre Augenbrauen. „Also, schönere Komplimente hat man mir auch schon gemacht.“ Romana verschränkte die Arme vor ihrer Brust. „Was willst du damit sagen, dass ich in schöngeistigeren Kriesen nichts verloren habe?“ Eine Sekunde überlegte sie, dann ließ sie den Kopf sinken. „Ach, du hast sicher recht. Du hast nur durch die Blume ausgedrückt, dass ich als Sängerin nichts tauge. Tut mir Leid.“, meinte sie bedrückt.


    Umso überraschter war sie, als er ihr einen Zettel unvermutet in die Hand drückte. Noten lesen? Sie blickte auf das Stück Pergament und sah sich mit zugekniffenen Augen die griechischen Buchstaben an. Sie sagten ihr nichts. Sie konnte sie zwar lesen, doch hatte sie keine Ahnung, was sie in diesem Zusammenhang bedeuteten.


    “Äh, lass mich mal versuchen.“, machte sie nichtsdestotrotz. „Mal sehen.“ Sie las sich durch den Text. Er war einigermaßen komisch. Bedrückend. Sie würde einfach auf die Schnelle eine eigene Melodie erfinden müssen.


    Und so begann sie einfach einmal, ganz vorsichtig und langsam:


    "Ich steh' im Regen und warte auf Dich, auf Dich
    Auf allen Wegen erwart' ich nur Dich, immer nur Dich...“


    Sie blickte ihn fragend an. „So in Ordnung?“ Sie blickte auf das Pergament. „Aber jetzt im Ernst. Wieso willst du, dass ich das tue? Wieso singst du das Lied nicht selber? Du kannst es sicher besser als ich.“, meinte sie.

  • Jetzt war sie auf einmal wieder komplett lustig. Wer sollte bei den Weibern noch mitkommen? Weinen, lachen, dreinschauen wie ein Bock und dann doch wieder nicht... es war zum Davonrennen, dachte er sich innerlich. Aber er tat dies nicht, da er noch etwas von ihr wollte.
    Als sie dann komplett zum lachen anfing, sich anscheinend nicht mehr einkriegen konnte, hob er seine rechte Augenbraue. Was? Wie? Er hatte doch nichts falsch gemacht, oder? Verwundert blickte er sie an, während sie gerade ihr Lachen wieder in den Griff zu kriegen schien. Mit ihren Worten konnte er aber durchaus etwas anfangen. „Oh ja, werte Claudia, das denke ich auch!“, stimmte er ihr bei. „Wer will schon normal sein? Pfff!“, machte er. Der Normalität würde ihn wohl niemand jemals zeihen. Und das war auch gut so. Fast hätte er ihr schon, zur eindrucksvollen Veranschaulichung seiner Verachtung fürs Normale, die Zunge herausgestreckt, und konnte sie gerade noch rechtzeitig runterschlucken. Dabei hätte er sich fast verschluckt, was dazu führte, dass er kurz hustete. Die ausgehustete Sprotze sprühte auf seine gerade noch rechtzeitig vorgehaltene Hand.
    Der verhinderte Exzentriker drückte seinen Rücken durch und blickte wieder auf das Mädchen. Ihr Lächeln bestätigte ihn, obwohl es schon ein wenig zweideutig war. Doch jegliche Gedanken, welche nicht implizierten, dass er etwas anderes als ein Genie war, wurden elegant in seinem Hirn beiseite geschaufelt.
    Seiner Bemerkung bezüglich der Familie der Claudierin wurde nicht allzu viel Beachtung geschenkt, doch ungleich mehr Augenmerk wurde auf das gelegt, was er über ihre Stimme gesagt hatte. Er seufzte, als sie zu jammern anfing. Wieso waren Frauen nur so? Sie hatte ihn komplett missverstanden. „Nein, das habe ich nicht gesagt!“ Verflixt, Aulus, wieder in der Defensive? Das sind wir doch häufig dieser Tage, hörte er eine innere Stimme sagen. „Einmal nicht so! Ich... ich... habe damit sagen wollen, dass du eine... agreable Stimme hast!“ Wie immer häufiger in dieser Zeit, übernahm er unbewusst den Wortschatz seines Vetters Gracchus. „Ich meine, die Leute würden sie lieben, ganz gewiss! Du würdest ein breites Publikum ansprechen.“, versicherte er ihr. So, hatte er es noch gerettet. Oder doch nicht?
    Vielleicht würde sie jetzt, wo sie den text vor sich hatte, aufblühen. Einmal blickte sie ihn interessiert an... und sie begann zu singen.
    Man muss anmerken, dass Romana eine Melodie zum Text erfunden hatte, welche zwar nicht allzu schlecht war, aber sicher nicht den Entsprach, was sich Piso vorgestellt hatte.
    „Äh, das war gar nicht so schlecht... nur habe ich die Melodie mir anders vorgestellt... ähm...“ Er wollte noch etwas sagen, da wurde er unterbrochen. Und zwar von zwei Fragen.
    Er seufzte. Waren seine Intentionen nicht klar? „Ich habe gehofft, dass du für mich auftrittst. Meine Lieder für mich singst. Das wäre schön. Und warum ich es nicht selber singe? Man bescheinigt mir ein... eher gespanntes Verhältnis zur Harmonielehre von Zeit zu Zeit. Ich kann es überhaupt nicht nachvollziehen, aber man hat mir vorgeschlagen, ich sollte mal jemanden finden, der für mich singt. Ein Name wurde mir schon vorgeschlagen... aber ich kann dort unmöglich hingehen.“ Er schüttelte den Kopf. „Ganz anders schaut es aus bei dir. Du bist aus gutem Hause, hast eine gute Stimme...“, glaubte er jedenfalls, „und man kann mit dir vernünftiger reden als mit der Person, die man mir nahegelegt hat... den Drachen...“, grummelte er. „Auf jeden Fall, möchtest du das tun? Geld würde dabei herausspringen!“, machte er und rieb den Daumen und den Zeigefinger aneinander.

  • “Niemand.”, entgegnete Romana schmunzelnd, als der Flavier mit ihr übereinstimmte. Doch als er eine Grimasse zu machen schien und loshustete, dachte sie sich insgeheim, dass es zwei Arten von unkonventionellem Denken und Handeln gibt. Zwar schützte Piso seine Umwelt mit seiner Hand, und doch, machte es einen so hervorragenden Eindruck, wenn man herumhustete? Sie wartete höflich, bis er zu Ende gehustet hatte. „Alles in Ordnung bei dir?“, fragte sie. Wenn das Gespräch auf einer informelleren Basis gelaufen wäre, hätte sie ihm jetzt auf den Rücken geklopft, doch so war ihr das nicht möglich. Und so entstand für ein paar Sekunden eine unangenehme Situation, wo Piso nur hustete und Romana untätig daneben stand.


    Endlich jedoch hörte er auf und fing wieder an zu reden. Seine Worte wirkten seltsam. „Agreabel?“, wiederholte sie verblüfft. „Ein breites Publikum? Ich weiß jetzt nicht recht, wie ich das verstehen sollte.“ Wollte er sie auftreten lassen? Oder was?


    Eine düstere Szene schwirrte ihr durch den Kopf – sie, als leicht bekleidete Gauklerin, vor einer Ansammlung von Leuten, mit nichts an außer ein paar fetzen, leider trällernd, während die werte belegschaft sich am Gedanken, ihr an die Beine oder die Brust zu fassen, ergeilte...


    ...und tatsächlich kam das auch so. Ob sie für ihn singen wollte, kam seine Frage. Sie blickte ihn groß an. Wie? Das konnte er doch nicht ernst meinen. Sie war eine Tochter aus gutem, sehr gutem Hause. Sie war kein peregrines Flittchen, welches für ein paar Sesterzen ihre Haut zu Markte tragen würde.


    Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich. Weg war das heitere, offene, optimistische Lächeln, welches sie so oft zur Schau trug, besonders Leuten gegenüber, die sie nicht kannte – ja man konnte sagen, hie und da war es eine Maske für ihre wahren Gefühle. Doch sie war nicht sehr strapazierfähig. Ihr Gesichtsausdruck wurde finsterer. Ihre Augenwinkel zogen sich zusammen, ihr Mund verkniff sich.


    „Dieses Angebot ist zutiefst schmeichelhaft und beschämt mich, Flavius.“, brachte sie hervor und riss sich am Riemen. Nur nicht die Fassung verlieren, Romi! Ihre Gesichtszüge glätteten sich, das einzige, was blieb, war der Ausdruck der Verwunderung in ihren Augen. „Es tut mir leid, dass die Leute kein Verständnis für deine... außergewöhnliche Stimme aufbringen.“ Wenn man den Bericht in der Acta so las, konnte man sich nur selber dazu beglückwünschen, dass man noch nie den Flavier singen hören hat.


    „Der Name, den man dir gesagt hat, und an dem ich nicht im Geringsten interessiert bin, wird das selbe sagen wie ich, wenn der Besitzer aus einer anständigen Familie ist. Such dir eine Peregrina, oder eine Sklavin, Flavius. Diese haben vielleicht weniger Bedenken, sich zu einer Gauklerin zu degradieren.“ Sie sprach das Wort „Gauklerin“ mit Verachtung, wie ein Schimpfwort, aus. „Geld habe ich selber.“, sagte sie also unwirsch. „Also. Ich stehe nicht zur Verfügung. Basta.“ Wer Romana kannte, wusste, dass dies ihr letztes Wort war.

  • Piso räusperte sich lautstark und schluckte schleimige Masse, welche er aus seinem Mund herausgehustet hatte, zurück. Sicherlich war das besser, als sie vor die Füße des Mädchens vor ihm spuckte. Sie fragte ihn, ob alles in Ordnung war, und er nickte. „Es geht schon, danke.“, meinte er mit der Andeutung eines Lächelns.
    Doch lange erhielt er es nicht aufrecht. Denn nun wurde er mit einem gewaltigen Wortschwall überzogen. Die Claudierin wurde immer ungehaltener, mit jedem Wort, das sie sagte. Er verstand die Welt nicht mehr. Was hatte er getan? Er hatte doch nur ein kleines, harmloses Angebot gemacht mehr nicht! Nie hätte er erwartet, dass eine solche Frage solche Bestürzung hatte auslösen können.
    Zuerst fing sie damit an, dass sie die Bedeutung seiner Worte hinterfragte. Doch nicht nur dies, bevor Piso auch nur irgendetwas erwidern konnte, bedankte sie sich für sein Angebot, und beauerte seinen überschaubaren Erfolg... und lehnte ab! Und zwar auf eine ruppige Art und Weise, die Piso erstaunen ließ. Wenn ihr wirklich etwas an seinem Erfolg läge, würde sie doch mit ihm ins Geschäft kommen! Und vor allem, wenn ihm etwas an ihrem läge. Er blickte sie an, sein Gesichtsausdruck zeugte nicht gerade von Begeisterung.
    „Wenn du Geld hast, und ich mir eine Peregrina oder eine Sklavin suchen muss, dann werde ich eben dieses tun!“, rief er. „Das könnte ich jederzeit tun! Aber was ich dich fragen will, willst du diese Gelegenheit verstreichen lassen? Du könntest berühmt werden! Ich könnte dich groß rausbringen!“ Der Gedanke, dass es Leute gab, die das nicht wollten, kam ihm nicht in den Sinn. Und so spielte er sich nun als der große Bühnenmanager auf. Flavius Piso, der große Talentevermittler. Ja, so hätte er sich durchaus gerne gesehen, für sein Ego wäre das ein gewaltiger Auftrieb gewesen.
    Doch dies sollte nicht geschehen. Es scheiterte am Widerstand der Claudierin. Er wurde jetzt echt sauer. „Dann lasse diese Möglichkeit aus. Werde von deinem Vater an irgendeinen Ehemann verschachert. Vielleicht wirst du irgendwann dich an diese Begegnung erinnern und dir denken, dass alles viel anders und spannender wäre, wenn du dieses Angebot angenommen hättest. Dann werde ich statt dir irgendjemand anderen berühmt machen.“ Er zuckte die Achseln. „Dann gehe ich eben. Du wirst schon noch an meine Worte denken.“ Brüsk drehte er sich um, und schickte sich schon an, zu gehen. Dann seufzte er und drehte sich wieder um.
    „Bist du ganz sicher, Claudia Romana, dass du das nicht machen willst?“, fragte er resigniert.

  • Es war direkt witzig anzusehen, wie dem Flavier sein dämliches Grinsen verging, als die junge Claudier ihm eine Gardinenpredigt hielt. Gut, vielleicht war es diplomatisch unklug gewesen, Piso so direkt vor dem Kopf zu stoßen, aber sie selber war, wie sie es selber zugeben musste, eine sehr direkte Person mit wenig Sinn für subtile, unterschwellige Angriffe, oder Ablehnungen, die innerhalb des weiblichen Patriziats so gang und gäbe waren. Sie bevorzugte es, ihre Gesprächspartner, wer auch immer diese sein mochten, wissen zu lassen, woran sie bei ihr waren. Romana war keine Lügnerin, selbst weißen Lügen (die sie vielleicht hier aus der Affäre gezogen hätten) konnte sie wenig abgewinnen. Sie fand solche Umgangsformen unter ihrem Niveau. Eine Lüge war für die streng gläubige Romana immer eine Sünde, ebenso wie nicht ausgesprochene Wahrheiten.


    Doch, so ungeschickt ihre Ablehnung vielleicht gewesen war - obwohl der Flavier sich nichts anderes hätte erwarten können, denn welche Patrizierin vermarktet sich schon? – so inakzeptabel war seine Antwort daraus. Ihre Augen quollen schier über, als sie die Unflätigkeiten hörte, die dem Flavier aus dem Mund hervorkamen. Sie verrieten ein aufgeblähtes Ego, das durch ihre Ablehnung empfindlich geschädigt wurde. So künstlerisch sensibel sich Piso noch vor einer Minute gegeben hatte, so unkund und ungehobelt klangen seine Worte nun. Und am Ende drehte er ihr sogar den Rücken zu!


    Romana konnte es nicht glauben. Sie vermutete, Piso erwarte eine Antwort von ihr. Allerdings kam ihr kein laut über die Lippen. Sie musste sich innerlich sammeln.


    Fast aber hätte sich ihr Entsetzen in kreischendes Lachen verwandelt, als der junge Mann sich tatsächlich erdreistete, sich umzudrehen und sie zu fragen, ob sie doch annehmen würde. Sie stand noch immer auf ihrem Platz und starrte den Kerl an.


    Dann öffnete sich ihr Mund. „Du wagst es noch, dies zu fragen? Noch nie bin ich in meinem Leben so behandelt worden... halt.“ Sie dachte kurz intensiv nach, ihre Augen kniff sie zu, der Mund bewegte sich lautlos vor sich hin, ohne dass sie einen Laut von sich gab. Dann öffnete sie die Augen wieder und gab Piso einen eisigen Blick. „Vielleicht nicht die schlimmste Behandlung seit jeher.“ Ihre Augen glommen voller Frust. „Aber sicher gehört dies zu den untersten Fünf.“ Sie verschränkte ihre Arme. Die alte, resolute Romana, die sich sicherlich nie von solchen Leuten unterkriegen lassen würde, kam an die Oberfläche, und blickte den Flavier schnöde an.


    „Meine Antwort lautetet nein. Ist das deutlich genug?“ Wieder einmal war diese Ansage weder diplomatisch noch elegant, aber dafür effektiv und, vor allem, sehr klar. „Ich werde nicht meinen Ruf aufs Spiel setzen, damit du vielleicht ein paar Bröckchen Ruhm erntest. Und, noch etwas, zur Information. Ich werde sicher nicht heiraten. Und zwar wegen Männern wie dir.“ Gut, das war sehr tief. Unter der Gürtellinie. Als Romana das bewusst wurde, zwang sie sich dazu, ihren Mund zu halten, bevor sie einen Bürgerkrieg auslöste.


    Sie atmete aus und sah dann zu Piso hin. „Es tut mir Leid.“, machte sie in einem versöhnlicheren Tonfall. „Aber ich kann nicht. Es ist nicht möglich.“ Sie schüttelte während diesen Worten suggestiv ihren Kopf.

  • Natürlich war Pisos aufgeblähtes Ego verletzt. Und wie! Seine Ehre als Künstler (beziehungsweise, als Möchtegernkünstler, eine Beschreibung die viel eher angebracht wäre) war angekratzt, von diesem Frauenzimmer vor ihm. Und nun, als er dachte, es ginge nicht schlimmer, wurde er von Schmach und Schande überzogen.
    Ein vernünftiger, informierter Zuseher (der sich in eben diesen zwei Qualitäten grundlegend von Piso unterschieden hätte) hätte vermutlich diese ganze Szene befremdlich gefunden. Hätte jener Beobachter einen seltsamen Sinn für Humor gehabt, hätte er die Szene vielleicht lustig gefunden, ja, zum Schreien komisch. Doch Piso hatte keinen Sinn für irgendwelche Objektivität nun, alle seine Sinne waren auf seine eigene subjektive Wahrnehmung ausgerichtet. Und diese schrie: Die Welt ist so gemein! Sicher, auch ein Fünfjähriger hätte solche Gedanken hergebracht. Doch Piso fand diesen Gedanken in der jetzigen Situation sehr angebracht. Von einer Frau heruntergeputzt zu werden, die dazu noch jünger war als er, wenn auch an Stand gleichgestellt, war ein klassischer männlicher Alptraum.
    Hilflos blickte er die Ungnädige an. Er versuchte, Wut über ihr despektierliches Benehmen aufkommen zu lassen, doch sein inneres Gewissen ließ das nicht zu. Ob man es glauben wollte oder nicht, in Piso war ein Rest von Anstand vorhanden, und genau jener drückte ihn nun darnieder. Sie hatte ja recht. Sie reagierte sehr überzogen und vorlaut, aber Piso konnte dies nicht gegen sie halten. Sein Angebot war ja nun wirklich nicht... einwandfrei gewesen. Er selber hatte ja nichts dagegen, öffentlich aufzutreten (selbst wenn der Preis, den er dafür bezahlen musste, faule Eier waren), doch andere könnten das doch haben. Ihm klangen noch die Worte von Furianus in seinen Ohren. Öffentliche Auftritte waren nicht das Gelbe vom Ei – um beim Thema „Eier“ zu bleiben.
    Er gab also nicht furios Kontra, sondern ließ seinen Kopf sinken, was sie dann auch innehalten ließ. Oder fielen jene Ereignisse nur zufälligerweise zusammen? Piso wusste auf nicht. Auf jeden Fall... entschuldigte sie sich. Der junge Flavier blickte auf, hoffnungsreich war sein Ausdruck. Konnte er noch etwas rausholen?
    Offenbar nicht. Die Absage war niederschmetternd und seinem Ego entwich sprichwörtlich die Luft. Jetzt half nur noch eines. Die Trauermasche. Wie sonst sollte man solchen dominanten Weibspersonen beikommen?
    Traurig blickte er drein. „Oh.“, machte er nur. „Das war nicht sehr nett.“ Er versuchte sich am Dackelblick. Das zog immer, einmal meistens. Wenn es nicht zog, ging es in die Hose. Aber schlimmer werden konnte es nicht.
    „Danke für die deutliche Ansage. Ja, dann... dann gehe ich halt.“ Er machte sich daran, sich umzudrehen und zu seinem Sklaven (der mittlerweile seinem Allergieanfall schon fast erlegen war, und deshalb kaum etwas von der Konversation mitbekommen hatte) zu schlurfen.

  • Der Mann vor ihr sackte zusammen, als sie ihn anfuhr. Fast konnte man meinen, ihm würden durch ihre Rede sich ihm die Haare aufstellen. ;) Aber vermutlich war der gescheiterte Künstler vor ihm Demütigungen mehr gewohnt als jeder andere Patrizier. Aber wenn sich ein Mensch so dermaßen der Lächerlichkeit preisgab, musste er damit rechnen. Wer den Schaden (in diesem Falle wohl irgendwo im Hirn) hatte, musste für den Spott nicht mehr sorgen. Vielleicht behandelte sie ihn wirklich ungerecht, schoss es ihr durch den Kopf, als sie endete. Vielleicht ging sie zu streng mit einem um, der vermutlich in seiner Kindheit nur verhätschelt worden war. Obwohl, sie hatte eine schöne Kindheit selbst gehabt, sie hatte alles gehabt, was sie brauchte, und auch das meiste bekommen, was sie wollte. Doch sie hatte sich nicht so entwickelt wie der – mit Verlaub zu sagen – Großkotz vor ihr.


    Romana war aber keine grobschlächtige Person, die über Leichen ging. Und deshalb berührte sie irgendwie sein Blick. Entweder war er ein guter Schauspieler, oder er dachte echt, er wäre ungerecht behandelt worden. Vielleicht war sie auch nur einen Zacken zu naiv. Wie dem auch sei, sie war kurz etwas erschrocken und vielleicht auch etwas beschämt, als der Flavier bedrückt zu jammern anfing. Seine knappe Ausdrucksweise und sein tragischer Blick bohrten sich ihr irgendwie ein.


    Ihre Schultern sanken um ein paar kaum spürbare Millimeter ab. Ihr tat der Kerl irgendwie Leid in seiner Verblendung, und sie konnte ihm irgendwie nicht mehr böse sein. „Schau, Flavius Piso. Es tut mir Leid. Echt.“, sagte sie und machte eine beschwichtigende Handbewegung. „Ich hätte es nicht sagen sollen. Ich weiß nicht, was ich mir gedacht hatte.“ Das dachte sie wirklich, sie hatte vorhin etwas sehr Stupides gesagt. Doch zurücknehmen konnte sie es nicht mehr. Ja, das Wort „Überreaktion“ war vielleicht angemessen, um ihr Handeln zu beschreiben. „Aber ehrlich. Ich kann dir deinen Wunsch nicht erfüllen. Es war wirklich nett von dir, dass du gesagt hast, ich habe eine gute Stimme, und es schmeichelt mich, das du mich ausgesucht hast. Aber ich kann es einfach nicht. Verstehst du, ich will Vestalin werden. Dazu brauche ich einen tadellosen Ruf.“ Sie blickte ihn so warm wie möglich in ihrem noch immer etwas agitierten, vor allem irritierten, Zustand. „Ich kann mich nicht als Gauklerin betätigen. Und ich will es auch nicht. Bitte, akzeptiere das. Ich wäre dir zu Dank verpflichtet.“, brachte sie raus. Wenn sie ihm honigsüße Worte um den Mund schmierte, konnte sie sich vielleicht noch elegant aus der Affäre ziehen.


    Fragend blickte sie ihn an. Hatte sie ihn überzeugen können? Ihr Götter, am Ende habe ich jetzt eine Kluft zwischen den Flaviern und den Claudiern aufgerissen, dachte sie sich und ihre Augen zuckten schnell gen Himmel, bevor sie wieder ihren Blick sanft auf den Flavier richtete.

  • Gerade wollte er sich abwenden, da vernahm er wieder ihre Stimme. Sie klang um vieles weicher und freundlicher als vorhin. Er schien sie tatsächlich aufgeweicht zu haben! Hach, war er gut! Er verkniff sich ein Grinsen und blickte sie mit einem tiefgründigen Blick an, als sie zu ihm sprach. Nun kam eine Entschuldigung, aber sie klang um einiges überzeugende als das fast schon beamtenhafte Bedauern vorher. Seine linke Augenbraue hob sich um eine Winzigkeit, und zwar in nichts anderem als einem veritablen Schneckentempo. Er schien sie rumgekriegt zu haben, wie, wusste er nicht. Dem Mädchen schien doch vielleicht noch eine einsichtige Seele innezuwohnen. Er grummelte: „Kein Problem.“ Und ließ sie fortfahren.
    Er ließ sie in Ruhe ausreden. Ihre Worte wirkten wie Balsam auf seine Seele. Seine Aufgeblasenheit war entschwunden, aber er fühlte sich nun nicht mehr zerknirscht. Denn die Claudierin hatte wirklich allen Grund dazu, sich selber so zu fühlen. Täte ihr es wirklich Leid, würde sie auf sein Angebot doch noch eingehen. Doch das tat sie nicht, was ihm dann doch ein bisschen übel aufstieß. Doch da sie so lieb bat, konnte er es ihr nicht verwehren. Wer konnte so einem netten Gesicht etwas abschlagen?
    Und zudem war Bauchpinselei prima, wie er fand. Die Wörter „Schmeichelei“ oder gar „Schleimerei“ hätte er in diesem Zusammenhang als unästhetisch abgetan. Zumindest war sie gut, wenn sie an ihn gerichtet war. Obwohl, wenn man seinen Vorgesetzten dies angedeihen ließ, war das zwar nicht immer angenehm, aber man konnte sich einen Vorteil davon holen. Und war das nicht der Sinn des Lebens, so viele Vorteile wie möglich einzuheimsen?
    Er seufzte theatralisch, als ob er gerade die niederschmetternde Botschaft des Jahrhunderts erhalten hätte. Er mochte es überhaupt nicht, das Wort „nein“ zu hören. Doch sie schien sich nicht davon abbringen zu lassen.
    Als sie endete, stand er also nur da. Ein leicht verdatterter Ausdruck umspielte sein Gesicht. Er gab sich jedoch einen Ruck innerlich und nickte. Zuerst langsam und zäh, dann etwas schneller. Abrupt stoppte er.
    „In Ordnung.“ Die Worte dehnte er wie eine Kupferfeder. „Wenn du es denkst, will ich dich nicht dazu zwingen.“ Er zuckte die Achseln. „Dass du Vestalin werden willst, ist löblich.“ Jetzt hätte er es sich bald mit einer, wohl, zukünftigen Vestalin verscherzt. Das sollte nicht sein. An Macht und Einfluss war diese Priesterschaft ja fast schon etwas das weibliche Equivalent zum Senat. Da war es vielleicht angebracht, zu kreuze zu kriechen, so sehr Piso sich auch innerlich dagegen sträubte. „Auch... mir... tut... es... Leid.“, machte er. Man konnte ihm ansehen, wieviel Mühe es ihm machte, die Angelegenheit wieder ins Reine zu bringen. „Ich hätte dich nicht damit konfrontieren sollen. Verzeih.“ Er unterdrückte sein Unterkiefer, amsonsten hätte es instinktiv mit dem Oberkiefer die Zähne geknirscht. Doch was sein musste, musste sein.
    Hinten hörte er Cassivellaunus niesen. Der Arme wartete noch immer an der selben Stelle und seine allergischen Reaktionen wurden immer schlimmer.

  • Die Entschuldigung wurde akzeptiert. Wenn auch nur mit einem Grollen, welches der Stimme des Flaviers beiwohnte. Irgendwie konnte Romana es sich nicht nehmen lassen, tief in ihrem Inneren den Gedanken zu haben, dass der Flavier es nicht ernst meinte, dass er ihr nur was vormachte. Aber das war ja bei allen so. Manchesmal kam sie sich so vor, als wäre ihr Leben ein einziges Theaterstück mit verflucht miesen Schauspielern.


    Sie schüttelte den Gedanken ab. Sich selbst treu zu bleiben, dachte sie kurz, würde heißen, jedes Wort des Flaviers für bare Münze zu nehmen. Sie wollte nicht in irgendwelche Komplikationen gezogen werden. Frieden mit sich selbst und mit allen anderen um sie war ihr wichtig. Dass sie den Kerl grade vorhin so... plump angepöbelt hatte, war nicht gerade sehr zielgerichtet gewesen. Sie nickte deshalb nur huldvoll, als er ihre Entschuldigung annahm. „Ich danke dir.“, meinte sie knapp und lauschte seinen weiteren Worten.


    Ihr weiteres Reden wurde da und dort mit einer relativ überzogenen Geste erwidert. Ein Seufzen. Ein kläglicher Laut. Ein Ausdruck auf dem Gesicht, der an ein junges Hündchen erinnerte, welches Schläge komplett ungerechtfertigterweise erhalten hatte. Langgezogen waren die wenigen Worte, die seiner Kehle entronnen, und Romana schlief fast das Gesicht ein, als sie dieser langsamen Art zu reden zuhören musste.


    Prima, dass er sie nicht zu etwas zwingen würde. Zu freundlich. Löblich? Sie war etwas erstaunt. Wenn du wüsstest, dachte sie sich und verbiss sich ein Grinsen. Was würde der Mann jetzt noch ausspucken?


    Man höre und staune! Eine Entschuldigung. Generellerer Natur. Eine Entschuldigung, welche sich auf sein Angebot bezog. Sie versuchte sich an einem warmen Lächeln. „Das macht nichts. Wirklich. Es ist schon recht.“, meinte sie und versuchte dabei unbeschwert-fröhlich zu klingen. „Es war halt einfach... eines von diesen Dinge, die halt hie und da passieren.“ Sie zuckte die Achseln. Und blickte ihn an.

  • Ein kurzes Dankeschön vernahm der in seiner Eitelkeit etwas verletzte Flavier, und dies beruhigte ihn immens, auch wenn er nicht den Eindruck loswerden konnte, dass dieser Dank genau darauf gemünzt war, dass er sie nicht weiter belästigte. Er hatte durchaus schon ein wenig von seiner Selbstsicherheit eingebüßt, was nicht unbedingt dadurch gemildert wurde, dass seine Worte mit einem gelegentlich leicht merkwürdigen Ausdruck in ihrem Gesicht quittiert wurden. Vor allem sein Kommentar – er war ja, ehrlich gesagt, ein wenig herablassend gewesen – was die Vestalinnenschaft anging, schien nicht hundertprozentig gut anzukommen.
    Sie nahm nun ebenfalls seine Entschuldigung an, und so unbeschwert sie zu klingen versuchte, so unüberzeugend war dies. Schwere, harte Worte waren schon gefallen, und beide würden wohl eine Zeit brauchen, um sie zu verdauen.
    „Ich danke dir ebenfalls.“, meinte er, nein, besser gesagt, diese Worte quälten sich aus seinem Mund heraus, begleitet wurden sie von einem leicht daneben wirkenden Grinsen. Eine unangenehme Pause entstand für fast eine halbe Minute, wo Piso nur Romana anlächelte, ohne dass er wusste, was er jetzt noch sagen sollte.
    Cassivellaunus erlöste ihn. Gerade der kleine, hässliche Britannier. Er bekam einen Niesanfall, und zwar einen, der sich gewaschen hatte. Seine Pfnitzer waren markerschütternd und ließen Piso zusammenzucken. „Ich glaube, werte Claudia, meinem Sklaven geht es schlecht. Wir sollten, denke ich, heim.“, meinte er, sein dämliches Grinsen von seinen Lippen schwinden lassend. Er war echt froh, dieses Gespräch, das ihm nur noch mehr peinlich war, zu beenden.
    „In diesem Fall, vale, und vielleicht sehen wir uns irgendwann wieder.“ Mit diesem Worten machte er eine weitschweifige Umdrehung nach links, schritt zackig auf seinen Sklaven zu, packte ihn am Kragen und zog ihn ein paar Meter mit, bevor Cassivellaunus sich fing und mit seinem Herrn mittrottete, glücklich, von diesem Geruch befreit zu sein.

  • Auf seinen Dank entgegnete sie ihm nur ein Lächeln, sie war sich nicht sicher, was sie sagen sollte. Vermutlich würde sie mit einem weiteren Wort nur seine verwundbare Künstlerseele nur noch mehr ankratzen. Was für ein Aufschneider, der schaffte es tatsächlich, den Schwachsinn in eine Kunstform zu verwandeln. Er war ja noch schlimmer als ihr Bruder. Derweil, so glaubte sie, sich die zwei ausgezeichnet verstehen würden. Brutus und Piso könnten wahrscheinlich stundenlang über ihre ach so noblen, elevierten Gefühlslagen schwatzen. Doch ohne sie, da war sie sicher.


    Ein paar Sekunden blickten sie sich an, ein unkomfortables Gefühl breitete sich in ihr aus. Sie hatte keine Ahnung, was sie jetzt noch sagen sollte. Nicht einmal, wie sie dreinschauen sollte. Doch der Sklave des Flaviers rettete die Situation gerade noch, bevor es zum rot-vor-Scham-werdend peinlich wurde. Der junge Mann vor ihr schien nun sehr um die Gesundheit seines Sklaven bemüht, und verabschiedete sich hastig. „Vale.“, antwortete sie ruhig und blickte ihm hinten nach. Das war ein seltsames Gespräch gewesen. Und sehr, sehr sinnlos. Außer, dass sie jetzt einen Patrizier kennen gelernt hatte, hatte sie das Gefühl, dass sie nun eine kostbare Viertelstunde ihres Lebens verschwendet hatte. Doch halt, eines hatte sie erfahren. Dass sie singen konnte. Dass sie eine Gesangsstimme hatte, welche, zumindest einigen Leuten, zu gefallen schien. Und noch etwas hatte sie gelernt. Nie mehr Parfüm. Ganz egal, wie damenhaft sie sich damit fühlen würde. Wenn sie nun Vestalin werden würde, müsste sie eh niemals einem Mann gefallen. Und das war auch gut so, dachte sie sich. Man stelle sich vor, sie wäre an einen Kerl wie den verheiratet worden. Da konnten sich alle M;adchen glücklich preisen, die den Weg der Jungfernschaft gewählt hatten.


    Romana schüttelte ihren Kopf geschwind herum, doch dies hatte nicht zur Folge, dass ihr intensiver Geruch irgendwie verflog, sondern nur, dass ihre Frisur zerstört wurde. Sie hatte von Natur aus unbezähmbares Haar, welches nur durch sorgfältiges Frisieren einigermaßen in Form gebracht werden konnte. Durch ein Haarschütteln konnte dies jedoch zunichte gemacht werden. Jetzt sah sie vermutlich aus wie eine Vogelscheuche, dachte sie sich. Nichts wie nach Hause, und ein ordentliches Bad nehmen! Das hatte sie sich jetzt verdient.

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