Spaziergang am großen Wasser

  • Es war früher Abend und Callidus spürte noch die heiße Luft welche vom Boden aufstieg. Auch in der Nacht würde es wohl kaum besser werden, auch wenn die Sonne langsam hinter den Weinbergen verschwinden wird. Er verließ die Stadt und ging hinunter zum Ufer, welches hier nicht mehr durch eine Mauer befestigt war. Außerhalb der Stadt kam es ihm schon viel angenehmer vor. Er blickte hinaus zum Meer wo er am Horizont ein paar dunkle Flecken ausmachen konnte. Der Hafen von Tarraco war fast leer. Die meisten Schiffe sind mit der Flut ausgelaufen und segelten am Horizont dahin. Die See war ansonsten heute ruhig und auch der Wind war kaum zu spüren. Er tauchte seine Füsse in das Wasser, welches nicht gerade kalt war. Seit dem er nach Germanien gereist war um seine Schwester zu suchen, hatte ihn das Reisefieber wieder gepackt. Er war damals nach Hispania gekommen, wie so viele andere Rediviva um die Familie wieder zu einen. Aber nach und nach wurde es ihm langweilig. Tarraco war nicht gerade klein aber doch ein Provinznest.
    Er hob ein paar flache Steine auf, begutachtete sie und ließ sie über das flache Meer springen. Das Imperium war groß und kaum jemand konnte wirklich behaupten, dass ganze Imperium gesehen zu haben. Aber wer wollte das auch schon. Es gab Gebiete, da war es noch langweiiger als hier. Rom, Rom war das Zentrum des Imperiums und des Geschehens. Aber so verrückt war Callidus dann auch nicht, es dort ein Leben lang auszuhalten. Mal war Rom ganz nett, aber auf Dauer viel zu anstrengend. Was wollte er eigentlich oder was wollte seine Familie von ihm? Er wollte gerne wieder weiterziehen, aber er könnte seine Schwester hier nicht zurücklassen. Es musste doch eine Möglichkeit geben, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden...

  • Helena war fast immer am Wasser unterwegs, seit sie aus Germanien wiedergekommen war. Damals, als sie noch Pontifex Hispania war, hatte sie dafür nicht ausreichend Muße gehabt, doch jetzt... Nun konnte sie, neben der Beobachtung des Haushaltes, kaum etwas machen. Die Freude am größeren Einkauf war ihr schon sehr lange vergangen, mittlerweile erfreute sie sich lieber der Ruhe um sich herum. Und so kam es auch, dass sie schon vor Callidus des Weges geschritte war. Den Blick hatte sie dabei eigentlich fortwährend aufs Wasser gerichtet. Und er war nicht eben glücklich. Nach der langen Zeit der Abwesenheit und der Tatsache, dass nicht er, sondern Callidus sie gesucht hatte, sollte sie schon abgekühlt sein. Aber sie trauerte noch immer über Metellus unstetiges Wesen, hatte sie doch gedacht, dass mehr hinter ihnen stand. Aber vermutlich war er einfach zu jung für sie. Für eine kurze Zeit von ihren Erfahrungen angezogen, ehe ihm klar wurde, dass sie viel zu alt war. Beinahe doppelt so alt.


    Nach gewisser Zeit des Laufens hatte sie sich ins Gras fallen lassen und sah in den Himmel hinauf. Wenige Schritte von ihr entfernt stand ein Apfelbaum, doch hätte sie sich in dessen Schatten gelegt, hätte sie das bunte Treiben der Wolken am Himmel nicht mehr beobachten können. Es waren keine schweren Wolken. Es waren die leichten Wolken, die sie schon in sehr jungen Jahren über Hispania hatte tollen sehen. Sie war schon lange hier, die Hälfte ihres Lebens hatte sie in dieser Provinz verweilt. Und sie war immer glücklich gewesen, obwohl ihr kein Glück beschert wurde. Maximus hatte sie verloren, während sie in Hispania weilte - sonst war es immer gut gegangen, gleich, wo sie sich befand. Metellus hatte sie hier mehr oder weniger verraten. Aber ein Ortswechsel? Eigentlich fühlte sie sich nicht dazu bereit. Aber das war wohl auch nicht nötig. Eigentlich sollte sie sich wieder nach einem Manne umsehen, so wie es sich ziemte, aber sie wollte nicht. Es war nicht mehr wegen Maximus, aber sie fürchtete ihre Familie im Stich zu lassen. Der Welpe, Callidus, brauchte noch ihre führende Hand, ehe er sich ins Unglück stürzte und Romanus hatte ebenso kein leichtes Leben, wo er doch beide Kinder verloren hatte. Sie seufzte.

  • Der Sand am Strand war sehr rein, so dauerte es nicht lange, bis Callidus alle Steine ins Meer gefeuert hatte. Eine frische Brise zog auf und brachte seine langen Haare durcheinander, so dass er nichts mehr sah und dahin stolperte, bis er über etwas fiel. Wer hatte denn hier etwas liegen gelassen? Er fluchte in seinem Kopf schon wieder die Götter. Garantiert war es nichts gutes und garantiert hatte er nun seine Tunika eingesaut. Er strich sich die Haare aus dem Gesicht und stützte sich ab. Es war eine Planke. "Poseidon" stand darauf geschrieben in griechischen Buchstaben. Anscheinend hatte es dem Schiffseigner nichts genützt sein Schiff nach dem Gott der Meere zu benennen. Wohl eher im Gegenteil. Wahrscheinlich hatte man den Gott überhaupt nicht gefragt, ob er mit einem Frachtkahn gleichgesetzt werden wollte. Callidus klopfte sich den Sand von der Tunika und warf das Stück Holz zurück ins Meer. Wieso hatte Poseidon ihm die Planke vor die Füsse gelegt? Hatte es vielleicht mit dem Schiff zu tun, welches im Hafen zum Verkauf stand? Er dachte darüber nach. War das der gewünschte Ausgweg, denn er suchte? Aber wieso sollten die Götter ihn helfen? Sogleich stellte sich ein Hungergefühl ein. Callidus seufzte. Er dachte nach. Gab es hier nicht eine kleine Obstplantage? Ja so war es. Es ging doch nichts über einen schönen saftigen Apfel. So stolzierte er los und sah auch schon die Obstbäume. Sein Tag war gerettet. Er sah sich kurz um, ob ihn auch niemand beobachtete und kletterte dann auf einen der Bäume um sich einen Apfel zu holen. Doch er kam nicht an den Ast, so dass er auf dem Baum hin und her wipte um ein paar Äpfel zu Fall zu bekommen.

  • Eine der Wolken, so glaubte sie, sah beinahe so aus wie der Caduceus. Sie musste lächeln. Diese Form war auch nicht sehr schwierig, denn sobald Wolken ein wenig breiter wurden und dabei ein wenig ineinaner verwunden aussahen, mochten sie den Anschein erwecken, als ähnelten sie dem Stab des Merkur oder auch der Concordia. Sie ließ ein zufriedenes Seufzen aufkommen, als ein leichter Wind über ihr Gesicht fuhr und das lange, blonde Haar leicht mit sich zog. Ja, ihr blondes Haar war untypisch für eine Römerin, aber sie mochte es sehr gern. So hob sie sich etwas vom Rest ab und auch graue Strähnchen würden sich erst später deutlich zeigen. In schwarzem oder braunem Haar würde man diese nur allzu früh bemerken. Und auch die eher grünlichen Augen waren nicht unbedingt gewöhnlich. Aber sie hatte schon immer einen Hang zum Ungewöhnlichen und dieser fing bei ihrem Aussehen an. Erst jetzt schien ihr Leben in normalen Bahnen zu verlaufen.


    Helena, die ja glücklicherweise nicht direkt unter dem geschändeten Apfelbaum lag, hörte das leise Plumpsen der Äpfel und wandte ihren Blick in Richtung Callidus. Sie glaubte, nicht richtig zu sehen, als sie ihren kleinen Bruder im Geäst hängen sah. Das war es also wieder mit den normalen Bahnen ihres Lebens. Hrmpf. Aber sie beschloss, so zu tun, als ob sie ihn nicht sehen würde. Demnach legte sie ihre beiden Arme wieder überkreuzt hinter ihrem Kopf und schloss die Augen.

  • Callidus Augen strahlten. Da waren einige schöne Äpfel bei. Er sprang vom Baum und wandte sich zum Boden hin. Er hob einen Apfel auf und betrachtete ihn. Dieser sah nicht so gut aus. Mit einem "Bähh!" flog der Apfel in einem hohen Bogen davon. Dann nahm er den nächsten Apfel, der schon besser aussah. Er biß herzhaft hinein, kaute ein zwei Mal und spuckte es wieder aus. "Das soll ein Apfel sein? Da machen ja selbst die Würmer einen Bogen drum!" Auch dieser flog davon. Callidus seufzte und gab den Äpfeln eine letzte Chance. Er hob einen rotglänzenden Apfel auf. Dieser sah wirklich lecker aus. Mit dem Saum seiner Tunika wischte er ein paar mal über den Apfel und biß vorsichtig hinein. Er kaute wieder ein paar Mal und nahm dann einen weiteren bißen. Endlich hatte er seine Mahlzeit gefunden. Jetzt fehlte nur noch der Wein, aber der würde garantiert nicht hier so einfach rum stehen. Aber im Leben konnte man es wirklich einfach haben, wenn man sich mit dem einfachen zufrieden gibt. Callidus fühlte sich in seiner Lebensphilosophie bestätigt und nickte zufrieden. "Jetzt nur noch eine Karaffe Wein und ein hübsches Mädel, dann fühle ich mich wie Jupiter auf dem Olymp!" rief er fröhlich aus.

  • Als der erste Apfel dicht neben ihr aufschlug, öffnete sie irritiert wieder die Augen und blickte neben sich. Na, der hatte da aber eben noch nicht gelegen. Ihr Blick wanderte gen kleinen Bruder, der grade dazu ansetzte, den zweiten Apfel in ihre Richtung zu werfen und es dann auch tat. Sie rollte sich ein kleines Stück zur Seite, um nicht erbarmungslos getroffen zu werden. Etwas zweifelnd sah sie die beiden Äpfel an und dann wieder ihren Folterknecht. Er riss den Armen Äpfeln erst den Leib auseinander und warf sie dann weg. Na, dachte sie mit einem kurzen Aufblitzen ihrer Augen, nun sind sie ohnehin tot. Sie griff nach einem der beiden Äpfel und holte aus, zielte und warf ihn mit aller Kraft die sie aufbringen konnte in Richtung Callidus.


    Mittlerweile hatte sie sich auch aufrecht hingesetzt. Mit einer Hand stützte sie sich ab, während ihre Beine angewinkelt im Gras lagen. Die schmale Tunika ließ nicht viel mehr unterschiedliche Haltungen zu, wenn man sie nicht zerreißen wollte. In der anderen Hand hingegen hielt sie mittlerweile den anderen Apfel und mit gespieltem Zorn sah sie ihren jüngeren Bruder an. Eigentlich verhielt sie sich ganz und gar nicht ihrem Alter gemäß und wenn doch, so eigentlich nur als Mutter die mit einem kleineren Kind spielte. Aber das war ihr eigentlich egal. ihr saß nun einmal der Schalk im Nacken.

  • Etwas traf ihn am Kopf. "Au! Verflucht!" Allem Anschein nach kam der Apfel nicht von oben, jemand musste ihn geworfen haben. Er drehte sich um, nach den Übeltäter ausschauhaltend. Da erblickte er seine Schwester. Callidus lächelte. Dann wedelte er aber mit einem Finger um sie zu rügen. "Na, na! Mit Essen spielt man nicht, Schwesterherz!" Dann ging er auf sie zu und musste Lachen. "Du hast nicht so rein zufällig eine Karaffe Wein bei dir? Das würde den Moment perfekt machen!" Und bezog sich damit auf seinen Ausruf von vorhin. Seine Schwester war zwar nicht mehr die Jüngste und und mit ihr konnte er nicht das machen, was er normalerweise jetzt mit einem Mädchen gerne machen würde, aber es war zumindest weibliche Gesellschaft.
    Aber es sah so aus, als sei sie nicht besonders glücklich über seine Anwesenheit. Sie war wirklich viel zu ernst. Innerlich legte er den Schwurr ab, dass wenn er im fortgeschrittenem Alter auch so ernst und langweilig werden würde, ihn Jupiters Blitz treffen sollte.

  • Hispanias Felder hatten ihr schon viel Freude gemacht. Sie hatte schon sehr oft mit Menschen herumgetollt, die sie wirklich gerne mochte. Kurz drifteten ihre Gedanken zu Metellus und dem Besuch bei der Villa Rustica ab, aber sie wollte nicht mehr daran denken. Sie hatte jeden traurigen Gedanken an Maximus vertrieben und sie wollte sich den neu erworbenen Optimismus nicht durch Metellus nehmen lassen. Sollte er doch bleiben, wo er nun steckte.
    Ein leichtes Grinsen trat auf ihre Lippen, als sie ihren Volltreffer bemerkte. Scheinbar wurden die Sinne im etwas höheren Alter doch besser. So gut hätte sie damals niemals getroffen. "Essen wirft man auch nicht einfach durch die Gegend." schoss sie zurück und rappelte sich dann endlich aus dem Gras hoch. Sie tat den letzten, ausbleibenden Schritt und entwand ihm seinen Apfel und gab ihm dafür den Ihren, den er kurz zuvor durch die Gegend geworfen hatte. Mit einem genussvollen Grinsen sah sie ihn an. Es bereitete ihr Genugtuung, ihn vermeintlich zu verblüffen.


    "Nein. Und das Mädchen habe ich dir leider auch nicht mitgebracht. Vielleicht sollte man dir mal eine Gehirnwäsche verpassen. Deine Triebe sind ja schon beinahe nicht mehr normal." erklärte sie und biss ein weiteres Stückchen vom Apfel ab, ehe sie ihm diesen zurückgab. Sie wischte sich mit dem Handrücken den Saft von den Lippen, den dieser ziemlich gut gereifte Apfel von sich gegeben hatte und wanddte sich dann von Callidus ab, um zum Meer zu sehen.

  • Callidus schaute auf den Apfel, den seine Schwester ihm gab. Es war einer der beiden Äpfel, die er vorhin weggeworfen hatte. So tat er es erneut und warf ihn über seine Schulter hinweg. "Das war kein Essen, dass war eckelig!" Jetzt hatte er weder einen Apfel, noch Wein und es schien so, dass er auch kein Mädchen hatte. So konnte es im Leben geschehen. Aber Callidus gab so schnell nicht auf. Er biß ein paar Mal von dem Apfel, damit er noch was von dem Apfel hatte, bevor sie wieder den Versuch unternehmen würde, ihm den Apfel wegzunehmen. "Deine Gesellschaft reicht mir auch schon!" sprach er nach einer kurzen Pause, in der er die Apfelstücke runterschluckte. Wie immer nahm sie das Leben viel zu ernst. Viele tun es so und mussten an ihrem letzten Tage feststellen, dass sie nie wirklich gelebt hatten. Ihm würde es nicht so ergehen. Außerdem was sollte diese Anspielung von ihr? Das letzte Mal, dass er in 'weiblicher Gesellschaft' war, war in einer Mansio bei Narbo Martius auf der Rückreise von Germanien. Das lag nun eine ganze Weile zurück. Aber das wollte er ihr jetzt nicht auf die Nase binden. "Ich bin ein Römer, falls du es vergessen haben solltest und dazu noch ein Plebejer und ein Mann!" warf er ein.

  • Ihre Anspielung, die eigentlich weniger eine solche denn ein kleiner Vorwurf war, war eigentlich auch nicht ernstzunehmen. Aber sie sagte nichts, auf keines seiner Worte hin. Ihr Blick war völlig verträumt auf das Meer gerichtet. Sie dachte zurück, wie oft sie hier schon gestanden hatte und wieviele neue Leute sie so auch kennengelernt hatte. Der Wind zog sacht an ihrem Haar und hob es leicht an. Winde. Sie liebte den Wind, egal wie stark und aus welcher Richtung er kam. Dieser Wind war recht kalt und trieb ihr eine leichte Gänsehaut auf die bloßen, recht hellen Arme. Ihre Tunika war, wie so typisch, an den Schultern durch Fibeln zusammengehalten und hatte keine Ärmel. Dafür war es einfach zu warm. Die Palla hatte sie komplett zuhause gelassen. Für Gepflogenheiten wollte sie sich nicht noch zusätzlich abquälen.


    Da erinnerte sie sich, dass Callidus noch da war und eigentlich auch noch eben gerade mit ihr sprach und sie schrak sogar etwas zusammen, obwohl er in diesem Moment keinen Laut von sich gegeben hatte. "Ich bin auch eine Römerin und nicht von solchen Trieben gesteuert. Und beziehe es nicht auf mein Geschlecht, denn wenn alle Frauen so wären wie ich, hättest du ziemlich schwer daran zu kauen." meinte sie mit dem Hauch eines Grinsens und wandte den Blick wieder vom blauen Meer ab um Callidus anzusehen.

  • Er konnte es nicht fassen. Sicher war sie eine Römerin, aber sie war oder zumindest benahm sie sich nicht wie eine einfache Plebeierin. Gut sie war auch keine einfache Plebeierin mehr. Sie hatte es zu ewtas ordentlichem gebracht. Aber wie so oft, vergessen die Leute in hohen Ämtern woher sie kamen, sie wurden blind. Er wollte es nicht glauben, dass sie den Sinn für die Einfachheit des Lebens verloren hatte. "Genau! Es sind nicht alle Frauen so wie du! Manchmal habe ich das Gefühl, du bist langweilig! Aber jemand aus der Rediviva kann doch nicht langweilig sein!" Das er immer diese Predigten halten musste. Wieso verstanden die Menschen ihn nicht einfach. "Du lebst nur einmal Schwesterherz, also genieße das Leben! Das ist gar nicht schwer! Oder hast du das verlernt?" So sehr es ihn auch drängte, weiter zu ziehen. Nein, er konnte nicht von seiner Schwester weg. Nun hieß es Ärmel hochkrempeln und seiner Schwester zeigen, wie man lebt. "Ich sehe schon ich muss dir noch viel beibringen! Kannst du Steine über das Wasser springen lassen?"

  • Sie legte den Kopf schief. Langsam konnte sie seine Reden nicht mehr hören. Helena fand sich absolut nicht langweilig. Viel eher war es so, dass Callidus übertrieben aktiv war. Es grenzte schon an bodenlosen Leichtsinn, wie er sich manchmal verhielt. Und diese Meinung spiegelte sich auch ziemlich deutlich in ihrem Gesicht wieder, als sie ihn ansah. Sie öffnete den Mund um ihm etwas zu erwidern, schloss ihn dann aber wieder. Sie gestand es sich nur schwerlich ein, aber es verletzte sie, dass Callidus sie als langweilig empfand. Sie wandte ihre Gesicht wieder ab, dieses Mal ohne ein Grinsen oder Lächeln. Wieder traf ihr Blick das Meer, die leichten kleinen Wellen die es vor sich hertrieb.
    Sie beachtete seine Reden gar nicht weiter und ging auf den Strand zu. Sie wollte sich nicht anmerken lassen, dass er sie verletzt hatte. Die Zeiten waren vorbei, da sie anderen ein schlechtes Gewissen einbrennen wollte. Womöglich hatte er Recht und sie war wirklich langweilig. Vielleicht auch erst langweilig geworden. Sie wandte sich um. "Weißt du, Lucius... Wenn man drei Kinder gebärt, zwei davon an den Tod und eines an die Vergangenheit verliert, wenn man sein Leben mehrmals umstellen muss... Dann wird man irgendwann langweilig. Ich hatte nie die Gelegenheit Männer aufzureißen, ich bin anders aufgewachsen als du." Sie lächelte noch immer nicht, doch bei ihren folgenden Worten zwang sie sich dazu. "Und ich will nicht sagen, dass ich schon wirklich alt bin. Aber ich bin doch zu alt, um all die erlebten Jahre ungeschehen zu machen und mich um eine große Wendung zu ändern. Akzeptier wie ich bin, oder tu es nicht. Aber ich bin keine Frau, die im Anfang der Zwanziger steht und jeder Sorgen befreit ist."


    Damit wandte sie sich wieder von ihm ab und ließ den Blick aufs Meer schweifen. Sie hatte wirklich schon recht viel erlebt, dafür, dass sie eine Langweilern war. Von Seeräubern entführt, eine Affäre gehabt, Patrizier geheiratet, die alte Familie wieder gefunden... Es war wohl wirklich zu viel passiert und sie sehnte die Langeweile nun herbei. Einmal ein gewöhnliches Leben führen konnte doch so schwer und falsch nicht sein, oder?

  • Callidus blieb noch einen Moment stehen und dachte nach. War er zu forsch gewesen? Ja vielleicht war er das. Vielleicht wird man auch ruhiger mit dem Alter. Er konnte sich zwar noch nicht vorstellen, eines Tages in einem kleinen Hasu irgendwo auf dem Lande seinen Lebensabend zu verbringen, aber vielleicht kam dieser Wunsch auch erst, wenn die Beine müde wurden. Er hatte bisher auch noch nicht daran gedacht, eine Familie zu gründen. Familie bedeutete eine Menge an Verpflichtungen und eine starke Einschränkung seiner persönlichen Freiheit. Er war noch nicht bereit, dieses alles zu opfern. Außerdem hatte er bisher kaum die richtige Frau dafür gefunden. Er betrachtete seine Liebschaften als Experimente. Einige dauerten länger an, aber er merkte, dass es nicht auf Dauer funktionieren würde. Den Typ Frau den er so mochte, - fröhlich, frei, für jeden Spaß zu haben - war auch meist der Typ, der für keine Dauerbeziehung geeignet war. Zumindest konnte ihm noch keiner vom Gegenteil überzeugen. So ging er gleich wie ein Abenteurer an die Sache heran und plante nicht gleich weit in die Zukunft bei solchen Fragen.
    "Das Ziel des Lebens ist es nicht, mit so vielen Menschen wie möglich das Lager geteilt zu haben! Vielleicht hast du mich da mißverstanden!" rief er und folgte ihr dann. "Ich habe auch nicht gesagt, dass du die Vergangenheit vergessen sollst. Das kann man nicht, es sei denn man ersäuft sie in Wein, aber spätetens am nächsten Morgen oder wenn der Wein alle ist, hat sie einen wieder eingeholt. Aber die Vergangenheit hindert einen nicht daran, etwas Neues auszuprobieren oder sich von etwas frei zu machen!" sagte er, nur noch wenige Schritte hinter ihr.
    Oft verstanden ihn die Menschen falsch. Callidus war kein reiner Träumer oder ein oberflächlicher Mensch. In ihm arbeitete es ständig. Er wollte so viele Erfahrungen aus dem Leben rausholen, wie er konnte. Sonst würde es ihm in der Unterwelt nach ein paar Jahrzehnten garantiert langweilig werden.

  • Helena stand mit ihren Füßen mittlerweile im weißen Sand. Aber Sandalen waren hinderlich und so beugte sie sich nieder, um die Schnüre zu lösen. Als diese Arbeit getan war, ließ sie das Schuhwerk einfach stehen und näherte sich dem leise rauschenden Wasser. Sie hatte Callidus aufmerksam zugehört, wusste aber keine Antwort. Wenn er sie doch einfach nur so mögen würde, wie sie war. Oder tat er das? Was würde er sagen, wenn sie nichts mehr richtig ernst nahm, wenn er es ernst meinte? Wenn sie nächtelang fort war? Wenn sie kein bisschen Verantwortung mehr auf sich nahm? Helena war sich sicher, dass ihm das kein bisschen gefallen würde. Jedenfalls nicht, wenn er sie schon jetzt mochte, denn das was er aus ihr machen wollte, war ein völlig anderer Mensch. Früher war sie sorgenfrei gewesen, an der Seite von Maximus. Aber dann kam der verpflichtende Lebensabschnitt in dem sie so vieles falsch gemacht hatte und was sie auf keinen Fall wiederholt sehen wollte.


    Mittlerweile stand sie schon bis zur Mitte der Knöchel im Wasser und die Wellen strichen schon am Saum der Tunika entlang. Dieser nahm schon ein dunkles Blau durch das Wasser an, trug sie doch heute eigentlich eine hellblaue Tunika. Sie wandte sich um, um den am Strand befindlichen Callidus zu betrachten und setzte zu einer Antwort an. "Ich widerstrebe auch nicht, etwas Neues auszuprobieren. Ich denke nicht, dass dich eine andere Frau mit einem Apfel beworfen hätte, die in meinem Alter ist." meinte sie mit noch ernsthafter Stimme, doch dann kehrte ein ehrliches Lächeln in ihr Gesicht zurück. Nein, sie war für ihr Alter ganz gewiss nicht langweilig. Warum tat es dennoch weh, dass sie Callidus nicht ganz das bieten konnte, was er sich wünschte? Sie war nun einmal so. Musste sie vielleicht etwas an Metellus zurückdenken? Nein, er war zwar eigentlich genauso... unstetig wie Callidus gewesen, hatte sich aber häufig über ihr unstandesgemäßes Denken beschwert. Was sie sich auch erst durch ihn einigermaßen angewöhnt hatte. Metellus. Das Lächeln schwand wieder und sie drehte sich wieder um. Sie war so leicht durchschaubar und sie konnte dem nur entgegen wirken, wenn man sie nicht ansah. Also wieder zurück zum Meer mit dem verletzten Blick.

  • Nein ganz sicher nicht. Er hatte ja auch nur das Gefühl, dass sie manchmal langweilig, ja nicht sie selbst war. Als ob ihr eine innere Stimme ins Gewissen reden würde, wie eine Anstandsdame. Wenn sie doch ab und zu mehr aus ihr herauskommen würde und ihn für sein Verhalten nicht rügen würde. Er machte sich nur Sorgen um sie. Wenn es ihn fortzog und er sie zurücklassen würde, weil sie seinen Lebensstil nicht teilte, dann wollte er sie zumindest mit einem Lächeln in Erinnerung behalten.
    "Die Reise nach Germanien tat mir gut. Sehr gut sogar und sie hat mir zu denken gegeben! Es tat gut zu sehen, wie die eigenen Beine einen tragen können, nur mit dem nötigsten ausgestattet!" Langsam näherte er sich dem Thema, welches er nicht direkt ansprechen wollte. "Fühlst du dich hier wohl in Hispania? Hier wo du dich nur umschauen brauchst und du jede Ecke mit einer Erfahrung aus deiner Vergangenheit verknüpfen kannst?" Das Leben hier war ihm wirklich auf Dauer viel zu öde. Die jungen Senatorensprösslinge die hier ihren Urlaub auf den elterlichen Landgütern machten, kotzen ihn an. Sie waren jung und überheblich. Man könnte meinen, sie würden ganz gut zu Callidus und seinen Stil passen, aber das taten sie überhaupt nicht. Hinter seinem Handeln steckte eine Absicht, eine Philosophie. Er wusste was er tat, was man von den Jünglingen nicht behaupten konnte. Leider auch nicht, wenn diese später einmal im Senat saßen und dort den Staat lenkten. "Willst du nicht wissen, was da draußen hinter dem Horizont steckt und auf einen wartet?" deutete er an.

  • Schon als sie seine Freude an der Reise gen Germanien hörte, erahnte sie schon worum es ging. Sie hatte offensichtlich Reiselust in ihm geweckt, das hatte er schon öfter durchblicken lassen. Also wollte er gern wieder mehr von der Welt sehen. Ihre Miene verfinsterte sich noch um einen Deut, doch sie stand ja glücklicherweise mit dem Rücken zu ihrem kleinen Bruder. Doch ihre Unsicherheit zeigte sich dennoch dadurch, dass sie ihre Arme vor der Brust verschränkte. Sie schloss die Augen und versuchte, an etwas schönes zu denken. Sie spürte wie das Wasser um ihre Beine floss, dachte an die schöne Zeit, da Minervina noch klein war. Es war eigentlich schon wirklich ziemlich lange her, dass sie unbeschwert gelacht hatte. Gut, unbeschwert lachte sie auch jetzt wieder, aber dazwischen war eine wirklich lange Zeit verstrichen.


    Dann drehte sie sich um. "Du hast Recht. Ich würde gern mehr von der Welt sehen, als Hispania, Germanien und Italien, doch was? Dies sind des Reiches schönste Provinzen." Sie lächelte wieder leicht. Callidus nicht anmerken lassen, dass er eigentlich eine Art kleines Ebenbild von Metellus war, dachte sie immer wieder. Das würde er ihr ziemlich übel nehmen. Ja, auf Reisen hätte sie Lust. Auf 'Tapetenwechsel', denn hier lauerten in der Tat zuviele Erinnerungen. Maximus, Minervina, ihre beiden Söhne und Metellus, der sie einfach im Stich gelassen hatte.

  • Irgendwie schien sie zu ahnen, was er sagen wollte und es schien ihr nicht wirklich zu gefallen. Er mochte seine Schwester und wenn sie wollte, dass er bleibte, dann würde er wohl oder übel bleiben. Er war nicht der Typ, der sich nur über den Status quo beschweren würde, nein er würde ihn selber ändern. Es gab genug die sich selber bemitleideten, aber nichts an ihrer Situation änderten. Wenn man auf die Hilfe der Götter wartet, ohne etwas selber zu tun, dann wartet man vergeblich. Dann jedoch drehte sie sich zu ihm um und war anscheinend doch gar nicht so abgeneigt, eher ratlos.
    "Du bist für jede Provinz eine Bereicherung, Schwesterherz! Was man von mir nicht gerade behaupten kann!"
    Das Imperium war groß. Sie konnte kaum alles gesehen haben, daher nahm er ihr Kommentar nicht wirklich für voll. Es gab sicherlich auch noch andere schöne Ecken. Schön ist ein relativer Begriff, den jeder anders auslegt.
    "Nun, Italien kenn ich zu Genüge, Germanien habe ich auch gesehen, nach Britannien zieht es mich nicht wirklich... Griechenland, daran erinnere ich mich immer gerne. Nun den Osten des Reiches kenne ich kaum. Nur die Grenze zu Pathien sollten wir meiden!"
    Ja, wieso eigentlich nicht einfach mal den Osten durchreisen? Am besten wäre, so dachte Callidus, für ihn ein Beruf, der viel mit Reisen zu tun hatte. Nur wer reiste viel? Die Tintenkleckser des Kaisers waren oft unterwegs, aber das war nichts für ihn. Schauspieler, reisten auch von Theater zu Theater. Aber Schauspieler waren ein seltsames Volk. Er hatte schon manches Mal etwas mit einer Schauspielerin gehabt. Gehalten hatte es nie. Außerdem wäre Helena damit garantiert nicht einverstanden. Schließlich gab es da noch den Beruf des Händlers. Händler waren ständig unterwegs oder schickten ihre Angestellten durch die Wüste, während sie sich vor Ort um die Geschäfte kümmerten. Mit Zahlen umgehen konnte er. Und mit Menschen auch. Und wenn er mal keine Lust hatte nur über den Zahlen zu hocken, dann reiste er eben mit seiner Ware mit. Reich werden wollte er nicht. Er wollte Leben, sein Leben! Mehr wollte er nicht. Wieder kam ihm der Gedanke an das zum Verkauf stehende Schiff.

  • Sie schwieg sich kurze Zeit einer Antwort aus. Irgendwie schien der Gesprächsverlauf schon fast allzu offensichtlich. Welche Frau war schon so weit gereist, wie sie? Wenige Frauen hatten in sovielen Provinzen ihre Heimat gefunden. Germanien, Italien und Hispania. Was würde nun folgen? Sie bückte sich leicht nach vorne und strich mit ihrer Hand über die kleinen Wellen. Sie mochte die Welt sehr, in welcher sie lebte. Sie mochte das Grün der Wiesen von der Regio Hispania Tarraconensis. Mochte das Blau des weiten Meeres. Sie hatte das Wasser schon immer sehr gemocht, auch wenn es ihr nicht immer gut bekam. Sie dachte an die piratische Bekanntschaft zurück. Sie hatte wirklich schon sehr viel erlebt und das meiste wusste Callidus mit Sicherheit nicht. Er würde sie wohl beneiden. Langsam richtete sie sich wieder auf. Sollte sie noch mehr erleben? Irgendwann musste die Reiserei doch ein Ende finden.


    Helena seufzte leise. Am liebsten würde sie sich jetzt einfach fallen lassen und auf dem Wasser treiben. Natürlich nicht forttreiben lassen. Einfach nur etwas entspannen. Aber sie tat es nicht. Sie wandte sich wieder um und ging storchbeinig wieder an den Strand zurück, um ihre Kleidung nicht noch weiter zu durchnässen. An Callidus ging sie vorbei, um sich dann in den Sand sinken zu lassen. Stimmt, auch in Griechenland war sie einmal gewesen. Es lag schon so furchtbar weit zurück. Sie legte sich der Länge nach hin und sah in den Himmel. Erst jetzt erhob sie ihre Stimme wieder. "Doch, Britannien würde mich schon reizen. Es wäre nur etwas zu kalt in den Wintertagen, käme also nur als kurzfristiges Reiseziel in Betracht." Sie schloss die Augen. Eigentlich hatte sie keine klare Meinung kundgetan, aber warum auch? Sie hatte keine. Callidus wollte reisen, nicht sie.

  • Callidus träumte weiter. "Ich will nicht eines Tages von dieser Welt gehen, ohne etwas von ihr gesehen zu haben, Schwesterchen!" Er suchte wieder ein paar Steine, die er über das Wasser springen lassen konnte. War er unglücklich? Callidus forschte in seinem Inneren. Ja, irgendwie war er nich mehr so glücklich, seit ihrer Rückkehr aus Germanien. Nachdem er von der Welt wieder etwas gesehen hatte, kam ihm das alles hier recht öde vor. Nicht das ihm Hispania nicht gefiehl, aber es hielt ihn nicht sehr lange an einem Ort. "Ich will die Welt sehen!" Es war ausgesprochen. Sein Wunsch stellte auch eigentlich kein Problem dar. Er könnte gleich losziehen. Wohin, dass war ihm erstmal egal. Doch er war nicht mehr alleine. Er hatte eine Familie und der konnte er sich nicht so einfach entziehen. Das schlechte Gewissen würde ihn ein lebenlang plagen. Er ließ sich neben Helena in den Sand fallen und schaute stumm zum Himmel.

  • Sie ließ sich auf seine Worte hin keine Reaktion anmerken und sah einfach nur weiter in den blauen Himmel, durch den hier und dort Wolkenfetzen getrieben wurden. Am Abend würde es wohl einen ziemlich kräftigen Wind geben, das war unschwer zu erkennen. Hier unten tobte nur ein laues Lüftchen, doch oben bewegten sich die Wolken ungewöhnlich schwer. Mit einer Hand malte sie, ohne dabei hinzusehen, Kreise in den Sand. Sie sehnte sich sehr danach, wieder eine eigene Familie zu haben. Die Zeit mit Maximus und den drei Kindern schien ihr ewig weit weg, als hätte sie diese nur in einem Traum erlebt. Nun fühlte sie sich, als wäre es zu spät, um einem weiteren Kind das Leben zu schenken, noch einmal zu heiraten. Sie seufzte leise. Das war ihr Wunsch. Aber fast jeder Mann, der ihr über den Weg lief, gefiel ihr nicht. Jedenfalls nicht gut genug, um mit ihm eine neue Existenz aufzubauen. Natürlich hatte auch Callidus Wunsch einen gewissen Reiz, die Welt zu bereisen. Aber nur noch zu reisen war ihr zuviel. Sie wollte ein friedliches Familienleben. Doch in Tarraco würde der Gedanke an Maximus sie immer einholen, das hatte sie in Germanien noch nicht geglaubt, nach der Heimreise aber schnell erkannt.


    "Natürlich. Bei dir ist es auch noch etwas anders. Du bist jung, es ist verständlich, dass du viel sehen willst. Viel sehen möchte ich nicht mehr. Ich möchte eigentlich nur in Ruhe leben." Von ihrem Wunsch nach Familie sagte sie nichts. Callidus würde es nicht verstehen. Und das verübelte sie ihm nicht einmal. Es war eben nicht seine Welt und dafür konnte sie ihn nicht verurteilen. Also wollte sie auch darauf nicht weiter eingehen.

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